Handverletzungen sind beim Führen von Pferden häufiger als beim Reiten 02.01.2025 / News
 Ein absolutes No-Go: Um die Hand gewickelte Leinen, Stricke, Zügel etc. können zu schwerwiegenden Verletzungen führen und sind daher unbedingt zu vermeiden! / Foto: Archiv Martin Haller
Laut einer aktuellen Studie treten Handverletzungen beim Führen von Pferden deutlich häufiger auf als beim Reiten selbst oder beim Sturz von einem Pferd. Zudem sind diese Verletzungen besonders schwer und nicht selten sogar irreversibel.
Die häufigsten Verletzungen im Pferdesport betreffen den Kopf, gefolgt von Verletzungen der oberen Extremitäten sowie der Brust- und Lendenwirbelsäule. Verletzungen durch Reiten führen im Vergleich zu anderen Sportverletzungen zu einer deutlich höheren Operations- und Krankenhausaufenthaltsrate sowie einer deutlich längeren stationären Behandlung. Verletzungen der Hand infolge pferdesportlicher Betätigung sind dabei besonders häufig: Bei den Handverletzungen steht das Reiten nach den Ballsportarten und Radfahren sogar an dritter Stelle.
Eine in Norddeutschland von Benedikt Ritter und Kollegen an der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Rekonstruktive Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführte Studie untersuchte die Umstände, Mechanismen und Lokalisationen von Handverletzungen beim Reiten sowie die Verwendung von Schutzausrüstung. Die Arbeit wurde im Fachjournal ,Archives of Orthopedic and Trauma Surgery' veröffentlicht.
Die retrospektive Kohortenstudie analysierte Krankenakten von PatientInnen, die über einen Zeitraum von fünf Jahren (2016 bis 2021) in das Handtraumazentrum eingeliefert wurden. Vollständige Krankenakten, einschließlich Nachuntersuchungsdaten, lagen für insgesamt 39 PatientInnen vor.
Das Übergewicht von Frauen im Pferdesport schlug sich auch hier deutlich nieder: Von den 39 PatientInnen waren 35 Frauen und 4 Männer im Alter von 9 bis 65 Jahren (Durchschnittsalter: 35 Jahre).
Die meisten ReiterInnen (51 %, n = 20) waren HobbyreiterInnen, die für ihre sportliche Betätigung bereits ein Reitabzeichen erworben hatten. Insgesamt besaßen 41 % (n = 16) der ReiterInnen kein Abzeichen und nur 7,7 % (n = 3) waren ProfireiterInnen.
Das Tragen von Schutzhandschuhen war – leider – nicht üblich: Nur 30,8 % (n = 13) der untersuchten PatientInnen trugen beim Umgang mit Pferden Schutzhandschuhe, wobei diese am häufigsten von HobbyreiterInnen mit Abzeichen (40,0 %, n = 8) getragen wurden, gefolgt von Profireitern (33,3 %, n = 1) und am seltensten von HobbyreiterInnen ohne Abzeichen (18,8 %, n = 3).
Für die Studie wurden Daten aus den Krankenakten sowie aus Telefoninterviews analysiert, um die Mechanismen von Traumata und Verletzungsmuster zu untersuchen.
Die wichtigsten Ergebnisse:
– Über die Hälfte der Verletzungen (21 Fälle) ereigneten sich beim Führen des Pferdes, hauptsächlich aufgrund von Zugkräften, die durch Zügel oder Führstricke auf die Finger ausgeübt wurden.
– 13 Fälle waren auf Stürze zurückzuführen, und 5 Fälle waren das Ergebnis von Bissverletzungen.
– Die am häufigsten verletzten Stellen waren die Fingerglieder (33 Fälle), gefolgt von den Mittelhandknochen (Hand) (4 Fälle) und den Handwurzelknochen (Handgelenk) (2 Fälle).
– Bei über der Hälfte (20) der Fälle traten Frakturen auf.
– Bei neun (23,1 %) der PatientInnen kam es zu Abrissamputationen.
– In 31 Fällen (79,5 %) war ein chirurgischer Eingriff erforderlich.
