Fünfkampf-Weltverband bestätigt: Reiten wird durch andere Disziplin ersetzt 04.11.2021 / News
Der Eklat um die in Tokyo disqualifizierte Fünfkämpferin Annika Schleu hat – auch wenn die UIPM einen direkten Zusammenhang bestreitet – die Entscheidung für eine Streichung der Teildisziplin Reiten beschleunigt. / Symbolfoto: Archiv/Youtube-Video
Der internationale Dachverband für den Modernen Fünfkampf UIPM (Union Internationale de Pentathlon Moderne) hat heute offiziell bestätigt, dass Reiten künftig durch eine andere Disziplin ersetzt werden soll – das neue Format soll erstmals bei der Olympiade 2028 angewendet werden, in Paris 2024 werden damit zum letzten Mal Pferde Teil des olympischen Fünfkampfs sein.
Einschlägige Gerüchte kursierten seit Tagen in den Medien – nun ist es auch offiziell: Reiten wird künftig kein Teil des Modernen Fünfkampfs mehr sein. Wie die UIPM heute im Rahmen einer Aussendung bestätigt hat, wurde ein umfassender Diskussions- und Konsultationsprozess eingeleitet, um einen geeigneten Ersatz für das Reiten im Modernen Fünfkampf zu finden. Der historische Schritt erfolgt, nachdem der UIPM-Vorstand nach einem zweitägigen Treffen in Monaco letzte Woche einstimmig eine Reihe von Empfehlungen der sogenannten ,Innovations-Kommission’ (Innovation Commission) gebilligt hat.
Die Innovationskommission wurde, wie es weiter heißt, bereits 2018 eingerichtet, um die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfes kontinuierlich zu überwachen und seine Eignung für die Olympischen Spiele im Kontext der Olympischen Agenda 2020 und der weiterführenden Olympischen Agenda 2020+5 – also des strategischen Fahrplans des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) – zu überprüfen. Der Vorstand tagte virtuell am 31. Oktober und stimmte der Empfehlung der Innovationskommission zu, das Reiten durch eine andere Disziplin zu ersetzen, mit der die Popularität und das Ansehen des Modernen Fünfkampfs erhöht und gleichzeitig seinen Status als ultimative sportliche Herausforderung für Körper und Geist bewahrt, so wie es einst von Baron Pierre de Coubertin, dem Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, vorgesehen war.
Die Entscheidung des UIPM-Vorstands wurde heute (4. November) der weltweiten UIPM-Community der nationalen Verbände und den Mitgliedern der UIPM-Athleten, Trainer und technischen Komitees während einer Reihe von Telefonkonferenzen mitgeteilt. Alle Änderungen, die sich aus dem Konsultationsprozess ergeben, werden rechtzeitig zu den Olympischen Sommerspielen 2028 in Los Angeles umgesetzt – sie treten somit erst nach Paris 2024 in Kraft, wo der Fünfkampf in einem neuen, kompakten und daher TV-freundlichen Format stattfindet, das es den Zuschauern ermöglichen wird, alle fünf Disziplinen innerhalb von 90 Minuten in einem Fünfkampfstadion mitzuerleben.
In den weiteren Konsultationsprozess für die neu zu findende Ersatzdisziplin sollen auch zahlreiche Interessensgruppen, insbesondere auch Sportler und Trainer sowie Medien- und Marketingpartner, eingebunden werden. Die neue Disziplin muss eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen, so die UIPM weiter. Sie soll
– Baron de Coubertins Ideal des ,komplettesten Athleten’ folgen;
– nicht unter die Leitung einer anderen vom IOC anerkannten Internationalen Föderation fallen;
– globale Zugänglichkeit und Universalität ermöglichen;
– attraktiv und relevant für die Jugend weltweit und für zukünftige Generationen sein;
– für Gleichberechtigung und Fairness der Geschlechter sorgen;
– nachhaltig sein und den Anforderungen der Olympischen Agenda 2020+5 des IOC entsprechen;
– spannend und leicht verständlich für alle Sportfans, für TV-Zuseher und die Konsumenten digitaler Medien sein;
– kostengünstig für Sportler und Veranstalter (geringere Ausrüstungskosten und weniger Offizielle);
– minimale Verletzungsraten gewährleisten und einfach zu erlernen und zu trainieren sein, basierend auf den vorhandenen Fähigkeiten der Athleten;
– keine Transport- und Logistikprobleme verursachen;
– in das neue Fünfkampf-Stadion und in eine urbane Umgebung passen;
– mit dem neuen 90-Minuten-Ausscheidungs-Format kompatibel sein und
– mit dem aktuellem Handicap-Start- und Veranstaltungs-Konzept kompatibel sein.
