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Nasenriemen-Verschnallung: ISES-Präsidentin zerlegt Olympiareiter
05.12.2018 / News

An eng verschnallten Nasenriemen entzünden sich wieder einmal die Gemüter – diesmal nach einem Vortrag des britischen Olympiareiters Richard Davison.
An eng verschnallten Nasenriemen entzünden sich wieder einmal die Gemüter – diesmal nach einem Vortrag des britischen Olympiareiters Richard Davison. / Symbolfoto: Fotolia/Ksenyia Abramova

Ein Vortrag des britischen Dressurreiters und Olympiateilnehmers Richard Davison bei der Jahresversammlung von ,World Horse Welfare’ hat den entschiedenen Widerspruch der ,Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften’ ISES provoziert.

 

Auf der Jahresversammlung der bekannten Tierschutzorganisation ,World Horse Welfare’, die am 31. Oktober in London stattgefunden hat, hielt der britische Dressurreiter und Olympiateilnehmer Richard Davison einen Vortrag zum Thema: „Equestrian sport: the good, the bad and the ugly’ (Pferdesport – der gute, der böse, der hässliche). Davison wurde in seinen Ausführungen dem vielversprechenden Titel durchaus gerecht – und gab einige Aussagen zum Besten, die wohl durchaus provokant gemeint waren und ihre beabsichtigte Wirkung auch nicht verfehlten. Wieder einmal ging es um das vieldiskutierte Thema Nasenriemen – bei dem die FEI bekanntlich eine besonders umstrittene Rolle spielt, wie ProPferd bereits ausführlich in einem Kommentar analysiert hat – und Richard Davisons Aussagen dazu waren derart aufreizend, dass sich nun sogar die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften (International Society for Equitation Science, ISES) veranlasst sah, dazu öffentlich Stellung zu nehmen. In einem am 29. November veröffentlichten ,Offenen Brief’ schrieb ISES-Präsidentin Janne Winther Christensen im Namen des gesamten Vorstandes, dass Davisons Vortrag „eine Reihe unkorrekter Behauptungen und Unterstellungen“ sowie „Falschinformationen“ enthielt, die man mit einem öffentlichen Statement korrigieren möchte, um „weitere Fehlinterpretationen auszuschließen, die das Wohl von Sportpferden beeinträchtigen könnten.“

So hat Davison in seinem Vortrag behauptet, dass er sich angesichts der aktuellen Krise in der Dressurwelt bezüglich enger Nasenriemen „den aktuellen Stand der Forschung“ näher angesehen habe. Und meinte dazu wörtlich: „Was ich aus den diversen Studien schließe, ist, dass einige der tatsächlichen Schlussfolgerungen, wenn Sie das Kleingedruckte lesen, tatsächlich widersprüchlich sind, und wenn Sie ins Detail gehen, erhalten sie entweder unterschiedliche Botschaften – oder sie stehen hinsichtlich ihrer Methoden auf schwachen Beinen und es fehlt ihnen an entsprechenden Zahlen, was das Alter und den Typ von Pferden betrifft, wenn sie auf den Turniersport bezogen werden.“

Dieser Aussage hält die ISES-Präsidentin entgegen: „Eine der jüngsten, unabhängig geprüften Veröffentlichungen zu diesem Thema umfasst 3.143 Turnierpferde, die jeweils nach einem Bewerb kontrolliert wurden. In dieser Studie wurde eine hochsignifikante Korrelation zwischen engen Nasenriemen und oralen Verletzungen festgestellt. Wurde der Nasenriemen von der engsten zur mittleren Kategorie gelockert, wurde eine Abnahme der oralen Verletzungen um 34 % festgestellt. Der gleiche Effekt zeigte sich von der mittleren bis zur lockersten Kategorie – weitere 34 %. Insgesamt wurde also eine Abnahme der oralen Verletzungen um 68 % bei der Lockerungen von der engsten Kategorie hin zur lockersten beobachtet. Die Studie hat auch gezeigt, dass orale Verletzungen im Allgemeinen ein besonderes Problem in der Dressur und zunehmend auch bei Dressurbewerben auf hohem Niveau waren (Uldahl, M., Clayton, H., 2018: Lesions associated with the use of bits, nosebands, spurs and whips in Danish competition horses).“

