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Die Fälle des Dr. K.: Beurteilung der Berufsunfähigkeit einer Bereiterin
17.12.2021 / News

Eine professionelle Bereiterin und Pferdewirtschaftsmeisterin war nach drei schweren Reitunfällen so stark beeinträchtigt, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte – das Gutachten der Versicherung stellte jedoch nur einen mittleren Grad der Einschränkung fest. Aber war dies haltbar? Dr. K. ging der Sache auf den Grund.


Die verfahrensgegenständliche Person AB machte in ihrem Heimatland die üblichen Schulausbildungen durch und absolvierte bereits dort die Ausbildung zur Reitinstruktorin. Dann ging sie nach D., begann als Pferdepflegerin, absolvierte eine Bereiter-Lehre, die sie mit der Abschlussprüfung zum „Pferdewirtschaftsmeister Reiten“ abgeschlossen hat.

Ihre erste Anstellung als Bereiterin nach Abschluss der Meisterprüfung erhielt sie im Stalle S. R. in Bad Homburg, einer ersten Adresse im weltweiten Reitsport.

Zu den wichtigsten Aufgabengebieten einer professionellen Bereiterin gehört unter anderem das sogenannte „Einreiten“ junger Pferde, das ist die Ausbildung von Remonten zum Dienst unter dem Sattel. Diese Aufgabe ist ebenso körperlich anstrengend wie risikobehaftet. Im August XX hatte sie zu diesem Zweck eine schwierige Stute unter dem Sattel, die sie abwarf. Sie  erlitt einen Oberschenkelhalsbruch am rechten OS, der operativ versorgt wurde und einen langwierigen Rehabilitationsaufenthalt nach sich zog.

Nach ihrem Wechsel in den Stall einer österreichischen Familie war sie dort wieder als Bereiterin tätig. Da zu den wichtigen Tätigkeiten einer Bereiterin zur Aufrechterhaltung des eigenen professionellen Rufes auch die Teilnahme an Turnieren gehört, ritt sie im November des Jahres XX bei einem Hallenturnier ihren eigenen Wallach sehr erfolgreich. Am Abschlusstag des Turniers rutschte - infolge eines Organisationsfehlers des Veranstalters – ihr Pferd am Weg zur Prüfung auf dem glattem Stallboden aus, AB zog sich in der Folge eine Schrägfraktur des zweiten Lendenwirbels zu, die sie hart an die Grenze einer Querschnittslähmung brachte.

Nach ihrer Rückkehr aus einem langwierigen Rehabilitationsprozess begann sie im Mai des Jahres XX vorsichtig wieder mit der Aufnahme der reiterlichen Tätigkeit.  Infolge der Disziplinlosigkeit eines anderen Reiters, der die Reithalle, in welcher AB ritt, mit einem Pferd ohne den üblichen warnenden Zuruf betreten hat, erschrak das von ihr gerittene Pferd so heftig, dass sie abgeworfen wurde.  Eine Fraktur des linken Oberschenkels war die Folge.

Nach diesen drei schweren Sportunfällen sieht AB trotz wiederholter Versuche keine Möglichkeit mehr, ihren Beruf ordnungsgemäß auszuüben, weil das „Vorzeigen am Rücken eines Pferdes“ auch für einen unterrichtenden Bereiter die Quintessenz seiner Tätigkeit ist. Aber genau dazu sieht sie sich sowohl körperlich wie psychisch nicht mehr in der Lage, zu tief haben sich die Verletzungsfolgen ihrer Mitteilung zufolge in Körper und Psyche festgesetzt.

Befunde

Verletzungsmuster des ersten Unfalles:
– Intrakapsuläre, gering dislozierte Schenkelhalsfraktur rechts
– Schädel-Hirntrauma ersten Grades
– Distorsion der HWS
– Rechts partielle Hüftkopfnekrose als Traumafolge

Die Patientin wurde mit Notarzt eingeliefert, war bei Bewusstsein, aber nicht vollständig orientiert.  In der Folge verbrachte sie 10 Tage stationär.
– Am XX klagte die Patientin über belastungsabhängige Schmerzen in der rechten Hüfte.
– Am 2.2.XX wurde die Diagnose „partielle Hüftkopfnekrose“ gestellt.
– 10.5.XX: unauffälliger Röntgenbefund
– 19.5.XX: Wiedereintritt ins Arbeitsleben

In einem Gutachten wird eine bleibende Invalidität über den Zeitraum von 3 Jahren hinaus mit 10 % beziffert, wobei festgehalten wird, dass die Schmerzgrenze bei Ausübung der Tätigkeit als Bereiterin nicht überschritten werden sollte.  Hilfreiche, die Rehabilitation verbessernde Maßnahmen werden verneint.

Verletzungsmuster des zweiten Unfalles
Es wird bestätigt, dass die Patientin nach einer Fraktur des linken Schenkelhalses arbeitsunfähig ist. Bis zur Entfernung des Osteosynthesematerials in 3 Monaten ist die Patientin zu 100 % arbeitsunfähig.

Befundbericht des human-orthopädischen Sachverständigen Facharzt Dr. F.
– Frau AB stürzte 2004 von einem Pferd. Sie zog sich dabei eine Fraktur des Oberschenkelhalses rechts zu. Dauer des unfallkausalen Krankenstandes 10 Monate.
– Im Jahre 2008 erlitt die Patientin bei einem Reitunfall einen Berstungsbruch des 2. LW. Sie musste mehrere Monate Mieder tragen. Entfernung der Implantate im Jahre 2010.
– Infolge eines Sturzes vom Pferd im Jahre 2010 zog sich die Patientin eine Fraktur des linken Oberschenkelhalses zu. Sie war für 3 Monate auf Gehhilfen angewiesen.

