Schweiz schreibt 2-cm-Abstand für Nasenriemen ab 2020 vor 17.12.2018 / News
Der Mindestabstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken muss in der Schweiz künftig 2 cm betragen, gemessen soll mit einer speziellen Schablone werden. / Foto: Archiv
Der Vorstand des Schweizer Pferdesportverbandes (SVPS) hat einen Antrag der Arbeitsgruppe ,Zäumungen und Gebisse’ bewilligt und führt ab 2020 einen verpflichtenden Abstand von 2 cm zwischen Nasenriemen und Nasenrücken ein.
Bei seiner Vorstandssitzung hat der Schweizer Pferdesportverband (SVPS) nicht nur eine Reihe wichtiger Neubesetzungen bei diversen Führungspositionen durchgeführt (Details siehe in dieser Mitteilung), sondern sich wieder einmal ausführlich mit dem Bereich ,Tierschutz und Pferdewohl’ auseinandergesetzt. Von besonderem Interesse waren dabei die Anträge der Arbeitsgruppe „Zäumungen und Gebisse“, die sich u. a. auf das vieldiskutierte Thema Nasenriemen und Nasenriemen-Abstand bezogen und schon im Vorfeld für einigen Gesprächsstoff unter Pferdefreunden gesorgt hatten. Der Vorstand hat nun – wie der SVPS mitteilte – drei Anträge dieser Gruppe bewilligt, und zwar:
1. Ein verschnalltes Nasenband soll 2 cm Platz zwischen Nasenrücken und Lederzeug aufweisen, was anhand eines speziellen Messgerätes belegt werden kann. Die Disziplinen werden vom Vorstand beauftragt, dies für die Reglemente 2020 vorzubereiten.
2. Weiter wird der Vorstand den verschiedenen Disziplinen den Auftrag geben, eine Liste der bewilligten Gebisse alters- und stufengerecht zu erarbeiten und diese auf 2020 einzuführen.
3. Der SVPS lanciert in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Institutionen (Universitäten, Hochschulen) Forschungsprojekte (Bachelor- und Masterarbeiten/Dissertationen etc.):
– zur aktuellen Situation des Gebrauchs von Zäumungen und Gebissen in der Schweiz,
– zum Einsatz und Effekten von Zäumungen und Gebissen aufgrund Hypothesen aus der Studie Uldahl et al. 2018,
– zur Entwicklung von Prüfungsmethoden von neuen Zäumungen und Gebissen auf dem Markt hinsichtlich des Wohlbefindens der Pferde und unter Einbezug und allfälliger Mitfinanzierung durch Bund, Hersteller sowie tierschützerische Kreise.
Die Schweiz folgt damit dem Beispiel des dänischen Pferdesportverbandes, der 2018 einen Mindestabstand von 1,5 cm zwischen Nasenriemen und Nasenrücken eingeführt hatte – und zwar basierend auf einer umfangreichen Studie mit über 3.000 Pferd-Reiter-Paaren in den Disziplinen Springen, Dressur, Vielseitigkeit und Distanzreiten. Die Resultate dieser Untersuchung wurden im Herbst 2018 bei einem Expertentreffen auf der Tierklinik Bern vorgestelllt und diskutiert – und können auch im November-Bulletin des SVPS nachgelesen werden. Zentrales Ergebnis der Studie war der eindeutige Nachweis eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Enge der Verschnallung des oberen Nasenriemens und dem Vorkommen von Maulverletzungen: Waren zwischen dem Nasenriemen und Nasenrücken weniger als 2 cm Platz, wurde bei knapp 11 % der Pferde Maulverletzungen festgestellt. In der Gruppe der Pferde mit sehr locker verschnalltem Nasenriemen (3 cm und mehr zwischen Nasenriemen und Nasenrücken) gab es hingegen nur bei ca. 3,5 % der Pferde Maulverletzungen. Bei der Aufschlüsselung nach Disziplinen bzw. Groß- und Kleinpferden stellte sich heraus, dass der Anteil der Maulverletzungen bei den Dressurponys am grössten war (16,43 %), gefolgt von den Distanzponys (11,76 %) und den Dressurpferden (11,22 %). Auch die Leistungsstufe hatte offenbar einen Einfluss auf das Vorhandensein von Maulverletzungen: Entgegen den Erwartungen stellte das Forscherteam fest, dass in höheren Leistungsklassen mehr Maulverletzungen auftraten als in den schwächeren – was im Gegensatz zu den Beobachtungen bei Sporenverletzungen im Rahmen derselben Studie stand, die mit steigender Leistungsklasse abnahmen. Interessantes Detail: Wurde auf einen Nasenriemen gänzlich verzichtet, so lag die Verletzungsrate wieder bei über 13 % – wobei diese Verletzungen aber vorwiegend länger zurücklagen und daher nicht direkt mit den anderen Werten verglichen werden konnten.
Schweiz wird Distanz-EM 2019 nicht beschicken
Intensiv diskutiert wurde vom SVPS-Vorstand auch das weitere Vorgehen im krisengeschüttelten Distanzreiten. Nach eingehenden Beratungen hat man sich dazu entschlossen, die Distanz-Europameisterschaften 2019 nicht zu beschicken. In der offiziellen Mitteilung heißt es dazu: „In Anbetracht der heutigen unsicheren Situation – national und international – beabsichtigt der Schweizerische Verband für Pferdesport (SVPS), 2019 kein Schweizer Team an die Europameisterschaften 2019 zu schicken. Es ist weder finanzielle noch personelle Unterstützung vorgesehen. Die Schweizer Reiterinnen und Reiter dürfen allerdings FEI-Rennen bestreiten. Es gelten für alle Rennen die FEI-Qualifikationskriterien sowie die Bestimmungen in den Grundlagen für Auslandstarts des SVPS.
Die neue Chefin Sport Endurance, Gaby von Felten, stellt sich in Absprache mit dem Vorstand auch unter dieser neuen Strategie zur Verfügung. Ziel des SVPS ist es, eine Denkpause einzulegen, um die Zukunft der Schweizer Endurance im aktuellen Umfeld zu definieren. Weiter will er damit gegenüber anderen nationalen Verbänden wie auch der FEI ein Zeichen setzen und nachdrücklich darauf aufmerksam machen, dass sich in dieser Disziplin zugunsten des Wohlbefindens der Pferde dringend etwas ändern muss. Der im Dezember abgesagte Endurance Day findet neu am 12. Januar 2019 in Bern statt."