Die Autoren weisen darauf hin, dass Verletzungen im Zusammenhang mit Pferden zwar einen kleinen Anteil aller Notfallbesuche ausmachen, aber unverhältnismäßig schwer sind. Dies unterstreiche die Notwendigkeit gezielter Präventionsmaßnahmen und spezialisierter Pflege, um der hohen Zahl schwerer Folgen dieser Verletzungen zu begegnen, sagen sie.
Experten empfehlen nachdrücklich das Tragen geeigneter Schutzhandschuhe, um Handverletzungen vorzubeugen – neben der selbstverständlichen Beachtung grundlegender Sicherheitsregeln beim Führen von Pferden. Auch die Verwendung selbstöffnender Panikhaken mit Überlastungsschutz sei eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, um übermäßige Zugkraft zu vermeiden, so das Autorenteam.
Die Studie „Equestrian-associated injuries of the hand: a retrospective analysis of injury mechanisms and patterns" von Benedikt Ritter, Nadjib Dastagir, Martynas Tamulevicius, Florian Bucher, Doha Obed, Peter M. Vogt & Khaled Dastagir wurde am 17. Okt. 2024 im Fachjournal ,Archives of Orthopaedic and Trauma Surgery' veröffentlicht und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
Die Ergebnisse dieser aktuellen Untersuchung decken sich weitgehend mit einer bereits 2023 veröffentlichten Studie, in dem Notfälle eines städtischen deutschen Traumazentrums der Stufe 1 untersucht worden waren („Horse-related injury patterns: a single center report" von M. F. Hoffmann et.al.). Auch hier musste mehr als die Hälfte der PatientInnen wegen Verletzungen der oberen Extremität behandelt werden – und Verletzungen an der Hand waren der häufigste Grund für eine OP. Die Ergebnisse kann man im Detail hier nachlesen!
Über elementare Sicherheitsregeln beim Führen von Pferden informiert dieser ausführliche Beitrag des Sicherheitsexperten und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Reinhard Kaun!
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:06.02.2023 - Unfälle mit Pferden: Verletzungen an Händen und Armen besonders häufig
Unfälle mit Pferden: Verletzungen an Händen und Armen besonders häufig 06.02.2023 / News
 Kardinalfehler: Zügel, Stricke, Longen, Leinen etc. dürfen niemals um die Hand gewickelt werden – ansonsten drohen sogenannte ,Amputationsverletzungen', die sich niemand wünscht und die wir hier besser nicht herzeigen ... / Foto: Archiv Martin Haller  Ein Beispiel für eine typische Handverletzung aus der Studie: abgetrenntes Daumenglied, das operativ wieder angefügt werden konnte. Im medizinischen Fachjargon ausgedrückt: Subtotale Amputation des Daumens nach Verwicklung mit Zügeln (linkes Foto); Daumenerhaltung mit Arthrodese des Endgelenks (rechtes Foto). / Foto: Martin Hoffmann et.al.
Die Auswertung pferdebedingter Unfälle an einem deutschen Traumazentrum brachte bemerkenswerte Daten und Fakten zutage: Mehr als die Hälfte der PatientInnen musste wegen Verletzungen der oberen Extremität behandelt werden – und Verletzungen an der Hand waren der häufigste Grund für eine OP.
Ein deutsches Ärzteteam rund um Martin Hoffmann vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum untersuchten sämtliche pferdebedingten Notfälle, die zwischen Juli 2019 und Juli 2022 – also über einen Zeitraum von drei Jahren – in einem städtischen Traumazentrum der Stufe 1 in Deutschland registriert und behandelt worden waren. Berücksichtigt wurden in ihrer Auswertung neben den Patientendaten auch Body-Mass-Index, Traumamechanismus, Verletzungsarten und weitere Behandlungsdetails, wie sie aus den Krankenakten ersichtlich waren.
Insgesamt wurden 95 Patienten mit 99 pferdebedingten Verletzungen in die Studie eingeschlossen. Die überwiegende Mehrheit der Patienten – 93,7 % – war weiblich (was angesichts des überwältigend hohen Frauenanteils unter deutschen PferdesportlerInnen auch zu erwarten war). Das Alter der PatientInnen reichte von 6 bis 71 Jahren, das Durchschnittsalter betrug 35,3 Jahre, wobei ein beachtlich hoher Anteil – nämlich 20 von 95 PatientInnen (= 21,1 %) jünger als 18 Jahre war. Interessants Detail: Ein Drittel der PatientInnen (32 von 95) war privat krankenversichert, das sind dreimal so viele wie in der Normalbevölkerung (10,5 %).
