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Sicherheit für Pferde und Menschen: Gefahrenquelle Lärm
11.02.2023 / News

„Sicherheit für Pferde und Menschen“ ist eine Artikelserie von Dr. Reinhard Kaun, die in unregelmäßiger Folge auf ProPferd erscheinen wird und zum Sammeln gedacht ist. Die fachliche Basis stellt die im Jahre 2014 ins Leben gerufene Ausbildung zum „Sicherheitsexperten Pferd“  (Equine Awareness Manager) dar. In Folge 1 geht es um den Faktor Lärm und die Gefahren und Risiken, die beim Umgang mit Pferden von ihm ausgehen können.
 
»Mein Bruder«, sprach er, »reite heute nicht
Den Schecken, wie du pflegst. Besteige lieber
Das sichre Tier, das ich dir ausgesucht.
Tus mir zu Lieb. Es warnte mich ein Traum.«
Und dieses Tieres Schnelligkeit entriss
Mich Banniers verfolgenden Dragonern.
Mein Vetter ritt den Schecken an dem Tag,
Und Ross und Reiter sah ich niemals wieder.

Friedrich Schiller „Wallensteins Tod“

 

 

[aus: DIE ZEIT Nr. 4/2023]

Zweifellos – es ist höchst löblich, dass sich präsidiale Narren über das zulässige Höchstgewicht berittener Possenreißer beschränkend Gedanken machen!

Jedoch – entgegen vieler Erzählungen und frommer Überlieferungen, wonach die Zeit um Weihnachten, den Jahreswechsel und das keimende neue Jahr eine stille – ja sogar die stillste - Zeit des Jahres wäre, ist die Realität extrem laut und lärmend, erfüllt mit Explosionen von Raketen und Detonation von Böllern, von dröhnenden Kirchenglocken, von lärmenden einzelner oder in Umzügen formierten „Narren“ im Fasching, von ausgelassenen und lauten Perchten und vom kreischenden Fußvolk.

Für die Tierwelt, ob in Haus und Hof oder freier Wildbahn stellen diese Lärmlawinen enorme Belastungen dar, in deren Folge allenthalben Verängstigung und Unsicherheit erkennbar ist. Doch die Einwirkung von „Lärm“ auf Pferde ist vielfältig, Brauchtumsumzüge und Hochzeiten, Feuerwerke und Steinbruch-Betriebe wirken durch Blasmusik, Böller und Sprengungen auf die empfindlichen Tiere ein.

Pferde sind Lebewesen mit feinem Gehör und hoher Sensibilität für Schwingungen, sie sind als Beutetiere auch Fluchttiere, auf Grund ihrer instinkthaften Wachheit können sie sehr leicht – wenn plötzlich aufgeschreckt – zur Gefahr für Menschen und Umwelt werden.

Die Tierhaltungsverordnung sieht für Equiden deshalb – schützend und vorbeugend – vor, dass der Lärmpegel in ihrer Umgebung so gering wie möglich zu halten ist, dass dauernder oder plötzlicher Lärm zu vermeiden ist. Die Konstruktion, die Aufstellung, die Wartung und der Betrieb von Belüftungsgebläse, Fütterungsmaschinen oder anderer Maschinen sind so zu gestalten, dass sie so wenig Lärm wie möglich verursachen.

Durch Recherchen zu Schallemissionsuntersuchung im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren lassen sich aus dem World Wide Net und seinen verschiedenen Quellen folgende Werte ableiten, die als gewohnte Lärmkulisse für Pferde angesehen werden können, wobei die meisten Spitzenwerte nur für jeweils kurze Zeit auftreten, also keineswegs kontinuierlich anzunehmen sind:

Treten gegen Boxenwände bei der Fütterung 100 dB(A)
Schlagen gegen Holzwände 80 dB(A) 
Wiehern von Pferden  85 dB(A)
Reitunterricht (laute Stimme)   82,5 dB(A)
Verladegeräusche  100 dB(A)
Landwirtschaftliche Betriebsgeräusche  100  dB(A)

 (Quelle: Internet)
 


Bezugswerte – ermittelt bei „normaler“ Pferdeverwendung – Messeinheit dB(A)

Stallgeräusche Messort: Stallgasse

Mindestwert: 60,1  Pferdestall, 5 Boxen, nach Mittagsfütterung; 
Spitzen: Abschnauben, an die Türe klopfen
Mittelwert:  50,0   
Höchstwert: 78,8   
Mindestwert: 62 Schiebetüren der Boxen bewegen 
Höchstwert:  65  

 

Pfiffe Messort: Kopfhöhe des Pferdes, 1 m Entfernung

Mindestwert: 39,5 mehrere Pfiffe aus altem Schiedsrichter-Pfeiferl
Mittelwert: 97,7  
Höchstwert: 105,8   


