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Unterwerfung, Entspannung oder Stress: Wann und warum kauen Pferde ab?
08.10.2018 / News

In welchen Situationen kauen Pferde ab – das wollten norwegische Wissenschaftler im Rahmen einer Studie unter Wildpferden herausfinden.
In welchen Situationen kauen Pferde ab – das wollten norwegische Wissenschaftler im Rahmen einer Studie unter Wildpferden herausfinden. / Symbolfoto: Irene Gams

Zwei norwegische Wissenschaftlerinnen haben wildlebende Pferde beobachtet, um herauszufinden, was hinter der Verhaltensweise des Abkauens bei Pferden steckt und was sie damit tatsächlich signalisieren – und erhielten ein überraschendes Ergebnis.

 

In einigen Konzepten der Pferdeausbildung geht man davon aus, dass das Abkauen – also das Kauen eines Pferdes, das nicht mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung steht – ein Signal dafür ist, dass das Pferd den Menschen als Führer oder als ,Boss’ ansieht bzw. akzeptiert hat. Ein Beispiel dafür wäre die ,Join-up’-Methode von Monty Roberts, bei der das Pferd zuerst vor dem Trainer „flüchtet" und nach einer bestimmten Zeitspanne bzw. Distanz anfängt zu kauen, was als unterwürfiges Verhalten gedeutet wird: Das Pferd habe damit den Trainer als ranghöheren ,Chef’ anerkannt, so die Erklärung. Doch ist diese Interpretation tatsächlich zutreffend?

Um Einblick in die ,kommunikative’ Funktion des Abkauens unter natürlichen Bedingungen zu gewinnen, haben die beiden Wissenschaftlerinnen Margarete Lie und Prof. Ruth Newberry von der ,Norwegian University of Life Sciences’ Wildpferde in Ecuador untersucht. Insgesamt mehr als 80 Stunden lang beobachteten die Forscherinnen die Verhaltensweisen einer Herde von ca. 200 Pferden, die in einem 334 km2 großen Nationalpark lebte. Die Ausbeute der umfangreichen und detaillierten Analysen waren insgesamt 202 Verhaltens-Sequenzen, die vor und nach dem Abkauen beobachtet und dokumentiert werden konnten.

Konkret gingen die Forscherinnen von zwei Hypothesen aus – dass nämlich 1) die Pferde das Abkauen während einer Entspannungsphase nach einer angespannten Begegnung zeigen und 2) dass das Abkauen ein Zeichen der Unterwerfung unter ein anderes Pferd darstellt. Um die erste Hypothese zu untersuchen, wurde die Häufigkeit von entspanntem und angespanntem Verhalten vor und nach dem Abkauen ermittelt, mit der Vorhersage, dass Pferde nach dem Abkauen weniger angespannt, sprich: entspannter sind. Die Vorhersage für die zweite Hypothese lautete, dass – wenn ein Pferd sich bedrohlich einem anderen Pferd nähert – der ,Empfänger’, aber nicht das sich bedrohlich nähernde Pferd abkaut.

Tatsächlich konnte nach Auswertung sämtlicher Verhaltens-Sequenzen lediglich die erste Hypothese, nicht jedoch die zweite bestätigt werden: Wie sich zeigte, wurden ,angespannte Verhaltensweisen’ 128 Mal vor dem Abkauen, aber lediglich 16 Mal nach dem Abkauen gezeigt – während ,entspannende Verhaltensweisen’ 74 Mal vor und 186 Mal nach dem Abkauen zu beobachten waren. Entgegen der zweiten Hypothese zeigten sowohl das sich bedrohlich nähernde, als auch das ,empfangende’ Pferd gleichermaßen Abkau-Verhalten.

Das Resümee der Wissenschaftler: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Abkauen in den beobachteten Kontexten nicht als unterwürfiges Signal von Pferden verwendet wurde, sondern dass es offenkundig zur Reduktion von Erregung, also zum Spannungs-Abbau diente. Abkauen könnte mit einem Wechsel von einem trockenen Maul, ausgelöst durch eine ,sympathische’ Erregung, zu einer Anregung des Speichelflusses verbunden sein, der mit einer ,parasympathischen’ Aktivität in Zusammenhang steht.“ Zur Erklärung: Während das sympathische Nervensystem (Sympathikus) den Organismus auf eine Aktivitätssteigerung einstellt, überwiegt das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus) in Ruhe- und Regenerationsphasen. Dieser Befund weist eindeutig darauf hin, dass das Abkauen eng mit Stressbewältigung zusammenhängt – und dass Trainingsmethoden, bei denen Abkauen als Indikator für Unterwerfung bzw. für die Akzeptanz eines Menschen als ,Boss’ betrachtet wird, mit Vorsicht zu genießen sind. Das Abkauen während des Trainings kann sogar als Zeichen interpretiert werden, dass das Pferd dabei vermehrt unter Stress steht – und nicht als Hinweis, dass es den Trainer akzeptiert.

Die Studie „Horse communication: what does non-nutritive chewing mean? „ von Margarete Lie und Ruth Newberry wurde im Rahmen der 14. Jahrestagung der ,Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften' (ISES) von 21.–24. September 2018 in Rom vorgestellt.

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