Relevante Befunde zur Zeit der Begutachtung
– Unmöglichkeit der Tätigkeit einer professionellen Bereiterin seit 2008;
– Starke Schmerzen in der linken Hüfte machen das Reiten unmöglich;
– Bei geringer Belastung Schmerzen in der Wirbelsäule;
– Zunehmende Schmerzbehaftung in der rechten Hüfte;
– Unsicherer Fersengang mit linksseitiger Betonung;
– Tiefe Hocke nur mit Hilfestellung möglich;
– Autochtone Rückenmuskulatur im LWS – Bereich verhärtet und dystroph;
– Höhergradig herabgesetzte Beweglichkeit der gesamten LWS;
– Trendelenburgzeichen links deutlich positiv, rechts geringgradig positiv;
– Schmerzband links und rechts – L4 entsprechend.

– Röntgen:
o    Deformierte Fraktur des 2. LW;
o    Destruierter Bandscheibenraum L1/L2;
o    Osteochondrose L4/L5;
o    Fortgeschrittene Osteochondrose L5/S1;
o    Facettengelenksarthosen L4 bis S1;
o    Deutliche Verkürzung des rechten Schenkelhalses;
o    Straffe Pseudarthrose in der linken Hüfte.

In der zusammenfassenden fachärztlichen Beurteilung wird festgehalten:
– Behinderung des Gangbildes;
– Keine signifikante Besserung des Zustandes selbst bei optimalen therapeutischen Konditionen;
– Prognostische Verschlechterung des Wirbelsäulenbefundes in den nächsten Jahren;
– Prognostisch hohe Wahrscheinlichkeit beidseitiger Implantation einer Hüft-Endoprothese.

Orthopädisches Gutachten der Versichung XY

Einschränkung für die, die Berufsausübung relevanten Tätigkeiten:

Tätigkeit Grad der Einschränkung
– Heben und Tragen mittel
– Stehen mittel
– Gehen mittel
– Arbeit in Zwangshaltung mittel
– Arbeiten mit erheblichem Kraftaufwand mittel
– Gehen, Stehen und Sitzen im Wechsel leicht
– Arbeiten im Freien, Nässe, Kälte leicht
– Auto fahren leicht

       
In Punkt 5 der Beantwortung der Beweisfragen werden die Einschränkungen im Tagesablauf als Bereiterin prozentuell beziffert:

– Reiten und Versorgen der Pferde (vormittags) 30 %
– Erteilen von Unterricht  30 %
– 1 Pferd reiten (nachmittags) 30 %
– Autofahren 20 %
– Organisatorische Tätigkeiten 10 %

 

Unter möglichen Hilfsmitteln zur weiteren Rehabilitation wird das Tragen von Pufferabsätzen angeführt. Eine endoprothetische Versorgung des linken Hüftgelenks wird nicht ausgeschlossen.


Befundaufnahme durch den ersuchten hippologischen Sachverständigen

Die Fotos dokumentieren typische Abläufe im Arbeitstag einer Berufsreiterin

Anziehen des rechten Reitstiefels, das linke Bein muss dabei Standbein sein.

Anziehen des linken Reitstiefels; der Gesichtsausdruck von Fr. AB zeigte dabei durchgehend ein Schmerzgesicht, hier aufgrund der Anonymisierung naturgemäß nicht zu erkennen.

 

Anlegen der Sporen auf der rechten Seite

Anlegen der Sporen auf der linken Seite; der Winkel zwischen Oberkörper und linkem Oberschenkel ist kleiner als 35 Grad.

Anlegen der Bandagen an 4 Beinen

Reinigen der Hufe an 4 Beinen; speziell an der Hinterextremität verlagern die Pferde häufig sehr viel Gewicht auf den unterstützenden Oberschenkel des Menschen.  Pferde wiegen zwischen 550 und 700 kg.

Das Aufzäumen des Pferdes ist mit einem Durchstrecken der LWS verknüpft; das hier abgebildete Pferd ist mittelgroß.

 

Der Sattel samt Unterlagen, Steigbügel und Gurt wiegt etwa 15 kg.

Der Sattel wird  aufgelegt  und der Gurt angezogen

Die Einstellung der Höhe des Steigbügels ist von der Größe des Reiters abhängig bzw. von dessen Beinlänge; je kleiner der Reiter umso höher hängen die Bügel.

Das bei der Demonstration verwendete Pferd hat ein Stockmaß von etwa 168 bis 170 cm. Die Sitzhöhe im Sattel beträgt ca. 165 cm.

AB (links im Bild Gewicht 67 kg, 170 cm Körpergröße) sah sich nach einigen vergeblichen Versuchen, das Pferd zu besteigen, nicht in der Lage, die weitere Demonstration selbst durchzuführen; dies übernahm dann die Hilfsperson, eine Schülerin (rechts im Bild, 162 cm Körpergröße).
Auf eine Dokumentation der Aufsitzversuche von AB  wurde bewusst verzichtet, um einen Angriff auf die persönliche Würde zu unterlassen und um eine psychische Retraumatisierung zu vermeiden: Nichts ist für einen Pferdemenschen so schmerzlich, als nicht mehr aus eigener Kraft aufs Pferd zu kommen.