UIPM-Präsident Dr. Klaus Schormann meinte: „In den letzten Jahrzehnten hat sich unser Sport oft weiterentwickelt, um den sich ändernden Erwartungen der modernen Welt gerecht zu werden. Diese Entwicklung hat seit den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney mehr Attraktivität für junge Sportler und Familien, mehr Wert für Zuschauer im TV und in digitalen Medien, eine geringere Umweltbelastung und eine 100%ige Gleichstellung der Geschlechter ermöglicht. Wir können zu Recht stolz sein auf das, was unsere globale Familie erreicht hat, und jetzt ist es an der Zeit, wieder mutig und mit Ehrgeiz den nachdrücklichen Empfehlungen unserer UIPM-Innovationskommission zu folgen. Im Namen des UIPM-Vorstands fordere ich unsere globale Community auf, den Wandel anzunehmen und die bedeutsame Chance zu ergreifen, die sich uns bietet."
Dr. Schormann weiter: „Eine neue Disziplin wird unserem Sport neue Impulse geben und die Position des Modernen Fünfkampfes innerhalb der olympischen Bewegung stärken. Der Moderne Fünfkampf wird ein Sport mit fünf Disziplinen bleiben und weiterhin die ultimative moralische und körperliche Prüfung eines Athleten bieten, wie Coubertin es sich vorgestellt hat. In all unserer Kommunikation mit verschiedenen Interessengruppen sind wir uns alle einig, dass wir unseren Sport auf dem höchstmöglichen Niveau halten müssen, um die körperlichen und geistigen Qualitäten des gesamten Athleten zu testen. Wir freuen uns nun auf einen inklusiven und sehr positiven Beratungsprozess, denn wir überlegen, welche Sportart neben Schwimmen, Fechten und Laser-Run (Laserschießen und Laufen) am besten geeignet ist, um den Modernen Fünfkampf in eine neue Ära zu führen.“
Der 1. Vizepräsident der UIPM und IOC-Mitglied Juan Antonio Samaranch Jr. ergänzte: „Dies ist ein sehr wichtiger Moment für den Modernen Fünfkampf – und eigentlich für das olympische Programm insgesamt. Wir würden einen Fehler machen, wenn wir unseren Platz im olympischen Programm nach Paris 2024 als selbstverständlich hinnehmen würden. Das ist er nicht für uns und auch für niemanden sonst. Wir müssen sicherstellen, dass an unserem Sport in diesem veränderten Umfeld mit all den neuen Sportarten, die bei Publikum und Medien soviel Anziehungskraft genießen, kein Makel haftet.“
Details für den weiteren Zeitplan und für das Auswahlverfahren der neuen Disziplin sowie allfällige Übergangsregelungen werden in den kommenden Wochen kommuniziert, so das UIPM abschließend.
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Nach Olympia-Eklat: Petition fordert Fünfkampf ohne Reiten! 07.08.2021 / News
Diese Bilder gingen um die Welt – Fünfkämpferin Annika Schleu auf einem Pferd, das einfach nicht will ... / Foto: Screenshot Youtube
Die desaströsen Bilder beim Springreiten des modernen Fünfkampfs haben zu hitzigen und teils gehässigen Diskussionen in den sozialen Medien geführt und den gesamten Reitsport in Misskredit gebracht. Die einzig sinnvolle Konsequenz: Dieser Teilbewerb muss aus dem Fünfkampf herausgenommen werden, das fordert nun auch eine Petition.
Kaum ein deutschsprachiges Medium hat die Meldung nicht ganz oben in ihren Schlagzeilen – und die passenden Bilder dazu: Eine verzweifelte, überforderte und tränenüberströmte Athletin, die vergeblich versucht, ihr verstörtes, verunsichertes Pferd irgendwie zum Sprung über ein Hindernis zu bewegen, im Hintergrund klingen noch die Zurufe der Trainerin nach: „Hau mal richtig drauf! Hau drauf!“ Vor den Augen der Fernsehzuseher in aller Welt spielte sich gestern ein olympisches Drama ab, denn die junge Athletin im Sattel wäre eine Anwärterin auf Gold gewesen, doch nach vier Verweigerungen ist dieser Traum vorbei, die Deutsche Annika Schleu wird schließlich 31.
