Es ist eine Technik, die bei Rennpferden erfolgreich erprobt wurde, die aber auch den Pferdesport insgesamt sicherer machen könnte: Ein biometrischer Sensor in der Satteldecke kann feinste Bewegungs-Anomalien ermitteln und so dazu beitragen, das Risiko schwerer Verletzungen bei Pferden zu verringern.
ForscherInnen unter der Leitung von Dr. Warwick Bailey von der Washington State University haben ihre Untersuchung mit dem biometrischen Sensor durchgeführt, der von der Firma StrideSafe entwickelt wurde, um Vollblut-Rennpferde während des Rennens und des Trainings zu überwachen. Durch die Analyse der gesammelten Daten identifizierte das Team subtile Veränderungen der Schrittlänge, die mit einem erhöhten Verletzungsrisiko verbunden sind, und ermöglichte so rettende Interventionen, noch bevor es zu katastrophalen Stürzen gekommen ist. Das Forschungsteam veröffentlichte seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift ,Journal of the American Veterinary Association’ – und hob hervor, dass im Zuge der Studie drei verletzungsgefährdete Pferde aufgespürt und vor weiteren, möglicherweise fatalen Renneinsätzen bewahrt werden konnten.
Der in der Studie eingesetzte biometrische Sensor verfolgt Änderungen in der Geschwindigkeit und Richtung der Bein- und Körperbewegungen eines Pferdes und erstellt Diagramme seines Schrittmusters. Ein Algorithmus verarbeitet diese Daten und vergleicht sie mit einem „idealen Schritt“, der von leistungsstarken, gesunden Rennpferden abgeleitet wurde.
Anhand von Daten von über 6.500 Starts identifiziert der Algorithmus auch Ähnlichkeiten mit Schritten von Pferden, die in weiterer Folge sogenannte „katastrophale Verletzungen“ erlitten haben (das sind beispielsweise Frakturen mit schlechter Prognose und die häufigste Ursache dafür, dass Pferde tödlich verunglücken oder eingeschläfert werden müssen; zudem sind sie auch die häufigste Ursache für Stürze und schwere Verletzungen von Jockeys). Dem Pferd wird dann ein Verletzungsrisikofaktor von 1 bis 5 zugewiesen, basierend darauf, wie stark sein Schritt vom Ideal abweicht und wie ähnlich er einem verletzungsbedingten Schritt ist.
Der Risikostatus wurde von 1 bis 5 kategorisiert. Pferde mit einem Risikofaktor von 1 hatten ein Schrittmuster innerhalb von 2 Standardabweichungen (SD vom idealen Schritt, während Pferde mit einem Risikofaktor von 5 ein Schrittmuster hatten, das mehr als 5 SDs vom idealen Schritt abwich. Pferde mit einem Risikofaktor von 5 erlitten 950 Mal häufiger eine katastrophale Verletzung als solche mit einem Risikofaktor von 1.
In einer Datenbank mit 6.618 Starts wurden 70 % als Risikofaktor 1, 16,5 % als Risikofaktor 2, 7 % als Risikofaktor 3, 3 % als Risikofaktor 4 und 3,5 % als Risikofaktor 5 eingestuft.