Das Aufsitzen: Die Reiterin muss zu dieser Prozedur ihr gesamtes Körpergewicht zunächst auf das rechte Bein verlagern, das linke Bein in einer abwinkelnden und abduzierenden Bewegung  mit dem Fußballen in den, in etwa 1 m Höhe befindlichen Steigbügel stellen; der Oberkörper bildet zum Oberschenkel hierbei einen Winkel von etwa 25 Grad.  Unter sanfter Zuhilfenahme ihrer Arme wird ihr Körpergewicht von 67 kg bei schwankendem Untergrund (Steigbügel, unruhiges Pferd) mit der Kraft der OS- Muskulatur in einer Drehbewegung von 180 Grad in den Sattel gehoben (geschraubt).

Das Absitzen: Der körperlich unversehrte Reiter springt vom Pferd; im vorliegenden Fall müsste aus Sicherheitsgründen zum Absitzen der reversible Vorgang des Aufsitzens vollzogen werden.

Dieser Vorgang, das Auf- und Absitzens findet beim Beritt von 5 Pferden also zumindest zehn Mal, in der Realität bis zu 20 Mal statt.

Der symmetrische und losgelassene Sitz im Sattel: Die Oberschenkel beschreiben im Hüftgelenk einen Winkel von 130 bis 135 Grad zum Oberkörper bei gleichzeitiger Abduktion von etwa 55 Grad.

Das Umsitzen: Um ein Pferd korrekt Anzugaloppieren bzw. um sog. Galoppwechsel reiten zu können, muss mit großer Geschmeidigkeit die Gewichtshilfe des Umsitzens erfolgen; dieses Manöver erfordert eine große Beweglichkeit der Hüftgelenke und der Lendenwirbelsäule.

Der verwahrende Schenkel ist dabei eine wesentliche, weil begrenzende „Hilfe“ für das Pferd, der Druck entsteht in der Hüfte, im Knie und am Unterschenkel und ist sehr belastend für das Hüftgelenk

Ergänzende informative Befragung
AB wurde von SV Dr. K. befragt, welche berufsspezifischen Bewegungsabläufe sie bei der Untersuchung durch beauftragte Ärzte des Versicherungsträgers demonstrieren musste:
–  Anziehen der Reithose: nein
– Anziehen der Reitstiefel: nein
– Ausziehen der Reitstiefel: nein
– Hochheben der VE und HE zu Hufereinigen: nein
– Bücken oder Hinknienen zum Bandagieren von 4 Beinen: nein
– Tragen eines Sattels von der Sattelkammer zum Pferd: nein
– Aufsatteln: nein
– Aufzäumen: nein
– Aufsitzen ohne Aufsteighilfe: nein
– Aufsitzen mit Aufsteighilfe: nein
– Sitzen im Sattel in Reitposition: nein
– Nachziehen des Sattelgurtes: nein
– Symmetrische Einwirkung auf das Pferd: nein
– Einseitige Korrektur einer natürlichen Schiefe beim Pferd: nein
– Galopphilfe rechts: nein
– Galopphilfe links: nein
– Fliegender Wechsel > Umsitzen: nein
– Aussitzen im starken Schritt, Trab und Galopp: nein
– Rückwärtsrichten: nein
– Plötzliche Ausweichbewegungen des Pferdes: nein
– Langes Sitzen im Sattel mit „tiefer“ Ferse: nein
– Absitzen: nein
– Arbeit an der Longe: nein
– Arbeit an der Doppellonge: nein
– Arbeit am langen Zügel: nein

– Vor Antritt der (ca. 300 km Autobahn) Reise (sie fuhr selber und war alleine unterwegs) 2 Voltaren 50 mg und bei der Ankunft am Untersuchungsort 1 Voltaren 50 mg;
– Wurden Sie vor der Untersuchung gefragt, ob Sie am Untersuchungstag Medikamente eingenommen haben? Nein

Sind Sie seit dem Unfall im Jahre 2008 noch Turniere geritten? Nein

Welchen Ausbildungsstand hatten die von Ihnen zu bereitenden Pferde während Ihrer beruflich aktiven Zeit?
– 30 % Remonten
– 40 % Klasse A bis M
– 30 % Klasse S

Welche Schülerstruktur haben Sie für freiberufliche Tätigkeit erwarten können?
– 30 % Turniersporteinsteiger
– 50 % Fortgeschrittene Turnierreiter
– 20 % Spitzenklasse

Arbeitsplatzbeschreibung für eine professionelle Bereiterin:


Zusammenfassung einer psychotherapeutischen Evaluierung

Die berufliche Laufbahn von Frau AB war ganz auf den Reitsport zugeschnitten. Ihre persönliche Präferenz – aufgrund ihrer Talente und Fähigkeiten – lag immer auf dem Berufsbild des Bereiters. Dafür sind neben fachlichen Kenntnissen, eine geeignete körperliche wie auch psychische Eignung und Belastbarkeit Voraussetzung. Aufgrund der seriellen traumatischen Unfälle und der sich daraus ableitenden psychischen Beeinträchtigung, ist die berufliche Belastbarkeit von Frau AB aus derzeitiger Sicht nicht gegeben.

 

Sachverständige Fallanalyse

Untersuchung unter Einfluss von schmerzhemmenden Medikamenten
Anlässlich der Untersuchung durch die beiden Ärzte in M. am  XX, also nur acht Tage nach der Untersuchung durch den Facharzt Dr. F., präsentierte sich eine Reihe von Befunden in einer ziemlich veränderten, abgeschwächten Form. Den beiden Ärzten hätte z.B. bei kritischer Betrachtung auffallen müssen, dass das angeführte 40 minütige Sitzen im Rahmen der Anamneseerhebung „ohne jede Schmerzäußerung oder Ausweichbewegung“ von statten ging, obwohl die Patientin zu diesem Zeitpunkt bereits eine mehrstündige Autofahrt hinter sich hatte, die sie alleine und selber chauffierend absolviert hatte.