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1 Finger, 1,5 cm – aber wo? Das Gezerre um den Nasenriemen nimmt kein Ende 20.07.2018 / News
Zu eng verschnallte Nasenriemen bleiben ein Dauerthema im internationalen Dressursport – trotz der neuen Regelungen in Dänemark und Neuseeland. / Foto: Kseniya Abramova/Fotolia.com
Neuseeland hat – wie schon zuvor Dänemark – die umstrittene FEI-Direktive in Sachen Nasenriemen-Verschnallung zwar nachgebessert – doch eine sinnvolle Regelung um exakt einen Fingerbreit verfehlt. Ein Kommentar von Leo Pingitzer.
Applaus ist im digitalen Zeitalter mitunter günstig zu bekommen – wie dieser Fall anschaulich zeigt: Vor wenigen Tagen beschloss die Dressur-Konferenz des Neuseeländischen Pferdesportverbandes (Equestrian Sports New Zealand, ESNZ), die gültige FEI-Regel bezüglich der Verschnallung des Nasenriemens abzuändern. Anstelle der FEI-Empfehlung, wonach zwischen dem Nasenriemen und der Wange des Pferdes ein Finger Platz haben müsse, lautet die neue Bestimmung (Artikel 4.77.4.10) nunmehr: „Kein Nasenriemen darf jemals so eng verschnallt sein, dass er das Wohlbefinden des Pferdes beeinträchtigt. Es muss möglich sein, einen Finger bequem zwischen den Nasenriemen und den Nasenrücken (Vorderseite der Nase) zu schieben.“ Diverse News-Portale und auch das renommierte ,Horse&Hound’ berichteten positiv über diesen Schritt – und lobten den neuseeländischen Verband für seine Bemühungen, zu eng verschnallten Nasenriemen den Kampf anzusagen.
Dieses Lob ist zwar verständlich und in gewissem Umfang auch angebracht – muss aber dennoch relativiert werden: Der Schritt der neuseeländischen Dressur-Abteilung ist zweifellos eine Verbesserung im Vergleich zur vielkritisierten FEI-Direktive, die das Nasenriemen-Leid vieler Pferde zwar verringern, aber eben nicht vollständig beseitigen wird. Gleiches gilt im Übrigen auch für den dänischen Pferdesportverband, der mit Anfang des Jahres 2018 einen vergleichbaren Schritt gesetzt und ebenfalls festgeschrieben hat, dass zwischen dem Nasenriemen und dem Nasenrücken ein Abstand von 1,5 cm eingehalten werden muss. Auch dafür hat es damals viel medialen Beifall gegeben.
Dieser Beifall mag, wie auch im aktuellen Fall von Neuseeland, seine Berechtigung haben – ist aber in gewisser Hinsicht auch gefährlich, weil dadurch die viel sinnvollere und pferdefreundlichere Zwei-Finger-Regel immer mehr in den Hintergrund der Diskussion gerät: Wieso soll ein Pferdesportverband noch die Zwei-Finger-Regel anstreben, wenn er schon für die ,halbe Sache’, also die Ein-Finger-Regel, soviel Applaus erhält? Zu befürchten ist, dass noch mehr Federationen dem Beispiel von Neuseeland und Dänemark folgen – und irgendwann niemand mehr realisiert, dass dies nicht viel mehr ist als ein fragwürdiger, vielleicht sogar fauler Kompromiss.
So wurde bezeichnenderweise kaum noch irgendwo erwähnt, dass im Falle von Neuseeland eigentlich eine andere Lösung angestrebt worden war – nämlich die Festschreibung der klassischen Zwei-Finger-Regel zwischen Nasenriemen und Nasenrücken, zu messen mit dem ,Noseband Taper Gauge’, einer normierten Mess-Schablone der Internationalen Gesellschaft für Pferdewisssenschaften ISES. Einen solchen Antrag hatte – mit der Unterstützung weiterer Personen und Vereine – die neuseeländische Grand Prix-Reiterin Jody Hartstone an die Jahreskonferenz von Dressage New Zealand gerichtet, die von 30. Juni bis 1. July in Palmerston North abgehalten wurde.
Wörtlich hieß es in dem Antrag: „Alle Stewards von ,Dressage New Zealand’ müssen mit einem geprüften Noseband Taper Gauge ausgestattet sein, damit sie die Verschnallung der Nasenriemen auf faire und objektive Weise testen können. Dieses Noseband Taper Gauge muss am Nasenrücken (Vorderseite der Nase) angelegt werden, um sicherzustellen, dass zwei Finger nebeneinander horizontal unter dem Nasenriemen Platz finden. Stewards können während eines Turniers die Nasenriemenspannung jederzeit überprüfen. Jeder Offizielle bzw. Richter kann jederzeit während einer Veranstaltung einen Steward bitten, die Verschnallung des Nasenriemens zu überprüfen. Wenn der Nasenriemen vor einem Dressurbewerb als zu eng befunden wurde, hat der Reiter die Möglichkeit, den Nasenriemen zu lockern, bis dieser die korrekte Verschnallung aufweist. Wenn festgestellt wird, dass ein Pferd/Pony in einer Prüfung mit einem Nasenriemen geritten wurde, der enger als in den entsprechenden Richtlinien verschnallt war, wird das Paar von diesem Bewerb ausgeschlossen. Stewards müssen bei allen vorgeschriebenen Inspektionen die Verschnallung des Nasenriemens mit dem Taper Gauge überprüfen.“
Von all dem ist im Beschluss von ESNZ nicht mehr die Rede. In den Anmerkungen dazu heißt es sogar: „Die gebräuchlichere ,Zwei-Finger-Regel’ wurde zwar in Betracht gezogen – aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass ein Finger adäquat ist. Die Regel sieht auch nicht die verpflichtende Verwendung des ISES Taper Gauge vor, diese Schablone kann jedoch dazu verwendet werden, um den Ein-Finger-Abstand zu überprüfen und scheint ein nützliches und genaues Instrument für Reiter und Stewards zu sein, um sicherzustellen, dass diese Regel eingehalten und konsequent umgesetzt wird.“
Nun, dass „die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass ein Finger adäquat ist“ – das ist zumindest eine mutige Behauptung, denn es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen, die anderes nahelegen: Die im Jahr 2016 vorgelegte Studie „The Effect of Noseband Tightening on Horses Behavior, Eye Temperature and Cardiac Responses" („Die Auswirkungen enger Nasenriemen auf das Verhalten, die Augentemperatur und die Herztätigkeit von Pferden") konnte zeigen, dass auch bei einem Ein-Finger-Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken negative Auswirkungen auf das Pferdewohl zu beobachten sind, etwa eine verringerte Kautätigkeit und ein Anstieg der Augentemperatur, wenngleich nicht so extrem wie bei einem ohne jeglichen Abstand verschnallten Nasenriemen. (Eine ausführliche Zusammenfassung der Studie gibt's hier.)