Der häufigste Traumamechanismus war ein Sturz vom Pferd, gefolgt von Tritten oder Trampeln durch ein Pferd (60,6 % bzw. 23,2 %). Zehn PatientInnen haben sich beim Halten der Zügel die Finger verheddert und wurden dadurch schwer verletzt. Andere Traumamechanismen wurden bei 6 Patienten beobachtet, darunter das Einklemmen des Fußes in einem Steigbügel, ein Schlag mit dem Kopf des Pferdes oder Eingequetscht-Werden in einer Pferdebox.
Verletzungen der oberen Extremitäten machten mit 52,5 % den größten Anteil aus, gefolgt von Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen (23,2 %). Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen standen im Zusammenhang mit einem Sturz vom Pferd und in negativem Zusammenhang mit Verletzungen der unteren Extremitäten. Verletzungen der unteren Extremitäten wurden überwiegend durch Tritte des Pferdes beim Absteigen des Reiters verursacht.
Die Verletzungsschwere variierte von 1 bis 5 gemäß der „Abbreviated Injury Scale (AIS)“ – also der sogenannten ,vereinfachten Verletzungsskala’, auf welcher der Schweregrad einer Verletzung mit Werten von 1 (leichte Verletzung) bis 6 (tödliche Verletzung) klassifiziert wird. Der Durchschnitt der erfassten 99 Verletzungen lag bei 2,13 und war bei älteren PatientInnen signifikant höher, aber nicht mit dem Körpergewicht/BMI verbunden. 60 Patienten wurden stationär aufgenommen (60,6 %). Im Krankenhaus behandelte Patienten hatten einen höheren AIS im Vergleich zu ambulant behandelten Patienten (AIS 2,45 vs. 1,64).
Eine chirurgische Behandlung wurde bei 55 Patienten (55,6 %) durchgeführt. Die sogenannte ,offene Reposition und interne Fixation’ (also das Zurückbringen eines Gelenks oder Knochens in die Normalstellung im Rahmen einer Operation) war dabei das häufigste Verfahren (74,5 %). Die Dauer des Krankenhausaufenthalts betrug durchschnittlich 9,9 Tage.
Patienten mit Wirbelsäulen- oder Beckenverletzungen hatten einen höheren AIS (jeweils 2,48 vs. 2,03) und wurden im Vergleich zu anderen Verletzungen signifikant länger im Krankenhaus behandelt (25 Tage). Dies war ursächlich auf zwei PatientInnen mit kompletter und inkompletter Tetraplegie – also einer Lähmung aller vier Gliedmaßen – nach Trauma der Halswirbelsäule zurückzuführen. Patienten mit Wirbelsäulen- oder Beckenverletzungen waren tendenziell älter (38,5 vs. 34,4 Jahre), aber das war statistisch nicht signifikant. Elf Patienten mit Verletzungen der Wirbelsäule und des Beckens mussten operiert werden (47,8 %).
Das wohl spannendste Ergebnis der Auswertungen war jedoch, dass die Mehrheit der Patienten (52 bzw. 52,5 %) wegen Verletzungen der oberen Extremität behandelt werden musste – 35 davon (67,3 %) mussten sogar stationär aufgenommen werden. Die Dauer des Krankenhausaufenthalts war bei diesen PatientInnen glücklicherweise sehr kurz und betrug im Durchschnitt 4,1 Tage. Bei 34 Patienten (65,4 %) wurde eine Operation durchgeführt, wobei Verletzungen an der Hand am häufigsten operiert werden mussten (35,3 %). Dies resultiert auch aus Zügelverletzungen: Zehn Patienten verhedderten sich beim Halten der Zügel und erlitten dadurch Verletzungen an der oberen Extremität. Bei drei von ihnen (30 %) musste eine Amputation durchgeführt werden.
Im Vergleich dazu waren Verletzungen der unteren Extremitäten seltener und und traten bei 20 Patienten (20,2 %) auf. Diese Verletzungen standen im Zusammenhang mit einem Tritt von einem Pferd oder dem Treten auf einen Fuß. Neun Patienten (45 %) wurden für eine nachfolgende Operation ins Krankenhaus eingeliefert.