Seither quellen die sozialen Medien geradezu über vor Wut und Erregung, viele selbsternannte Richter sind blitzschnell mit dem Urteil ,Tierquälerei’ zur Hand – ohne zu erkennen, dass zwischen den verzweifelten, hilflosen Gertenschlägen der Reiterin und dem unentschuldbaren Wutausbruch des US-Springreiters Kevin Lemke (siehe unseren Bericht dazu) Welten liegen (die Zurufe der Trainerin kann man freilich anders beurteilen, sie wurde mittlerweile von den weiteren olympischen Bewerben ausgeschlossen). Doch für derartige Differenzierungen ist in der gut geölten Hass- und Empörungsmaschinerie der sozialen Netzwerke weder Zeit noch Platz – und niemand nutzt diese Maschinerie so virtuos und perfid für seine Zwecke wie die Organisation PETA, die seit Jahren einen Kreuzzug gegen den Pferdesport führt und für die natürlich sofort feststand, dass „Pferdesport entgegen ständiger Behauptungen auf Tierquälerei basiert“. Ist doch schön, wenn die Welt so einfach ist …
Um eines außer Streit zu stellen: Natürlich hat die Reiterin – und die Trainerin sowieso – nicht richtig reagiert und sich falsch verhalten, natürlich hätte sie – als sie die Unwilligkeit und Widersetzlichkeit des Pferdes erkannte, den Ritt abbrechen sollen, aber sowas ist leicht gesagt, wenn man auf der bequemen Couch vor dem Fernseher sitzt. Die Schlagzeilen wären wohl ganz andere gewesen, wenn es eine für Olympia qualifizierte, noch dazu in Führung liegende Athletin nicht doch probiert hätte. So war der Erwartungsdruck einfach zu groß, sie hat es probiert – und es ging gründlich schief. Doch das traf im Übrigen nicht nur auf Annika Schleu zu – es kam reihenweise zu Verweigerungen und unschönen Bildern, und die Brasilianerin Ieda Guimaraes blieb bei ihrem Sturz wie durch ein Wunder ohne schwere Verletzung, als ihr Pferd über sie hinweglief und nur um Zentimeter von den Hufen verfehlt wurde.
Den Stab über die unglückliche Annika Schleu zu brechen – das ist angesichts der Geschehnisse schlicht zu billig, auch sie ist in Wahrheit, ebenso wie das Pferd, ein Opfer der Umstände und der Untätigkeit der verantwortlichen Verbände. Der wahre Skandal liegt – und das haben einzelne Medien glücklicherweise erkannt – in einem seit langem unzeitgemäßen und dem fairen Umgang mit einem Lebewesen unangemessenen Wettbewerbsmodus: Denn Pferd und Reiter kennen einander nicht, die Pferde werden den ReiterInnen zugelost – und diese haben gerade einmal 20 Minuten und maximal fünf Probesprünge Zeit, sich kennenzulernen und miteinander zurechtzukommen. Dieser Modus degradiert die Pferde zum bloßen Sportgerät, das nacheinander für einen x-beliebigen Reiter herhalten muss, den das Pferd nicht kennt und zu dem es keine Beziehung hat – und was passiert, wenn ein Pferd das einfach nicht will, das hat Annika Schleu am eigenen Leib erfahren müssen.
