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Die neuen Fälle des Dr. K.: Pferd gegen Anhänger & dubiose Einstellkosten
06.07.2024 / News

Zwei Fälle aus dem Alltag des Gerichtsgutachters zeigen, dass man bei der Wahl eines Einstellbetriebs nicht allzu vertrauensselig sein sollte – und man bei der Darstellung eines Unfalls, der zur schweren Verletzung einer Stute geführt hat, besser bei der Wahrheit bleibt ...

 

Seine K. und K. Apostolische Majestät

Von Joseph Roth für Stefan Zweig

An jenen Sommermorgen regnete es grundsätzlich nicht und oft leiteten sie einen Sonntag ein. Die Straßenbahnen hatten einen Sonderdienst eingerichtet. Viele Menschen fuhren hinaus zu dem höchst naiven Zweck der Spalierbildung. Auf eine sonderbare Weise vermischte sich ein sehr hohes, sehr fernes und sehr reiches Trillern der Lerchen mit den eilenden Schritten hunderter Menschen.

Der Tau glänzte noch und verdunstete schon und von den Gärten kam der Flieder mit der frischen Vehemenz eines süßen Windes. Hellblau und straff gespannt war der Himmel. Von der Turmuhr schlug es sieben.

Da ging ein Tor auf und ein offener Wagen rollte langsam heraus, weiße Pferde mit zierlichem Schritte und gesenkten Köpfen, ein regloser Kutscher auf einem sehr hohen Bock, in einer graugelben Livree, die Zügel so locker in der Hand, dass sie eine sanfte Mulde über den Rücken der Pferde bildeten und dass es unverständlich blieb, warum die Tiere so straff gingen, da sie doch offensichtlich Freiheit genug hatten, ein ihnen natürliches Tempo einzuschlagen. Auch die Peitsche rührte sich nicht, kein Instrument der Züchtigung, nicht einmal eins der Mahnung. Ich begann zu ahnen, dass der Kutscher andere Kräfte hatte als die seiner Fäuste und andere Mittel als Zügel und Peitsche. Seine Hände waren übrigens zwei blendend weiße Flecke mitten im schattigen Grün der Allee. Die hohen und großen, aber zarten Räder des Wagens, deren dünner Speichen an glänzende Dirigentenstäbe erinnerten, an ein Kinderspiel und eine Zeichnung in einem Lesebuch – diese Räder vollendeten ein paar sanfte Drehungen auf dem Kies, der lautlos blieb, als wäre er ein feingemahlener Sand. Dann stand der Wagen still. Kein Pferd bewegte den Fuß. Kaum, dass eines ein Ohr zurücklegte – und schon diese Bewegung empfand der Kutscher als ungeziemend. Nicht, dass er sich gerührt hätte! Aber ein ferner Schatten eines fernen Schattens zog über sein Angesicht, so dass ich überzeugt war, sein Unmut käme nicht aus ihm selbst, sondern aus der Atmosphäre und über ihn. Alles blieb still. Nur Mücken tanzten um die Bäume und die Sonne wurde immer wärmer.

 

Denn der Kaiser war gewohnt, im Sommer ohne Pomp abzureisen. Deshalb hatte der Kutscher die heimische Livree, dieselbe fast, die der Kutscher eines reichen Mannes trägt. Deshalb war der Wagen offen und hatte hinten keinen Sitz. Deshalb befand sich niemand neben dem Kutscher auf dem Bock, solange der Wagen nicht fuhr. Es war nicht das spanische Zeremoniell der Habsburger, das Zeremoniell der spanischen Mittagssonne. Es war das kleine österreichische Zeremoniell einer Schönbrunner Morgenstunde.

Jetzt scharrten die Pferde mit den Füssen, legten beide Ohren zurück und es geschah das Unglaublichste: der Kutscher selber spitzte die Lippen wie ein Kind, das an einem Bonbon lutscht, und gab dermaßen den Pferden zu verstehen, dass sie sich nicht so benehmen dürfen wie das Volk.

Und, es war wirklich der Kaiser.

