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Reitunfall der Mitreiterin: Krankenkasse kann sich Kosten nicht bei Pferdebesitzerin holen
05.10.2021 / News

Die Frage „Wer haftet nach einem Reitunfall" kann bisweilen sehr kompliziert sein, wie auch der aktuelle Fall in Schleswig-Holstein zeigt.
Die Frage „Wer haftet nach einem Reitunfall" kann bisweilen sehr kompliziert sein, wie auch der aktuelle Fall in Schleswig-Holstein zeigt. / Symbolfoto: Archiv

Wenn im Reitbeteiligungs-Vertrag ein Haftungsausschluss des Pferdebesitzers vereinbart wurde, dann gilt dieser auch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung: Diese kann sich – nach einem Reitunfall des Mitreiters – nicht per Regress die Behandlungskosten vom Pferdebesitzer zurückholen, so ein Urteil des OLG Schleswig-Holstein.

 

Mit dem Thema „Wer haftet bei einem Reitunfall?" könnte man gleich mehrere Bücher füllen, denn mitunter sind die Dinge sehr kompliziert – vor allem dann, wenn mehrere Parteien am Geschehen beteiligt sind. Im konkreten Fall waren dies nicht nur die Pferdebesitzerin, sondern auch eine Mitreiterin – und in weiterer Folge auch die gesetzliche Krankenkasse.

Was war geschehen? Eine ältere Dame war Besitzerin eines Pferdes, doch leider nicht mehr körperlich dazu in der Lage, es ausreichend zu bewegen und zu reiten. Um dies zu gewährleisten, räumte sie einer Gastreiterin das Recht ein, ihr Pferd unentgeltlich und nach Belieben zu reiten. Man schloss einen Reitbeteiligungsvertrag ab, der auch eine Klausel zur Haftungsbeschränkung beinhaltete. Diese lautete wie folgt:

„1. Die Reitbeteiligung verzichtet auf Ansprüche gegen den Eigentümer aus § 833 BGB wegen aller ihr durch das Pferd (Name: …) verursachten Personen-, Sach- und Vermögensschäden.
2. Die Reitbeteiligung stellt den Eigentümer im Innenverhältnis von Ansprüchen Dritter frei, insbesondere von Ansprüchen ihrer Kranken- und Sozialversicherung.“

Prompt kam es wenige Monate später zum Ernstfall – nämlich zu einem Reitunfall: Als die Gastreiterin im November 2015 das Pferd in der Reithalle bewegte, fuhr außen ein Fahrzeug vorbei und zischte dabei auch durch eine große Pfütze: Das Wasser spritzte laut gegen die Reithalle, wodurch das Pferd scheute, die Reiterin kam zu Sturz und zog sich dabei eine Fraktur des Landenwirbelkörpers 1 zu.

Diese Verletzung machte stationäre Krankenhausbehandlungen, umfangreiche Nachbehandlungen und die Verschreibung diverser Hilfs- und Heilmittel erforderlich, die – samt Krankengeld – von der Krankenversicherung übernommen wurden. Diese machte schließlich Aufwendungen in der Gesamthöhe von 40.000,– Euro gegenüber der Haftpflichtversicherung der Pferdebesitzerin geltend, welche diese wiederum unter Hinweis auf den Haftungsverzicht zurückwies.

Diesen wiederum wollte die Krankenkasse nicht so ohne weiteres hinnehmen – und machte ihre Ansprüche vor dem Landesgericht Kiel geltend. Zentrales Argument dabei: Ein privatrechtlicher Haftungsverzicht könne ihr nicht das sich aus Paragraph 116 des Sozialgesetzbuchs (SGB) ergebene Regressrecht nehmen. Dieser besagt, dass sich die Krankenkassen die entstandenen Kosten erstatten lassen können, sofern es jemanden gibt, der originär haftet – in diesem Fall die Tierhalterin. Anders gesagt: Eine private Vereinbarung könne nicht das Regressrecht der Krankenkasse aushebeln, da sie sonst widerrechtlich über öffentliche Mittel verfügen würde.

Diese Argumentation ließ das Landgericht Kiel nicht gelten – und wies die Klage ab. Die Begründung: Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Kostenerstattung aus übergegangenem Recht nach § 116 SGB bzw. § 833 BGB zu. Zwar hafte die Beklagte der Geschädigten grundsätzlich nach § 833 Satz 1 BGB als Tierhalterin. Diese Haftung entfalle jedoch aufgrund des vereinbarten Haftungsausschlusses, so dass es an einem auf die Klägerin übergegangenen Anspruch fehle.