Wegen Kopfverletzungen wurden neun PatientInnen (9,1 %) in der Notaufnahme vorgestellt. Das mittlere Alter der PatientInnen mit Schädeltrauma betrug 41,7 Jahre im Vergleich zu 34,7 Jahren für den Rest der Studienpopulation. Kopftrauma hatte den niedrigsten AIS (1,89) und reichte von Prellung (5 Patienten) und Kopfwunde mit aktiver Blutung (ein Patient) bis zu schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit intrakranieller Blutung. Ein Patient (1 %) starb aufgrund einer traumatischen Hirnverletzung mit Hirnstammläsion. Daher betrug die Sterblichkeitsrate der vorliegenden Studie 1,0 %.
In ihrem Resümee betonten die AutorInnen, dass „Verletzungen der oberen Extremität die häufigsten Verletzungen“ waren. Auch wenn diese im Durchschnitt weniger schwerwiegend waren, so musste doch bei 34 PatientInnen (65,4 %) eine Operation durchgeführt werden. Verletzungen an der Hand mussten sogar am häufigsten operiert werden (35,3 %). Obwohl viele Arten von Verletzungen beim Reiten und Pflegen von Pferden bekannt sind, ist die Literatur zu Verletzungen an Fingern und Daumen erstaunlicherweise „spärlich“, so das Ärzteteam. Diese Verletzungen sollten daher auch in wissenschaftlicher Hinsicht besser aufgearbeitet und beschrieben werden. Wörtlich heißt es dazu: „Die aktuelle Studie zeigt, dass 10 % der Verletzungen verursacht wurden, indem sich die Finger mit Zügeln oder Stricken verhedderten. Die meisten davon führten zu Verletzungen der Bänder und Sehnen, die in 40 % der Fälle wieder eingesetzt werden konnten. Dennoch mussten drei von ihnen amputiert werden (30 %). Der Verletzungsmechanismus kann dabei am ehesten mit Daumenverletzungen durch Rodeo-Seile bzw. -Lassos verglichen werden.“
Das Resümee der AutorInnen: „Ärzte sollten PatientInnen, die Reitsport betreiben, eindringlich darauf hinweisen, sich der Risiken des Pferdesports bewusst zu sein und zu verstehen, wie wichtig eine angemessene Ausbildung und Sicherheitsausrüstung dabei ist.“
Die Studie „Horse-related injury patterns: a single center report" von M. F. Hoffmann, M. Bernstorff, N. Kreitz, B. Roetman, T. A. Schildhauer und K. E. Wenning ist am 2. Februar 2023 in der Zeitschrift ,Journal of Orthopaedic Surgery and Research' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
09.05.2021 - Elementare Sicherheitsregeln beim Führen von PferdenElementare Sicherheitsregeln beim Führen von Pferden 09.05.2021 / Wissen
Das Führen von Pferden an der Hand ist eine der essentiellsten Tätigkeiten im täglichen Umgang mit Pferden – und auch eine der gefährlichsten, wie tragische Unfälle immer wieder vor Augen führen. Die Einhaltung elementarer Sicherheitsregeln kann das Risiko minimieren und dem Pferd Ruhe und Stabilität verleihen.
Die Hippologie ist die sehr alte, auf Regeln und Traditionen begründete und entwickelte Wissenschaft vom Pferde, die als Ausfluss von Erfahrung und Forschung aus tausenden von Jahren – weltweit – entstanden ist. Ihre Stellung innerhalb der „Sportwissenschaften“ ist deshalb einzigartig, weil der Sportpartner „Pferd“ – in frühen Jahren gewöhnlich auch „Kriegskamerad“ -ebenso einzigartig ist wie sein Reiter, Fahrer, Züchter oder Halter.
Rechtlicher Hintergrund
Der Oberste Gerichtshof in Österreich beschreibt das Pferd als „unberechenbares, von seinen Trieben und Instinkten gesteuertes Lebewesen“ und gibt in seinen Entscheidungen immer wieder zu erkennen, dass ein risikoarmer Umgang mit Pferden an die Einhaltung anerkannter und probater Regeln (Turnierordnung, Hallenordnung, Bahnregeln) gebunden ist, die nicht immer in einem, allumfassenden und erschöpfenden Werk niedergeschrieben sind, sondern auch in bewährten Erfahrungen und Üblichkeiten bestehen können, wobei neben dem geschriebenen Wort auch „hippologische Usancen“ und die Meinung „anerkannter“ Fachleute Aussagekraft besitzt.
