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Was fehlt meinem Pferd? Der lange, schwierige Weg zur PSSM2-Diagnose
24.08.2021 / News

Karolin Sachers beunruhigendes Fazit: Es ist dramatisch, wie wenig Wissen um das Thema PSSM2 selbst unter Fachleuten vorhanden ist.
Karolin Sachers beunruhigendes Fazit: Es ist dramatisch, wie wenig Wissen um das Thema PSSM2 selbst unter Fachleuten vorhanden ist. / Foto: privat

Was stimmt nicht mit meinem Pferd – oder stimmt etwas nicht mit mir? Diese quälende Frage beschäftigte Karolin Sacher mehr als zehn Jahre, ehe endlich die Ursache des Problems entdeckt werden konnte. Ein Erlebnisbericht.

 

Nun habe ich Amadeus bereits seit 17 Jahren an meiner Seite. In dieser Zeit bin ich mir oftmals eher wie ein Teilnehmer an einem nicht enden wollenden Frustrationstoleranztest vorgekommen als eine stolze, glückerfüllte Pferdebesitzerin.

Was stimmte die ganze Zeit nicht mit meinem Pferd? Oder stimmt etwas mit mir nicht? Pferde sind doch schließlich unser Spiegel, so heißt es immer wieder.

Dabei hatte alles so schön angefangen. Nachdem mein erstes eigenes Pferd bereits 10 Jahre zuvor über die Regenbogenbrücke gegangen war und ich während Berufsausbildung und Studium eine fast pferdefreie Zeit zugebracht hatte, war es endlich wieder so weit: Mein neues Pferd war gefunden. Ein Shagya-Araber Wallach, 5 Jährig, ca. 6 Monate unter dem Sattel. Und mit einem mir so angenehmen Temperament, brav, ruhig und unerschrocken, war doch das vorherige Exemplar besonders zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit ein heißer Ofen gewesen. Die durchgeführte Ankaufsuntersuchung verlief gut. Einzig bei dem „Belastungstest“ zeigte sich nach 15 Min. noch eine deutlich erhöhte Atemfrequenz, die der untersuchende Tierarzt dem mangelnden Trainingszustand geschuldet sah.

Die Eingewöhnung in den neuen Offenstall gestaltete sich recht unproblematisch. Schon am zweiten Tag bot es sich an, eine kleine Runde ins Gelände zu gehen, was sich völlig problemlos gestaltete. So begannen wir dann auch bald mit der Trainerin die wir gefunden hatten die Ausbildung im iberisch klassischen Sinne. Auffällig zeigte sich zunächst nur, dass Amadeus beim ersten Antraben immer ein bis zweimal abhustete und ein kleines bisschen Kotwasser hatte. Selbstverständlich wurde gleich von Anfang an ein Tierarzt von mir hinzugezogen, mit der Absicht von Beginn an Amadeus ganzheitlich zu unterstützen und möglichen Problemen frühzeitig zu begegnen. Zu dem Zeitpunkt wurde ich das erste Mal ausgelacht – ich solle lieber vernünftig reiten und dem Pferd Zeit geben…

Des Weiteren war auffällig, dass Amadeus den Schenkel sehr schlecht annahm und insbesondere zu Beginn der Trainingsstunde immer etwas klemmig und schlurfig war. Vor allem im Galopp fühlte er sich ausgesprochen unsicher an, vermittelte das Gefühl, als würden wir im nächsten Moment auf der Nase liegen. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er gerne galoppierte. Auch beim Bergabgehen zeigten sich Unsicherheiten. Aber schließlich war es ja ein junges Pferd, das noch nicht voll in seiner Balance war und wir arbeiteten daran, das zu verbessern.

Bald zeigte sich auch, dass Amadeus, insbesondere nach dem Hufe-Auskratzen, seine Füße zu allermeist nicht wieder sortiert hat und besonders die Hinterbeine eher wie auf den Fesselköpfen stehen gelassen hat. In dem Bereich hatte er auch immer wieder Blessuren. Dies kam den verschiedenen Fachleuten, die uns im Laufe der Zeit begegnet sind, auch auffällig vor. Man meinte aber, es käme vom schlechten Körperbewusstsein und verfolgte es nicht weiter.