Straßenlärm Messort: in Kopfhöhe eines Pferdes

min. 71 max. 78  Reitweg im Niveau der Straße, neben einer Bundesstraße, WE, keine LKWs
min. 66 max. 78  Reitweg 2 m unter dem Niveau der Straße und mit Leitplanke, neben einer Bundesstraße, WE, keine LKWs
min. 67 max. 88 Reitweg 2 m über dem Niveau der Straße, neben einer Bundesstraße, WE, keine LKWs


PKW hinter dem Pferd Messort: in Kopfhöhe eines Pferdes

min. 61 max. 64 SUV Diesel, 5 km/h auf Wiesenboden
min. 93 max. 105 SUV Diesel, auf Asphalt, 20 km/h +Windböen

      

Weide Messort: in Kopfhöhe des Pferdes

min. 68 max. 82 stark böiger Wind auf Wiese mit Obstbäumen

 

     

Methoden:
Da das menschliche Gehör Töne unterschiedlicher Frequenz als verschieden laut empfindet, werden die Schallsignale im Schalldruck-Messgerät so gefiltert, dass die Eigenschaften des menschlichen Gehörs nachgeahmt werden. Man spricht dann von einer sogenannten A-Bewertung des Schallpegels, ausgedrückt in dB(A). Die Dezibel-Skala ist logarithmisch aufgebaut. Null dB(A) entspricht der Hörschwelle. 130 dB(A) ist etwa die Schmerzgrenze. (Quelle: www.sengpielaudio.com).

Umrechnungstabellen oder Formeln von dB zu dB(A) gibt es nicht.

dB(A) ist die Maßeinheit des Schalldruckpegels (Geräuschpegel) nach der international genormten Frequenzbewertungskurve A. Der gemessene Wert ist abhängig von der Entfernung zur Schallquelle. Eine Zunahme um 10 dB(A) entspricht in der subjektiven menschlichen Wahrnehmung einer Verdoppelung der Lautstärke.

Verwendete Geräte für die eigenen Messungen:
–   CENTER 322 Data Logger Sound Level Meter > Messeinheit dB(A)
–   Apple Schallpegelmesser App db > Messeinheit dB(A)

Schallpegelmesser sind Geräte zur Messung der Lautstärke oder Schallpegeln unter Verwendung von Luft – oder Schalldruck: synonym: Schalldruckpegelmesser, Dezibel-Messer, Lautstärke-Messer oder Lärm-Messer.
Da das menschliche Hörvermögen nicht alle Frequenzbereiche erfassen kann, werden Schalldruckpegel verwendet, um die Messungen mit menschlichen Reaktionen zu vergleichen – die hier verwendete Frequenzbewertung „A“ ist  Standard und reflektiert die Reaktion des menschlichen Ohres auf Geräusche. Impulsgeräusche werden jeweils mit schneller Reaktionszeit gemessen.
(Quelle: Apple App db)
 
Um dem Leser zur Beurteilung der „normalen“ – also allgemein tolerierten Geräuschkulisse der „Umwelt“ Vergleichswerte zu bieten, werden zunächst die Grenzwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm BRD) dargestellt, wobei festzuhalten ist, dass kurze Impulsspitzen die Immissionsrichtwerte tagsüber um nicht mehr als 30 dB(A) bzw. nachts 20 dB(A) überschreiten dürfen. Als „Nachtzeit“ gilt jeweils 22:00 bis 06:00 Uhr.

  Nachts Tagsüber dB(A)
Krankenhäuser, Pflegeheime  35 45
Reine Wohngebiete  35  50
Allgemeine Wohn-/Siedlungsgebiete 40  55
Dorf-/Siedlungskerngebiete 45  60
Stadtgebiete 45 63
Gewerbegebiete 50 65
Industriegebiete 70  70


Dieses trockene Zahlenmaterial, das vom Autor aus Literatur, Internet und eigenen Messungen zusammengetragen wurde, soll dem Leser nun die Möglichkeit geben, das „Lärm- Umfeld“ der eigenen Pferde zu erfassen, wobei die Angaben jeweils als Orientierungswerte anzusehen sind.

Werden Pferde, die in einer sehr stillen Umgebung gehalten werden, plötzlich und ohne vorherige Konditionierung einem lärmintensiven Umfeld ausgesetzt, so ist eine heftige Reaktion vorhersehbar, die in ihrer Ausprägung natürlich von der individuellen Empfindlichkeit und Belastbarkeit abhängt.

 

 

Das Hörvermögen beim Menschen spielt sich in einem Frequenzrahmen von 20 Hz bis 20.000 Hz, dasjenige des Pferdes umfasst 50 Hz bis 33.500 Hz.
 
Das Gehör empfindet unterschiedliche Frequenzen als verschieden laut, weswegen – wie bereits erwähnt- bei Schall-Druckmessgeräten die Schallsignale derart gefiltert werden, dass die Eigenschaften des (menschlichen) Gehörs nachgeahmt werden. Man spricht dann von einer sog. A-Bewertung des Schallpegels – ausgedrückt in Dezibel A (dB A).