Aus der Rechtssprechung der Gerichte ist abzuleiten, dass Vorfälle, die von Lehre, Literatur, Tradition und täglich erprobter Übung abweichen, also nicht „regelkonform“ sind, von der Rechtsprechung als „nicht rechtskonform“ qualifiziert werden.
Wie manche, dem Pferde nicht unbedingt nahestehenden Personenkreise (Rechtsvertreter, Versicherungen, Geschädigte) dann meist vermuten, handelt es sich beim Verweis und der Anwendung hippologischer Grundsätze und Erfahrungen um nichts anderes als „reiterliche Arroganz“ ohne jede Substanz – also „Einschätzung vom hohen Ross“ – dieser Ansicht ist fachlich energisch entgegen zu treten.
Jeder Pferdemensch wird die Einschätzung des OGH, dass Pferde unberechenbar sind, teilen – oder hat dies aus eigener Erfahrung schon zu spüren bekommen.
Diese Unberechenbarkeit – also die Unmöglichkeit, das Verhalten eines Pferdes mathematisch exakt vorherzusehen – hat der Gesetzgeber schon früh erkannt, als er den sogenannten „Halterparagrafen“ geschaffen hat:
§ 1320 ABGB
(1) Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.
(2) In der Alm- und Weidewirtschaft kann der Halter bei Beurteilung der Frage, welche Verwahrung erforderlich ist, auf anerkannte Standards der Tierhaltung zurückgreifen. Andernfalls hat er die im Hinblick auf die ihm bekannte Gefährlichkeit der Tiere, die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Gefahren und die erwartbare Eigenverantwortung anderer Personen gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die erwartbare Eigenverantwortung der Besucher von Almen und Weiden richtet sich nach den durch die Alm- und Weidewirtschaft drohenden Gefahren, der Verkehrsübung und anwendbaren Verhaltensregeln.
Im ersten Satz des § 1320 (1) trifft also die Verantwortung für einen z.B. Personenschaden den- oder diejenige, die das Pferd „angetrieben“ oder „gereizt“ hat, wobei „Antreiben“ und „Reizen“ nicht zwingend durch Fremdeinfluss kommen muss, sondern durchaus auch vom Reiter, Fahrer oder einer Führperson ausgehen kann.
Der zweite Satz des Halterparagrafen §1320 spricht die Verwahrung an, also den Umstand, der die Kontrolle über das Tier gewährleisten soll. Der Verwahrer eines Tieres muss sich im Zweifelsfall „freibeweisen“, weil eine Beweislastumkehr eintritt.
Sämtliche Regeln, Vorschriften und Usancen im täglichen Umgang mit Pferden, beim Führen, beim Reiten oder Fahren usw. haben nur ein Ziel: Den Verkehr mit Pferden so risikoarm wie möglich zu gestalten, indem dem nervlich labilen Fluchttier größtmögliche Sicherheit durch Gewohnheit und Vorhersehbarkeit von Abläufen vermittelt wird.
Es wird dabei von der Gesellschaft anerkannt, dass Sport an sich in gewissem Maße ein „gefährliches“ Unterfangen darstellt, Pferdesport gilt als besonders gefährlich. Bei der Analyse von Unfällen werden regelmäßig Sachverständige beigezogen, die auch überprüfen, ob eine Erhöhung des erlaubten und tolerierten Risikos stattgefunden hat, was immer dann bejaht wird, wenn von Regeln, Vorschriften und überlieferten und gebräuchlichen Abläufen und Verrichtungen abgegangen wird; dabei ist es nicht erforderlich, dass „alles in Regelwerken niedergeschrieben ist!“
Elementare Grundregeln beim Führen von Pferden
Das Führen von Pferden an der Hand ist eine der essentiellsten Tätigkeiten im täglichen Umgang mit Pferden – und auch eine der unfallträchtigsten, wie der tödliche Vorfall in der Schweiz, über den auch ProPferd berichtete, erst kürzlich gezeigt hat. Während man nach ersten Medienberichten vermuten konnte, die zu Tode geschleifte Frau wäre im Bügel hängen geblieben, ergaben Recherchen, dass sich der Unfall beim Führen mit einem Führstrick ereignete, das wurde mittlerweile auch von der Kantonspolizei Zürich bestätigt.