Als aber dann auch beim „Aus- und Ankleiden“ ein flüssiges Bewegungsmuster zu beobachten war und im weiteren Untersuchungsgang zu erwartende typische Schmerzzeichen ausblieben, hätte spätestens zwingend und folgerichtig die Frage nach einer eventuellen Schmerzmedikation an diesem Tag gestellt werden müssen. Dies ist jedoch unterblieben.

Eine derartige Veränderung klinischer Befunde innerhalb von nur acht Tagen ist als ungewöhnlich anzusehen.

Vielmehr wurde die Untersuchung der unter starkem Schmerzmitteleinfluss stehenden Patientin (3 Tabletten Voltaren 50 mg innerhalb von 4 Stunden, also die Dosis von 150 mg Diclofenac) unkritisch fortgesetzt.

Dieser Umstand macht den gesamten Untersuchungsbefund und die daraus gezogenen Schlussfolgerung als Basis der Beurteilung einer Berufsfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit als Bereiterin unbrauchbar. Wäre die zu untersuchende AB an diesem Tage nicht als Patientin, sondern als Reiterin bzw. Leistungssportlerin aufgetreten, wäre sie schwer gedopt gewesen.

Nun ist es aus fachlicher Sicht keineswegs so, dass AB dies verschwiegen hätte, sie wurde vielmehr im ärztlichen Anamnesegespräch zum Arzneimittelgebrauch nur allgemein befragt, nicht aber zu konkreten Situation an diesem Tag. Die Frage nach einer Arzneimitteleinnahme hätte spätestens dann kommen müssen, als deutliche Zeichen von Reduktion der Schmerzen, die wenige Tage vorher anlässlich der Untersuchung durch Dr. F. deutlich positiv und evident waren, plötzlich wie „weggeweht“ erschienen.

Keine Beurteilung reitspezifischer Bewegungsmuster
Der zweite Umstand, der das vorliegende orthopädische Gutachten für eine berufskundliche Einschätzung eingeschränkt brauchbar macht, besteht darin, dass lediglich eine Reihe von Einzeltätigkeiten, wie Heben und  Tragen, Stehen, Gehen usw. additiv untersucht wurden, nicht jedoch die kumulative und simultane Abfolge dieser Tätigkeiten. Kein Mensch verbringt sein Leben nur mit Stehen oder Gehen oder Heben und Tragen, sondern vielmehr mit einer Summe ständig wechselnder, paralleler Bewegungsabläufe, deren „Übergänge“ meist das wirkliche Problem darstellen.

In keiner Weise wurden jedoch, wie behauptet, die „ im Rahmen des Berufsbildes einer selbstständigen Pferdeausbildnerin angegebenen Teiltätigkeiten gewürdigt“, vielmehr wurden nur Standardbewegungsabläufe aus dem täglich Leben untersucht, ohne auf die Berufsspezifizität einzugehen!

Berufsanforderung eines Bereiters (Berufsprofil)
Bereiter sind Berufsreiter, die die Unterweisung von Pferden und den Pferdesport ausübenden Menschen zum Zwecke der Erreichung sportlicher Erfolge Dritter professionell betreiben. Ähnlich wie Angehörige anderer freier Berufe können sie sich ihre Klientel nicht beliebig und frei aussuchen, sondern sind an die Gesetze der freien Marktwirtschaft gebunden.  Um am harten Markt des Reitsports als freier Bereiter bestehen zu können, ist es unabdingbar, mit eigenen oder selbst ausgebildeten fremden Pferden im Turniersport der höheren Klassen präsent zu sein. Ein Bereiter mit Schwerpunkt z.B. im Dressursport ist von talentierten und förderungswürdigen, meist sehr teuren Pferden  abhängig.

Ein Bereiter erbringt am Pferd folgende Leistungen:
– Einreiten der jungen Remonte;
– Zureiten der alten Remonte;
– Ausbildung und Förderung in Abhängigkeit von der geplanten Lebenskarriere eines Pferdes;
– Korrektur verrittener oder widersetzlicher Pferde.
– Vorstellung von ausgebildeten und geförderten Pferden auf Auktionen und pferdesportlichen Veranstaltungen.

Sämtliche oben angeführten Tätigkeiten beinhalten:
– Pflege und Wartung des Pferdes;
– Arbeit des Pferdes an der Longe und Doppellonge;
– Arbeit des Pferdes an der Hand;
– Beritt des Pferdes;
– Transport von Pferden zu geeigneten Ausbildungsplätzen.

Festzuhalten ist, dass die Rittigkeit der Pferde sowie  Talent und Kooperation sehr individuell einzuordnen sind; manche Pferde haben unangenehme, harte, stoßende Bewegungen, andere ein widersetzliches Wesen oder nur begrenztes Lernvermögen.

Der Pferdebesitzer möchte oder kann sich nun nicht mit den Eigenheiten seines Pferdes und dessen Tagesverfassung auseinandersetzen und vergibt deshalb sein Pferd zum professionellen Beritt, wobei – fast – regelmäßig hoher Leistungs- und Erwartungsdruck vorhanden ist.

