News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Vielseitigkeit: Wo passieren die Stürze – und warum?
20.11.2015 / News

Bestimmte Hindernis-Varianten wie Bergab-Sprünge oder Sprünge ins Wasser haben ein größeres Sturz-Risiko.
Bestimmte Hindernis-Varianten wie Bergab-Sprünge oder Sprünge ins Wasser haben ein größeres Sturz-Risiko. / Foto: Julia Rau

Bei der FEI-Generalversammlung in San Juan wurde ein umfassender Prüfbericht über die Sicherheits-Situation bei internationalen Vielseitigkeitsturnieren vorgelegt – mit einigen überraschenden Ergebnissen.

 

Der FEI-Prüfbericht, der vom früheren Direktor der Rennbahn von Ascot, Charles Barnett, anlässlich der FEI-Generalversammlung in San Juan/Puerto Rico (10.–13. November 2015) vorgestellt wurde, umfasste den Zeitraum von Juli 2010 bis zu Dezember 2014 und ist die bislang umfassendste Auswertung von Unfällen bei internationalen Vielseitigkeitsprüfungen. Nachdem in den letzten Jahren immer wieder schwere Unfälle – darunter auch solche mit tödlichem Ausgang für Mensch und/oder Pferd – in der Vielseitigkeit passierten, hat der Vielseitigkeitsausschuss der FEI eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben, um eine möglichst differenzierte Analyse des Sicherheitsmanagements bei internationalen Vielseitigkeitsturnieren vornehmen zu können. Erklärtes Ziel dieser Bemühungen ist es, den Status der Vielseitigkeits als olympische Disziplin nicht zu gefährden und gegenüber dem IOC nicht in Erklärungsnot zu geraten.

Am letzten Tag der Generalversammlung wurden in San Juan (Puerto Rico) den FEI-Delegierten die Ergebnisse dieses Prüfberichts von Charles Barnett präsentiert – und dieser lieferte nicht nur eindrucksvolle Zahlen, sondern auch so manche Überraschung. Die Website Chronofhorse hat die wichtigsten Ergebnisse präsentiert, hier eine kurze Zusammenfassung:

Stürze bei 1,5 % der Starts
Insgesamt wurden 76.638 Starts in Geländeprüfungen von 1*- bis 4*-Niveau in die Untersuchung einbezogen – dabei waren 2,184.489 Sprünge zu absolvieren. Im beobachteten Zeitraum ereigneten sich dabei 1.180 Stürze – mit unterschiedlich schwerem Ausgang. Im Durchschnitt kam es also bei 1,5 % aller Vielseitigkeits-Starts zu einem Sturz.

Mehr Stürze auf hohem Niveau
Die meisten Stürze – in absoluten Zahlen – passierten zwar bei Turnieren auf 2*-Niveau (394) sowie auf 1*-Niveau (360), die wenigsten auf 4*-Niveau (87) – doch in Relation zu den Starts war es genau umgekehrt: Die prozentuelle Wahrscheinlichkeit, bei einem Start zu stürzen, war in einem 4*-Event am höchsten (5,55 %) und in einem 1*-Event am geringsten (0,95 %). Auch bei Championaten ist die Wahrscheinlichkeit von Stürzen doppelt so hoch wie bei einem normalen Turnier.

Mehr Stürze bei abwerfbaren Hindernissen?
Ein weiteres Ergebnis kam für viele Zuhörer überraschend: Hindernisse mit abwerfbaren Elementen (frangible fences) bergen ein größeres Sturz-Risiko als feste Hindernisse – und zwar ist dieses Risiko 1,6 mal höher. Das Faktum, daß ausgerechnet ein neues Sicherheits-Feature ein größeres Sturz-Risiko zur Folge haben könnte, sorgte prompt für Schlagzeilen in Fachmedien, doch Charles Barnett warnte vor voreiligen Schlüssen: Dieses Resultat stehe noch auf schwachen Beinen, man benötige noch mehr Kontroll-Daten, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden könne.

Hindernis-Typ beeinflusst Sturz-Risiko
Ein weiterer Einfluss-Faktor für das Sturz-Risiko sind der Typ bzw. die Bauart des Hindernisses: Hecken sowie schmale und rundgebaute (Tonne, Rolle) Hindernisse weisen ein deutlich geringeres Risiko auf als Hoch-Weit-Sprünge. Das mit Abstand größte Sturzrisiko besteht bei Ecken – hier ist die Gefahr eines Sturzes rund fünf Mal höher als bei einer Hecke.