Das einzige Resümee aus den bestürzenden Bildern des olympischen Fünfkampf-Finales kann nur sein, diesen längst überkommenen, unvertretbaren und pferdeverachtenden Modus so rasch wie möglich zu ändern und das Springreiten als Teilbewerb durch eine andere Disziplin (z.B. Radfahren) zu ersetzen. Ein solches Desaster darf sich nie wieder zutragen. Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth hat es in begrüßenswerter Klarheit ausgesprochen: „Das hat mit Reitsport nichts zu tun, wie wir ihn betreiben und kennen. Das ganze System muss geändert werden.“ Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sieht Handlungsbedarf: „Der heutige Wettbewerb im Reiten des Modernen Fünfkampfs war teilweise von Szenen geprägt, die dem Ansehen der Sportart schaden. Zahlreiche erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen sollten für den internationalen Verband dringend Anlass dafür sein, das Regelwerk zu ändern. Es muss so umgestaltet werden, dass es Pferd und Reiter schützt. Das Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen für die Athletinnen und Athleten müssen im Mittelpunkt stehen.“
Noch deutlicher formuliert es die FN-Bereiterin und Ausbilderin Kerstin Gerhardt: Sie fordert in ihrer Petition „Moderner Fünfkampf ohne Reiten!!“ den gänzlichen Verzicht auf den Teilbewerb Reiten: „Der Reitsport ist eine Disziplin, in der die Interaktion mit dem Partner Pferd im Vordergrund stehen muss. Dies gerät aber beim modernen Fünfkampf völlig aus dem Fokus. Statt dessen wird das Pferd hier zum Sportgerät degradiert, das ausgelost und zugeteilt wird. Hierbei wird keinerlei Rücksicht auf die Tiere genommen. Unbekannte Reiter, getrieben vom Ehrgeiz, eine Medaille zu erringen, schwingen sich in den Sattel und versuchen auf Biegen und Brechen, das Tier zu einer Leistung zu bewegen. Dies geschieht häufig unter völliger Missachtung der Reitlehre, deren Basis es ist, das Pferd gesund und zu dessen Förderung zu reiten. Der Reiter hat keinerlei Bezug zu dem Pferd, es ist lediglich das Transportmittel, das ihn über die Hindernisse zu transportieren hat. Ein partnerschaftliches Miteinander, ein auf das Tier eingehen ist so gar nicht wirklich möglich. Es kann und darf nicht sein, dass Pferde hier so missbraucht werden, um eine Medaille zu erringen.“
Das muss ein Ende haben, so Kerstin Gerhardt – und diese Meinung wird mittlerweile von vielen Pferdefreunden geteilt. Ihre Petition, die man hier auf Change.org unterschreiben kann, erreichte innerhalb weniger Stunden mehr als 20.000 Unterstützer, und es werden täglich mehr …
13.08.2021 - Fünfkampf-Diskussion: Zum umstrittenen Pferdewechsel im Reitsport
Fünfkampf-Diskussion: Zum umstrittenen Pferdewechsel im Reitsport 13.08.2021 / News
Der Pferdewechsel wurde von 1953 bis 2014 bei insgesamt 18 Weltmeisterschaften im Springreiten praktiziert, ehe man ihn 2016 abschaffte. / Symbolfoto: Archiv/Julia Rau Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann ist renommierter Rechtsanwalt und passionierter Pferdemann. / Foto: privat
Der Moderne Fünfkampf erlebte mit dem Auftritt der deutschen Reiterin Annika Schleu ein mediales Fiasko, vor allem der Pferdewechsel erntete viel Kritik. Dieser wurde jahrzehntelang auch im Springreiten angewendet – unumstritten war er aber auch hier nie. Ein Gastbeitrag von Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann.
Der Moderne Fünfkampf (Pentathlon) wurde von Pierre de Coubertin, dem Initiator der Olympischen Spiele der Neuzeit, ins Leben gerufen. Diese Sportart gilt als die vielseitigste olympische Sportart.
Diese Disziplin des Pentathlon (aus dem Altgriechischen: Fünfkampf) war erstmals bei der Olympiade 1912 in Stockholm als „moderne Form" des antiken Pentathlon Disziplin der Olympioniken. Sportarten des Fünfkampfes waren die fünf verschiedenen Einzeldisziplinen in Form eines kombinierten Mehrkampfes: Pistolenschießen, Degenfechten, Schwimmen, Geländeritt und Querfeldeinlaufen. Diese fünf Disziplinen spiegeln die damaligen militärischen Anforderungen, wobei das Pferd – anders als früher – nicht mehr im Kampf der militärischen Schwadronen, sondern im Gelände zur Aufklärung der Positionen der Feinde und zur Übermittlung von Botschaften an die Kameraden hinter den feindlichen Linien eingesetzt wurde.
Entsprechend der militärischen Legende wurde daher von 1912 bis 1984 jeweils ein Geländeritt veranstaltet, dessen Länge bis 1968 eine Strecke von 5 km mit Hindernissen betrug; das entsprach einer Dauer von ca. 10 Minuten. 1972 wurde die Entfernung auf 1 km verkürzt. Ab 1988 fand der pferdesportliche Wettkampf als Springreiten statt. Die Hindernisse haben eine Höhe von etwa 1,20 m.
