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Nach Säureangriff auf Pferd: Fischhaut soll Wunden heilen
04.05.2018 / News

Stutfohlen Cinders – hier ein Foto nach der ersten Operation – erträgt ihr Schicksal mit bewundernswerter Tapferkeit.
Stutfohlen Cinders – hier ein Foto nach der ersten Operation – erträgt ihr Schicksal mit bewundernswerter Tapferkeit. / Foto: Rainbow Equine Hospital
So schlimm stand es um Stutfohlen Cinders – die Verätzungen am Gesicht waren dramatisch ...
So schlimm stand es um Stutfohlen Cinders – die Verätzungen am Gesicht waren dramatisch ... / Foto: Rainbow Equine Hospital
Bei der dreistündigen Operation am 1. Mai wurden Wundauflagen aus Tilapia-Fischhaut auf die verletzten Hautpartien aufgetragen, die viel Kollagen enthalten und exzellent Feuchtigkeit speichern.
Bei der dreistündigen Operation am 1. Mai wurden Wundauflagen aus Tilapia-Fischhaut auf die verletzten Hautpartien aufgetragen, die viel Kollagen enthalten und exzellent Feuchtigkeit speichern. / Foto: Rainbow Equine Hospital

Britische Tierärzte haben in einer dreistündigen Operation die Gesichtsverletzungen eines Stutfohlens mit Fischhaut behandelt, um eine optimale Heilung zu erreichen. Es war der weltweit erste derartige Eingriff bei einem Pferd.

 

Die Geschichte des Stutfohlens Cinders sorgt nicht nur in Großbritannien für enorme Aufmerksamkeit, sondern bewegt Pferdefreunde auf der ganzen Welt. Cinders – wie es seine Retter später tauften – war am 24. April von einem Spaziergänger auf einer Koppel entdeckt worden, der sofort die Tierschutzorganisation RSPCA alarmierte: Das etwa acht Monate alte Fohlen hatte schreckliche Kopfverletzungen, die selbst bei hartgesottenen Tierrettern für Entsetzen sorgten. Das Fohlen wurde sofort zur Behandlung ins Rainbow Equine Hospital gebracht, wo sich die Tierärzte umgehend um das Pferd kümmerten. Nach einer ersten Diagnose waren sie sich sicher: Das arme Tier war Opfer eines Säureangriffs geworden – offenkundig hatte dem Fohlen eine bislang noch unbekannte Person Säure ins Gesicht geschüttet, und das allem Anschein nach mit Absicht. Allein dieser Gedanke jagte den Tierärzten kalte Schauer über den Rücken: „Als Tierärzte sind wir täglich mit Verletzungen konfrontiert, die durch verschiedenste Unfälle verursacht wurden, und wir können damit einigermaßen umgehen. Aber die Vorstellung, dass es irgendwo da draußen jemanden gibt, der diesem Fohlen diese Wunden absichtlich zugefügt und ihm dadurch unvorstellbare Schmerzen verursacht hat – und dass es jetzt hier steht und es dennoch über sich ergehen lässt, dass wir ihm bei der Behandlung neuerlich Schmerzen zufügen – bei diesem Gedanken dreht sich einem einfach der Magen um“, so Tierarzt David Rendle gegenüber dem britischen Pferdemagazin ,Horse&Hound’.

Das Stutfohlen – das bei seiner Einlieferung aufgrund der riesigen Schmerzen nicht einmal die Augen öffnen konnte – wurde die ersten Tage intensivmedizinisch versorgt, bekam schmerzstillende Mittel, Antibiotika sowie mehrere Bluttransfusionen, um die Proteine zu ersetzen, die es durch die verletzte Haut verloren hatte und um den Blutverlust auszugleichen. Die größte Sorge der Ärzte waren die verätzten Augenlider – und ob es gelingen würde, diese zu retten: Denn ein vollständiger Verlust der Lider hätte unweigerlich eine Geschwürbildung auf den freiliegenden Augen zur Folge – und damit lebenslange Schmerzen für das Pferd, die wohl unverantwortbar gewesen wären. Für Cinders ging es also um Leben und Tod.

Das Schicksal des so übel zugerichteten und dennoch die Behandlungen so tapfer ertragenden Fohlens bewegte Pferdefreunde in ganz Großbritannien – und hatte eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft zur Folge: Das ,Rainbow Equine Hospital’ startete einen Spendenaufruf, um das Geld für die notwendigen Therapien zusammenzubekommen. 3.000,– Pfund wären erforderlich gewesen – innerhalb weniger Tage wurden mehr als 21.000,– gespendet, und dies von Tierfreunden aus der ganzen Welt.