Da kam er nun, alt und gebeugt – die „jugendliche Frische des Monarchen“ hieß und mit jenem langsamen Greisenschritt, der „elastisch“ genannt wurde, trippelnd fast, mit sachte klirrenden Sporen, eine alte schwarze und etwas verstaubte Offiziersmütze auf dem Kopf.
Schließlich hatten beide den Wagen erreicht. Der Kaiser saß und grüßte noch lächelnd im Halbkreis. Der Adjutant lief hinten um den Wagen herum und setzte sich.

In diesem Augenblick stand auch schon ein Diener mit einer Decke vor den beiden, die sich langsam über die Beine der beiden Alten senkte. Der Diener machte eine scharfe Wendung und sprang, wie von einem Gummi gezogen, auf den Bock neben den Kutscher. Er war fast so alt wie der Kaiser, aber gelenkig wie ein Jüngling; denn das Dienen hatte ihn jung erhalten, wie das Regieren seinen Herren alt gemacht hatte.

Schon zogen die Pferde an, und man erhaschte noch einen silbernen Glanz vom Backenbart des Kaisers.

Fort war der Wagen. Das gleichmäßige Getrappel der Pferde ging unter im Geschrei der Menge.

Joseph Roth: Ich zeichne das Gesicht der Zeit Diogenes 2010: „Seine K. und K. Apostolische Majestät“ – Für Stefan Zweig (Gekürzt und adaptiert für diesen Beitrag).
Schwarz-weiß-Fotos aus Georg Johannes Kugler: „Die Wagenburg in Schönbrunn“ Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1977.

Postkarte – Privatbesitz Dr. Kaun

 

Einstellbetrieb: Trau – schau – wem??

Gutachtensauftrag:
– Welche Leistungen sind für die durch die klagende Partei als Vorleistung erlegten € 5.000.00 zu erwarten, wenn eine fiktive Vertragserfüllung ohne Leistungsstörung möglich wäre?
– Wie hoch sind die Kosten für die Einstellleistungen für den tatsächlich konsumierten Zeitraum?
– Wie hoch ist der Umfang einer allfälligen Bereicherung? 

Der Kläger und der Beklagte hatten sich durch eine dritte Person kennengelernt, bei dieser Gelegenheit erzählte der Beklagte von seinem neuen Einstellhof und drängte den (nunmehrigen) Kläger, doch zwei seiner Pferde hier einzustellen. Diesem Drängen gab der Kläger nach und überstellte zwei Junghengste auf den Betrieb des Beklagten. Bei Übergabe dieser beiden Pferde forderte der Beklagte vom Kläger einen „Vorschuss“ über € 5.000.00, um den er vorher gebeten hatte und nun erhielt.

Dem Kläger fiel auf, dass der Beklagte im Umgang mit den Pferden unsicher wirkte und eher auf Distanz blieb – nachdem ihm noch einige Ungereimtheiten aufgefallen waren und er – zusätzlich – vom Beklagten neuerlich um Kredit angesprochen wurde, holte der Kläger nach etwa vier Wochen die beiden Pferde wieder ab, zumal er von der versprochenen Infrastruktur (Reithalle, Weiden) auf diesem Hof nicht vorgefunden hatte – obendrein waren ihm unlautere Machenschaften des Beklagten zu Ohren gekommen.

Für die, ihm unerwartet bisher entstandenen Kosten (Transport, neuer Einstellplatz) forderte der Kläger vom Beklagten als Abgeltung den Betrag € 1500.00, die ihm – ebenso wie die Rückgabe des  „Vorschusses“ – verweigert wurden, mit der Begründung, der Kläger habe den Neubau eines „Laufstalles für seine Pferde“ in Auftrag gegeben.

Anlässlich einer (versuchten) Befundaufnahme durch den Sachverständigen am Hof des Beklagten wurde ein hermetisch verschlossenes Haus vorgefunden, ein Betreten war nicht möglich – beide Streitparteien waren zum Termin ohne Angabe von Gründen nicht erschienen. Eine Bautätigkeit war nicht zu erkennen – ein Bauansuchen lag am zuständigen Gemeindeamt nicht auf.

Die Infrastruktur einer Reitanlage (Reitplatz, Reithalle, Koppeln) war nicht feststellbar – sehr wohl aber bezeichnete der Beklagte auf seinem Briefpapier den Hof als „Reitstall – Betrieb“.

Der Wohnort des Klägers liegt 350 km von diesem Betrieb entfernt.