Das wollte die Krankenkasse wiederum nicht hinnehmen und legte Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ein – allerdings wiederum ohne Erfolg. Die Begründung des OLG: Der Anspruch der Klägerin (also der Krankenkasse) „ist jedenfalls schon deshalb ausgeschlossen, weil der zwischen der Zeugin X. (der Reitbeteiligung) und der Beklagten (der Pferdebesitzerin) vereinbarte Haftungsverzicht wirksam ist, so dass es an einem gemäß § 116 SGB X übergangsfähigen Anspruch fehlt, denn die Vereinbarung entfaltet auch Wirkung gegenüber der Klägerin." Gerade im Freizeitpferdesport sei, so das OLG weiter, die Annahme von Haftungsausschlüssen „weithin anerkannt", es handle sich dabei auch nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter. Auch widerspreche der Haftungsverzicht „weder gesetzlichen Bestimmungen (c.), noch ist er unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB unwirksam bzw. begründet eine Einstandspflicht des Schädigers unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung im Sinne § 826 BGB." Das klare Resümee des OLG: „Die Haftungsverzichts-Erklärung widerspricht (...) weder ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen, noch steht sie im Widerspruch zu den Zielen, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 116 SGB X verfolgte."

Das OLG führte weiters aus, dass im „Sinne der Haftungsbeschränkung und Rechtssicherheit (...) sogar ein ausdrücklicher Haftungsverzicht oder aber der Abschluss eines Leihvertrages mit der Folge jedenfalls einer Haftungsbeschränkung nach § 599 BGB empfohlen" werde. Zudem hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass auch im Fall einer gegen den Halter klagenden Versicherung das Vorliegen eines wirksamen Haftungsausschlusses konkret zu prüfen sei. Und weiter: „Dieser zivilrechtlichen Konstruktion, die im Ergebnis auch auf einen Interessenausgleich – nämlich zwischen Tierhalter und Geschädigtem – ausgerichtet ist, würde es zuwiderlaufen, wenn es den Parteien verwehrt wäre, einen entsprechenden Ausschluss individuell zu vereinbaren. Käme man zu dieser Annahme, wäre damit im Bereich der Tierhalterhaftung - und aufgrund der vergleichbaren Interessenlage möglicherweise sogar im Bereich der gesamten Gefährdungshaftung - die Rechtsfigur des (konkludenten) Haftungsverzichts kaum noch zu halten. Eine solche Konsequenz ist allerdings kaum wünschenswert, denn grundsätzlich ist eine ausdrückliche und individuell ausgehandelte Vereinbarung, bei der sich die Parteien der Interessenlage und der möglichen Konsequenzen bewusst sind, vorzugswürdig."

Der geschlossene Vertrag samt Haftungsbeschränkung sei somit rechtlich zulässig und wirksam – und gehe auch nicht zu Lasten Dritter, sprich der Krankenversicherung. Das wäre nur der Fall gewesen, wenn der Krankenkasse durch den Vertrag unmittelbar Leistungspflichten aufgezwungen worden wären – die Leistungen der Krankenkasse an die verunfallte Reiterin ergeben sich jedoch aus dem Krankenversicherungsvertrag, den die Kundin mit der Kasse abgeschlossen hatte.

Aus alldem ergibt sich, dass die Pferdehalterin für die Behandlungskosten sowie das Krankengeld der verunglückten Reiterin nicht aufkommen muss. Eine Revision ließ das OLG nicht zu, weil der Senat weder von der Rechtssprechung des OLG München, noch jener des Bundesgerichtshofs abweiche. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage kann „als grundsätzlich geklärt betrachtet werden."

Kurz gesagt: Das Urteil des Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (Aktenzeichen: 17 U 142/20) macht zwei Dinge deutlich: nämlich dass eine ,Haftungsbeschränkung' in einem Mitreitervertrag für den/die Pferdebesitzer/in nicht nur zulässig, sondern sogar empfehlenswert ist – und dass diese Klausel auch einen außerordentlich hohen rechtlichen Stellenwert hat und sogar gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse ,hält'.

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