Und weiter: „Einige Fragen der Pferdewissenschaft erfordern eine große Anzahl von Pferden, um sie aufzuzeigen – andere nicht. Daher kann auch eine scheinbar bescheidene Anzahl von Pferden statistisch gültige Ergebnisse liefern. Außerdem ist die exakte Position, die ein Pferd in einem vom Menschen gestalteten Umfeld einnimmt, letztlich unerheblich, wenn dabei seine natürlichen Verhaltensweisen von engverschnallten Nasenriemen unterbunden werden. Ein Turnierpferd zu sein bedeutet nicht, dass es leichter lecken, kauen, gähnen und schlucken kann als Nicht-Turnierpferde.“

Ein weiterer Punkt in Richard Davisons Vortrag betraf die Verwendung der von ISES entwickelten und zur Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung auch empfohlenen Mess-Schablone (ISES taper gauge). Dazu Davison wörtlich: „Um ein weiteres prominentes Beispiel für eine solche Studie zu geben, hat eine Gruppe von Forschern vorgeschlagen, die Verschnallung des Nasenriemens mit diesem Gerät hier (dem ISES taper gauge) zu messen. Nun, auf den ersten Blick scheint es eine völlig logische Idee zu sein, dafür ein standardisiertes Messinstrument zu verwenden – aber abgesehen davon, dass die Empfehlung dieser Gruppe, wo genau zu messen ist, von anderen sehr guten Wissenschaftlern konterkariert wird, die behaupten, dass die Vorderseite der Nase ebe nicht die relevanteste Stelle zum Messen ist – ist die Art der Überprüfung auch darauf angewiesen, dass ein Steward ein hellgrünes Stück Plastik die Nase eines Pferdes hinaufschiebt, nun, nicht direkt die Nase hinauf, sondern das Gesicht (Publikum lacht).“

Janne Winther Christensen kommentiert dies lakonisch: „Dem ISES sind keine von unabhängigen Gutachtern überprüften Untersuchungen bekannt, aus denen hervorgeht, dass die Vorderseite der Nase kein relevanter Messort ist. Doherty und ihre Kollegen (2017) identifizierten jedoch die Bereiche der frontalen Nasenebene (linker und rechter Nasenknochen) und andere knöcherne Vorsprünge wie den Unterkiefer als jene Orte, an denen der Nasenriemen die größte Kraft gegen das Gewebe ausübt, während andere Bereiche unter dem Nasenriemen – etwa an der Seite des Gesichts – aufgrund der anatomischen Form des Kopfes nur sehr wenig beeinträchtigt werden.“

Wie Davison weiter ausführte, könnte es bei der Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung durch die Stewards auch zu unvorhergesehenen, gefährlichen Zwischenfällen kommen – und unterstellte dabei eine Verbindung zwischen der Verwendung der ISES Mess-Schablone und einem Vorfall, der sich im Vorjahr beim Int. Dressurturnier in Aachen ereignet hatte, bei dem ein Dressurpferd durchgegangen war, weil sich das Zaumzeug gelöst hatte. Wörtlich meinte er: „Nun, diese Art der Überprüfung ist vielleicht gut für ein Reitschulpferd; wenn es aber ein energiegeladenes Sportpferd ist, dass gerade aus der überfüllten Wettkampfarena mit lärmendem und klatschendem Publikum kommt, dann ist das eine hochgradig angespannte Umgebung; Sie können hier im mittleren Bild einen Steward sehen (er deutete auf den Bildschirm, Anm.), der ein Dressurpferd unmittelbar nach dem Wettkampf kontrollieren möchte. Dieses Bild ist einige Sekunden später aufgenommen (zeigt auf das Foto eines Pferdes, das in Panik davonläuft, während das Zaumzeug lose an seinem Hals herunterhängt, Anm.).