Bei Bergab-Hindernissen ist das Sturzrisiko 1,7 Mal höher als bei Hindernissen auf einheitlichem Niveau oder bei Bergauf-Sprüngen. Auch Wasserhindernisse bergen generell ein erhöhtes Risiko, zu Sturz zu kommen – und dies bei allen Varianten (Sprünge aus dem Wasser, Sprünge im Wasser und Sprünge ins Wasser). Das höchste Risiko bergen Sprünge ins Wasser.

Verletzungsrisiko des Reiters
Interessante Ergebnisse brachte die Auswertung der Stürze hinsichtlich der Verletzungsgefahr für den Reiter. Dieses Risiko ist bei Championaten (Faktor 1,8) besonders groß, ebenso bei jungen Pferden bis maximal sieben Jahre (Faktor 2,5). Auch ein zu hohes Annäherungs-Tempo erhöht das Verletzungs-Risiko für den Reiter (Faktor 1,5), ebenso ein harter Aufprall des Pferdes am Hindernis (Faktor 2,4). Bei den bereits angesprochenen abwerfbaren Hindernissen ist das Risiko einer Verletzung des Reiters 1,9 Mal höher. Das höchste Risiko einer Reiterverletzung besteht bei Hindernissen, die aus dem Wasser heraus zu springen sind – mit Faktor 2,8. Bei Sprüngen ins Wasser ist die Gefahr einer Verletzung des Reiters hingegen deutlich geringer (Faktor 0,2). Charles Barnett: „Die mit dem Hindernisbau verbundenen Risikofaktoren müssen jedenfalls an die Hindernisbauer, Kursdesigner und die Technischen Delegierten weitergegeben werden – sie sollten sich über besonders riskante Hindernis-Typen im Klaren sein."

Risikofaktoren bei Rotationsstürzen
Auch die besonders gefürchteten und gefährlichen ,Rotationsstürze' wurden eingehend untersucht. Bei diesen Stürzen bleibt das Pferd am Hindernis hängen und überschlägt sich – die Gefahr, daß es auf den Reiter fällt und diesen schwer verletzt, ist  besonders hoch. Wie der Prüfbericht zeigt, sind einige spezielle Risikofaktoren für diese Art von Stürzen hauptverantwortlich: etwa wenn das Pferd beim Absprung das Hindernis trifft (Faktor 2,7), wenn das Pferd sieben Jahre oder jünger ist (Faktor 2,5), wenn das Pferd hart auf das Hindernis prallt (Faktor 2,4) oder wenn es sich in zu hohem Tempo dem Hindernis annähert (Faktor 2,1).

Resümee
Auch wenn noch nicht alle Daten vollständig ausgewertet und analysiert sind und manche Resultate noch näher untersucht werden müssen, zeichnen sich die wesentlichen Risikofaktoren, die in der Vielseitigkeit zu Stürzen und Verletzungen führen, doch deutlich ab:

– Junge Pferde bis maximal sieben Jahre haben ein signifikant höheres Sturzrisiko.

– Die Anreit-Geschwindigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, der das Sturzrisiko erhöht, doch dabei stößt man auf ein ,technisches' Problem: „Es gibt derzeit keine objektive Messmethode, um die Annäherungs-Geschwindigkeit bei einem Hindernis zu messen", so Charles Barnett.

– Auch das signifikant höhere Sturzrisiko bei Championaten wirft Fragen auf. Barnett: „Lassen wir dort Reiter an den Start gehen, die in Wahrheit damit überfordert sind?" Barnett könnte sich etwa vorstellen, eine neue, fünfte FEI-Reiter-Kategorie zu schaffen, um in den anspruchsvollen Prüfungen wirklich nur die besten Reiterinnen und Reitern starten zu lassen.

– Nicht zuletzt sollte der FEI-Prüfbericht auch manchen Geländebauer nachdenklich stimmen: Wenn bestimmte Hindernis-Typen wie Ecken, aber auch Varianten mit Bergab-Sprüngen oder Wasser-Einsprüngen ein deutlich höheres Sturzrisiko mit sich bringen, sollte man diese besonders überlegt und vielleicht auch selektiver als bislang einsetzen – stets mit Bedacht auf das Starterfeld und das gesamte Geländedesign.

– Wünsche äußerte Charles Barnett auch an die FEI selbst: Es wäre aus seiner Sicht sinnvoll, die Stürze noch besser zu dokumentieren, um eine noch genauere Analyse und Bewertung zu ermöglichen. Er schlug vor, von allen Hindernissen bei FEI-Events Fotos anzufertigen – und die Hindernisrichter mit einer Kopf-Kamera auszustatten, damit man genau mitverfolgen könne, wie es zu einem Sturz gekommen und durch welche Faktoren er verursacht worden ist.

Man darf gespannt sein, wie die FEI Barnetts Empfehlungen und Wünsche berücksichtigt und umsetzt – für reichlich Diskussionsstoff hat der Brite jedenfalls gesorgt...

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen