Sehnenverletzungen gehören zu den weitverbreiteten Erkrankungen des Bewegungsapparats bei Pferden. Die häufigsten Sehnenschäden entstehen durch eine Belastung über die Elastizitätsgrenze. Mag. Wolfgang Himsl von der Pferdeklinik Tillysburg gibt Antwort auf die wichtigsten Fragen – von Boxenruhe bis zur Stammzellentherapie.
Die Fachgebiete von Mag. Wolfgang Himsl sind Kolikchirurgie, Orthopädie, Sportmedizin und Chirurgie. Foto: Pferdeklinik Tillysburg/www.pferdeklinik.at
ALLGEMEIN & ALTERNATIV
ProPferd: Sehnenverletzungen sind für Pferdebesitzer/innen meistens der Super-Gau. Wie gehen Sie im Moment der Diagnose mit den Besitzer/innen um?
Mag. Wolfgang Himsl: Wenn die Diagnose gestellt ist, sind manche Besitzer direkt erleichtert, andere natürlich schwer deprimiert, weil vielleicht ein wichtiges Championat ansteht. Dann versuche ich, mit dem Besitzer eine Strategie zu besprechen, wie man das spezielle Problem am besten angehen könnte.
ProPferd: Welche Art von Sehnenverletzungen gibt es?
Mag. Wolfgang Himsl: Die häufigsten Verletzungen bei unseren Sportpferden und auch sportlich genutzten Freizeitpferden sind Verletzungen des Fesselträgerursprungs, der Fesselträgerschenkel, der oberflächlichen Beugesehne und etwas seltener der tiefen Beugesehne.
Grundsätzlich teilen wie die Verletzung dann nach Lokalisation, Größe bzw. Ausdehnung (z.B. 20% des Sehnendurchmessers) und Art (zentral, randständig) ein.
ProPferd: Was sind die häufigsten Ursachen für Sehnenverletzungen?
Mag. Wolfgang Himsl: Auch wenn der Besitzer meistens von einem einmaligen Trauma ausgeht wissen wir, dass viele Sehnenschäden durch langfristige Überlastungen der Sehnenstruktur entstehen. Eine überlastete Sehne mit zu wenigen Regenerationsphasen hat eine deutlich höhere Chance einzureißen. Außerdem sind chronische Lahmheit (z.B. Arthrose am anderen Bein), eine inadäquate Stellung (Bockhuf) oder ein nicht idealer Beschlag wie z.B. permanente Stollen in den Wintermonaten klassische Wegbereiter für Sehnenverletzungen.
ProPferd: Was halten Sie bei Sehnenschäden von Boxenruhe?
Mag.Wolfgang Himsl: In der Akutphase, sprich wenn das Pferd frisch lahm ist und die betroffene Sehne deutlich warm ist, gilt es diese akute Entzündung zu bekämpfen. Dabei kühlt man das Bein konsequent und packt es ein. Ich nehme dazu gerne Heilerde und gebe entzündungshemmende Medikamente. In dieser Zeit ist Boxenruhe, bzw. leichte Schrittbewegung an der Hand obligatorisch.
Sobald diese Phase vorbei ist, sollten die Schrittphasen angepasst werden. Viele meiner Patienten kommen allerdings erst, wenn die Akutphase ohnehin lange vorbei ist; diese Pferde müssen dem Problem angepasst bewegt werden!
ProPferd: Es gibt immer mehr Pferdebesitzer/innen, die ihr Pferd für den Heilungsprozess für ½ - 1 h auf die Koppel stellen und gute Erfahrungen damit gemacht haben. Wie ist ihre Erfahrung dazu?
Mag. Wolfgang Himsl: Ja, der Wunsch der Besitzer ist verständlich aber da gilt es wirklich, entweder ich setze auf kontrollierte Bewegung, oder ich lasse die Natur heilen. Bedeutet aber, das Pferd auf die Koppel bzw. in den Offenstall zu geben. Das funktioniert oft gut, auch wenn es längere Zeit dauern wird. Hier ist wichtig zu beachten, dieses nicht während der Akutphase zu tun.