Bewährte Sicherheitsregeln, die durch ständige Wiederholung dem Pferd Ruhe und Stabilität verleihen, sind:
– Alle Manipulationen wie Aufhalftern, Zäumen, Aufschirren, Eingeben von Medikamenten usw. geschehen an der linken Körperseite des Pferdes.
(Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier sind tägliche Standardprozeduren gemeint, die durch ihren immer gleichen Ablauf dem Pferde im täglichen Umgang Sicherheit geben und die außerdem durch jede andere Person – die vielleicht einmal in einem Notfall einspringen muss – nach gleichem Schema reproduzierbar sind. Ohne Frage kann und soll man in der sicheren Umgebung einer Reithalle oder eines Reitplatzes – am Besten unter Aufsicht erfahrener Personen – gelegentlich „alles anders“ machen, um das Pferd aufmerksam zu halten, das nennt man dann „Förderung“ des Pferdes.)
– Aufgesessen wird prinzipiell von der linken Körperseite des Pferdes.
– Geführt wird ein Pferd, indem die Führperson an der linken Körperseite des Pferdes auf der Höhe der Schulter geht und mit abgewinkeltem rechten Ellbogen dieses auf Distanz hält.
– Beim Führen mit Führstrick oder mit Zügel wird eine „Elle“ Abstand vom Pferde gehalten, Führstrick oder Zügel mit der rechten Hand geführt und das lose Ende mit der linken Hand gesichert.
– Einhändiges Führen bedeutet Erhöhung des Risikos.
– Beim Führen eines Pferdes sollten immer Handschuhe und geeignetes Schuhwerk getragen werden.
– Führen eines Pferdes mit angelegten Sporen ist gefährlich, sofort nach dem Absitzen sollten Sporen entfernt werden.
– Ein Pferd darf niemals mit verhängtem Zügel (d.i. Zügel über dem Hals) geführt oder nachgezogen werden.
– Das „Schultern“ der Zügel durch die Führperson bedeutet Kontrollverlust und Erhöhung des Risikos.
– Im öffentlichen Verkehr, an kritischen Stellen oder bei pferdesportlichen Veranstaltungen, Traditionsfesten oder Pferdeschauen dürfen Pferde nur mit geeignetem Gebiss (Steigergebiss) und Zügeln geführt werden.
– Niemals dürfen Führstricke oder Zügel um Hand, Arm oder andere Körperteile geschlungen werden.
– Die korrekte Adjustierung ist im Einzelfall der konkreten Situation anzupassen: „Wer eine Gefahr schafft, hat für sie einzustehen – Allgemeine Verkehrssicherungspflicht!“
– Durch Pferde wird regelmäßig eine Gefahrensituation geschaffen, die der augenblickliche Halter beherrschen muss.
Dr. Reinhard Kaun
Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt, gerichtlich beeideter Sachverständiger und Sicherheitsexperte in Pferdefragen (www.pferdesicherheit.at)
Die folgenden Fotos sollen die Bedeutung dieser elementaren Sicherheitregeln – auch anhand von Negativ-Beispielen – illustrieren ...