Der Wert von 0 dB A entspricht der Hörschwelle (des Menschen), 130 dB A der Schmerzgrenze (des Menschen), bei etwa 60 dB(A) Lärm als Belästigung empfunden wird und ab etwa 90 dB(A) Schäden am Gehör verursachen kann – ob dies bei Pferden ebenso ist, wissen wir nicht – durch Beobachtungen ist aber bekannt, dass die Schmerzgrenze des Menschen bei Pferden sichtbares Unbehagen hervorruft.

Der gemessene Wert ist jeweils abhängig von der Entfernung zur Schallquelle, wobei eine Zunahme der Messwerte um 10 dB A in der menschlichen Wahrnehmung einer Verdoppelung der Lautstärke entspricht.

Seriöse vergleichende Untersuchungen zwischen Menschen und Pferden sind dem erstattenden SV nicht bekannt. Da das Wahrnehmungsvermögen für Frequenzen beim  Beute – und Fluchttier Pferd von Natur aus aber bedeutend höher ist, kann im Umkehrschluss – und aus Erfahrung – eine hohe Empfindsamkeit für Geräusche und ungewohnten Lärm hoher Intensität und Frequenz – insbesondere in Impulsform – vermutet werden.

Aus Erfahrung weiß man, dass kontinuierlich einwirkende Geräusche hoher Intensität die Nervosität von Pferden erheblich steigert, zusätzliche Impulsgeräusche können Panik auslösen. Als besonders unangenehm und belastend werden unerwartet auftretenden Mikrophon-Rückkoppelungen empfunden, die regelmäßig (auch) die Schmerzgrenze des Menschen übersteigen.

Im Hinblick auf die Allgemeine Verkehrssicherungspflicht ist deshalb Pferdeleuten dringend zu raten, ihre Pferde auf planbare lärmhaltige Ereignisse durch Konditionierung vorzubereiten und – wenn nur irgendwie machbar – den größtmöglichen Abstand zur „Lärmquelle“ einzuhalten. Es ist auch nicht verwerflich, wenn Pferde in kritischen Situationen von Bodenpersonal gesichert oder geführt werden.

Umzüge mit vielen Pferden sollten stets mit „Wellenbrechern“ durchsetzt werden, also entweder mit extrem verlässlichen Pferden oder erfahrenen Pferdeleuten zu Fuß.
 
 
Forensische Sicherheitsaspekte
Sicherheit ist keine Privatsache, sondern Anliegen und Verpflichtung jedes mündigen und verantwortungsbewussten Mitglieds der Gesellschaft. Der Umgang mit Pferden verpflichtet in unserer Zeit mehr denn je zur Übernahme dieser Verantwortung durch Lernen, Sammeln von Erfahrungen und Orientierung an Gesetzen, Regeln und erprobten traditionellen Usancen, weil diejenigen Menschen, die mit Pferden aufwachsen in die Minderzahl geraten, aber Quereinsteiger im späteren Alter nun das Hauptkontingent an Menschen, die Pferde halten, darstellen.

Es ist also darzustellen, welche Relevanz „Lärm“ im Umgang und Verkehr mit Pferden hat:

Der schon häufig angeführte und für Gerichtsentscheidungen bedeutsame Begriff „Vorhersehbarkeit“ hat nichts mit Wahrsagerei oder Kaffeesatzlesen zu tun, auch nicht mit Ängstlichkeit, sondern ist die rationale Erfassung, wie sich eine Situation  entwickeln könnte, aber nicht  zwingend entwickeln muss – ein „Gehirnakt“- in dem Wissen und Erfahrung zusammenfließen und aus Rücksicht zu Tieren, Menschen und Umwelt zu einer richtigen Einzelentscheidung des verantwortungsbegabten Menschen führen – denn: Sicherheit beginnt im Kopf! 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sicherheit ist ohne gegenseitige Rücksicht nicht zu gewährleisten – deshalb eine höfliche Ermunterung zum Abschluss des ersten Artikels zum Thema Sicherheit für Pferd und Mensch:

Sobald Ihnen ein Mitmensch höflich und rücksichtsvoll begegnet, wenn Sie mit Pferden auf dem Weg sind, also ein Kraftfahrer stehen bleibt oder sogar den Motor abstellt, ein Hundebesitzer seinen Hund an die Leine nimmt, Eltern lärmende Kinder im Zaum halten und, und, und.. – dann nehmen Sie dies nicht für selbstverständlich – ein Lächeln, ein freundliches Kopfnicken oder ein zugerufenes Danke ist die beste Methode, Rücksicht zur Gewohnheit werden zu lassen.  
 
Gedanken formen Worte
Worte formen Taten
Taten formen Gewohnheiten
Gewohnheiten formen den Charakter.

Vermutlich: Charles Reade (1814–1884)

 


ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig.

HINWEIS: Sämtliche Quellennachweise sind bei Bedarf beim Autor abrufbar. Sollte an einem Quellennachweis ein Zweifel bestehen, so ist der Autor unter www.pferd.co.at zu kontaktieren.

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