Der Verein ,Große schützen Kleine' hat Reitunfälle in den Jahren 2015 bis 2023 anhand von Zahlen aus der Steiermark untersucht – mit besorgniserregenden Ergebnissen: Die Zahl der Unfälle mit Pferden steigt kontinuierlich, auch der Schweregrad der Verletzungen ist hoch, 96 % der behandelten Kinder und Jugendlichen sind weiblich.
Rund 170 Kinder- und Jugendunfälle in Zusammenhang mit Pferden werden jährlich an den Grazer Universitätskliniken für Kinder- und Jugendchirurgie und für Orthopädie und Traumatologie behandelt, so der Verein ,Große schützen Kleine' in einer aktuellen Pressemitteilung. Hochgerechnet auf die Steiermark sind das etwa 300, hochgerechnet auf Österreich circa 1.800 Unfälle. In den letzten Jahren ist diese Zahl deutlich gestiegen. Unfälle in Zusammenhang mit Pferden – meist handelt es sich um Reitunfälle – führen überdurchschnittlich häufig zu schweren Verletzungen und stationären Aufenthalten. Mit einigen Sicherheitstipps ließe sich das Unfallrisiko minimieren, so Experten.
Alle 1.215 Unfälle in Zusammenhang mit einem Pferd, nach denen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie und an der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie Graz von 2015 bis 2023 behandelt wurden, flossen in die Studie des Forschungszentrums für Kinderunfälle des Vereins ,Große schützen Kleine' ein. Unterstützt wurde das Forschungsvorhaben von Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl. An 495 Personen der Behandlungsjahre 2021 bis 2023 wurde zudem ein Fragebogen ausgesandt, um mehr über die Hintergründe zum Unfallgeschehen zu erfahren. Letztlich konnten 140 Fälle/Fragebögen in die erweiterte qualitative Analyse miteinbezogen werden.
Typisches Unfallopfer: die 12-Jährige Reiterin
Rund 170 Kinder- und Jugendunfälle in Zusammenhang mit Pferden werden jährlich an den Grazer Universitätskliniken für Kinder- und Jugendchirurgie und für Orthopädie und Traumatologie behandelt. „Wenn wir den gesamten Zeitraum von 2015 bis 2023 in Dreijahresperioden abbilden, zeigt sich, dass die Anzahl der behandelten Unfälle mit Pferden sukzessive angewachsen ist. Knapp 42 % der insgesamt 1.215 Unfälle ereigneten sich in den letzten drei Jahren“, so Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins ,Große schützen Kleine' und Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie.
Die Unfälle mit Pferd lassen sich in drei Gruppen einteilen. 72 % der jungen Unfallopfer verletzen sich beim Reiten, 24 % beim Umgang mit dem Pferd an sich und 4 % beim Voltigieren. Pferde und Reitsport sind offensichtlich für Mädchen äußerst attraktiv. Infolgedessen sind auch knapp 96 % der behandelten Kinder und Jugendlichen weiblich. Der Altersschnitt bewegt sich um die 12 Jahre. „Markant ist bei Reitunfällen außerdem, dass die Anzahl der „Unfallwiederholer:innen“ mit 11,4 % fast viermal so hoch ist wie im klinischen Gesamtgut“, so Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins ,Große schützen Kleine'.
Hoher Anteil an schweren Verletzungen
Die schweren Verletzungen betreffen bei Unfällen mit Pferden vor allem die Arme und Hände sowie auch überdurchschnittlich oft den Kopf. „Der Anteil an schweren Verletzungen ist vor allem beim Reitsport mit knapp 40 % und einer stationären Aufnahmequote von 17 % sehr hoch. Bei Reitunfällen finden sich Frakturen mit 27 % am häufigsten, gefolgt von Schädel-Hirn-Traumata und Bänderrupturen“, weiß Till. Beim Umgang mit dem Pferd jenseits vom Reitsport beläuft sich der Anteil an schweren Verletzungen auf 22 %, beim Voltigiersport auf 29 %. Bei der Unfallgruppe „Umgang mit dem Pferd“ werden die Beine und Füße mit knapp 50 % (hinaufsteigen des Pferdes auf den Fuß) am häufigsten verletzt. Beim Voltigieren sind ebenfalls die Beine und Füße mit 37 % am häufigsten von Verletzungen betroffen.
