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Fakten und Mythen: Wieso Reiter Schutzausrüstung verwenden – und wieso nicht
19.07.2016 / News

Welche Motive führen bei Reitern dazu, daß sie häufiger und konsequenter Schutzausrüstung wie Reithelme, Protektoren etc. verwenden – dieser Frage sind deutsche Wissenschaftler nachgegangen.
Welche Motive führen bei Reitern dazu, daß sie häufiger und konsequenter Schutzausrüstung wie Reithelme, Protektoren etc. verwenden – dieser Frage sind deutsche Wissenschaftler nachgegangen. / Foto: Simone Aumair

Deutsche Wissenschaftler haben untersucht, welche Faktoren darüber entscheiden, ob wir tatsächlich beim Reiten auf Schutzausrüstung zurückgreifen. Die Ergebnisse waren überraschend.

 

Christina-Maria Ikinger, Jana Baldamus und Achim Spiller von der Universität Göttingen wollten es genau wissen: Welche Faktoren beeinflussen das Sicherheits-Verhalten deutscher Reiterinnen und Reiter bei der Ausübung ihres Sports? Warum verwenden die einen regelmäßig Sicherheits-Features wie Reithelme oder Schutzwesten – und warum verzichten andere konsequent darauf? Die drei Wissenschaftler führten eine Online-Befragung durch, an der insgesamt 2.572 Personen teilnahmen – 5,3 % der Teilnehmer waren männlich, 94,8 % weiblich, das Durchschnittsalter betrug 32,5 Jahre, 21,4 % der Befragten hatten ein Kind (oder mehr).

Die Forscher analysierten in ihrer Befragung insgesamt 23 Variablen bzw. Einflussfaktoren – und immerhin 17 davon hatten nachweislichen Einfluss auf die Entscheidung von Reitern, Sicherheits-Ausrüstung zu verwenden. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden im Februar dieses Jahres in der Zeitschrift ,Animals' veröffentlicht.

Den stärksten Einfluss auf die Verwendung von Sicherheits-Equipment haben demnach zwei wesentliche Faktoren, nämlich einerseits die generelle – positive oder negative – Einstellung derartiger Ausrüstung gegenüber, und zweitens das Sicherheits-Verhalten anderer Pferdebesitzer und Reiter im gleichen Stall.

In ihrem Fragebogen überprüften die Wissenschaftler eine Reihe von Sicherheits-Hypothesen im Zusammenhang mit dem Reiten auf ihre Gültigkeit – und erhielten z. T. höchst überraschende Ergebnisse.

– So zeigte sich beispielsweise, daß die häufig vorgebrachte Annahme, weibliche Reiter würden häufiger Sicherheits-Equipment verwenden als ihre männliche Kollegen, nicht bestätigt werden konnte: Das Geschlecht hatte in der Befragung keinen signifikanten Einfluss auf das Sicherheits-Bewusstsein.

– Ebenso wenig konnte nachgewiesen werden, daß sich Reitanfänger besser schützen als erfahrene Reiter. Es konnte allerdings bestätigt werden, daß sich das Sicherheits-Verhalten verschlechtert, je länger man den Reitsport ausübt. Das könnte, wie die Forscher meinten, unterschiedliche Ursachen haben: Möglicherweise nehmen routinierte Reiter an, daß sie Dank ihrer längeren Erfahrung das Pferd besser kontrollieren könnten, sich daher sicherer fühlen und weniger Wert auf entsprechende Schutzausrüstung legen.

– Bestätigt werden konnte hingegen die Hypothese, daß sich Kinder und Teenager generell besser schützen als ältere Reiter – wobei offen blieb, ob der Impuls dazu von den jungen ReiterInnen selbst ausging oder von deren Eltern bzw. Trainern.

– Bewahrheitet hat sich auch die Annahme, daß sich Reiter, die Kinder haben, besser schützen als solche ohne Kinder.

– Bestätigt hat sich auch die Hypothese, daß sich Reiter besser schützen, die bereits selbst einen schweren Reitunfall hatten.

– Es trifft jedoch nicht zu, daß Reiter, die einen Unfall mitangesehen haben bzw. mitansehen mussten, danach ihre eigenen Schutzmaßnahmen verstärkten: Die Beobachtung hinterlässt offenbar deutlich weniger Spuren als persönlich empfundene Schmerzen – und führt auch zu keiner signifikanten Verhaltens-Änderung. Ein bemerkenswertes Detail war, daß bereits 98 % aller Befragten lt. eigenen Angaben einen Reitunfall mitangesehen haben.

– Die Ergebnisse bestätigten weiters, daß Spring-, Dressur- und Vielseitigkeitsreiter sich generell besser schützen als andere (z. B. Westernreiter). Auch zeigte sich, daß Turnierreiter, die ihren Sport auf Warmblut- bzw. Vollblutpferden ausüben, häufiger Schutzausrüstung verwenden als reine Freizeitreiter.

– Bewahrheitet hat sich auch die Hypothese, daß andere Pferdebesitzer und Reiter im gleichen Stall, die auf Schutzausrüstung großen Wert legen, einen positiven Einfluss auf ihre Stallkollegen ausüben – sie sind tatsächlich wichtige Vorbilder für andere und in einer Rangliste der wirkungsvollsten Einflussfaktoren auf Platz zwei der Befragung.

– Der wichtigste Faktor, der darüber entscheidet, ob wir tatsächlich Schutzausrüstung beim Reiten verwenden oder nicht, ist aber die eigene persönliche Haltung derartigem Equipment gegenüber: Je positiver unsere grundsätzliche Einstellung, desto häufiger und konsequenter sind wir auch beim Tragen von Reithelmen, Schutzwesten etc. – und je negativer unsere Einstellung ist, desto seltener und nachlässiger ist unser Verhalten. Die Hauptgründe, die zu einer negativen Einstellung führen, scheinen dabei – so die Wissenschaftler – ein schlechtes Design, die Beibehaltung althergebrachter Traditionen, mangelhafter Komfort und Zweifel über die Effektivität von Sicherheits-Produkten zu sein. Die Hersteller derartiger Ausrüstung sollten diese Motive näher analysieren und diese auch bei der weiteren Produkt-Entwicklung berücksichtigen, heißt es abschließend.

Die Studie „Factors Influencing the Safety Behavior of German Equestrians: Attitudes towards Protective Equipment and Peer Behaviors" von Christina-Maria Ikinger, Jana Baldamus und Achim Spiller ist im Februar 2016 im Journal ,Animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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