Es gibt also gute Gründe, die von Dänemark und Neuseeland beschlossene ,Entschärfung' der umstrittenen FEI-Regel mit Vorsicht und Zurückhaltung zu betrachten: Sie ist eine Verbesserung – aber kein Durchbruch; sie ist ein Fortschritt, aber keine nachhaltige Lösung. Und sie darf vor allem kein Alibi dafür sein, die Bekämpfung der zu Recht vielkritisierten FEI-Bestimmung einzustellen. Deren Beseitigung muss das endgültige Ziel sein – wie auch schon ProPferd in einem Kommentar gefordert hat. Die Beschlüsse des dänischen und neuseeländischen Verbandes können nur erste Schritte dazu gewesen sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger, meint
Ihr
Leopold Pingitzer
Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung: redaktion@propferd.at
28.12.2016 - Zugeschnallt: Das gefährliche Spiel der FEI
Zugeschnallt: Das gefährliche Spiel der FEI 28.12.2016
Zu eng verschnallte Nasenriemen sind für das Pferd eine Qual – sie verursachen Stress und Schmerzen und unterbinden die für das Entspannen und Lockern der Muskeln so wichtige Kautätigkeit. / Kseniya Abramova/Fotolia.com
Während 2016 die Aufregungen rund um die Rollkur allmählich abebbten, trat ein anderes Thema in den Vordergrund, das kritische Pferde(sport)freunde in Aufregung versetzte: der Nasenriemen. Die FEI ist daran nicht unschuldig.
Über die Wirkung von Gebissen und Zäumungen wird nicht nur in Reiterkreisen heftig gestritten und diskutiert, sondern seit vielen Jahren auch intensiv geforscht. Der wissenschaftliche Focus verschob sich dabei deutlich: Standen in früheren Studien die Wirkungsweise und -effektivität im Zentrum, so geht es zuletzt immer mehr um die Frage, ob bestimmte Ausrüstungen bzw. Teile davon für das Pferd auch gut verträglich sind und sein Wohlbefinden nicht einschränken. Besonders ein Ausrüstungs-Teil ist in den letzten Jahren mit wachsender Intensität untersucht und kritisch analysiert worden – der Nasenriemen. 2013 hatte eine Gruppe irischer Wissenschaftler unter der Leitung von Orla Doherty ein Forschungsprojekt begonnen, bei dem der vom Nasenriemen ausgehende Druck auf die Pferdehaut mittels spezieller Sensoren gemessen wurde. Dabei zeigten sich deutliche Druckhöhepunkte bei bestimmten Reitlektionen, etwa bei Wendungen, Übergängen oder beim Rückwärtsrichten – und diese Druckbelastung könnte, ähnlich wie beim Menschen, zu ernsten Gewebe- und Nervenschäden beim Pferd führen.
Ganz besonders interessierte die Forscher auch die Frage, wie eng Nasenriemen in der Praxis angelegt werden. Nach der aus der klassischen Reitlehrer stammenden Empfehlung für das Einstellen der Nasenriemen soll der Abstand zwischen dem Nasenriemen und dem Nasenbein locker zwei Finger sein, sodass normale Kieferbewegungen ausgeführt werden können und das Pferd kauen kann. Diese Empfehlung wird, so die Studien-AutorInnen, in der Praxis kaum gefolgt – der weitaus überwiegende Teil der untersuchten Nasenriemen war viel zu eng verschnallt: „Von 201 jungen Vielseitigkeits- und Hunterpferden, die untersucht wurden, hatten nur 12 % die Nasenriemen locker genug angelegt, um zwei Finger darunter zu führen. 47 % hatten die Nasenriemen so eng, dass gar keine Finger darunter gepasst haben."
Den eindeutigen Nachweis, dass zu eng verschnallte Nasenriemen tatsächlich negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Pferden haben und damit zutiefst ,tierschutz-relevant' sind, brachte 2016 die Studie einer australischen Forschergruppe rund um Prof. Paul Mc Greevy, einem führenden Spezialisten in Sachen Pferdeverhalten. In einer aufwendigen Versuchs-Anordnung konnte gezeigt werden, daß infolge zu eng verschnallter Nasenriemen bei Pferden ein signifkanter Anstieg der Herzschlagrate, eine Verringerung der Herzschlagvariabilität sowie eine erhöhte Augentemperatur festzustellen waren – allesamt deutliche Hinweise für eine physiologische Stressreaktion. Auch natürliche orale Verhaltensweisen wie Gähnen, Kauen oder Lecken waren deutlich weniger oder gar nicht mehr zu beobachten.
Das Resümee der Untersuchung war alarmierend – und hätte eigentlich ein Weckruf für die FEI sein müssen: „Die vorliegenden Daten zeigen, daß eng verschnallte Nasenriemen ohne jeglichen Abstand zum Nasenrücken des Pferdes Stressreaktionen hervorrufen und das Pferd daran hindern, normale Verhaltensweisen zu zeigen. Stewards auf einem Turnier sollten verpflichtend überprüfen, ob die Zäumung jedes Pferdes mit den Regeln übereinstimmt, die ein zu enges Verschnallen des Nasenriemens verbieten. Die Regeln des Dressursports, nach denen die Pferde ,Gehorsam' zeigen sollten, indem sie willig das Gebiss akzeptieren, lassen sich nicht aufrechterhalten, wenn die verwendete Ausrüstung ein normales orales Verhalten unterbindet und das Pferd genau das Gegenteil zeigt, nämlich Unbehagen und einen Mangel an Gehorsam. (...) Wie man es auch betrachtet – die Anwendung von großem Druck, um natürliche orale Verhaltensweisen zu unterbinden und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu haben, ist ethisch nur schwer zu rechtfertigen." So lautete das Resümee der Studie, die am 3. Mai 2016 im Journal PLOSOne erschienen ist und die international großes Aufsehen erregte. (Eine ausführliche Zusammenfassung der Untersuchung kann man hier nachlesen!)