Ultraschall-Untersuchung: Eine möglichst exakte Diagnose bildet die Entscheidungsbasis dafür, welche Behandlungsmethoden für das jeweilige Pferd am sinnvollsten sind. Foto: Pferdeklinik Tillysburg
KLINIKALLTAG
ProPferd: Welche Sehnenverletzungen behandeln Sie in Ihrer Klinik am häufigsten?
Mag. Wolfgang Himsl: Am häufigsten habe ich mit Fesselträgerschäden und Läsionen der oberflächlichen Beugesehne zu tun, und etwas weniger oft mit Unterstützungsband - und TBS-Läsionen.
ProPferd: Sie sind für Ihre Treffsicherheit in der Diagnose von Sehnenverletzungen bekannt. Wie läuft eine Untersuchung ab?
Mag. Wolfgang Himsl: Die Sehnenläsion ist entweder offensichtlich, wenn der Patient mit einer deutlichen Schwellung und Druckschmerz der Sehnen vorgestellt wird, oder man muss mittels Anästhesien die betroffene Struktur zuerst lokalisieren. In beiden Fällen wird dann eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Hat man dann eine exakte Diagnose, kann man Überlegungen anstellen welche Behandlungsmethoden für das jeweilige Pferd am sinnvollsten sind.
Der geschulte Blick erkennt hier eine Randläsion der oberflächlichen Beugesehne im Bereich der Fesselbeugesehnenscheide. Foto: Pferdeklinik Tillysburg
ProPferd: Haben sie dann einen Sehnenschaden festgestellt, welche Behandlungsmethoden wenden Sie an?
Mag. Wolfgang Himsl: Ist die Läsion noch ganz akut, ist eine Ruhigstellung und Entzündungshemmung mittels kühlen und Medikamenten wichtig. Nach einigen Tagen lassen die Entzündungsanzeichen meistens nach, die Belastung wird wieder besser und die Schwellung um die geschädigte Sehne wird etwas nachlassen.
Nach dieser akuten Phase empfiehlt sich eine lokale Therapie. Wir injizieren dafür gerne Wachstumsfaktoren oder Stammzellen unter Ultraschallkontrolle, die eine Faser-Anbildung stimulieren. Das Ziel ist immer eine stabile und möglichst elastische Sehne zu bekommen.
ProPferd: Was können Sie uns zur Stammzelltherapie bei Sehnenverletzungen sagen?
Mag. Wolfgang Himsl: Vor fast 20 Jahren haben wir in meiner Assistenzzeit in Deutschland bereits mit Stammzellenbehandlungen bei Sehnenverletzungen gearbeitet. Damals war die Prozedur sehr aufwendig. Wir mussten Knochenmark aus dem Brustbein gewinnen und dieses einschicken. Schließlich wurden aus dem Knochenmarkspunktat Stammzellen isoliert und an gezüchtet. Es dauerte einige Wochen und dann wurden die Stammzellen in die Läsion injiziert. Man verwendete dazu körpereigene Stammzellen.
Heute wissen wir, dass es bessere und weniger gute Knochenmarkspender gibt und außerdem war die Zeitspanne zwischen Entnahme und Therapie nicht förderlich für den Erfolg.
Die heutigen Stammzellenprodukte werden von ausgewählten Spendertieren gewonnen und man hat diese bereits fertig zur Anwendung im Eisschrank. Die Erfahrungen die ich damit gemacht habe sind, wie auch die mit den Wachstumsfaktoren, gut. Für einen guten Behandlungserfolg ist dabei eine sterile und ultraschallgestützte Injektion unerlässlich.
ProPferd: Behandeln Sie sämtliche Sehnenverletzungen mit Stammzellen oder Wachstumsfaktoren?