Die Tätigkeit des professionellen Bereiters setzt die körperliche und psychische Möglichkeit einer simultanen Gesamteinwirkung auf das Pferd voraus: jeden Fehler, den der Bereiter mit seinen Sinnen aus der Verbindung mit dem Pferdemaul, der Einwirkung des Sitzes und der Hilfengebung mit den Schenkeln in der Reaktion des Pferdes erkennt, muss er augenblicklich geistig umsetzen und durch blitzschnelles körperliches Reagieren der Korrektur zuführen (Simultanübersetzung). Jede kleinste körperliche und psychische Indisposition wird dabei von den sehr sensiblen  Pferden registriert und  mündet in eine Umsetzung, die für die reiterliche Förderung kontraproduktiv ist.

Dem nicht mit Pferden verbundenen Menschen sei hier zu bedenken gegeben: Das riesige Tier „Pferd“ spürt auf seiner Haut das nahezu unwägbare Gewicht einer „Fliege“ und reagiert mit Muskelzuckungen, Abwehr und  – manchmal – Panik.

So betrachtet ist die Arbeit bzw. der Sport mit Pferden einzigartig und unvergleichbar:  die Arbeit mit Pferden ist nämlich die Einzige, die als „Arbeitsgerät“ bzw. „Sportpartner“ ein unberechenbares, von seinen Trieben und Instinkten geleitetes und von seiner Kraft geprägtes Lebewesen zu „beherrschen“ hat.

Zwei Lebewesen mit psychischem und physischem Eigenleben treffen aufeinander, das Pferd - von enormer Körperkraft, Schnelligkeit und dem psychischem Urtrieb des Flucht – und Beutetieres, der Angst, geprägt - dem gegenüber der Mensch, schwach, aber (theoretisch) vernunftbegabt, dem es nur  möglich ist, durch genaue Kenntnisse der Reitkunst und  trotz seiner körperlichen Schwäche das Pferd durch „feines Reiten“ zu beherrschen, auszubilden und zu fördern.

Diese Grundvoraussetzungen, um Pferde dem Menschen überhaupt „untertan“ machen zu können, werden am empfindlichsten durch zwei unerwünschte, dem traumatisierten Reiter innewohnende Eigenschaften gestört:
1.    Angst
2.    Schmerzbehaftung.

Angst
Im psychotherapeutischen Ergänzungsgutachten von Mag. Dr. F., das  zum Bestandteil  dieses Gutachtens erhoben wurde, wird eindrucksvoll und nachvollziehbar dargestellt, dass Angst auf Grund der erlittenen traumatischen Insulte ein ständiger Begleiter der beruflichen Tätigkeit von AB geworden ist. Angst ist jedoch der ungeeignetste Begleiter bei einer an und für sich schon eo ipso gefährlichen Berufsausübung.  Die erlittenen Unfälle sind auf Grund ihres Ablaufes – schnell, nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar, aber von hoher kinetischer Energie geprägt,  als Hochrasanztraumata -  mit untypischer Verwirklichung der typischen Tiergefahr - anzusprechen und bekanntermaßen geeignet, psychische Folgeschäden  zu hinterlassen, die  die für den Beritt von Pferden notwendige physische und psychische Losgelassenheit in eine Verspannung führen , die eine simultane Gesamteinwirkung – physisch und psychisch und geistig – unmöglich macht.  Ausbildner und Bereiter eines Pferdes müssen gedanklich immer Sekundenbruchteile vor den psychischen und physischen Wahrnehmungen des Pferdes agieren, um korrekt reagieren zu können.

 Im Lehrbuch „Sportlehre – Lehren, Lernen und Trainieren im Pferdesport“ (FN Verlag, Deutsche Reiterliche Vereinigung 1998) werden drei psychische Faktoren, die die Leistung von Menschen im Pferdesport – negativ -   beeinflussen, herausgestellt:

1. Anspannung/Nervosität
2. Aggression/ Ärger
3. Verlust der Selbstsicherheit

Bei den benötigten, eher feinmotorischen Bewegungen beim Dressurreiten kommen feinsten inneren und körperlichen Schwankungen von Reitern  große Bedeutung zu, weil Pferd und Ausbildner – bildlich gesprochen – gleichzeitig auf „Empfang und Sendung“ geschaltet sind.
Anspannung und Nervosität sind Geschwister der Angst; Aggression und Ärger enge Verwandte von Schmerz;  der Verlust der Selbstsicherheit ist eine logische Folge von psychischen und körperlichen Versagensängsten und Behinderungen, eng gepaart mit der jederzeitigen, unvorhersehbaren und unvermeidbaren Möglichkeit eines neuerlichen Hochrasanztraumas – einem Sturz vom Pferde.

Schmerz
Die Untersucher der Versicherung führten vorliegend mit großer Gründlichkeit Untersuchungen und Messungen durch, die für den „Normalmenschen“ mit vorhersehbaren und steuerbaren Bewegungsabläufen große Bedeutung haben mögen, ebenso wie die daraus abgeleiteten prozentuellen Einschränkungen.

Keine Untersuchungen wurden jedoch reit- und berufsspezifisch angestellt, was naturgemäß eine nicht nachvollziehbare Aussage zur Folge hat.

Im Folgenden soll darauf eingegangen werden.

(Die Abbildungen, die zur Veranschaulichung der Thematik verwendet wurden, entstammen folgenden Büchern:
Sally Swift: Reiten aus der Körpermitte, Band I und II, Verlag Müller-Rüschlikon
Ludwig Koch: Die Reitkunst im Bilde, Dokumenta Hippologica, Olms Presse
Marie – Luise von der Sode: Reiten nach Feldenkrais, Cadmos Verlag
Bürger/Zietschmann: Der Reiter formt das Pferd, M & H Schaper)


Idealerweise treffen die Kraftlinien des Pferdes und des Reiters im Schwerpunkt (weißer Punkt) aufeinander, ein guter Reiter sitzt „im“ Pferd und nicht „auf“ dem Pferde. Dies setzt vollkommende Symmetrie  und durchlässige Wirbelsäule beim Reiter voraus. Die Dynamik der Vorwärtsbewegung kommt aus der „freien“ Lendenwirbelsäule des Reiters.