 Negativbeispiel: Szene am Rande eines Dressurturnieres / Foto: Dr. Reinhard Kaun  Negativbeispiel: Szene bei einem Showreiten / Foto: Dr. Reinhard Kaun  Negativbeispiel: Der Karabiner am Zügel drückt schmerzhaft auf die Beinhaut des Unterkiefers (= Reizen im Sinne des § 1320 ABGB) / Foto: Dr. Reinhard Kaun  Negativbeispiele (gestellte Aufnahmen!): der verhängte Zügel (li.) und der geschulterte Zügel (re.). Beides war bei langen Nachtmärschen in der Kavallerie aller Nationen üblich, aber auch dort als Unfug und Sicherheitsmangel gebrandmarkt – die Kavalleristen mussten nämlich zur Schonung der Pferde viele Kilometer neben den Pferden hergehen und haben sich`s natürlich so bequem wie möglich gemacht; speziell beim verhängten Zügel ist der müde Kavallerist dem Pferde „im Maul gehangen“ und hat die Laden hart gemacht (dies führte zur Entwicklung des Reithalfters). / Fotos: Dr. Reinhard Kaun  Korrekt: Das Umschnallstück herkömmlicher Zügel verursacht selbst bei straffer Führung kein Ungemach / Foto: Dr. Reinhard Kaun  Korrekt: Sichere Führung des Pferdes mittels Führstrick (oder Zügel). / Foto: Dr. Reinhard Kaun
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31.07.2023 - Führen von Pferden auf die Weide: ein Ritual mit Risiko
Führen von Pferden auf die Weide: ein Ritual mit Risiko 31.07.2023 / News
Ein Pferd auf die Weide zu bringen zählt zu den häufigsten und alltäglichsten Vorgängen für jeden Pferdehalter – und dennoch kommt es dabei immer wieder zu schweren Unfällen, so auch vor wenigen Tagen in Kärnten. Warum das so ist und wie man die Gefahren beim Führen von Pferden möglichst gering halten kann, fasst Sicherheitsexperte Dr. Reinhard Kaun zusammen.
Es war eine karge Mitteilung der Landespolizeidirektion Kärnten: Eine 40 Jahre alte Frau aus dem Bezirk Hermagor brachte am 28. Juli 2023 abends auf einem Reiterhof einen Noriker Wallach mittels Halfter und Führstrick auf die Koppel. Dort wollte sie das Pferd abhalftern, als dieses erschrak und mit den Vorderbeinen hochstieg. Gleichzeitig schlug es auch mit den Hinterbeinen aus und traf die Frau. Sie wurde dadurch durch die Luft geschleudert und ist in der Folge zu Boden gefallen. Sie musste mit einer schweren Verletzung nach Erstversorgung von der Rettung in das LKH Villach gebracht werden.
Der Fall ruft einmal mehr in Erinnerung, dass das Führen von Pferden, im besonderen auch das Führen auf die Koppel oder Weide, nicht nur ein sehr alltäglicher, sondern auch gefahrenträchtiger Vorgang für jeden Pferdehalter ist – denn Meldungen wie jene der LPD Kärnten tauchen mit erschreckender Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen der Medien auf. Doch warum ist das so – und wie kann es sein, dass ein Routinevorgang wie das Pferde-Führen so häufig zu Unfällen und Verletzungen führt?
Wir haben diese Fragen dem Sicherheitsexperten, Tierarzt und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Reinhard Kaun gestellt – und dieser hat sich dankenswerterweise bereiterklärt, nochmals die elementarsten Sicherheitsregeln rund um das Führen von Pferden zusammenzufassen. Hier im Folgenden seine Ausführungen.
Das Führen von Pferden auf die Weide – ein gekonntes Ritual
Schon viele Male hat der Verfasser dieser Zeilen auf ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes in Österreich hingewiesen, wonach „Pferde als unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten geleitete Lebewesen“ gelten – oberste Aufgabe des vernunftbegabten, mit Pferden verantwortungsbewusst umgehenden Menschen muss deshalb sein, den Faktor Unberechenbarkeit auf ein erträgliches und vertretbares Maß zu reduzieren. Um dies zu erreichen, hat man sich seit Jahrtausenden den Umstand zu Nutze gemacht, dass Pferde Gewohnheitstiere sind, denen Ritual- förmiges Wiederholen von Standardabläufen Sicherheit verleiht. Ritual bedeutet in diesem Zusammenhang das „Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. [zit. DUDEN Bedeutungswörterbuch]
Zweifellos fördert es die Wachheit und Aufmerksamkeit von Pferden, wenn mit ihnen neue Formen der Beschäftigung geübt werden wie gefinkelte Bodenarbeit, raffinierte Zirkuslektionen, Steigen auf Befehl und viele andere mehr – nur – diese „Übungen“ dürfen nicht anstatt einer Erziehung zu berechenbaren Pferden erfolgen, sondern bestenfalls ergänzend und vertiefend zu dieser Grundvoraussetzung; zu schnell wird sonst aus der angelernten akrobatischen „Nummer“ ein salto mortale – ein „Todessprung“.