Der Beklagte brachte in der Tagsatzung vor:
– Auf Wunsch des Klägers wurden für seine Pferde eigene Laufställe angefertigt. Die Kosten hierfür waren vereinbarungsgemäß vom Kläger zu tragen.
– Das Vertragsverhältnis wurde befristet beschlossen und vom Kläger hierfür die vereinbarte Vorauszahlung von € 5000.00 bezahlt.
– Der Kläger hat in der Folge grundlos seine Pferde vom Reitstall wieder abgeholt.
– Auf Grund der vom Kläger in Auftrag gegebenen Leistungen wurden eigens für seine Zwecke Adaptierungsarbeiten durchgeführt, die sich auf € 9210.00 belaufen.
– Die Pferde wurden vom Beklagten aus Wien abgeholt und in die eigens errichtete Anlage vereinbarungsgemäß eingestellt.

Der Kläger brachte vor:
– Er hat den Beklagten über eine Dritte Person kennengelernt.
– Der Beklagte hat sich dabei als erfahrener Pferdemann dargestellt, mit viel Erfahrung in Aufzucht und Ausbildung von Jungpferden – er gab an über eine „extraordinäre“ Infrastruktur zu verfügen.
– Da der Kläger nicht über die nötige Führerscheinklasse für einen Doppelanhänger verfügte, bot der Beklagte an, die beiden Oldenburger Junghengste in Wien abzuholen, bei dieser Gelegenheit kam hervor, dass dies für den Beklagten der erste Pferdetransport überhaupt war.
– Da die beiden Junghengste, gut dreijährig, bereits angeritten waren, mussten sie, um artgerecht gehalten zu werden, ein tägliches Maß an Bewegung haben, das ihnen am Betrieb des Beklagten ohne Reitplatz, Halle und Weiden nicht geboten werden konnte – deshalb wurden sie wieder abgeholt und in einem Behelfsquartier mit Infrastruktur untergebracht.

Gutachten
– Die vom Beklagten vorgelegten Rechnungen sind in der Höhe nicht schlüssig und auch dem Grunde nach nicht nachvollziehbar.
– Für den bevorschussten Betrag von € 5000.00 hätte der Kläger vom Beklagten erwarten können, dass seine beiden dreijährigen Hengste für etwas mehr als elf Monate einen Einstellplatz, Fütterung, Weidegang und Zugang zu Sportstätten gehabt hätten. Nicht erwartet werden konnte: Beritt, Ausbildung, spezielle Pflege, Übernahme von Hufschmied – und Tierarztkosten.
– Unter der Zugrundelegung der monatlichen Einstellgebühr von € 220.00 pro Pferd stand dem Beklagten am Tag der Abholung der Pferde durch den Kläger lediglich der Betrag für 7 Tage, also € 100.00 zu.
– Dem Kläger ist zumindest eine „Leerfahrt“ von 350 km am Tag der Abholung sowie ein Arbeitstag gutzuschreiben.
– Bei modellhafter Berechnung beträgt der Betrag der allfälligen Bereicherung € 4525,00.

Zu beachten ist bei der Höhe der Geldbeträge, dass die Erstattung des Gutachtens fast 30 Jahre zurückliegt. Ferner ist anzufügen, dass über den, in diesem Verfahren Beklagten bereits in einem früheren Gerichtsfall im Zusammenhang mit einem Polo-Pony berichtet worden ist, in dem er ebenfalls als Beklagter geführt wurde.

Adjutanten und Generalstab „Das k. u. k. Heer 1985“ Brüch/Dirrheimer , Heeresgeschichtliches Museum Wien 1983, Band 10

 