Typische Unfallmuster: Sturz vom Pferd, Tritt vom Pferd, Hinaufsteigen auf Fuß/Hand
Beim Reiten sind 90 % der Verletzungen auf den Sturz vom Pferd zurückzuführen. In der Unfallkategorie „Umgang mit dem Pferd“ handelt es sich vor allem um einen Tritt vom Pferd (38 %), gefolgt von „Pferd auf Fuß/Hand gestiegen“ (33 %). Danach folgen mit je 9 % der Biss vom Pferd und die Verletzung durch Zügel/Zaumzeug. Beim Voltigieren entfallen 71 % auf den Sturz vom Pferd, gefolgt vom Sprung vom Pferd (sowohl gewollte Sprünge/geplanter Abgang im Rahmen der Übung als auch Notfallsprünge bei missglückten Übungen am Pferd).
Pferde sind Fluchttiere
Die verunfallten Kinder und Jugendlichen schätzen sich mit mehr als 90 % als sehr routiniert ein. Spitzer: „Was auffällt, ist, dass nur 19 % sich selbst in der Verantwortung für den Unfall sehen – zumeist ja ein Sturz vom Pferd. Für knapp jeden zweiten Vorfall wird das Pferd ‚verantwortlich gemacht‘. So wird vor allem angegeben, dass sich das Pferd erschreckt habe. Es sollte in Reitstunden offenbar immer wieder vermittelt bzw. darauf hingewiesen werden, dass Pferde grundsätzlich Fluchttiere und daher eher schreckhaft sind.“ Bei unbekannten/neuen Pferden ist die Herausforderung eine noch größere. So gaben 45 % der Befragten als (Mit-)Grund für den Unfall an, dass das Pferd für sie „neu“ war.
Schutzausrüstung: Helm für fast alle Standard, Rückenprotektor nur für die Hälfte
Betreffend die Schutzausrüstung gehört der Helm beim Reiten für fast alle Befragten einfach dazu. Reithose und Reitstiefel sind ebenso Teil der Grundausstattung. Der Rückenprotektor wird von gut der Hälfte der befragten verunfallten Personen getragen.
35 % der verunfallten Kinder und Jugendlichen leiden an den Folgen
Viele der verunfallten Kinder und Jugendlichen sind gleich nach dem Unfall wieder auf das Pferd gestiegen. 35 % gaben jedoch an, dass sie an körperlichen und psychischen Folgen leiden. „Manchmal hat eine Verletzung sogar die Konsequenz, dass die Kinder bzw. Jugendlichen mit dem Reiten aufhören – entweder aus eigener Überzeugung oder auf Drängen der Eltern. Dies unterstreicht wieder einmal die These, dass gesunde Bewegung nur dann nachhaltig ausgeübt wird, wenn sie möglichst frei von schwerwiegenden Unfällen und Verletzungen ist“, betont Spitzer.
Sicherheitstipps und zentrale Inhalte für die Unfallprävention:
• Die „typischen Unfallopfer“ befinden sich in der Pubertät – entsprechend einhergehend mit Sicherheitsverhalten und Risikolust. Daher ist ein „Safety Coaching“ durch die Eltern bzw. Reitlehrer:innen von besonders großer Bedeutung.
• Eine bekannte Strecke verleitet zu mehr Lockerheit. Routine beeinflusst das Unfallgeschehen letztlich negativ.
• Bei einem neuen/ungewohnten Pferd ist größere Vorsicht geboten und ein Herantasten mit größerer Konzentration angeraten.
• Aufgrund der großen Unfallenergie ist das Tragen adäquater Sportkleidung und Schutzausrüstung (Helm, Reitweste, Reitstiefel/-schuhe) unabdingbar.
• Ausbildungs- und Trainingsstunden mit professionellen Reitlehrer:innen sind unbedingt notwendig.
• Vor einer Trainingsstunde ist es sinnvoll, nicht nur den Körper aufzuwärmen, sondern auch den Kopf, in dem man sich Risiken und Sicherheit vor Augen führt. In der Reitgruppe sollen die zentralen Themen von Sicherheit und Sporttechnik gemeinsam bedacht und allenfalls spezielle Herausforderungen für das kommende Training besprochen werden.
• Nach einem Unfall sollte eine Ursachenanalyse im Sinne einer Lernmöglichkeit in das Training integriert werden.
Weitere Studienergebnisse findet man im Fokusreport „High Impact Unfälle: Reiten und Mountainbiken: Zwei Beispiele energiereicher Unfallarten“ auf www.grosse-schuetzen-kleine.at/forschungszentrum/publikationen
Quelle: Pressemitteilung Verein ,Große schützen Kleine'