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Kann Longieren den Gelenken eines Pferdes schaden?
16.12.2022 / News

Experte Greg Staller: „Es gibt ein hohes Potenzial für akute Verletzungen, wenn das Longieren nicht dosiert und kontrolliert ausgeführt wird."
Experte Greg Staller: „Es gibt ein hohes Potenzial für akute Verletzungen, wenn das Longieren nicht dosiert und kontrolliert ausgeführt wird." / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Longieren durchaus einen Einfluss auf die Gesundheit der Gelenke haben kann – vor allem bei engeren Zirkeln und forciertem Tempo. Experten raten, das Longieren als Trainingsmethode überlegt, behutsam und wohldosiert einzusetzen.


Das Longieren von Pferden ist eine gängige Praxis unter TrainerInnen und ReiterInnen in vielen pferdesportlichen Disziplinen und kann in vielfältiger Weise als Ausbildungshilfe oder -unterstützung eingesetzt werden. Unabhängig davon, ob es bei der Grundausbildung eines jungen Pferdes unter dem Sattel oder beim Training eines Turnierpferdes eingesetzt wird, gehen jüngste Erkenntnisse dahin, mit dieser Methode eher behutsam umzugehen und auch mögliche Risikofaktoren zu bedenken und zu berücksichtigen.

Zu dieser Abwägung gehört vor allem ein grundsätzliches Verständnis der Biomechanik des Longierens: ReiterInnen, PferdebesitzerInnen und TrainerInnen sollten wissen, was passiert, wenn sich ein Pferd auf einer kreisförmigen Bahn bewegt, welche Kräfte in welcher Weise wirken und welche möglichen negativen Auswirkungen dabei verursacht werden können, so der Rat von Experten – und sie raten auch dazu, diese Art des Trainings so gezielt und sparsam einsetzen, dass die Gesundheit der Gelenke und damit die Fitness des Pferdes nicht gefährdet wird. Denn diese Gefahr ist bei übermäßigem und falsch angewendetem Longieren durchaus real, wie sie warnend hinzufügen.

Wenn sich Pferde im Kreis bewegen oder Wendungen ausführen, stoßen sie sich mit den äußeren Gliedmaßen ab und fangen die Energie dieses Stoßes mit ihren inneren Gliedmaßen auf. Dabei kommt auch eine anatomische Eigenheit zum Tragen, die Greg Staller, Tierarzt und Chirurg bei ,Running S Equine Veterinary Services' in Califon (Bundesstaat New Jersey) gegenüber dem Portal ,TheHorse.com’ so erklärt: „Die unteren Beingelenke des Pferdes – Hufgelenk, Krongelenk und Fesselgelenk – haben sich so entwickelt, dass sie sich nur in einer Ebene vor und zurück bewegen. Wenn ein Pferd sich im Kreis bewegt, gibt es Druck auf der inneren (medialen) Seite der Gelenke – und Spannung auf der äußeren (lateralen) Seite, da der Huf des Pferdes grundsätzlich flach auf dem Boden aufsetzen möchte.“

Diese Ungleichmäßigkeit, wie das Pferd die inneren und äußeren Gliedmaßen auf dem Kreis belastet, erhöht die Belastung der Bänder der äußeren Gliedmaßen und auch die Kompression des Gelenkknorpels in den Gelenken zur Innenseite des Kreises. „Es gibt ein hohes Potenzial für akute Verletzungen, wenn das Longieren nicht dosiert und kontrolliert ausgeführt wird – und es gibt ein Risiko für chronische Verletzungen durch wiederholten Stress, selbst wenn das Pferd kontrolliert an der Longe gearbeitet wird“, so Greg Staller weiter.

Dass selbst langsame Bewegung an der Longe zu Veränderungen in der tierischen Anatomie führen kann, hat nicht zuletzt eine Studie mit Kälbern aus dem Jahr 2022 gezeigt. Dabei stellten die ForscherInnen fest, dass sich selbst kurzfristiges Longieren mit geringer Belastung auf die Gelenke auswirken kann. Studien-Autorin Alyssa Logan dazu:  „In der Kälber-Studie haben wir herausgefunden, dass es nach siebenwöchigem Longier-Training Unterschiede in der molekularen Zusammensetzung des Knorpels zwischen dem Innenbein und dem Außenbein der Kälber gab, die auf einem kleinen Zirkel im Schritt bewegt wurden. Dieses Ergebnis führt zwangsläufig zur Frage, wie die Gelenkgesundheit bei Tieren/Pferden aussieht, die über viele Jahre ihres Lebens drei bis fünf Tage pro Woche longiert werden.“

Wie kann ich mein Pferd sicher longieren?

