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Studie zum West-Nil-Virus: Risiko einer weiteren Ausbreitung ist hoch
17.04.2020 / News

Das West-Nil-Virus ist in Deutschland auf dem Vormarsch, wie diese Grafik mit einem Vergleich der immer kürzer werdenden Inkubationszeiten zwischen 15. Juli und 14. August zeigt.
Das West-Nil-Virus ist in Deutschland auf dem Vormarsch, wie diese Grafik mit einem Vergleich der immer kürzer werdenden Inkubationszeiten zwischen 15. Juli und 14. August zeigt. / Grafik: viruses/Ute Ziegler et.al.

Eine aktuelle Studie deutscher Wissenschaftler zeigt: Das West-Nil-Virus hat sich – begünstigt durch den Klimawandel und die heißen Sommertemperaturen – endgültig in Europa und auch in Deutschland festgesetzt. Das Risiko einer weiteren Ausbreitung bei Vögeln, Pferden und Menschen ist beträchtlich.

 

Es ist die bislang größte und umfassendste Untersuchung der bisherigen Ausbreitung des West-Nil-Virus (WNV) in Deutschland – mit insgesamt 26 beteiligten Wissenschaftlern aus den renommiertesten Universitäten und Forschungseinrichtungen des Landes. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, bezeugt, wie ernst man in Kreisen der Wissenschaft dieses Thema nimmt – und dass man mögliche Vorwürfe einer Verharmlosung der Bedrohung, oder auf sie nicht entsprechend reagiert zu haben, von vornherein ausschließen möchte.

Das eindrucksvolle Ergebnis dieser Bemühungen ist die bislang ausführlichste und detaillierteste Dokumentation über das West-Nil-Virus in Deutschland, die nun in der Fachzeitschrift ,viruses’ veröffentlicht wurde.  Das Resümee der Forscher lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Das West-Nil-Virus ist endgültig in Deutschland angekommen, das Risiko einer weiteren Ausbreitung ist groß – und die Behörden tun gut daran, die Situation mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten und gezielte Kontrollmaßnahmen einzuleiten.

Die Zahl der nachgewiesenen WNV-Infektionen bei Mensch und Tier sind in Deutschland zwar noch relativ niedrig – sie machen aber dennoch deutlich, dass man sich in der Anfangsphase einer Epidemie befindet: Im Jahr 2018 gab es insgesamt 14 dokumentierte Infektionsfälle (12 Vögel, 2 Pferde) – es war die erste autochthone Übertragung des West-Nil-Virus bei Vögeln und Pferden in Deutschland. Bereits 2019 war die Zahl erheblich höher – es entwickelte sich das, was die Wissenschaftler als ,epizootischen Notfall’ beschreiben, nämlich die rasche Ausbreitung einer Tierseuche über regionale Grenzen hinweg. Insgesamt kam es 2019 zu 76 Infektionsfällen bei Vögeln, zu 36 Fällen bei Pferden und zu fünf bestätigten Fällen beim Menschen – insgesamt also bereits 117 WNV-Fälle, also mehr als achtmal soviele wie im Jahr davor.

Wie die Wissenschaftler anhand genetischer Analysen nachweisen konnten, war diese explosionsartige Zunahme auf mindestens sechs sogenannte ,Einführungsereignisse’ möglich, die in Deutschland aufgetreten sind – wobei Stämme einer bestimmten Virus-Gruppe (der sogenannten ,ostdeutschen’ WNV-Gruppe) die Virus-Varianten in den Jahren 2018 und 2019 bei Mücken, Vögeln, Pferden und auch beim Menschen dominierten. Die Viren-Stämme dieser Gruppe sind durch eine spezifische Mutation (Lys2114Arg-Mutation) gekennzeichnet, die zu einer Erhöhung der ,viralen Fitness’ führt und sich somit als besonders überlebensfähig erwiesen hat.

Die Ausbreitung dieses Virus-Stamms wurde nicht durch zuletzt durch die außergewöhnlich hohen Temperaturen in den Jahren 2018 und 2019 begünstigt, die eine niedrige extrinische Inkubationszeit (EIP = extrinsic incubation period) ermöglichten und damit die Ausbreitung des West-Nil-Virus und höchstwahrscheinlich auch die Epidemie des Jahres 2019 verstärkte.  Die Entwicklung des letzten Jahres hat auch den unwiderlegbaren Beweis geliefert, dass europäische Vögel anfällig für WNV-Infektionen sind – und dassCulex-Mücken in Europa für die Übertragung des Virus zuständig sind.

