Eine Studie ermittelte einen besorgniserregend hohen Anteil von übergewichtigen Pferden in Irland – nämlich 45 % in der untersuchten Population. Doch ebenso spannend waren zwei andere Resultate: Die Bewertung des Körperzustands nach der Henneke-Skala (BCS-Bewertung von 1 bis 9) erwies sich als wenig praxistauglich – und die Stallkultur stellte sich als entscheidender Risikofaktor dafür heraus, ob Pferde übergewichtig waren oder nicht.
Die ForscherInnen der Studie des University College Dublin wollten herausfinden, ob Besitzer in Irland den körperlichen Zustand ihrer Pferde genau einschätzen können, die Auswirkungen auf diese Fähigkeit von Besitzern, die Anweisungen zur Bewertung erhalten, und den Anteil von Pferden, die untergewichtig, angemessen konditioniert, übergewichtig und fettleibig sind . Das Studienteam stellte im Irish Veterinary Journal fest, dass 45 % der Pferde übergewichtig bzw. fettleibig waren. Drei Viertel der an der Studie teilnehmenden Besitzer verwendeten keine Methode zur Überwachung des Körperzustands ihres Pferdes.
Die Untersuchung schloss insgesamt 60 Pferde aus vier irischen Grafschaften (Dublin, Kildare, Meath und Wicklow) ein, darunter 10 Cobs, 9 Connemaras, 7 Vollblüter, 7 Sportpferde, 4 Irish Draught-Pferde, je ein Sportpony, New Forest Pony, Shetlandpony und Welsh Cob sowie je ein Warmblutpferd aus verschiedenen europäischen Zuchten (Selle Français, ein holländisches Warmblut, ein englisches Warmblood, ein Holsteine sowie mehrere Kreuzungsprodukte. 10 Pferde wurden als Pferde mit unbekannter, ungewisser oder mehrfacher (mehr als zwei) Rassenherkunft eingestuft. Das Alter der Pferde – es waren 20 Stuten, 39 Wallache und ein Hengst – reichte von 3 bis über 30. Jahren.
Alle Pferde wurden von einem erfahrenen Pferdetierarzt besucht und einer Grunduntersuchung unterzogen, die auch eine Bewertung des Körperzustands (Body Condition Score) auf der neunstufigen Henneke-Skala vergab – und zwar von Note 1 (stark unterernährt) bis zu 9 (stark übergewichtig). Den Pferdebesitzern wurden zudem eine Reihe von Fragen gestellt, die sich mit der Gesundheitsgeschichte ihres Pferdes, routinemäßiger Gesundheitsversorgung, Fragen zu Haltung und Management sowie Gewichts- und Köperzustands-Kontrolle befassten. Des weiteren wurde ihnen eine numerische Bewertungsskala gezeigt, die die Henneke-Skala darstellte, die gesamte BCS-Skala von 1–9 und Beschreibungen jedes Werts von „stark unterernährt“ bis „extrem fett“. Sie wurden gefragt, wo sie ihr Pferd auf dieser Skala einordnen würden.
Nach diesem Fragebogen erhielten die Pferdebesitzer eine Anleitung zur Bewertung des Körperzustands, wurden gebeten, diese zu lesen und anschließend aufgefordert, ihr eigenes Pferd zu bewerten, während sie es in der Realität beobachteten.
Zuvor waren die Pferde von einem Tierarzt ebenfalls nach der Henneke-Skala beurteilt worden. Der Tierarzt hatte dabei zwei der Pferde als unterernährt (eine Bewertung von 1–3) eingestuft, 51,67 % als angemessen ernährt (BCS-Wert von 4–6), 10 % als optimal ernährt (BCS-Wert von 5) und 45 % als übergewichtig (Punktzahl 7–9).
Zusammen mit den Ergebnissen des Tierarztes war klar, dass die Verwendung des Henneke BCS-Systems durch die Besitzer keine genaue Beurteilung des Zustands ihrer Pferde ermöglicht. Besitzer von übergewichtigen Pferden neigten dazu, den Zustand ihres Pferdes zu unterschätzen – und Besitzer von untergewichtigen Pferden neigten dazu, ihren Zustand zu überschätzen. „Nur ein Viertel der Besitzer nutzte irgendeine Methode, um den Zustand ihres Pferdes regelmäßig zu überwachen.“ so die AutorInnen. „Das Feedback der Besitzer zur Nützlichkeit und Verwendbarkeit der Körperzustands-Bewertungsskala war gemischt – mit einem allgemeinen Trend dahingehend, dass das Konzept des Henneke-Systems und bestimmte Teile davon zwar nützlich, aber zu technisch waren.“
Die ForscherInnen stellten fest, dass die Anzahl der Pferde, die in der Studie übergewichtig oder fettleibig waren, ähnlich war wie in vergleichbaren Studien in Schottland. Das besorgniserregende Resümee der WissenschaftlerInnen: „Wenn dieser Prozentsatz repräsentativ für die breitere irische Pferdepopulation ist, hat fast die Hälfte ein erhöhtes Risiko für Krankheiten im Zusammenhang mit Übergewicht.“
Die AutorInnen hoben aber noch etwas anderes hervor – nämlich dass ihre Studie die wichtige Rolle der ,Stallkultur’ beim Gewichtsmanagement belegt habe: „Frühere Forschungen haben die Tatsache betont, dass Ställe sowohl im Sinne der physischen Umgebung als auch des Einflusses der Stall-Community auf den einzelnen Pferdebesitzer gleichsam eine „übergewichts-fördernde“ Umgebung für die Pferde schaffen können.“
Das wurde durch die aktuellen Studie-Ergebnisse eindrucksvoll untermauert. So zeigten sich in den drei Pferdebetrieben mit den meisten Testpferden signifikante Unterschiede: Die Besitzer in zwei der Ställe waren in ihrer Einschätzung des Zustands ihrer Pferde deutlich genauer als die Besitzer in einem dritten Betrieb, der außerdem jener mit den meisten übergewichtigen Pferden war. Im Detail zeigte sich:
– In Stall A waren drei Viertel (75 %) der befragten Pferde in einem angemessenen Körperzustand (im Vergleich zu 51,67 % aller bewerteten Pferde); 37,5 % waren in einem optimalen Zustand waren (im Vergleich zu 10 % aller bewerteten Pferde). Die Genauigkeit in der BCS-Einschätzung betrug 50 % (die Genauigkeit aller Teilnehmer nur 18 %). Keiner der Besitzer in Stall A hat den Zustand seines Pferdes unterschätzt, jedoch hatte die Hälfte den Zustand um einen Punkt überschätzt.