Obwohl das Longieren von Pferden eine weit verbreitete Praxis darstellt, gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, in denen die Bewegung bzw. das Training auf kreisförmiger Bahn näher analysiert werden. Was es jedoch reichlich gibt sind entsprechende Trainingsstudien mit Menschen, in denen das Laufen auf einer Kreisbahn genau unter die Lupe genommen wird – hier sind die Ergebnisse relativ eindeutig und sie besagen, dass Faktoren wie die Geschwindigkeit des Läufers und Größe bzw. Radius des gelaufenen Kreises zu einer ungleichmäßigen Belastung der Gliedmaßen beitragen. So führte das Laufen auf einer stark gekrümmten Bahn (Radius von 5 m) zu deutlich stärkeren Verdrehungskräften (Torsion) am inneren Schienbein im Vergleich zum Laufen auf einer sanft gekrümmten Bahn (Radius von 15 m).

Dies hat sich im Wesentlichen auch in einer 2021 durchgeführten Studie bei Pferden bestätigt. Untersucht wurden dabei der Einfluss der Gangart (Schritt, Trab, Galopp) sowie der gewählten Bewegung (gerade, kreisförmig) auf die belastete Huffläche, die vertikal wirkende Kraft und die Druckbelastung der Vorderhufe. Wie sich zeigte, beeinflussen sowohl die Geschwindigkeit als auch der Radius eines Kreises die Gangasymmetrie von Pferden bei einer kreisförmigen Bewegung – also etwa einem Roundpen, einem Longierzirkel oder auch einer Schrittmaschine. Beim Training mit höheren Geschwindigkeiten oder Arbeiten an kleineren Kreisen drückt das Pferd vermehrt mit den äußeren Gliedmaßen, während langsamere Geschwindigkeiten und größere Kreise dem Tier helfen, alle Gliedmaßen gleichmäßiger zu bewegen, so das Resümee der AutorInnen.

„Hier spielt die Fliehkraft eine Rolle, da sich das Pferd in die Kurve neigt, um das Gleichgewicht zu halten“, wie Greg Staller erklärt. „Da der Huf dazu tendiert, flach auf der Oberfläche aufzusetzen, gibt es auf einer kreisförmigen Bahn unterschiedliche Kräfte an der inneren und an der äußeren Gliedmaße sowie Unterschiede zwischen der Innen- und Außenseite jedes Hufs.“ Diese Kräfte wirken auch auf die Gelenke und werden verstärkt, wenn die Geschwindigkeit zunimmt oder der Zirkelradius abnimmt.

Tatsächlich zeigte die Untersuchung, dass die Gangart die jeweiligen Belastungswerte stärker beeinflusst als die Übungsart (gerade, kreisförmig). Der Trab hatte häufig niedrigere mittlere Belastungswerte als andere Gangarten, was darauf hindeutet, dass es sich um einen dynamisch stabileren Gang handelt, der es Pferden ermöglichen könnte, sich leichter als in anderen Gangarten an kreisförmige Übungen anzupassen und der auch zu einer geringeren Belastung der Gelenke führt, wenn das Pferd im Kreis bewegt wird.

Das Alter des Pferdes berücksichtigen

Auch das Alter des Pferdes müsse bei der Bestimmung der Auswirkungen des Longierens auf seine Gelenke berücksichtigt werden, so Greg Staller: „Im Allgemeinen sind die Knochen und Weichteile von jungen Pferden weicher und biegsamer als die von älteren Pferden. Die Stärke von Knochen und Bändern wird jedoch durch Training und Bewegung erhöht, sodass die Knochen und Bänder junger Pferde möglicherweise noch nicht so stark und belastbar sind wie die eines älteren Pferdes.“

Da Pferde unter drei Jahren offene Wachstumsfugen haben, die empfindlich und anfällig für Verletzungen sind, kann übermäßiges Longieren bei ihnen nicht nur zu Bänder- und Knorpelverletzungen, sondern auch zu Schäden an der Wachstumsfuge führen – was wiederum Auswirkungen auf die Stellung und Ausrichtung der Gliedmaßen des Pferdes haben kann; daher sollten Besitzer und Trainer diese Pferde nur minimal und sehr kontrolliert longieren.