Mag. Wolfgang Himsl: Nein, es gibt wirklich Sehnenschäden, die entweder aufgrund ihrer Lage oder Chronizität besser auf andere Therapieoptionen ansprechen. So wird ein randständiger Sehnenschaden unter dem Fesselringband nicht abheilen, wenn es zu einer Kompression der geschädigten Sehne durch das Ringband kommt. Hier empfiehlt sich eine operative Durchtrennung des Fesselringbandes und anschließend eine Therapie der Sehne.
Bei chronischen Entzündungen am Sehnenansatz, z.B. Desmopathie des Fesselträgerursprungs ist oftmals eine Stoßwellenbehandlung oder eine Gelenkinjektion in das unmittelbar benachbarte Gelenk einer Sehneninjektion überlegen. Da bei diesen Pferd oft gar nicht so sehr die Sehne, sondern der Knochen, an dem die Sehne angeheftet ist, den Schmerz macht. Hierbei sind auch Biphosphonate eine gängige Behandlung bei diesen Patienten.
ProPferd: Was können Sie uns bezüglich Heilungszeitraum bzw. Behandlungserfolgen sagen?
Mag.Wolfgang Himsl: Prinzipiell erhöht ein Sehnenschaden das Risiko für eine erneute Sehnenverletzung, daher ist nach einer überstandenen Verletzung erhöhte Vorsicht geboten. Früher wurden die Pferde mit Sehnenverletzungen oft ewig in die Box gesperrt und nur kurz am harten Boden bewegt. Wir lassen die Pferde heute so früh wie möglich viel im Schritt auf unterschiedlich Böden gehen, und auch einen vorsichtigen Trabaufbau lassen wir oft schon nach wenigen Wochen starten.
Ein regelmäßiges Untersuchen der Sehnenstruktur mittels Ultraschall lässt uns den Fortschritt der Heilung gut kontrollieren und individuell den Aufbauplan anpassen. Im Idealfall verbessert sich die Sehnenstruktur im Schall mit fortschreitendem Aufbau, bis sich das Gewebe kaum vom restlichen Sehnengewebe unterscheidet.
ProPferd: Welche Maßnahmen setzen Sie zur Vermeidung von Sehnenverletzungen bzw. Rezidiven?
Mag. Wolfgang Himsl: Wichtig ist es, die Bedingungen für das Pferd hinsichtlich Hufbearbeitung/ Beschlag und Bodenbeschaffung möglichst zu optimieren. Außerdem sollten die Sehnen immer wieder ihre Pausen bekommen. So lasse ich Pferde nach einer Verletzung gerne über 2-3 Tage aufbauend arbeiten, und gebe dann einen Erholungstag mit lediglich Schritt oder Paddock. Auch an Arbeitstagen ist es wichtig, immer wieder Schrittpausen einzulegen und nicht zu lange auf Vollbelastung zu reiten.
Was man auch bedenken muss ist, dass ein gut ausbalanciertes Pferd das locker über den Rücken schwingt weniger Risiko hat, einen Sehnenschaden zu bekommen.
Nach einer anstrengenden Trainingseinheit die Beine runter zu kühlen macht meiner Meinung nach genauso Sinn, wie auch ein lockeres warm reiten zu Beginn des Trainings.
ProPferd: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Britta Bruckmüller-Schweinhage
ZUR PERSON
Foto: Pferdeklinik Tillysburg/www.pferdeklinik.at
Mag. Wolfgang Himsl ist Partner in der Pferdeklinik Tillysburg in Oberösterreich mit Studiumabschluss an der Vetmed Universität Wien 2005. Er ist erfahrener Kolikchirurg, enthusiastischer Orthopäde, Sportmediziner und Chirurg und zeichnet sich besonders durch seine Besonnenheit, Klarheit, treffsichere Diagnostik und Therapieansätze aus. Als unschlagbarer Pferdemensch hat er sich auch als internationaler Dressurreiter einen Namen gemacht. Für den österr. Pferdesportverband begleitete er die österreichischen Dressurreiter/innen als Mannschaftstierarzt zu den Olympischen Spielen, Europameisterschaften und Weltmeisterschaften.
Weitere Infos zum Thema gibt's auf der Website der Pferdeklinik Tillysburg!