Die Forderung von Prof. Paul McGreevy war eindeutig: Die Regeln des Dressursports müssten dahingehend verändert werden, daß ein zu enges Verschnallen des Nasenriemens – also enger als die aus der klassischen Reitlehre stammende Zwei-Finger-Regel – zuverlässig verhindert wird. McGreevy schlug für eine objektive und faire Überprüfung des Abstands zwischen Nasenriemen und Nasenrücken die Verwendung einer normierten Mess-Schablone (taper gauge) vor, die seit dem Jahr 2012 existiert und seither auch von der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) empfohlen wird. Mit dieser Kunststoff-Schablone könne rasch und einfach überprüft werden, ob der Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken, gemessen an der Nasen-Mittellinie, exakt zwei Finger, einen Finger oder weniger beträgt.
Doch die FEI reagierte auf die Studie und den Vorschlag von Prof. McGreevy nicht in der von Pferdefreunden erhofften Art und Weise. In einer ersten Stellungnahme nahm man zwar die Untersuchung zur Kenntnis – sah jedoch keinen Handlungsbedarf und auch keine Notwendigkeit, die ISES-Prüfschablone bei der Zäumungskontrolle zu verwenden. Doch es kam noch schlimmer: In einem FEI-Newsletter vom 7. Juli 2016 wurde ein kurzer „Reminder to FEI Stewards – Nosebands" veröffentlicht, der bei Pferdefreunden für großes Erstaunen und noch größeres Entsetzen sorgte. Darin hieß es wörtlich: „FEI-Stewards aller Disziplinen werden daran erinnert, besonders darauf zu achten, daß Nasenriemen nicht zu eng verschnallt sind. Es muss möglich sein, zumindest einen Finger zwischen die Wange des Pferdes und den Nasenriemen zu schieben. Nasenriemen dürfen niemals so verschnallt werden, daß sie die Atmung des Pferdes beeinträchtigen."
Dieser „Reminder" wurde vom FEI-Verbindungsbüro auch allen nationalen Federationen übermittelt. In diversen Pferdesport- und Dressur-Portalen wurde er zwar erwähnt – doch zu einem lauten medialen Aufschrei kam es erstaunlicherweise nicht bzw. nur ansatzweise, was an der äußerst ,dezenten' Form der Veröffentlichung liegen mag, aber auch an der geschickten Formulierung, die scheinbar das Pferdewohl in den Vordergrund stellt („nicht zu eng verschnallt", „dürfen niemals (...) die Atmung des Pferdes beeinträchtigen").
Dabei birgt der „Reminder" zwei gravierende Mängel bzw. Defizite, nämlich 1) die Vorgabe, den Sitz des Nasenriemens an der Pferdewange zu messen und 2) fehlt gänzlich der wesentliche Hinweis, daß durch den Nasenriemen auch die Kautätigkeit des Pferdes nicht beeinträchtigt werden darf. Dies sieht auch Thies Kaspareit, Leiter der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft der Deutschen Reiterlichen Vereinigung: „Aus unserer Sicht ist es weniger relevant, ob es ein oder zwei Finger sind – die alten Versionen der Richtlinien sprechen beim englischen bzw. kombinierten Reithalfter auch von einem Finger zwischen Nasenriemen und Nasenrücken des Pferdes – aber seitlich an der „Backe“ kann man die Festigkeit nicht wirkungsvoll testen. Für uns fehlt vor allem – neben der Begründung bezüglich der Atmung – der Hinweis auf die Möglichkeit, kauen zu können." Mit anderen Worten: Die FEI ist einen Schritt nach vor gegangen – aber zwei zurück.
Tatsächlich haben Dr. Kathrin Kienapfel und Prof. Holger Preuschoft bereits im Jahr 2010 in ihrer wichtigen Untersuchung „Viel zu eng! Über die Verschnallung von Nasenriemen" den peniblen wissenschaftlichen Nachweis erbracht, daß eine Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung an der Pferdewange „ohne jeden Informationswert" sei: Sie konnten anhand der Anatomie eines Pferdeschädels zeigen, daß sich selbst bei engster Verschnallung des Nasenriemens mit völligem Verschluss des Pferdemauls noch immer drei Finger zwischen Riemen und Pferdewange schieben lassen. Grund dafür sei die spezifische Form des Pferdekopfes: „Der knöcherne Oberkiefer ist an den Kopfseiten eingebuchtet, so dass der Nasenriemen sich von Nasenrücken zu einem Unterkieferkörper spannt und der Wange nur lose aufliegt. Man kann auch noch mehr Finger unter den Sperrriemen schieben, weil sich die Weichteile der Wange leicht zusammenpressen lassen." Das eindeutige Resümee daher: „Der Versuch, den Sitz des Reithalfters an der Seite des Pferdekopfes zu messen, ist vollkommen sinnlos."
Auch die in den klassischen Reitlehren sowie in den FN-Richtlinien geforderte Möglichkeit des Kauens verlangt eine entsprechend weite Verschnallung, wie Dr. Kienapfel und Prof. Preuschoft betonen: „Wenn die „Richtlinien“ vorschreiben, dass das Pferd „bequem“ kauen kann (siehe auch HDv 12), ist ein Spielraum von 10 mm zwischen den Mahlzähnen erforderlich, und das heißt bei einem kleinen Vollblüterkopf eine Öffnung von mindestens 17 mm zwischen den Schneidezähnen, bei einem größeren Kopf noch mehr. Die 17 mm entsprechen einer sehr knappen Fingerbreite zwischen den Zähnen oder einer Zunahme des Öffnungswinkels von 2°. Podhajsky (1968) fordert, dass „das Pferd eine Belohnung aufnehmen können muss“. Als Belohnung galt in der Spanischen Reitschule Wien ein Stück Würfelzucker. Auch das verlangt ein Mindestmaß an Öffnung von nicht unter 15 mm."