Das Besondere am antiken und „Modernen Fünfkampf" sind die wechselnden Anforderungen an den Sportler in den unterschiedlichen Einzeldisziplinen. Die Disziplin Reiten – sei es bis 1987 das Geländereiten oder ab 1988 das Springreiten – erfordert einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, Einfühlungsvermögen und Feingefühl im Umgang mit dem Partner Pferd.
Seit dem Jahr 1996 werden alle fünf Wettkämpfe an einem Tag durchgeführt. Dieses enge Zeitfenster und der dadurch entstehende Druck kann zu unpassenden Reaktionen zwischen Reiter und dem fremden Pferd führen.
Geschichtlich gab es beim Militär schon immer Pferdewechsel. Dies lag (leider) in der Natur des Krieges und der Verwendung der Pferde: Militärpferde waren darauf trainiert, Fremdreiter zu tragen und auch zu ertragen – sie mussten unter jedem beliebigen Reiter einsatzbereit sein.
Ob man diese altmilitärische Anforderung im modernen Fünfkampf beibehalten sollte, gilt es ernsthaft zu überdenken. Denn der Pferdewechsel in unserer heutigen Zeit kann zu einem Vertrauensbruch zwischen Pferd und Mensch führen, und das ist heute mehr denn je schwer zu rechtfertigen und zu argumentieren. Dies mag wohl auch einer jener Gründe dafür sein, dass man den Pferdewechsel, der seit 1953 bei den Weltmeisterschaften im Springreiten in der Einzelentscheidung angewendet wurde, im Jahr 2016 abgeschafft hat: Man wollte ihn den Pferden offenkundig nicht mehr zumuten – und das, obwohl hier sicherlich die weltbesten Reiter im Einsatz waren, die ihre eigenen Pferde wechselseitig dem jeweils anderen zur Verfügung stellten. Wie Max Amann in einem höchst interessanten Fachartikel darstellte, war der Modus des Pferdewechsels auch innerhalb des Springsports stets umstritten – weil er gegen das Prinzip der Partnerschaft zwischen Pferd und Mensch verstieß. So boykottierten die Briten sogar die erste WM 1953, weil sie die Formel des Pferdewechsels ablehnten.
Die Kameradschaft zum Pferd war schon in der Antike selbstverständlich, wie wir aus der Lehre des Feldherrn Alexander des Großen wissen. Leutnant Caprilli und ihm folgend die alte Garde von Reitern aus der italienischen Military-Schule in Tor di Quinto oder der Kavallerieschule Hannover nahmen die historischen Erkenntnisse auf.
Die alten Reitergrößen wie Leutnant Caprilli, Freiherr von Nagel, Rolf Becher, Burchy von Jena oder der große Micky Brinckmann erkannten die Bedeutung der Worte „Vertrauen zwischen Pferd und Reiter”. Ich erinnere mich an ein Bild, das einen Sprung des Freiherrn von Nagel mit seinem Pferd Wotan über einen Oxer von 5 Metern Breite und 1,40 Metern Höhe zeigt. Das Pferd wirkt trotz der gewaltigen Kraft, die es eingesetzt hat, entspannt. Der Reiter schaut im Sprung lächelnd in die Kamera. Beide haben offensichtlich das Vertrauen zueinander.
Pferd und Reiter haben das Bewusstsein, dass der Kamerad Pferd oder in umgekehrter Richtung der Kamerad Reiter verlässliche Partner sind. Wenn der Reiter dem Pferd etwas zumutet, was in der Natur des Pferdes Schrecken bis hin zur Todesangst erzeugen könnte, dann gerät das Pferd in Panik und der Reiter verkrampft sich.
Es ist kein Geheimnis: Pferd und Reiter haben wegen des ständigen Umganges miteinander und aus den gemeinsam gemachten Erfahrungen wechselseitiges Vertrauen gelernt. Aus der Sicht des Pferdes bedeutet dies: Das Pferd hat im Umgang mit dem Reiter als seinem Kameraden die Erfahrung gemacht, dass ihm nichts oder nicht viel passieren kann, wenn es des Reiters Willen erfüllt, sich beide über unwegsames Gelände bewegen, wenig einladende Hindernisse überwinden, Seen durchqueren oder Steilhänge hinuntergleiten. Ich besitze eine Fülle von Bildern aus der Zeit der Military einschließlich einzelner Bilder von Caprilli im Sprung. Die Bilder zeigen, wie und in welchem Sitz der Reiter mit seinem Pferd reiten und springen sollte – und wie nicht.
