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Kann mein Pferd meine Gedanken lesen?
04.12.2021 / News

Wenn Pferde gleichsam vorausahnen, was Menschen von ihnen wollen, dann hat das vor allem mit Einfühlungsvermögen und Sensibilität zu tun ...
Wenn Pferde gleichsam vorausahnen, was Menschen von ihnen wollen, dann hat das vor allem mit Einfühlungsvermögen und Sensibilität zu tun ... / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

… diese interessante Frage hat sich wohl schon jeder Pferdemensch gestellt, der mit seinem geliebten Vierbeiner eine enge und intensive Verbindung pflegt und schon oft über die ,hellseherischen’ Fähigkeiten seines Pferdes überrascht war. Die Antwort für dieses Phänomen ist aber keineswegs mystisch …

 

Für den großen amerikanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger John Steinbeck war die Sache völlig klar: Sein geliebter Pudel Charley hatte mehr mit Menschen gemein als mit anderen Hunden, und er war ein Lebewesen mit geradezu magischen Eigenschaften. „Er hat scharfe und empfindliche Sinne, und er kann Gedanken lesen. Ich weiß nicht, ob er die Gedanken anderer Hunde lesen kann, aber meine kann er lesen. Noch ehe ein Plan in mir auch nur halb ausgereift ist, weiß Charley Bescheid, und er weiß auch, ob er in den Plan eingeschlossen ist oder nicht. Daran besteht kein Zweifel. Ich kenne seinen verzweifelten und mißbilligenden Blick zu gut, wenn ich gerade gedacht habe, er muss zu Hause bleiben.“

Solche Überlegungen sind auch Pferdefreunden nur allzu vertraut: Wer von uns war nicht schon mehrmals der Überzeugung, dass unser Pferd auf wundersame Weise unsere Gedanken zu lesen vermag, sprich: zu ahnen scheint, wie wir uns fühlen und wohin wir möchten, auch wenn wir noch nicht das geringste Signal dafür gegeben haben? Ob es sich dabei aber tatsächlich um Telepathie handelt, darf dennoch bezweifelt werden – es sei denn, man versteht unter diesem Begriff eine besonders tiefe, enge Verbindung, die auf Erfahrung und Sensibilität beruht und dann entsteht, wenn Pferd und Reiter in Harmonie mit einem gemeinsamen Geist und Ziel zusammenarbeiten. So jedenfalls beschreibt es der Verhaltensspezialist Robin Foster in einem aktuellen Beitrag für das Portal ,TheHorse.com’ – und trifft damit wohl den Nagel auf den Kopf.

Denn auch, wenn manche Menschen in der Lage zu sein scheinen, Gedanken zu lesen, gibt es dafür bislang keinerlei wissenschaftlichen Beweis, weder bei Menschen noch bei Pferden. Sicher weiß man hingegen Folgendes: Die Absichten eines Reiters werden vom Verstand zu den Muskeln „telegrafiert“, selbst wenn der Reiter sich dessen nicht bewusst ist. Von dem Moment an, in dem das Gehirn des Reiters an eine Geschwindigkeits- oder Richtungsänderung denkt, wird diese Nachricht – so Foster – automatisch über das Nervensystem an die Muskeln übertragen, um sich auf die gewünschte Aktion vorzubereiten. Kleinste, unmerkliche Änderungen der Position und Spannung der Muskeln des Reiters überall im Körper – Beine, Hände , Arme, Sitz, Rhythmus und Atmung – sind die Folge, und exakt diese minimalsten Adaptierungen und Veränderungen können die Aufmerksamkeit des Pferdes wecken und eine bestimmte Handlung gleichsam vorwegnehmen.

Hinzu kommt: Je erfahrener der Reiter ist, desto automatischer und unbewusster werden diese „Absichtsbewegungen“ sein. Eine intuitive Verbindung mit dem Pferd wird verbessert, wenn der Reiter einen ruhigen Sitz und ruhige Hände hat, da das Pferd die subtile Absichtsbewegung eher erkennt und lernen kann, das Zügel- oder Beinzeichen des Reiters zu antizipieren. Wenn der Reiter keinen ruhigen Sitz und keine ruhigen Hände hat, werden die beabsichtigten Bewegungen gleichsam im ,Hintergrundrauschen’ willkürlicher, bedeutungsloser Bewegungen untergehen und unbemerkt bleiben – weil das Pferd gelernt hat, dieses ,Geräuschmaterial’ auszufiltern und zu ignorieren.

Pferde haben einen ausgeprägten Tastsinn, der kleinste Bewegungen des Reiters erkennen kann.
Als Beutetiere verfügen Pferde über erhöhte sensorische Fähigkeiten, zu denen hochsensible Druck- und Schmerzrezeptoren in Haar und Haut ebenso gehören wie eine feine Beobachtungsgabe, die mögliche Gefahren schon frühzeitig registriert. Die meisten Reiter verwenden taktile Signale, um mit dem Pferd durch Spannung in den Zügeln, Bewegungen des Sitzes, Druck und Position der Beine zu kommunizieren. Pferde können eine Fliege an ihrer Flanke spüren, daher sind sie sicherlich in der Lage, die kleinen Verschiebungen der Muskelspannung, die durch die beschriebenen „Absichtsbewegungen“ eines Reiters verursacht werden und einem absichtlichen Zügel- oder Beinbefehl vorausgehen, zu erkennen und vorauszuahnen. Ein erfahrenes, aufmerksames und williges Pferd wird diese subtilen Absichtsbewegungen aufnehmen und lernen, darauf zu reagieren – noch bevor der Reiter sich bewusst ist, ein Signal gegeben zu haben. Exakt dieses ,Vorausahnen’ erweckt bei vielen ReiterInnen Eindruck, dass das Pferd gleichsam ihre Gedanken gelesen hat.

Pferde haben zudem die beeindruckende Fähigkeit, sich zu erinnern, zu lernen und Probleme zu lösen. Angesichts einer begrenzten Auswahl an Möglichkeiten werden viele Pferde leicht die wahrscheinlichste Vorgehensweise antizipieren. Was sich wie Gedankenlesen anfühlt, ist in einigen Fällen einfach zu reflektieren, dass ein Pferd die offensichtlichste Wahl trifft, noch bevor der Reiter das eigentliche Signal dafür gegeben hat. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn die Route oder Routine vertraut und vorhersehbar ist.

Die Essenz aus alldem ist für Robin Foster offensichtlich: Pferde können die Gedanken einer Person zwar nicht ,telepathisch’ lesen, aber einige Pferde kommen dieser Fähigkeit verblüffend nahe, indem sie gelernt haben, auf subtile und unbewusste Absichtsbewegungen zu reagieren, die den bewussten Hinweisen eines Reiters vorausgehen. Dieses Maß an Sensibilität und Reaktionsfähigkeit bei einem Pferd ist ungewöhnlich und tritt normalerweise dann auf, wenn sowohl Pferd als auch Reiter füreinander aufmerksam und sensibel sind, wenn sie geübt und routiniert sind und ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen für den jeweiligen Partner besitzen.

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