Umso unverständlicher mutet es an, dass die FEI den elementaren Hinweis auf die Möglichkeit des Kauens in ihrer Steward-Anweisung völlig unter den Tisch fallen ließ. Da ist es auch nur ein schwacher Trost, wenn die FN in der Neufassung der Leistungs-Prüfungs-Ordnung 2018 eine nochmalige Klarstellung bezüglich der Verschnallung des Reithalfters vorgenommen hat: „Das Reithalfter soll leicht anliegen und darf weder die Atmung beeinträchtigen, noch die Maultätigkeit (Kauen) des Pferdes unterbinden“. Damit soll, so die FN, verdeutlicht werden, dass weder das festgezurrte noch das viel zu locker sitzende Reithalfter seinen Zweck erfüllt, für eine ruhige Lage des Gebisses im Pferdemaul zu sorgen. Dies ist zweifellos lobenswert – doch noch wichtiger wäre es, wenn die FN diese Klarstellung auch auf FEI-Ebene durchsetzen würde. Auch zu einer zweifellos wünschenswerten Einführung eines einheitlichen Mess-Systems (mittels ISES-Schablone) zur Kontrolle von Sperr- und Nasenriemen, wie dies eine Online-Petition aktuell fordert, konnte man sich seitens der FN nicht bzw. noch nicht durchringen. Das ist bedauernswert – denn es wäre ein bedeutsames Signal für die Installierung eines klaren, einfachen und objektiven Kontroll-Instruments gewesen, auch auf internationaler Ebene.
Wieso die Möglichkeit des Kauens so elementar für das Wohlbefinden des Pferdes ist, das hat vor kurzem die Fachtierärztin für Chiropraktik, Elisabeth Albescu, bei der Anja Beran-Fachtagung am 20. November 2016 im Zirkus Krone in einem bemerkenswerten Vortrag einprägsam dargestellt: Sie führte vor Augen, auf welch komplexe Weise Gebiss und Zaumzeug mit dem gesamten Bewegungsapparat und der Anatomie des Pferdekörpers verbunden sind: „Durch das Einlegen eines Gebisses ins Pferdemaul beeinflussen wir die Zunge, das Zungenbein, das Kiefergelenk, anheftende Muskeln und Teile des parasympathischen Nervensystems. Das Zungenbein ist ein zarter, h-förmiger Knochen, der mit der Zunge, dem Innenohr und dem Kehlkopf verbunden ist. Außerdem setzen an ihm viele Muskeln an, die entlang des Halses bis zum Brustbein und der Schulterfaszie ziehen. Wird die Zunge und somit auch das Zungenbein bewegt, zum Beispiel durch Spielen am Gebiss, werden diese Muskeln durchblutet und bewegt. Da diese Muskulatur eine große Rolle für die Bewegung des Halses und das Vorführen der Schultergliedmaße spielen, droht bei Verspannung dieser Partien eine deutliche Steifheit des Halses und eine verkürzte Vorführphase der Vorhand. Dem wird durch die Zungenbeinbewegung entgegengewirkt, der Muskel lockert sich."
Die Kautätigkeit ist somit ein wesentlicher Mechanismus, mit dessen Hilfe sich das Pferd lockern und entspannen sowie Stress abbauen kann, durchaus vergleichbar dem Gähnen oder Lachen beim Menschen. Dabei spielen das Kiefergelenk und seine vielen Nervenäste des Parasympathikus eine entscheidende Rolle: „Wird der Parasympathikus aktiviert, überwiegen die relaxierenden Einflüsse auf den Körper, was unter anderem zu einem Entspannen der Muskulatur führt. Nur ein entspannter Muskel kann im Wechsel kontrahieren und loslassen. Bewegt das Pferd also das Gebiss im Maul, dann werden durch die Zungenbeinbewegung Muskeln bewegt und durch die Aktivierung des Parasympathikus über das Kiefergelenk auch entspannt. Um diese Effekt jedoch hervorzurufen, muss es dem Pferd erlaubt sein, zu kauen. Das bedeutet, das Pferd muss das Maul mindestens 1,5 cm öffnen können. Umso wichtiger ist es, die Trense richtig anzulegen. Zum einen darf kein Druck auf Knochenpunkt (Jochbein) oder Nervenaustrittstellen erfolgen. Zum anderen darf das Pferd nicht zugeschnürt werden. Der Nasenriemen und – falls vorhanden – der Kinnriemen müssen locker, nach der 2-Finger-Regel verschnallt sein. Es müssen mindestens zwei aufgestellte Finger am Nasenrücken zwischen Nasenbein und Nasenriemen passen. Nur so können wir den positiven Effekt des Gebisses richtig nutzen."
All das lässt ermessen, was die FEI Pferden mit ihrem unseligen „Reminder" antut: Sie legitimiert eine viel zu enge Verschnallung des Nasenriemens, die natürliche orale Verhaltensweisen des Pferdes unterbindet und in letzter Konsequenz dem Pferd Unbehagen, Stress und Schmerzen bereitet. Der FEI-Reminder ist somit weder wissenschaftlich, noch veterinärmedizinisch, noch ausbildungstechnisch begründbar oder vertretbar. Wenn sich die FEI selbst ernst nimmt und das Pferdewohl für sie „von höchster Bedeutung" ist, wie sie gerne betont, dann muss die fatale Steward-Anleitung entweder raschest zurückgenommen oder gründlich umgeschrieben werden. Ansonsten droht – nach der Rollkur – ein weiteres Thema, nämlich die Verschnallung des Nasenriemens, zu einem Dauerkonflikt mit kritischen Pferdefreunden zu eskalieren. Die FEI hat – ob aus Unachtsamkeit oder aus Kalkül – einen Fehler gemacht, den sie schnellstmöglich reparieren muss. Und sie sollte sich bei künftigen Maßnahmen besser überlegen, welche Wirkungen und Folgen sie mit sich bringen – und ob sie auch jene gesellschaftliche Akzeptanz erhalten, die der Pferdesport für sein langfristiges Überleben braucht, meint
Ihr
Leopold Pingitzer
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Dr. Elisabeth Albescu für die fachliche Unterstützung:
Tierärztliche Praxis Elisabeth Albescu
Fachtierärztin für Chiropraktik (A)
www.tierchiropraktik-bayern.de
E-Mail: albescu@tierchiropraktik-bayern.de
Die Online-Petition, die ein einheitliches Mess-System zur Kontrolle von Sperr- und Nasenriemen seitens der FN fordert, kann – und soll – man hier unterstützen!