Je nach Ausbildungsgrad und Gangart des Pferdes wird die Bewegung im Sattel „ausgesessen“ oder im „Leichtreiten“(Trab) oder „leichtem Sitz“ (Galopp) absolviert.  Beim sogenannten Leichtreiten (im Trabe) treten hierbei Krafteinwirkungen in Form von Stößen auf, die - beginnend von der Körpermitte über das Knie bis zum Sprunggelenk bodenwärts, sowie  über Leiste und Hüfte in die Wirbelsäule kopfwärts – wirken.

Die Hüfte mit ihren verschiedenen Anteilen ist hier der wesentliche „das Gewicht aufnehmende“ Körperteil.

Bei jeder dieser Bewegungen, ob ausgesessen oder im leichten Sitz, kommt es zu einer Rotation im Becken und einer starken Belastung der Femurhälse. Bei einseitigem Schmerz führt dies zur Schonhaltung und zur Asymmetrie des Reiters, bei beidseitigen Schmerzen wird die Bewegung im Becken überhaupt blockiert, das Pferd somit in der Vorwärtsbewegung gehemmt. Förderung des Bewegungspotentials eines  Pferdes ist wesentlich vom freien Becken und den geschmeidigen Hüften des Reiters abhängig.

Das Sitzen zu Pferde ist einem üblichen Sitzen z.B. auf einem Stuhl, nicht vergleichbar; der Reiter muss in einem leichten, unabhängigen Sitz zu Pferde sitzen, er darf nicht mit den Schenkeln „klammern“. Dabei kommt es, abhängig von der Bauchkurvatur des gerittenen Pferdes, zu einer erheblichen Abduktion, die sich besonders in den Hüftgelenken, aber auch in den Folgegelenken des Beines auswirkt. Schmerzbehaftung in einem oder beiden Hüftgelenken macht diesen freien, unabhängigen und geschmeidigen Sitz unmöglich.

Der asymmetrische Sitz: die niedrige linke Schulter und die Falten der Kleidung lassen erkennen, dass der Reiter in der linken Hüfte einknickt. Dieser Effekt strahlt auf das Pferd durch, das in der Folge schief wird bzw. Galopphilfen des Reiters nicht mehr durchkommen.

Ist die Symmetrie im Becken und der Hüfte des Reiters gestört, kann sie auch in der korrekten Haltung der Arme nicht mehr aufrecht erhalten werden, wodurch die Zügelhilfen einseitig und für das Pferd verwirrend werden. Verstärkend wirkt, dass sowohl Angst wie auch Schmerz beim Reiter stets ein unbewusstes Hochziehen der Schultern zur Folge hat, der Reiter „macht sich fest“.

Verwirrte Pferde – wenn sich der Reiter, wie oben erwähnt - sich festmacht - reagieren häufig mit Durchgehen: Dies ist ein für Reiter plötzliches und meist unvorhersehbares Ereignis, das den Körper starken Kräften aussetzt. Die gesamte Wirbelsäule, speziell aber HWS und Schultergürtel, werden in Mitleidenschaft gezogen, Hüften und Knie kommen in eine „Sonderstellung“. Durch den Schmerz, den der Reiter als mechanische, ungewollte Folge der starken Vorwärtsbewegung, dem Pferde im Maul zufügt, schaukelt sich das Geschehen auf. Bei jungen Remonten oder Korrekturpferden sind solche „Attacken“ nicht ungewöhnlich und gehören zum – ungeliebten - Alltag des Berufsreiters.   

Manche reiterlichen Hilfen z.B. die Galopphilfe zum korrekten Angaloppieren, verlangen eine Verlagerung eines Beines - aus der Hüfte heraus - nach hinten. Weil dadurch sowohl Femurkopf wie auch Femurhals die Position zum Becken verändern muss, ist diese Bewegung bei Schmerzbehaftung eines  oder beider Hüftgelenke  korrekt nicht möglich. Da Pferde aber professionell in allen Gangarten korrekt geritten werden müssen und – außerdem – das korrekte Angaloppieren bei vielen Korrekturpferden der erklärte „Arbeitsauftrag“ ist, kann eine Einschränkung bei dieser Tätigkeit im Rahmen der Berufsausübung eines Bereiters nicht toleriert werden.

Frau AB hat die Unmöglichkeit des Angaloppierens auf einer Seite – Linksgalopp – bei allen Untersuchungen thematisiert!

Es wird in obiger Abbildung deutlich dargestellt, welche Kräfte auf die Oberschenkelhälse beim Verlagern des Beines zur Galopphilfe wirken. Wie bereits betont, ist das beidseitig korrekte Angaloppieren ein häufiges Thema bei zu korrigierenden Pferden. Festgehalten muss außerdem werden, dass die Leistungsklasse, in welcher AB reitet und ausbildet, also Klasse „schwer International“, den häufigen Galoppwechsel auf der Diagonale bis hin zum sog. „Einser – Changement“ als Grundaufgabe vorsieht: dies bedeutet, dass ein Reiter, um das Pferd zum „Umspringen“ zu bewegen, nach jedem Galoppsprung „umsitzen“ muss. Dass dies bei einem oder zwei schmerzenden Hüftgelenken und einer blockierten LWS zu einer tränentreibenden Unmöglichkeit wird, liegt nunmehr nachvollziehbar auf der Hand.

