Durch Schnüffeln am Mist gewinnen Pferde eine Vielzahl relevanter Informationen – über Artgenossen, mögliche Konkurrenten und ihr näheres Umfeld. Eine aktuelle Studie konnte nun zeigen, dass Pferde dabei ein ausgeprägtes Kurzzeitgedächtnis haben – und sie der Mist vom Vortag deutlich weniger interessiert als frische Kothaufen.
Pferde schnüffeln aus vielerlei Gründen an Mist – zur Kommunikation, für ihr Sozialverhalten und um über ihr Umfeld Bescheid zu wissen. Mist enthält chemische Signale, die Informationen über das Individuum, das ihn hinterlassen hat, wie etwa dessen Identität, Geschlecht und Fortpflanzungsstatus, vermitteln können. Pferde können Mist an bestimmten Stellen hinterlassen, um ihre Anwesenheit zu markieren, um territoriale Grenzen kommunizieren oder anzuzeigen, dass ein bestimmter Bereich häufig von bestimmten Individuen oder Gruppen genutzt wird.
In Studien konnte u.a. gezeigt werden, dass Pferde durch das Schnüffeln an Mist andere Pferde erkennen und Informationen über sie sammeln können. Es kann Pferden auch helfen, soziale Strukturen und Hierarchien innerhalb einer Gruppe zu verstehen, sodass sie dominante Individuen erkennen und potenzielle Konflikte vermeiden können. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 konnte beispielsweise nachweisen, dass Pferde dem Kot jener Artgenossen die meiste Aufmerksamkeit schenkten, die ihnen am aggressivsten begegneten – was vermuten lässt, dass Pferde (beiderlei Geschlechts!) einzelne Konkurrenten in ihrer Gruppe anhand des Kot-Geruchs unterscheiden können.
Möglicherweise gewinnen Pferde aber auch noch andere Informationen aus dem Kot, wenngleich dazu noch konkrete Forschungen fehlen: So konnte eine Studie an Mandrillen in Zentralafrika im Jahr 2017 nachweisen, dass das Riechen am Kot den Primaten dabei hilft, gesund zu bleiben: Indem sie den Geruch von Darmparasiten in den Fäkalien ihrer Gruppenmitglieder aufspüren, können sie herausfinden, wer krank ist – und es dann auch vermeiden, bei diesen Individuen Fellpflege zu betrieben, weil die Darmparasiten auch auf dem Fell vorhanden sind. Ein ähnlicher Mechanismus wäre durchaus auch bei Pferden vorstellbar.
In ihrer aktuellen Untersuchung gingen Audrey EM Guyonnet und Ian Q. Whishaw vom ,Canadian Centre of Behavioural Neuroscience’ der Universität von Lethbridge (Provinz Alberta, Kanada) jedoch einer anderen Frage nach – nämlich wie Pferde Ort, Geruch und Erinnerung im Zusammenhang mit ihren Begegnungen mit Mist wahrnehmen und nutzen. Dabei wurden die Testpferde in unterschiedlichen Zeitabständen zu ausgewählten Objekten oder zu Mistablagerungen geführt, an denen sie schnüffeln durften.
An der Studie nahmen 22 Pferde teil. Die Tests wurde in insgesamt sechs Reithallen durchgeführt – zwei in der Halle und vier im Freien. Das Forschungsteam machte Videoaufnahmen von den Pferden, die auf die Objekte und den Mist trafen. Durch die Einzelbild-Videoanalyse wurden mehrere Faktoren untersucht: die Art und Weise, wie sich die Pferde den Objekten oder Mistablagerungen näherten, die Dauer des Schnüffelns, die Verwendung der Nüstern, die Ohrenposition und das Blinzeln im Zusammenhang mit der Untersuchung des Mists.
Die Forscher fanden heraus, dass Pferde sich Mistablagerungen durchweg länger näherten und auch länger daran schnüffelten als an Objekten, die kein Mist waren. Während sie schnüffelten, bewegten die Pferde ihre Köpfe über die gesamten Misthaufen – „untersuchten“ diese also sehr eingehend und genau. Sie zeigten keine spezielle Vorliebe für ein bestimmtes Nasenloch, wenn sie das Ziel unter die Lupe nahmen, und sie neigten dazu, zu blinzeln, wenn sie mit dem Schnüffeln aufhörten.
Insbesondere ein Ergebnis erregte die Aufmerksamkeit des Forscherteams: Pferde näherten sich seltener und schnüffelten kürzer, wenn sie Misthaufen wieder besuchten, die sie bereits am Tag zuvor entdeckt hatten, und zwar unabhängig von der genauen Position.
Die Forscher vermuten, dass dies auf ein starkes Kurzzeitgedächtnis für Mist und dessen Position hinweist – d.h. dass ihr Gedächtnis für ,frischen’ Mist (also Mist, der vom selben Tag stammt) sehr gut ist, am nächsten Tag jedoch deutlich nachlässt.
Dieses Muster spiegelt sogenanntes „adaptives Vergessen“ wider, wodurch sich Pferde auf aktuelle Umweltreize konzentrieren können. („Adaptives Vergessen“ bezeichnet den Mechanismus des Gehirns, bestimmte Informationen absichtlich zu vergessen, um die Gedächtnisfunktion und kognitive Leistungsfähigkeit zu optimieren. Das kann dabei helfen, relevante und wichtige Informationen zu priorisieren und veraltete, irrelevante oder redundante Daten zu verwerfen. Dieser Prozess soll das Lernen, die Entscheidungsfindung und die allgemeine kognitive Leistung verbessern.)
Die Forscher vermuten, dass dieses Phänomen des adaptiven Vergessens, bei dem die Erinnerung an den am Vortag besuchten Mist nachlässt, für Pferde biologisch von Vorteil sein könnte. Es optimiert die Risikobewertung, indem es unnötige Unterbrechungen der Futtersuche durch Artgenossen verhindert und sicherstellt, dass ihre Aufmerksamkeit auf aktuelle und möglicherweise relevantere Umweltreize gerichtet bleibt. Getreu dem Motto, das auch uns Menschen nicht ganz unbekannt ist: Was interessiert mich der Mist von gestern ...
Die Studie „Adaptive forgetting of place/object memory for dung in the domestic horse (Equus ferus caballus): Memory for a day“ von Audrey EM Guyonnet und Ian Q. Whishaw ist im April 2024 in der Zeitschrift ,Behavioural Processes' erschienen und kann in englischer Kurzfassung hier nachgelesen werden.