05.05.2016 - Studie: Zu enge Nasenriemen verursachen „Schmerzen, Stress und Unbehagen"
Studie: Zu enge Nasenriemen verursachen „Schmerzen, Stress und Unbehagen" 05.05.2016 / News
Der bloße Anblick tut weh: Ein derart zugeschnürtes Pferd leidet – so eng verschnallte Nasenriemen sind durch nichts zu rechtfertigen. / Foto: Kseniya Abramova/Fotolia.com So sollte es sein: Zwei Finger sollten bequem zwischen Nasenriemen und Nasenrücken Platz finden. / Foto: Archiv
Eine aktuelle australische Studie bestätigt: Zu eng verschnallte Nasenriemen führen bei Pferden zu erhöhtem Stress und unterbinden normale Verhaltensweisen wie Gähnen, Kauen oder Lecken.
Über die negativen Auswirkungen von zu eng verschnallten Nasenriemen ist in den letzten Jahren viel diskutiert und auch in beträchtlichem Umfang geforscht worden. Bereits im Jahr 2010 haben Dr. Kathrin Kienapfel und Prof. Holger Preuschoft eine vielbeachtete Untersuchung vorgelegt, die anhand der Anatomie eines Pferdeschädels zeigen konnte, daß es keine Rolle spielt, ob der Nasen- oder der Sperrriemen zu fest verschnallt wird – in beiden Fällen kann das Pferd das Maul nicht mehr öffnen und dadurch auch nicht kauen.
2013 untersuchten irische Wissenschaftler rund um Orla Doherty von der Universität Limerick, wie eng Nasenriemen in der Praxis verschnallt werden. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Von 201 jungen Vielseitigkeits- und Hunterpferden, die untersucht wurden, hatten nur 12% die Nasenriemen locker genug angelegt, um zwei Finger darunter zu führen. 47% hatten die Nasenriemen so eng verschnallt, dass gar keine Finger darunter gepasst haben. Zudem entwickelten die Wissenschaftler erstmals eine Methode, um mittels spezieller Sensoren die Druckbelastung zwischen dem Nasenriemen und dem Nasenrücken bzw. der Pferdehaut überprüfen. Die Messungen zeigten deutliche Druckhöhepunkte bei bestimmten Reitlektionen, etwa bei Wendungen, Übergängen oder beim Rückwärtsrichten – demzufolge könnte die Druckbelastung durch zu eng verschnallte Nasenriemen zu ernsten Gewebe- und Nervenschäden führen. Es seien jedoch noch eingehendere wissenschaftliche Untersuchungen notwendig, um die Auswirkungen von hohen Druckbelastungen auf Tierverhalten und Tiergesundheit zweifelsfrei zu belegen, so Orla Doherty damals.
Diesen Nachweis konnte nun eine australische Forschergruppe im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung erbringen. Das Ziel ihrer Studie mit dem Titel „The Effect of Noseband Tightening on Horses Behavior, Eye Temperature and Cardiac Responses" war es, die Verbindung zwischen zu eng verschnallten Nasenriemen und Verhaltensänderungen (insbesondere der natürlichen Maultätigkeit) sowie physiologischen Stress-Symptomen (etwa einem Anstieg der Augentemperatur oder der Herzschlagrate bzw. einer verringerten Herzschlagvariabilität) zu überprüfen.
In der Studie wurden insgesamt zwölf Reitpferde unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Rassen (Durchschnittsalter 6,6 Jahre) eingesetzt. Die Pferde waren alle angeritten und auf unterschiedlichem Niveau ausgebildet worden – hatten jedoch bis zum Test keine Kandaren-Zäumung mit Nasenriemen getragen.
Die Test-Anordnung
Vor Beginn des Tests konnten sich die Pferde kurz akklimatisieren und an die Überwachungsgeräte (Herzschlag-Messgerät) sowie an das Kandaren-Gebiss gewöhnen, wobei der Nasenriemen vorerst noch unverschnallt blieb. Die Pferde wurden danach in zufälliger Reihenfolge in ein vorbereitetes Test-Abteil geführt, das man in einem Stallgebäude aus abgedeckten Strohballen gebaut hatte: Die Seitenwände waren 1 m noch, das Abteil hatte eine Fläche von 3 Meter mal 2 Meter, sodaß sich das Pferd nicht umdrehen und den Thermographie- und Video-Kameras nicht ausweichen konnte.
Nachdem das Pferd in das Test-Abteil geführt worden war, begann eine zehn Minuten lange Basis-Messung, bei der die Augentemperatur ebenso festgestellt wurde wie die Herzschlagrate. Auch das Verhalten des Pferdes wurde mittels Video-Aufzeichnung dokumentiert.
Danach wurden die Pferde dem eigentlichen Test unterzogen, in dem jeweils eine von vier verschiedenen Nasenriemen-Einstellungen angewendet wurde:
1. mit unverschnalltem Nasenriemen (UN = unfastened noseband)
2. mit regulärem Abstand unterhalb des Nasenriemens (CAUN = conventional area under noseband), sodaß zwei Finger zwischen Nasenriemen und Nasenrücken Platz hatten (gemessen mit der von der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften ISES empfohlenen Schablone)
3. mit halbem regulärem Abstand unterhalb des Nasenriemens (HCAUN = half conventional area under noseband), sodaß ein Finger zwischen Nasenriemen und Nasenrücken Platz hatte
4. kein Abstand unterhalb des Nasenriemens (NAUN = no area under noseband), d. h. der Nasenriemen lag so eng am Nasenrücken, daß die ISES-Schablone nicht zwischen Nasenriemen und Nasenrücken geschoben werden konnte.
Jedes Pferd wurde einmal pro Tag einer dieser vier Test-Einstellungen unterzogen und absolvierte sämtliche vier Einstellungs-Varianten an vier aufeinanderfolgenden Tagen. Es wurden vier Pferde pro Tag getestet, und das über einen Zeitraum von drei Wochen (Juli/August 2015) hinweg. Jeder Test dauerte zehn Minuten (einschließlich des Anpassens des Nasenriemens). Während des Tests wurde das im Abteil stehende Pferd kontinuierlich überwacht, es wurden die erwähnten gesundheitlichen Parameter (Augentemperatur, Herzschlagrate) erhoben und auch das Verhalten des Pferdes mittels Video-Aufzeichnung dokumentiert.