„Diese Rennpferde werden vor den Rennen umfassend untersucht, aber es kommt trotzdem zu katastrophalen Verletzungen, und zwar nicht, weil sie in ein Loch getreten sind oder einen falschen Schritt gemacht haben. Ein großer Prozentsatz hat eine bereits bestehende Pathologie, die bei einer klinischen Untersuchung nicht sofort erkennbar ist“, sagte Dr. Denise Mc Sweeney, Assistenzärztin für Pferdechirurgie an der WSU, die Erstautorin der Studie war. „Aus unseren Sensordaten wissen wir, dass die meisten katastrophalen Verletzungen ein deutliches Schrittmuster aufweisen. Jetzt können wir erkennen, wenn mit ihren Schritten etwas nicht stimmt, und eingreifen, bevor es zu einer schweren Verletzung kommt.“
„Wir wissen, dass es etwa 1,25 katastrophale Verletzungen pro 1.000 Starts gibt, aber diese Pferde zu identifizieren, bevor ein solches Ereignis eintritt, ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, da sie bei einer Untersuchung vor dem Rennen oft subjektiv gesund sind und viele der Pferde keine Leistungseinbußen zeigen“, sagte Mc Sweeney. „Aber wenn man es eingrenzen kann, wie die 3,5 %, die wir in dieser Gruppe hatten, ist es viel einfacher einzugreifen und hoffentlich Verletzungen vorzubeugen.“
Um den Algorithmus zu testen und zu verfeinern, wurde ein Sensor an Pferden angebracht, die vom 29. April bis zum 2. Juli 2023 in Churchill Downs und Ellis Park in Kentucky starteten. Mc Sweeney war für die Erfassung klinischer Daten zu den Hochrisikopferden verantwortlich.
In ihrem Bericht konzentrierte sich das Team auf zwei 3-jährige Hengste und einen 4-jährigen Hengst, die mit dem höchsten Risikofaktor 5 gekennzeichnet waren. In jedem Fall machten die Sensoren Tierärzte und Trainer auf potenzielle Verletzungsrisiken aufmerksam. Das abnormale Schrittmuster wurde entweder während eines Rennens (Fälle 1 und 2) oder während des Training (Fall 3, ein Trainingslauf, bei dem das Pferd in einem schnellen Tempo laufen darf, oft nahe seiner Höchstgeschwindigkeit) festgestellt.
Anschließend wurden in jedem Fall tierärztliche Untersuchungen und eine Positronen-Emissions-Tomographie mit 18F-Natriumfluorid (18F-NaF) durchgeführt. Das Forschungsteam entdeckte in den Fällen 1 und 2 eine signifikante 18F-NaF-Aufnahme in den Kondylen (Gelenkfortsätzen) des dritten Mittelhandknochens und ortete bei diesen Pferden ein erhöhtes Risiko für eine Kondylenfrakturen. Im dritten Fall deutete das 18F-NaF-Aufnahmemuster darauf hin, dass der dritte Handwurzelknochen wahrscheinlich die Lahmheit des Pferdes verursachte. Die Röntgenaufnahme bestätigte eine drohende Plattenfraktur.
Die Forscher berichten, dass „Fall 1 und 2 nach einer Rekonvaleszenz-Phase wieder an Rennen teilnahmen und vom Sensorsystem als nicht mehr gefährdet für eine katastrophale Muskel-Skelett-Verletzung identifiziert wurden. Fall 3 nahm nach seiner Rekonvaleszenz das Training wieder auf, hat aber noch nicht wieder an Rennen teilgenommen.“
„Dies sind Paradebeispiele dafür, wie diese Technologie Pferde vor schweren Verletzungen und Stürzen schützen kann“, sagte Mc Sweeney. „Mit diesen Informationen konnten die Trainer und ihre Tierärzte die Notbremse ziehen, und jetzt haben diese Pferde eine längere Karriere vor sich und können hoffentlich eine katastrophale Verletzung vermeiden.“
Mc Sweeney hofft, dass die Sensoren zum Standard für alle Vollblutrennen und -trainings werden. „Ich glaube, das wird enorme Auswirkungen haben“, sagte sie. „Die Sensoren können das Leben von Pferden und Jockeys retten – das haben sie bereits.“
Die Studie „Using accelerometers to identify a high risk of catastrophic musculoskeletal injury in three racing Thoroughbreds" von Denise Mc Sweeney, Mikael Holmström, Kevin D. Donohue, David H. Lambert und Warwick M. Bayly ist am 21. Juni 2024 im ,Journal of the American Veterinary Association’ erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.