Ausbruch aus einer Weide – „……haben kurze Beine!“

Im August des Jahres 199X sind aus der Weide des Einstellbetriebes A.  acht Pferde ausgebrochen und liefen auf die, infolge einer Umleitungsregelung stark befahrene Straße, die zwischen dem Anwesen und den Weiden verläuft. Das Pferd, der nun als Klägerin auftretenden XY. wies nach diesem Zwischenfall eine Verletzung auf, die von der Klägerin dem beklagten Einstellbetrieb zur Last gelegt wird, mit der Begründung, dass die Pferde nicht ordnungsgemäß verwahrt waren, deshalb ausbrechen konnten und – zumindest ihre Stute – dergestalt (vermutlich) mit einem PKW kollidierte und sich dabei diese schwere und langwierige Verletzung zuziehen konnte. Der Betreiber des in Anspruch genommenen Betriebes sah sich mit einer Ablehnung seitens seiner Versicherung konfrontiert, weil die Prämienfälligkeit um Einiges überzogen war – er glaubte, das „Problem“ mit einem „kleinen Kunstgriff“ lösen zu können und behauptete eben, dass die Stute der Klägerin XY. beim Ausbruch auf der Straße von einem PKW angefahren worden wäre, der jedoch nicht angehalten hat, weshalb Type, Kennzeichen und Lenker unbekannt sind.

Der erkennende Richter „roch den Braten“ und trug dem bestellten Sachverständigen auf, abzuklären, ob die Verletzung durch die behauptete Kollision mit einem PKW entstanden sein könnte, also durch direkte Gewalteinwirkung – oder auch (wie später eine Augenzeugin vorbrachte) durch Ausrutschen und Abschürfung.

Im Zuge der Befundaufnahme durch den bestellten Sachverständigen wurde die verfahrensgegenständliche Stute untersucht, das Umfeld der Vorfallortes in Augenschein genommen und eine Vermessung der Höhe der vorderen Stoßstangen an 30 Mittelklassewägen (gemäß der Angabe des Beklagten) vorgenommen.

Die Verletzung des Pferdes konnte als Abschürfung in 15 cm Höhe (vom Boden aus) präzisiert werden, die nachfolgende Erkrankung bestand in einer Phlegmone. 

Nach einem Zufall-Verfahren (öffentlicher Parkplatz) wurde bei dreißig Mittelklasse-PKW (unterschiedlicher Baujahre und Typen) der Marken Opel Corsa, VW Golf, VW Polo, Toyota, Nissan, Mitsubishi, Audi und Mercedes der untere Abstand der vorderen Stoßstange zum Boden vermessen – es konnte eine Bandbreite von 27.5 bis 46 cm eruiert werden.

Gutachten:
– Ein Zusammenhang zwischen den beschriebenen Verletzungen an der verfahrensgegenständlichen Stute und einer Kollision mit einem Mittelklasse-PKW ist nicht nachvollziehbar und kann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
– Die in den Verhandlungsprotokollen beschriebenen Verletzungsmöglichkeiten wie Ausrutschen oder direkte Gewalteinwirkung lassen sich nicht nachvollziehen und sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
– Eine Überdeckung der vorderen Stoß-Stange bei einer Kollision mit einem Mittelklasse – PKW und den Pferdebeinen war nicht nachvollziehbar.


Pferd gegen Anhänger – die Frage: Wer war verantwortlich für die Annäherung, die zur Verletzung führte: Der Reiter oder der Fahrer des Traktors?

 

Foto I

 

Fotos II u. III


Genaue Messungen und Feststellung von Überdeckungen sind nur im Rahmen von sachverständigen Befundaufnahmen und Beweissicherungen unter möglicher Rekonstruktion des Realfalles möglich, sinnvoll und aussagekräftig.

Der Reiter ging am rechten Fahrbahnrand und wurde von dem, von hinten kommenden und seitlich vorbeifahrenden Traktor-Anhängergespann überholt, wobei das Pferd eine tiefe Verletzung neben der Afterrosette erlitt.

Der Verriegelungsgriff der Bordwand (Foto III und linkes Bild) konnte zweifelsfrei als „Verursacher“ der Verletzung am Pferd angenommen werden, die seitliche Begrenzung des Aufstiegs (rechtes Bild) wurde ausgeschlossen. Um eine Überdeckung nachzuvollziehen, ist anzunehmen, dass sich das Pferd mit dem Hinterteil gegen den (angeblich sehr schnell) vorbeifahrenden Traktor gedreht hat, während es von diesem überholt wurde und eine kritische Annäherung sowohl durch das Fahrzeug als auch durch das Pferd erfolgt ist.

 

„Die Moral, die gut genug war für unsere Väter, ist nicht gut genug für unsere Kinder!“
Marie von Ebner – Eschenbach, Aphorismen    
Generalität „Das k. u. k. Heer 1985“ Brüch/Dirrheimer , Heeresgeschichtliches Museum Wien 1983, Band 10

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