Nach jedem Test wurde die Zäumung entfernt, das Pferd blieb aber noch für eine zehnminütige Erholungsphase – in der ebenfalls sämtliche Parameter weiter aufgezeichnet wurden – im Abteil stehen. Erst dann wurde es wieder aus dem Stallgebäude hinausgeführt.
Alarmierende Ergebnisse
Die Ergebnisse der Auswertungen ließen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Während der engsten Verschnallung des Nasenriemens (Einstellung 4, ohne Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken) zeigte sich bei den Pferden ein signifkanter Anstieg der Herzschlagrate sowie eine Verringerung der Herzschlagvariabilität, auch die Augentemperatur war erhöht – allesamt deutliche Hinweise für eine physiologische Stressreaktion. Auch im Verhalten der Pferde zeigten sich erhebliche Veränderungen: Die Kautätigkeit war sowohl bei Einstellung 3 (halber regulärer Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken) sowie bei Einstellung 4 verringert. Gähnen wurde in allen vier Einstellungs-Varianten kaum beobachtet, Lecken war bei Einstellung 4 gar nicht mehr feststellbar.
Nach der Entfernung der Zäumung in der Erholungsphase nahmen orale Verhaltensweisen wie Gähnen, Schlucken und Lecken signifikant zu, was darauf hindeutet, daß diese Verhaltensweisen während des Tests unterdrückt werden mussten und später nachgeholt wurden, die Pferde also in einer Art Entzugs-Zustand waren, den sie danach kompensieren wollten.
„Schmerz und Unbehagen"
Der Befund der Wissenschaftler ist somit eindeutig: „Die vorliegende Studie erbringt den Beweis, daß Pferde physiologischem Stress ausgesetzt sind, wenn sie einen eng verschnallten Nasenriemen in Kombination mit einer Kandare tragen. Es zeigen sich erhebliche Veränderungen in der Herzschlagrate, der Herzschlagvariabilität sowie der Augentemperatur, was darauf hinweist, daß Pferde Schmerz und Unbehagen verspüren, wenn der Nasenriemen so eng verschnallt ist, daß kein Abstand mehr zum Nasenrücken besteht. Gähnen, Lecken und Kauen sind praktisch nicht mehr festzustellen – und die Schluck-Frequenz halbiert sich bei der engsten Nasenriemen-Verschnallung. Sobald die Zäumung abgenommen ist, nehmen Gähnen, Schlucken und Lecken signifikant zu, was auf einen Kompensations-Effekt infolge vorheriger Unterdrückung dieser Verhaltensweisen schließen lässt. Es ist davon auszugehen, daß sich all diese Effekte noch weiter verschärfen, wenn auch noch die Zügelspannung durch einen Reiter hinzukommt."
„Ethisch nur schwer zu rechtfertigen"
Weiter heißt es: „Die vorliegenden Daten zeigen, daß eng verschnallte Nasenriemen ohne jeglichen Abstand zum Nasenrücken des Pferdes Stressreaktionen hervorrufen und das Pferd daran hindern, normale Verhaltensweisen zu zeigen. Stewards auf einem Turnier sollten verpflichtend überprüfen, ob die Zäumung jedes Pferdes mit den Regeln übereinstimmt, die ein zu enges Verschnallen des Nasenriemens verbieten. Die Regeln des Dressursports, nach denen die Pferde ,Gehorsam' zeigen sollten, indem sie willig das Gebiss akzeptieren, lassen sich nicht aufrechterhalten, wenn die verwendete Ausrüstung ein normales orales Verhalten unterbindet und das Pferd genau das Gegenteil zeigt, nämlich Unbehagen und einen Mangel an Gehorsam. (...) Wie man es auch betrachtet – die Anwendung von großem Druck, um natürliche orale Verhaltensweisen zu unterbinden und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu haben, ist ethisch nur schwer zu rechtfertigen."
Die Studie „The Effect of Noseband Tightening on Horses Behavior, Eye Temperature and Cardiac Responses" von Paul McGreevy, Kate Fenner, Samuel Yoon, Peter White und Melissa Starling ist am 3. Mai 2016 im Journal PLOSOne erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
04.01.2017 - Internationale Studie bestätigt: Nasenriemen viel zu eng verschnallt
Internationale Studie bestätigt: Nasenriemen viel zu eng verschnallt 04.01.2017 / News
Die Studie zeigt, daß mehr als die Hälfte aller untersuchten Nasenriemen weniger als einen halben Finger Platz zwischen Riemen und Nasenbein lassen. / Foto: Fotolia/Kseniya Abramova Mit dieser Mess-Schablone, die von der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) entwickelt wurde, wurde die Nasenriemen-Verschnallung überprüft. / Foto: PLoS ONE Ernüchterndes Ergebnis: Bei 326 von 750 untersuchten Pferden (= 43,6 %) war der Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenbein gleich 0 (es hatte also nicht einmal ein halber Finger dazwischen Platz). / Grafik: PLoS ONE
Vier Jahre lang haben Wissenschaftler untersucht, wie Nasenriemen im turniersportlichen Alltag angelegt werden – mit ernüchterndem Ergebnis: Nur 7 % entsprechen dem empfohlenen Zwei-Finger-Abstand – 43 % werden ohne messbaren Abstand verschnallt.
Nasenriemen werden im internationalen Turniersport viel zu eng verschnallt – in mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle sogar so eng, daß nicht einmal ein Finger zwischen Nasenriemen und Nasenbein geschoben werden kann. Bei 43 % der erfassten Pferde saß der Nasenriemen sogar so eng, dass nicht einmal ein halber Finger dazwischen Platz fand – was laut den Studien-AutorInnen einem ,Null-Abstand' entsprach. Das Resümee der Wissenschaftler fiel ernüchternd aus: „Die Ergebnisse sind besorgniserregend."