Das Forscherteam bestätigte in seiner Untersuchung zwar, dass weniger als 25% der infizierten Menschen wahrnehmbare Symptome entwickeln – und weit weniger das Risiko haben, schwere neurologische Beschwerden zu entwickeln. Doch die Tatsache, dass drei der fünf bestätigten Krankheitsfälle in Deutschland neurologische Symptome zeigten, nährt Spekulationen darüber, dass während der Epidemie 2019 möglicherweise Hunderte unentdeckter menschlicher WNV-Infektionen im Land aufgetreten sind, ohne dass die Wissenschaft nähere Kenntnis darüber erlangt hat. Die anhaltende Verbreitung und Dominanz der 2019 festgestellten Virus-Gruppe deutet jedenfalls auf eine erfolgreiche Überwinterung des Virus in Deutschland durch Mücken im Winterschlaf während der gesamten Wintersaison hin.

Die Wissenschaftler betonten, dass ihre Ergebnisse das Risiko einer weiteren Ausbreitung des West-Nil-Virus in Deutschland unterstreichen – und in den kommenden Jahren auch mit zusätzlichen menschlichen WNV-Infektionen gerechnet werden müsse. Die dringende Mahnung der Forscher: „Daher ist die Überwachung von Vögeln unerlässlich, um eine frühzeitige epidemische Warnung auszulösen und damit gezielte Kontrollmaßnahmen einzuleiten.“

Denn das Risiko weiterer menschlicher WNV-Infektionen birgt auch Risiken für die Sicherheit von Transfusionen und Organtransplantationen. „Daher sollte eine intensive Überwachung von Mücken, Vögeln, Pferden und Menschen eine Priorität in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge bleiben." Eine solche Überwachung wäre nützlich bei der Entwicklung gezielter Kontrollmechanismen.

Zudem plädieren die Wissenschaftler für eine verstärkte internationale Kooperation bei der Bekämpfung des Virus: „Unsere Studie unterstreicht auch die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Beobachtung und Überwachung von WNV, insbesondere über nationale Grenzen hinweg – und eines ,One-Health’-Ansatzes als Schlüssel für eine verbesserte Risikoanalyse. Dies sollte auch die Erarbeitung einer höheren Anzahl von Gesamt-Genomsequenzen einschließen, um eine genauere molekulare Epidemiologie und Stammcharakterisierung zu ermöglichen."

Hintergrund-Wissen zum West-Nil-Virus
Das West-Nil-Virus wird durch Stechmücken von einem Wirt zum nächsten übertragen. Als mögliche Überträger (oder Vektoren) kommen eine Vielzahl verschiedener Mückenarten, vor allem der Gattungen Culex, Aedes und Ochlerotatus in Frage. Hauptwirt für das Virus sind Vögel unterschiedlichster Arten. Die meisten Vogelarten erkranken klinisch nicht, allerdings entwickeln einige Vogelarten wie Sperlingsvögel und einige Greifvogel- und Eulenarten massive klinische Erkrankungen, die tödlich verlaufen können. Auch Säugetierarten – speziell Pferde – können als Fehlwirt infiziert werden.

Mit dem West-Nil-Virus infizierte Pferde entwickeln zwar in der überwiegenden Zahl der Fälle keinerlei Krankheitssymptome – bei einigen Tieren können jedoch deutliche Ausfallerscheinungen auftreten, die in bis zu 20 Prozent der Fälle mit lebenslangen neurologischen Schäden verbunden sein können. In etwa 22 bis 44 Prozent der Fälle endet der Verlauf tödlich. Nach Ausbruch der Erkrankung ist lediglich eine symptomatische Behandlung der Tiere möglich. In Deutschland besteht die Möglichkeit zur Impfung der Pferde durch drei in der EU zugelassene Impfstoffe. Diese schützen zwar nicht vor der Infektion, können aber schwerere klinische Verlaufsformen der Infektion weitestgehend verhindern. Bei Pferden und Vögeln sind Infektionen mit WNV anzeigepflichtig, auch Infektionen beim Menschen sind meldepflichtig.

Die Studie „West Nile Virus Epidemic in Germany Triggered by Epizootic Emergence, 2019" von Ute Ziegler et.al. ist am 15. April 2020 in der Zeitschrift ,viruses' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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