Pferd und Reiter haben gelernt, Vertrauen zueinander zu haben. Beim Pferdewechsel ist es anders. Pferd und Reiter kennen sich nicht. Doch genau darauf komme es im Reitsport an, sagte Team-Olympiasiegerin Dorothee Schneider aus Framersheim:
„Der Reitsport lebt von der Partnerschaft - Reiter, Pferd. Diese entwickelt sich über viele Jahre. Das ist eine Freundschaft, das ist ein Hand in Hand gehen, das ist ein wirklich individuelles, intimes Verhältnis. Eine Partnerschaft mit dem zugelosten Pferd ist in der Kürze der nach den Regeln zur Verfügung stehenden Zeit kaum möglich.”
Besser und mit mehr Herz kann man es wohl kaum sagen. Sagen kann es nur ein Reiter, der sein Pferd nicht als „Sportgerät“ empfindet. Er degradiert es nicht zum Ex und Hopp „Material“. Ein Pferd ist kein Material. Daher war und ist auch der Begriff „Materialprüfung“ verfehlt.
Die Diskussion, ob der Pferdewechsel im Hochleistungssport noch wirklich einen Platz haben soll bzw. darf, wird daher zu Recht geführt: Lasst uns ohne Zorn und Eifer (sine ira et studio) nachdenken!
Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter und Schüler von Rolf Becher ein Leben lang mit Pferden verbunden.
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Weniger Sprünge, niedrigere Hindernisse: Fünfkampf-Dachverband überarbeitet Reitbewerb 20.08.2021 / News
Das Drama von Tokio: Nach mehreren Verweigerungen ihres Pferdes Saint Boy wird die Führende Annika Schleu disqualifiziert. / Foto: Screenshot Youtube
Der internationale Dachverband des Modernen Fünfkampfs arbeitet nach dem Eklat im olympischen Fünfkampf der Frauen in Tokio mit Hochdruck an einem neuen Wettkampf-Modus und verändertem Reitformat. Damit soll das Pferdewohl verbessert und die Sicherheit von Pferden und Reitern erhöht werden, die FEI steht beratend zur Seite.
Der int. Dachverband des Modernen Fünfkampfs (UIPM = Union Internationale de Pentathlon Moderne) hat im Gefolge des olympischen Eklats von Tokio erste konkrete Maßnahmen vorgestellt, die das Wohlergehen der Pferde im Wettkampf verbessern und mehr Sicherheit für alle Teilnehmer schaffen sollen.
Hier die wesentlichen Maßnahmen im Überblick
– Die UIPM wird eine „Arbeitsgruppe Reiten“ (Riding Working Group) einsetzen, um den Wettbewerb in Tokio 2020 umfassend zu überprüfen. Diese zehnköpfige Arbeitsgruppe wurde – mit Olympiasieger Janusz Peciak (POL) als Vorsitzenden – bereits gebildet und wird in den kommenden Wochen regelmäßige Online-Meetings durchführen, um den Reitwettbewerb bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 zu untersuchen und Maßnahmen zu erörtern, die eine Wiederholung der erschütternden Szenen, die sich in Tokio abgespielt haben, künftig zu vermeiden. Die „Arbeitsgruppe Reiten“ wird auch die Notwendigkeit von Änderungen des UIPM-Ethikkodex für das Wohlergehen von Pferden bewerten und gegebenenfalls Änderungen ausarbeiten;
– UIPM wird einen Entwurf für modifizierte Wettbewerbsregeln der Teildisziplin Reiten vorlegen, die auf das neue Format des Modernen Fünfkampfs zugeschnitten sind, das 2022 mit weniger Sprüngen und niedrigeren, einfacheren Hindernissen eingeführt wird;
– Empfehlungen aus allen oben genannten Punkten werden zusammengestellt und dem UIPM Executive Board (EB) während seiner nächsten Sitzung in Monaco am 24.-25. November 2021 vorgelegt;
– Das Präsidium wird sich dann auf die entsprechenden Anträge einigen, die dem UIPM 2021-Kongress vorgelegt werden sollen, der vom 26. bis 28. November 2021 online stattfindet;
– UIPM wird eine neue Reihe von Richtlinien und Online-Bildungstools für das Wohlergehen von Pferden bereitstellen, die auf Sportler und Trainer zugeschnitten sind;
– UIPM wird die Inhalte der Kurse im Coaches Certification Program (CCP) und Judges Certification Program (JCP) anpassen, um dem Tierschutz durch spezielle Module mehr Gewicht zu verleihen;
– Ab 2022 werden allen technischen Delegierten der UIPM Schulungs- und Fallstudienmaterialien zur Verfügung gestellt, um sie besser für den Umgang mit bestimmten Situationen und Szenarien bei Wettbewerben vorzubereiten.
Ersatz des Reitens kommt nicht in Frage
Einen Entfall der Teildisziplin Reiten bzw. einen Ersatz durch eine andere Disziplin schliesst UIPM-Präsident Dr. Schormann explizit aus: „UIPM bleibt dem Reiten als integralem Bestandteil des Modernen Fünfkampfs, basierend auf der Vision von Baron Pierre de Coubertin, voll und ganz verpflichtet. Wir haben den Modernen Fünfkampf bereits in vielerlei Hinsicht angepasst und erneuert, basierend auf Expertenrat und Feedback sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer globalen Sportgemeinschaft. Der Kongress der UIPM 2021 bietet den nationalen Verbänden die Möglichkeit, ihre Meinungen dazu zu äußern. Im Namen des UIPM-Vorstands freue ich mich darauf, mit allen betroffenen Parteien zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass wir die erforderlichen Anpassungen vornehmen, um der Disziplin Reiten im Modernen Fünfkampf eine sichere Zukunft zu bieten.“
Fünfkampf künftig „kürzer, dynamischer, kompakter"
Bereits im Juni hatte das Exekutiv-Komitee des IOC das neue Format des Modernen Fünfkampfs für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris akzeptiert. Bei diesem neuen Format sollen sämtliche fünf Disziplinen innerhalb von 90 Minuten absolviert werden – es basiert auf einem Ausschluss-System, bei dem nur 18 Athleten in jedem Finale teilnehmen, was einen „kurzen und dynamischen Ablauf des Wettkampfs“ gewährleisten soll. Die UIPM wörtlich: „Diese Vision für 2024 soll den Modernen Fünfkampf kürzer, schneller, flüssiger und kompakter und für alle Zielgruppen verständlicher machen.“
Disziplinarausschuss wird Tokio-Eklat untersuchen
Parallel dazu sollen aber auch die unrühmlichen Szenen im olympischen Fünfkampf der Frauen in Tokio gründlich aufgearbeitet werden. Mittlerweile hat der UIPM-Vorstand einen Disziplinarausschuss eingesetzt, um die Ereignisse vom 6. August zu untersuchen, die weltweit für soviel Aufsehen und Aufregung gesorgt haben. Dieser Ausschuss umfasst drei Personen und besteht aus Rob Stull (Präsident der NORCECA Modern Pentathlon Confederation), Martin Dawe (UIPM-Vorstandsmitglied für Marketing) und Dr. Viacheslav Malishev (UIPM-Vorstandsmitglied für Entwicklung).
Weiter heißt es: „Die UIPM verurteilt aufs Schärfste jegliche Misshandlung, ob online oder offline, die sich gegen Personen richtet, die an den Ereignissen vom 6. August beteiligt sind. Es gibt in unserem Sport keinen Platz für irgendeine Form von Misshandlung – und die UIPM wird mit den nationalen Verbänden aller Betroffenen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Opfer angemessene Unterstützung erhalten.“
FEI steht beratend zur Seite
Am 17. August hat sich UIPM-Präsident Dr. Klaus Schormann mit FEI-Präsident Ingmar De Vos getroffen, der unmittelbar nach dem Eklat von Tokio seine Unterstützung angeboten hatte. Präsident De Vos erklärte sich bereit, zwei Spezialisten zur Verfügung zu stellen, die die UIPM hinsichtlich springsport-technischer sowie veterinärmedizinischer Fragen, die im Zusammenhang mit dem Pferdewohl stehen, beraten sollen. UIPM-Präsident Dr. Schormann dazu: „Ich freue mich, dass wir von der FEI zusammen mit unserer eigenen Expertise im Modernen Fünfkampf unterstützt werden, während wir an Lösungen arbeiten, die zu einem verbesserten Wohlergehen der Pferde und der Sicherheit der Athleten in unserem Sport führen. Ich bin FEI-Präsident Ingmar de Vos dankbar und freue mich sehr, dass wir eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Internationalen Verbänden beginnen können.“
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