Die großangelegte internationale Studie wurde von Juni 2013 bis März 2016 von einem irisch-australischen Forscherteam durchgeführt und sollte erstmals wissenschaftlich untersuchen, wie Nasenriemen tatsächlich im turniersportlichen Alltag verwendet und eingesetzt werden – und ob sich daraus entsprechender Handlungsbedarf ergibt. Orla Doherty, Vincent Casey und Sean Arkins von der Universität Limerick in Irland sowie Prof. Paul McGreevy von der Universität Sydney sammelten dabei Daten von insgesamt 750 Pferden, die bei nationalen und internationalen Turnieren in Irland, Großbritannien und Belgien im Einsatz waren. Es handelte sich dabei in der Mehrzahl um Vielseitigkeitspferde (354) sowie um Dressurpferde (334) sowie um Pferde in sogenannten Hunter-Klassen (62), die sich in England großer Beliebtheit erfreuen (in diesem Fall waren es Connemara Ponys und Irish Draft Horses).
Bei den Messungen bzw. Kontrollen wurde der Typ, die Position, die Breite sowie die Verschnallung des Nasenriemens erhoben. Die Breite wurde mittels Schublehre gemessen, die Verschnallung mit einer speziellen Mess-Schablone (taper gauge) überprüft, die von der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES = International Society for Equitation Science) entwickelt wurde und die anhand von Markierungen den (empfohlenen) Zwei-Finger-Abstand und den Ein-Finger-Abstand anzeigt. In der Untersuchung wurden die gemessenen Abstände noch feiner untergliedert – und zwar in insgesamt sechs Gruppen: größer als 2 Finger – 2 Finger – 1,5 Finger – 1 Finger – 0,5 Finger – 0 Finger.
Bei der Untersuchung der Nasenriemen-Typen zeigte sich, daß vor allem zwei Varianten verwendet werden – nämlich der englische Nasenriemen (Cavesson noseband), der 323 angelegt wurde, sowie der kombinierte Nasenriemen (Flash noseband), der bei 326 Pferden zum Einsatz kam. Deutlich seltener kamen der Hannoversche Nasenriemen sowie der mexikanische oder der Micklem-Nasenriemen zum Einsatz.
Die Breite der Nasenriemen bewegte sich zwischen 10 und 55 mm – differierte also erheblich. Auch die Breite eines Nasenriemens hat letztlich Auswirkungen auf den dadurch ausgeübten Druck – bei einer vorgegebenen Verschnallung ist der Druck umso größer, je geringer die Breite des Nasenriemens ist. Die meisten Nasenriemen in der Untersuchung wiesen eine Breite zwischen 20 und 35 mm auf.
Von zentralem Interesse war für die StudienautorInnen jedoch der Sitz bzw. die Verschnallung des Nasenriemens. In den letzten Jahren wurde von Wissenschaftlern, aber auch von Turnierärzten immer wieder die zu enge Verschnallung von Nasenriemen im Turniersport kritisiert – doch gab es kaum gesicherte Daten darüber. Diese sollten endlich durch die aktuelle, breit angelegte internationale Untersuchung geschaffen werden. Und wie sich zeigte, bewahrheiteten sich die Befürchtungen leider.
Von den insgesamt 750 untersuchten Pferden zeigten erschreckende 326 (= 43,6 %) einen Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenbein, der der Gruppe 0 entsprach (es hatte also nicht einmal ein halber Finger dazwischen Platz). Bei 52 Pferden (= 6,9 %) konnte gerade ein halber Finger Abstand gemessen werden, bei 171 Pferden (= 22,8 %) betrug der Abstand 1 Finger, bei 136 Pferden waren es immerhin 1,5 Finger (= 18,1 %). Nur bei 51 Pferden (= 6,8 %) war der Abstand groß genug, um tatsächlich 2 Finger dazwischenzuschieben, wie es in klassischen Reitlehren empfohlen wird – und nur bei einem einzigen Pferd (= 0,1 %) von 750 war der Abstand sogar ein Stückchen größer.
Die Ergebnisse lassen nur eine Schlussfolgerung zu: „Die Studie bestätigt, dass im Turniersport bei Pferden jeglichen Alters zu eng verschnallte Nasenriemen eingesetzt werden. Die Enge der Verschnallung scheint dabei nicht vom Ausbildungsniveau oder von speziellen Merkmalen des gerittenen Pferdes abhängig zu sein, da sich die Verschnallung zwischen älteren und jüngeren Pferden in dieser Studie nicht signifikant unterscheidet. Die verbreitete Anwendung von Nasenriemen mit weniger als zwei Fingern Abstand zum Nasenbein könnte auf eine gewohnheits- bzw. routinemäßige Verschnallung hindeuten, die quasi eine Vorsichtsmaßnahme darstellt und weniger eine Konsequenz der vorangegangenen Ausbildung oder von Kontroll-Problemen."
Das Resüme fällt entsprechend nüchtern aus: „Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, daß die Mehrzahl der Reiter in den Disziplinen Dressur und Vielseitigkeit in zumindest drei europäischen Ländern Nasenriemen zu eng verschnallen. (...) Der Mangel an exakten Vorschriften und Bestimmungen, welche die empfohlene oder erlaubte Nasenriemen-Verschnallung bei Turnieren regeln, stellt es den Teilnehmern gleichsam frei, den Nasenriemen so eng zu verschnallen, wie sie es für notwendig oder angemessen halten. Die verbreitete Verwendung eng verschnallter Nasenriemen – also mit weniger als 2 Finger Abstand – in drei Ländern in den von der FEI sowie nationalen Verbänden geregelten Disziplinen Vielseitigkeit und Dressur zeigt, daß ähnliche, noch umfangreichere Untersuchungen notwendig sind, um diese Praxis weltweit zu dokumentieren. Der Mangel an Regularien bezüglich der Nasenriemen-Verschnallung bei Turnieren korrespondiert mit einem Mangel an verfügbaren Daten bezüglich des Nasenriemen-Einsatzes – und übermäßig eng angelegte Nasenriemen sind möglicherweise die Konsequenz davon."
Die Studie „Noseband Use in Equestrian Sports – An International Study" von Orla Doherty, Vincent Casey, Paul McGreevy und Sean Arkins ist am 3. Jänner 2017 im Journal PLoS ONE (doi:10.1371/journal.pone.0169060) erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
Zur viel zu engen Nasenriemen-Verschnallung im Turniersport und dem völlig inakzeptablen Umgang der FEI mit diesem Phänomen hat ProPferd-Redakteur Leopold Pingitzer auch einen aktuellen Kommentar verfasst, den man hier nachlesen kann: „Zugeschnallt. Das gefährliche Spiel der FEI"
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