Diese Abbildung spiegelt wider, in welcher – dem normalen Sitzen nicht vergleichbaren – Position sich die Oberschenkelknochen beim Reiten befinden. Durch Fraktur vorgeschädigte Schenkelhälse sind besonders belastet.

Berufsreiter, die am Tag 4 bis 6 Pferde zu bearbeiten haben, sind – wollen sie diesen Beruf lange ausüben - darauf angewiesen, Kräfte zu schonen; dies bedeutet, dass mit einem Minimum an Muskelkraft den Verrichtungen nachgegangen wird.  Man wird versuchen, so locker wie nur möglich in idealer Position – wie oben gezeigt – zu Pferde zu sitzen – man reitet also „mit den Knochen“. Diese Möglichkeit wird aber genommen, wenn zwei Kardinalgelenke des „Reitens“ - nämlich  Hüften und   Lendenwirbelsäule -  Schmerzen bereiten. Als Folge davon ist die Belastbarkeit stark reduziert.

Zur optimalen Arbeit zu Pferde wird von den maßgeblichen Reitlehren das „Reiten aus der Körpermitte“ gefordert; diese Möglichkeit jedoch fällt weg, wenn mit zunehmender Belastung die Lendenwirbelsäule zu schmerzen beginnt. Zur Erinnerung: Es bestand vorliegend ein Berstungsbruch des 2. Lendenwirbelkörpers; in dessen Folge ist nun eine rechtskonvexe Skoliosierung der LWS im ehemaligen Frakturbereich vorhanden. Als Folge der Deckplattenimpression besteht eine Wirbelkörperhöhenminderung von etwa 20 %.

Die Drehbewegung in der Längsachse der Brust- und Lendenwirbelsäule, die speziell beim Reiten „Auf der Tour“, beim Tourenwechsel, bei Schlangenlinien und beim Umsitzen als freie Bewegung zur Verfügung stehen muss, ist bei oben angeführtem Befund mit Sicherheit nicht im erforderlichen Maße möglich.

Körperliche Probleme bestehen jedoch nicht nur beim Reiten, sondern bereits beim Aufsitzen und zwar unabhängig davon, ob dies mit Aufstieghilfe oder ohne eine solche versucht wird. Aufgesessen wird grundsätzlich auf des Pferdes linker Seite, indem der Reiter mit dem linken Bein in den Steigbügel steigt und dann sein gesamtes Körpergewicht aus einer starken Winkelung im Knie- und Hüftgelenk langsam und behutsam auf das Pferd hievt, ohne diesem in den Rücken zu fallen. Der Reiter „schraubt“ sich nach links um 180 Grad vom Boden in eine Höhe von etwa 170 (oder mehr) cm. Nicht alle Pferde stehen zum Aufsitzen ruhig und nicht immer hat der Bereiter eine Hilfskraft dabei, die das Pferd hält.

Der Akt des Aufsitzens ist – speziell beim jungen Pferd – auch für einen Reiter ohne jegliches körperliche Defizit immer ein kritischer Balanceakt, der auf Grund der mangelhaften Einwirkungsmöglichkeit mittels verwahrender Hilfen an und für sich schon mit Risiko behaftet ist.

Ist jemand mit der Materie des Bereitens nicht vertraut, könnte er annehmen, dass pro Pferd und Beritt einmal aufgesessen und einmal abgesessen wird – dies entspricht aber nicht der Realität; Korrekturen an Bezäumung und Besattelung oder andere reitdidaktische Gründe erfordern ein häufiges Auf- und Absitzen während nur einer Beritteinheit.

Es sei an dieser Stelle erinnert, dass für das linke Hüftgelenk von  AB schon bei freier Normalbewegung eine Bewegungseinschränkung mit Hüftschmerz attestiert wurde, woraus Einschränkungen für längeres Gehen und Stehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten (also schwankendem Untergrund, wie Steigbügel) und in Zwangshaltung (Hufpflege, Bandagieren) resultieren.  

Es wurde dabei aber – wie berufsspezifisch notwendig gewesen wäre – nicht beurteilt, wie sich diese Einschränkung auswirkt, wenn einseitig die Last des gesamten Körpergewichts auf einem schwankenden Untergrund (Steigbügel) befindlich mit ruhiger und gleichmäßiger Bewegung vom Boden auf eine Sitzhöhe (Sattel) von etwa 170 cm gehoben (geschraubt)werden muss.

Wie die Befundaufnahme ergeben hat, ist es AB nicht möglich, ihren Arbeitsplatz, den Sattel, zu erreichen.
Für eine symmetrische Bearbeitung des Pferdes – speziell bei Ausbildung und Korrekturberitt im Dressursport – ist eine gleich gradige Bewegungs- und Belastungsmöglichkeit von Spielbein und Standbein unabdingbare Voraussetzung. Ein Mensch, dessen Gang auf ebenem Boden nicht gleichmäßig ist, kann zu Pferde keine symmetrische Einwirkung haben und wird in der Folge – kontraproduktiv - das Pferd „schief“ reiten.

Bewegt sich ein Pferd geregelt in allen Grundgangarten, wie dies bei weit geförderten und gut ausgebildeten Pferden der Fall ist, kann der Reiter losgelassen im Schwerpunkt sitzen.

Ist das Pferd jedoch noch im Remonten-Alter, so wird der Beritt auch für den körperlich und psychisch absolut unversehrten Reiter zur Herausforderung; bei Traumatisierten – an Körper und Psyche-  jedoch besteht Lebensgefahr, weil Angst und Schmerz die Losgelassenheit verdrängen und in Verkrampfung führen!