Zu den idealen Longierbedingungen gehört für sie das Arbeiten mit kontrollierter Geschwindigkeit auf einem großen Kreis, bei dem das Pferd seinen Körper richtig einsetzt, sich möglichst aufrecht bewegen und seinen Körperschwerpunkt und seine Oberlinie optimal einsetzen kann, so Studienautorin Alyssa Logan. Es wurde auch festgestellt, dass ein leicht geneigter Longierbereich – etwa in einem Roundpen – dem Pferd hilft, sich gleichmäßiger im Kreis zu bewegen, da es die Hufe flacher aufsetzen kann als in einem Longierbereich ohne Neigung. „Deshalb sind die Kurvenbereiche von Pferderennbahnen geneigt – um den Hufen eine flachere Interaktion mit dem Boden zu ermöglichen“, bestätigt auch Greg Staller.

Studien-Autorin Alyssa Logan rät jedenfalls dazu, das Longieren von Pferden mit Zurückhaltung und wohldosiert und keinesfalls im Übermaß als Trainingsmethode einzusetzen: „Mir ist klar, dass Longieren manchmal einfach sein muss“, so Alyssa Logan. „Möglicherweise ist Koppelgang gerade nicht möglich, oder ein Reiter fühlt sich an diesem Tag einfach nicht wohl und möchte sein Pferd zwar bewegen, aber lieber nicht in den Sattel steigen. Ich wünsche mir wirklich, dass Reiter einfach etwas nachdenken, bevor sie longieren, und sich fragen: ‚Warum longiere ich?‘ und ‚Wie longiere ich?‘“

Sie empfiehlt ReiterInnen und TrainerInnen, Alternativen zum Longieren zu bevorzugen, um die Gelenke des Pferdes möglichst zu schonen: Das Aufwärmen des Pferdes unter dem Sattel ist oft eine gute Option, so Logan, da es eine bessere Kontrolle über das Tempo und die Bahn des Pferdes ermöglicht. Auch die Weide kann auch als Alternative verwendet werden, da sie dem Pferd Zeit für vielfältige freie Bewegung, Grasen und natürliche Interaktionen mit Artgenossen ermöglicht, die unter dem Sattel oder beim Longieren nicht möglich sind.

Wenn aber am Longieren schließlich doch kein Weg vorbeiführt, dann legt Alyssa Logan PferdebesitzerInnen drei wesentliche Punkte ans Herz, um die Gelenke des Pferdes zu schützen und sie gesund und belastbar zu erhalten: 1) eher langsamere Geschwindigkeiten wählen, 2) auf größeren Kreisen arbeiten und 3) eine übermäßige Anwendung dieser Trainingsmethode zu vermeiden.

Und sie weist bei aller Skepsis auch daraufhin, dass man keinesfalls das Kind mit dem Bade ausschütten sollte, wenn es um das Longieren geht: „Auch wenn die Auswirkungen des Longierens auf heranwachsende Pferde noch näher erforscht werden müssen, ist es wichtig festzustellen, dass adäquates Training auch während des Wachstums nicht gänzlich vermieden werden sollte. Bewegung zuzulassen ist generell gut und wichtig für die Entwicklung von Knochen, Knorpeln, Sehnen und Bändern von jungen Pferden“, so Alyssa Logan.

Die Studie „Impact of Gait and Diameter during Circular Exercise on Front Hoof Area, Vertical Force, and Pressure in Mature Horses" von Alyssa A. Logan, Brian D. Nielsen, Cara I. Robison, David B. Hallock, Jane M. Manfredi, Kristina M. Hiney, Daniel D. Buskirk und John M. Popovich, Jr. ist am 15. Dez. 2021 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

Die Studie „The Impact of Circular Exercise Diameter on Bone and Joint Health of Juvenile Animals" von Alyssa A. Logan, Brian D. Nielsen, Kristina M. Hiney, Cara I. Robison,  Jane M. Manfredi, Daniel D. Buskirk und John M. Popovich Jr. ist am 27. Mai 2022 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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