– In Stall B waren alle Pferde in einem angemessenen Körperzustand, obwohl keines in einem optimalen Zustand war. Die Genauigkeit in der BCS-Einschätzung durch die Pferdebesitzer betrug 40 %. Keiner der Teilnehmer in Stall B hat den Körperzustand seines Pferdes unterschätzt, aber 60% überschätzten ihn um ein bis zwei Punkte.
– In Stall C zeigte sich ein gänzlich anderes Bild: Hier waren zwei Drittel der Pferde übergewichtig, nur ein Drittel befand sich in einem angemessenen Körperzustand; keine Pferd war in optimalem Zustand. Die Genauigkeit in der BCS-Einschätzung durch die Pferdebesitzer lag in Stall C bei lediglich 12,5 %. Die Hälfte der Besitzer in Stall C unterschätzte den Zustand ihres Pferdes um zwei oder drei Punkte, wobei alle glaubten, dass ihre Pferde in einem optimalen Zustand wären, während ein Drittel den Zustand ihres Pferdes um ein oder zwei Punkte unterschätzte.
Angesichts dieser gravierenden Unterschiede zwischen den untersuchten Ställen seien weitere Untersuchungen erforderlich, um die Auswirkungen des jeweiligen Pferdebetriebs und seiner ,Stallkultur’ auf die Fettleibigkeitsrate zu untersuchen, ebenso die Fähigkeit der Besitzer, den Zustand ihrer Pferde genau einzuschätzen, so die Autoren. Sie betonten daher, dass Pferdebesitzer sich darüber im Klaren sein sollten, dass die „Stallkultur“ und die damit verbundenen Faktoren (etwa der Einfluss von Stallkollegen und anderen Pferdebesitzern, die Stellung von ,opinion leaders’, die Rolle von Vorbildern, der soziale Druck der Gruppe u.v.a.m.) eine zentrale Rolle dabei spielen kann, ob Pferde in einem Stall generell eher zu Übergewicht neigen oder nicht. Die Forscher dazu: „Es hat sich gezeigt, dass Gleichaltrige bzw. gesellschaftliche Normen eine Rolle bei der Beeinflussung des menschlichen Verhaltens spielen, insbesondere bei der Haltung von Pferden, aber auch in anderen Bereichen wie der Einführung von Methoden der ökologischen Landwirtschaft oder dem Ansatz zur Parasitenkontrolle bei Rindern.“
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für die ForscherInnen die Etablierung eines praktikablen, einfachen und zuverlässigen Systems zur Beurteilung bzw. Bewertung des Körperzustands eines Pferdes – hier sei das in der Wissenschaft häufig verwendete BCS-System nach Henneke offenkundig nicht ideal, so die AutorInnen: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Henneke-System kein zuverlässig zugängliches Instrument zur Bewertung des Körperzustands ist, das Besitzer verwenden können. Das Fehlen einer signifikanten Verbesserung der Genauigkeit der Beurteilung des Besitzers über den Zustand seiner Pferde nach Erhalt von Informationen und Anweisungen zur Verwendung des Henneke BCS-Systems stützt diese Schlussfolgerung.“ Für die ForscherInnen sind „objektive Körperzustandsmessungen“ eindeutig die Zukunft, und sie ergänzen: „Das erfolgversprechendste Maß in dieser Hinsicht dürfte die aus Körpergröße, Herzumfang, Bauchumfang und Halsumfang abgeleitete Formel sein“ – sprich: die Anwendung von Gewichtsbändern und die daraus resultierenden Gewichtsberechnungen.
Das Resümee der AutorInnen fiel entsprechend eindringlich aus: „Der hohe Anteil an Pferden und Ponys, die als übergewichtig oder fettleibig identifiziert wurden, und die gesundheitlichen Folgen, die dies mit sich bringt, machen dies zu einer dringenden Angelegenheit.“ In der Zwischenzeit komme vor allem fachkundigen ExpertInnen – allen voran Pferdetierärzten, Pferdepflegern und anderen versierten Personen – eine besondere Verantwortung dabei zu, übergewichtige Pferde zu erkennen; sie alle „müssten vermehrt dafür sorgen, dass sich die Pferdebesitzer der Risiken von Übergewicht bewusst sind und sie dazu anleiten, Änderungen vorzunehmen, um eine Gewichtsabnahme zu erleichtern.“
Die Studie „Rate of obesity within a mixed-breed group of horses in Ireland and their owners’ perceptions of body condition and useability of an equine body condition scoring scale" von Emma Golding, Ahmed Saleh Ali Al Ansari, Gila A. Sutton, Nicola Walshe & Vivienne Duggan ist am 6. April 2023 in der Zeitschrift ,Irish Veterinary Journal' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.