Nicht immer muss es aber so dramatisch wie weiter oben gezeigt, zugehen: auch Pferde, die gegen die Hand oder über dem Gebiss gehen, stellen für die Wirbelsäule und die Hüftgelenke des Reiters eine starke Belastung dar.

Nahezu „un-reitbar“ werden Pferde, wenn sie sich der Zügelhilfe und Gewichtshilfe entziehen und durchgehen. Dies stellt eine große Belastung für die Psyche des Reiters dar, ist aber Tagesrealität im Leben eines freischaffenden Bereiters.

Zur Arbeit eines Bereiters gehört auch die sogenannte „Bodenarbeit“, wie Longieren und Arbeit am langen Zügel. Während beim Longieren der Longenführer im Kreismittelpunkt und sich – dem Tempo des Pferdes angepasst – um die eigene Längsachse (Hüftgelenk!) dreht, geht er bei der Arbeit am langen Zügel auf Tuchfühlung im Gleichtritt mit der Hinterhand des Pferdes. Beide Tätigkeiten erfordern gutes Stehvermögen, hohes Gleichgewichts- und Balancegefühl und Standfestigkeit.

Unabhängig davon, an welcher Stelle die Schenkelhalsfraktur erfolgt ist, bleibt eine für die Ausübung des Reitsportes extrem vorbelastete Situation vorhanden.

Die Folge einer Schmerzbehaftung  ist  in der Regel die Einnahme einer entlastenden Schonhaltung, die aber – wie bereits mehrfach betont und oben gezeigt – die korrekte symmetrische Arbeit zu Pferde unmöglich macht.

Betont sei an dieser Stelle, dass ein Bereiter, der sich vermehrt auf Unterricht vom Boden aus verlegt, seinen Schülern jederzeit „das Lernprogramm vorreiten können muss“, das er unterrichtet.

 

Im vorliegenden Gutachten war zu klären, ob AB dem Berufsbild einer selbstständigen professionellen Bereiterin im Sinne des in Punkt 5 umrissenen Berufsprofils genügen und entsprechen kann, oder ob berufsbeschränkende Faktoren vorliegen, die dies unmöglich erscheinen lassen.

In der Aussage der ärztlichen Befunde, Untersuchungen und Schlussfolgerungen ist aus der Sicht des berufskundlichen Gutachters unter intimer Kenntnis von Sportunfällen im Reitsport dem Gutachten Dris. F. zu folgen.

Das Gutachten der Anstalt XX konnte nicht überzeugen, weil deren Untersuchung unter starkem Schmerzmitteleinfluss erfolgt ist und auf berufsspezifische Bewegungsabläufe entgegen erhobener Behauptung nicht eingegangen worden ist.

Sehr wesentlich ist für diesen Sachverständigen die Aussage im Gutachten der Psychotherapeutin, die eine psychotraumatische Beeinträchtigung von AB nachvollziehen lässt.
Es ist festzuhalten, dass eine professionelle Bereiterin ihr Klientel nicht nach persönlichen Defiziten oder Ressourcen aussuchen kann, sondern dass sie – nach dem Alles-oder-Nichts- Prinzip – ein Pferd/einen Reitschüler nur dann zufriedenstellen kann, wenn ihr die gesamte körperliche und psychisch-mentale  Bandbreite ihres Könnens zur Verfügung steht:

– einen Bereiter für Schritt und Trab, der keinen korrekten Galopp reiten kann, gibt es nicht;
– einen Bereiter, der nur unter größter Mühe oder gar nicht in den Sattel kommt, gibt es nicht,
– einen Bereiter, der aus Angst verspannt zu Pferde sitzt, gibt es nicht (und darf es auch nicht geben!)

Vom professionellen Bereiter wird verlangt, dass er den Anforderungen des Berufsbildes in Theorie und Praxis entspricht.

Zusammenfassend ist aus gutachterlicher Sicht festzustellen, dass AB auf Grund ihrer körperlichen Möglichkeiten, verbunden mit den psychischen Einschränkungen derzeit nicht in der Lage ist, das Berufsbild einer professionellen Bereiterin auszufüllen. Prognostisch wird auf die ärztlichen Einschätzungen verwiesen.

Weder Ressourcen noch Defizite können in berufskundlicher Hinsicht prozentuell seriös angegeben werden, weil der Beruf einer Bereiterin im Sinne der Notwendigkeit einer „simultanen Gesamteinwirkung“ nicht in vernachlässigbare  Teiltätigkeiten zerlegt werden kann.

(In Analogie würde niemand auf den Einfall kommen, einen Berufskraftfahrer, der auf Grund einer unfallbedingten Behinderung zwar Gas geben und die Kupplung bedienen, aber nicht bremsen kann, mit nur „30 % beruflich eingeschränkt“ zu qualifizieren.)

Den ungekürzten, noch umfangreicher illustrierten Artikel gibt es auch hier als pdf-Datei zum Download!
 
ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und  Bildern verfremdet und anonymisiert,  womit  geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit  für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt.

VORSCHAU: Bei einem Vielseitigkeitsturnier mussten die Teilnehmer eine Brücke überqueren, um zur Geländestrecke sowie zur Verfassungsprüfung zu gelangen. Als ein Teilnehmer sein Pferd über diese Brücke führte, brach das Pferd ein und verletzte sich an der Hinterhand schwer. Wer war dafür verantwortlich zu machen – und hatte irgendjemand seine Sorgfaltspflichten verletzt?

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