Davison dazu: „Wenn dies passiert (vom Foto der ISES Mess-Schablone zum Bild des flüchtenden Pferdes zeigend) frage ich nach den kostspieligen, persönlichen Schadenersatzansprüchen – oder den Ansprüchen dieses sehr teure Pferd betreffend. Wer haftet dafür? Ist es die FEI? Ist es das Organisationskomitee? Oder ist es der Hersteller des Geräts? (zeigt auf die ISES Mess-Schablone). Ich hoffe nur, dass der Hersteller des Geräts eine gute Haftpflichtversicherung hat – oder dass jeder Betroffene eine hat.“

Diese Darstellung weist die ISES-Präsidentin in aller Schärfe als irreführend und unzulässig zurück – denn der Vorfall, auf den sich Richard Davison hier bezog, stand in keinerlei Zusammenhang mit der ISES Mess-Schablone, die bei der auf den Bildern gezeigten Zäumungskontrolle gar nicht verwendet wurde, wie man bei den Bildern, die auch von der Zeitschrift ,Horse&Hound’ veröffentlicht wurden, auch deutlich erkennt. Janne Winther Christensen: „Die tatsächliche Ursache für die Panik des Pferdes ist eine andere, als hier unterstellt wurde. Die Pflegerin des Pferdes hat unabsichtlich das Zaumzeug gelöst, als sie versuchte, die Fliegenhaube des Pferdes zu entfernen. An dem Vorfall war keine ISES Mess-Schablone beteilt, wie die Fotoserie in diesem Link deutlich zeigt.“

Und weiter: „Die Behauptung, dass man damit die Verschnallung von Nasenriemen bei hochkarätigen Turnierpferden nicht kontrollieren könne, scheint allein auf den persönlichen Erfahrungen des Vortragenden zu beruhen, da die Sportpferde in den veröffentlichten Studien ein hohes Maß an Gelassenheit gezeigt haben. In der von Uldahl & Clayton (2018) veröffentlichten Untersuchung wurden Pferde unmittelbar nach dem Wettkampf von den Stewards kontrolliert, insgesamt waren daran 1.383 Dressurpferde – darunter auch solche hoher Leistungsklassen – beteiligt. Es wurden keine Unfälle oder Probleme bei der Erfassung der Daten für diese Untersuchung – gleich auf welchem Niveau und in welcher Disziplin – festgestellt. In einer weiteren Studie konnte nachgewiesen werden, dass 737 Pferde bei nationalen und internationalen Turnieren aus verschiedenen Disziplinen – darunter auch 3*-Dressurpferde – die Überprüfung des Nasenriemens im Rahmen der Zäumungskontrolle nach dem Bewerb problemlos tolerierten.“

ISES-Präsidentin Janne Winther Christensen kommt daher zu einem klaren Resümee:

„1. Es gibt starke wissenschaftliche Beweise, die auf einer großen Anzahl von Sportpferden basieren und die auf einen klaren Zusammenhang zwischen engen Nasenriemen und oralen Verletzungen hinweisen.

2. Es gibt derzeit keinerlei Hinweise auf gefährliche Situationen, die durch die Verwendung der ISES Mess-Schablone zur Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung bei mehr als 4.000 Sportpferden verursacht worden wären.

3. Bei dem Vorfall in Aachen wurde keine ISES Mess-Schablone verwendet.

Die ISES erwartet, dass es das Hauptinteresse einer Pferdeschutzorganisation wie ,World Horse Welfare’ ist, wissenschaftliche Beweise und Initiativen zur Verbesserung des Pferdewohls – einschließlich der Verwendung von Messinstrumenten wie dem ISES taper gauge – sachlich und korrekt darzustellen.“

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen – es ist eine Replik, die ins Schwarze trifft und die hoffentlich auch der FEI zu denken gibt …

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