Auf seiner beliebten Facebook-Seite informierte das ,Rainbow Equine Hospital’ seither laufend über den Zustand von Cinders und ihren Fortschritten bei der Behandlung. Ein möglicherweise entscheidender Eingriff erfolgte – wie die Klinik nun mitteilte – am 1. Mai, als man eine zweite große Operation zur Versorgung der schweren Gesichtsverletzungen durchführte. Dabei brachte man die sterilisierte Haut des Tilapia – eines Süßwasser-Speisefisches aus der Familie der Buntbarsche – auf die verwundeten Hautpartien auf – eine bahnbrechende, relativ neue Behandlungsmethode, die insbesondere in Brasilien entwickelt und verfeinert wurde, wo der Tilapia ein beliebter Speisefisch ist – und seine Haut ein günstiger, leicht verfügbarer biologischer ,Rohstoff’. Die Behandlung mit Tilapia-Haut wird dort vor allem bei Patienten mit Brandverletzungen erfolgreich eingesetzt – es wurden aber auch schon verschiedene Haus- und Wildtiere mit überzeugendem Erfolg behandelt (für Schlagzeilen sorgte u. a. die Behandlung von Braunbären, die sich bei einem Waldbrand die Tatzen verbrannt hatten).

In einer Mitteilung meinte das ,Rainbow Equine Hospital’: „Cinders ist das weltweit erste Pferd mit Brandverletzungen, das mit der neuartigen biologischen Wundauflage aus Tilapia-Fischhaut behandelt wird. Es gibt keine Berichte darüber, wie man chemische Verbrennungen bei Pferden am besten behandeln kann. Von dem Moment an, als Cinders zu uns ins Krankenhaus eingeliefert wurde, haben wir alle möglichen Behandlungs-Optionen untersucht und dabei auch eng mit einem plastischen Human-Chirurgen, Ryckie Wade, sowie mit Jamie Peyton, einem Tierarzt von der University of California in Davis, zusammengearbeitet. Ryckie und Jamie schlossen sich unseren Spezialisten Jonathan Anderson (Chirurgie), Kate Loomes (Anästhesie) und David Rendle (Medizin) bei der Untersuchung und Behandlung von Cinders in Vollnarkose an. Jamie und seine Assistentin Krisie Vine kamen mit finanzieller Unterstützung der California Davis University für diese Operation aus Kalifornien.“

Das gesamte Team arbeitete drei Stunden lang an der Versorgung von Cinders Wunden. In mehreren Schritten erfolgte die Reinigung der veräzten Hautpartien, die Entfernung von Verunreinigungen mit einem sanften Wasserstrahl, anschließend die Behandlung mittels Laser und gepulster elektromagnetischer Felder und schließlich das Auftragen der biologischen Wundauflage aus Tilapia Fischhaut.

Warum man ausgerechnet Fischhaut-Auflagen verwendete, erläuterte die Klinik ebenso ausführlich wie überzeugend: „Weil sie zuvor beim Menschen sowie bei anderen Tieren erfolgreich eingesetzt wurden und Eigenschaften haben, die sie in diesem Szenario extrem nützlich machen. Sie sind extrem widerstandsfähig, sind eine fantastische Quelle für Kollagen, behalten Feuchtigkeit, haben antibakterielle Eigenschaften, sind langlebig und kostengünstig. Tiere, die bislang mit ihnen behandelt wurden, scheinen nach der Anwendung dieser Auflagen eine deutlich bessere Lebensqualität zu haben. Wir wollen die Verbände von Cinders so selten wie möglich wechseln, um ihr zusätzliche Schmerzen zu ersparen, und diese Auflagen werden wahrscheinlich noch eine Zeitlang bei ihr zum Einsatz kommen. Außergewöhnliche Verletzungen erfordern eben außergewöhnliche Behandlungen“, so die Tierärzte in ihrer Stellungnahme.

Mit großer Erleichterung haben die Tierärzte registriert, „dass die Wunden als Folge der ersten Operation ausgezeichnet aussahen und dass diese zweite Operation ohne Komplikationen abgeschlossen wurde. Cinders hat noch einen langen Weg vor sich, aber sie scheint sich von ihrem Leidensweg nicht unterkriegen zu lassen, war die ganze Zeit wach und hatte einen ordentlichen Appetit. Wir nehmen jeden Tag, wie er kommt – aber je mehr Tage vergehen, desto besser sind die Aussichten. Wir sind mehr und mehr davon überzeugt, dass sie keine langfristigen negativen Auswirkungen ihrer Verletzungen haben wird.“

Damit wäre ein kleines Wunder vollbracht – es bleibt zu hoffen, dass auch die weitere Behandlung erfolgreich ist und Stutfohlen Cinders ihr Schicksal letztlich meistern kann, nicht zuletzt mit der Unterstützung so vieler Tierfreunde und Dank der tierärztlichen Kunst des ,Rainbow Equine Hospitals’ und seiner grandiosen Mitarbeiter …

Ein kurzes Video der bahnbrechenden Operation kann man hier ansehen.

Wie die Wundheilung mit Fischhaut generell funktioniert, zeigt diese Reportage des ARD-Magazins ,Weltspiegel' – „Fischhaut rettet Menschenleben", überaus beeindruckend ...

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