Das Führen auf die Weide kann aus mehreren Gründen risikobehaftet sein, sei es aus Stallmut oder weil schon andere Pferde dort herumlaufen – oder wie so oft – weil Pferde zu diesem Vorgang nie ordnungsgemäß erzogen wurden und eine verlässliche Kontrolle durch eine Führperson nicht gegeben ist – wodurch wir wieder beim tausendmale zitierten § 1320 ABGB 2. Satz angelangt sind. Gefordert ist hier Routine im positiven Sinn eines gut erzogenen Pferdes – nicht jedoch die Routine eines Rüpels oder Durchgehers.
Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun
Ausrüstung des Pferdeführers
– Handschuhe, gutes Schuhwerk, bei Bedarf eine Gerte
– Immer einige große Karotten
Ausrüstung des Pferdes
– Gut passendes Stallhalfter für Halfter-führige Pferde
– Wischzaum oder Knebeltrense für unsichere und ungehorsame Pferde
– Steigergebiss für Hengste
– Führleine oder Führkette, Zügel für Wischzaum oder Knebeltrense
– Kette oder Strick werden nie dem Pferde durchs Maul gezogen, nur im Notfall über den Nasenrücken.
Das Führen
– Pferdeführer gehen immer auf der linken Seite des Pferdes
– Pferdeführer gehen immer auf der Höhe zwischen Hals und Schulter des Pferdes und halten mit dem rechten Ellbogen das Pferd auf Distanz
– Pferdeführer halten Führleine/Zügel in führend in der rechten Hand, das lose Ende sichernd in der linken Hand.
– Pferdeführer bestimmen das Tempo, nie das Pferd – Pferde, die drängeln, eilen oder stürmen, werden auf der Stelle gewendet und wieder zurück in Richtung Stall geführt, angehalten, sobald sie sich benehmen und mit einer Karotte und freundlichen Worten belohnt – dann erneut zur Weide geführt, wobei bei sehr schlecht erzogenen Pferden diese „Spielchen“ manchmal mehrmals wiederholt werden muss.
– Reißen im Maul oder am Führstrick bei erhaltener Vorwärtsbewegung zur Weide ist sinnlos und kontraproduktiv – das Pferd wird seinen Ungehorsam von Mal zu Mal „ausbauen“!
– Am Eingang zur Weide angekommen, muss ein verantwortungsbewusster Pferdeführer schon im Vorfeld genau wissen
o ist die Weide noch/schon offen,
o sind schon andere Pferde auf der Weide,
o was muss geöffnet werden: Holzstangen, Weideband, Drahtspirale,
o ist der Elektrozaun eingeschaltet?
Ankommen beim Eingang der Weide
– Rechtshänder werden sinnvollerweise den Führstrick zum Pferd in der rechten Hand halten und mit der Linken das Öffnungsprozedere der Weideumzäunung durchführen.
– Sobald der Eingang geöffnet und frei ist, wird das Pferd – noch am Führstick/Zügel gesichert - in die Weide geführt und sofort zur Führperson gewendet – Mensch und Pferd stehen einander also von Angesicht zu Angesicht gegenüber – und jetzt bekommt das Pferd eine nicht zu kleine Karotte (mit der es eine kleine Weile beschäftigt sein soll!!) und Lob.
– Der Führstrick wird abgehängt oder der Wischzaum (über das Stallhalfter) gezogen oder die Knebeltrense mit Zügel entfernt – all das mit Ruhe und ohne Hektik - und jetzt erst wird das Pferd mit einem „Geh“ in die Freiheit entlassen.
– Ein korrekt passendes Stallhalfter soll immer am Pferd sein, sobald es sich im Freien aufhält, weil ansonsten eine Verwahrung nicht möglich ist, also auch auf Weiden und Koppeln.
Dem zu erwartenden Einwand sei an dieser Stelle sogleich begegnet:
Gut erzogene und gehorsame (nicht etwa gebrochene oder untertänige) Pferde sparen Zeit, erhöhen die Sicherheit für ihre Umgebung, verbessern die Vorhersehbarkeit und werden somit in deutlich erhöhtem Maße berechenbar – das Ritual wird zur positiven Routine – und: Übung macht den Meister, bei Mensch und Tier!
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