Nach etwa einem halben Jahr, in dem ich wähnte, mit meinem Pferd wie in einem schönen Traum zu sein - trotz der bisher gezeigten Auffälligkeiten - kippte die Sache komplett. Im Training mit der Trainerin wurde Amadeus zunehmend widersetzlich. Ich hatte den Eindruck, es wäre ihm alles zu viel. Auch beim Ausreiten schien es mir, als sei er jeweils nach etwa einer Stunde völlig überfordert, denn dann kam nur noch Unsinn.

Auf  die von mir geäußerten Bedenken hin bekam ich von meinem reiterlichen Umfeld, immer wieder nur zu hören, dass Amadeus ein junges Pferd sei, dass er arbeiten müsse, sonst würde er mir auf dem Kopf herumtanzen. Dann gab es einen Tag X, von dem an dieses Pferd nur mehr bockte und total nervös, ängstlich und angespannt war  –  nachdem er mich  zudem unsanft in den Dreck befördert hatte.

Laut der Trainerin war Amadeus völlig unausgelastet – und alle Probleme lagen ausschließlich an mir.
Jedoch zeigte sich, als sich schließlich die Wege dieser Trainerin und mir trennten, dass das mit dem Bocken nicht mehr auftrat. Geblieben waren die Nervosität und übermäßige Ängstlichkeit, die Angespanntheit und Steifheit.

Während der ganzen Zeit arbeitete ich intensiv an mir selber, sowohl mental als auch meine Kompetenz als Reiterin betreffend. Unter anderem absolvierte ich sogar Lehrgänge zur Pferdegesundheitstrainerin und Biomotorikerin/Sensopathin. Über die Jahre hin hatten wir auf der Suche nach Optimierung der Haltungsbedingungen leider mehrfach den Stall zu wechseln. Inzwischen sind nun seit 10 Jahren bei der selben Stallbesitzer-Familie eingestellt. Dabei hatten wir die verschiedensten Haltungsformen vom Box und Offenstall. Wir hatten bessere und schlechtere Phasen, wobei ich diese von der Haltungsform unabhängig sehe.

Mit 8 Jahren hat Amadeus nach Bronchoskopie die Diagnose COPD gestellt bekommen, diese zeigte sich behandlungsresistent. Weiter zeigte sich die Anfälligkeit für milde Koliken, Kotwasser, Kreislaufprobleme, Wetterfühligkeit, Bewegungsunlust, Steifheit, verhärtete Muskulatur. Zunehmend zeigten sich Unverträglichkeit von Medikamenten, Impfungen, Wurmkuren. … und nach jedem Training – auch nach manchen sehr guten Tagen, wenn ich gerade wähnte, einen Durchbruch durch diese Muster erreicht zu haben  – war es immer wieder, wie wenn über Nacht die Lösch-Taste gedrückt worden wäre.

Röntgenuntersuchungen insbesondere des Rückens waren ohne Befund, Blutbilder insgesamt unauffällig. Frühjahr 2018: Umzug des Stallbetreibers mit der ganzen Anlage. Amadeus wechselt erneut in einen Offenstall und zeigt zunächst gesundheitlichen Aufschwung. Plötzlich dann wieder rapide Verschlechterung:

Erneute Bronchoskopie – starke Verschleimung insbesondere der Luftröhre
Gastroskopie – starke Magenschleimhautreizung
Zusätzlich: Leberegel  
Kreislaufprobleme

Keine nachhaltige Besserung, nach erfolgter Therapie und Futterumstellung auf Magen beim Antrainieren wieder rapide schlechter, damaliger Tierarzt hält das für ausgeschlossen. Ich solle Amadeus einfach mal vernünftig rannehmen, er müsse sich erst wieder daran gewöhnen gesund zu sein.

Tierarzt-Wechsel.

Zudem die Diagnosen beginnendes EOTRH und beginnende Melanome.

Im weiteren Verlauf  Diagnose: starke Entzündung Harnröhre, Harnblase, extrem viel Harngries.
Nach Behandlung nur kurze Verbesserung des Allgemeinzustandes. Nach schonendem Antrainieren ging es ihm dann immer wieder allgemein schlechter. Dazu kamen mysteriöse Lahmheiten, symptomatisch ähnlich einer Rehe. Es war  aber keine Rehe und auch kein Hufabszess.

Herbst 2020: Frauchen bekommt eine Idee, was nun noch getestet werden sollte. Ergebnis: PSSM 2 n/P2 Wäret IHR darauf gekommen?

PSSM 2 – ein Krankheitsbild mit vielen Gesichtern
Um eine Idee zu den physischen und psychischen Auffälligkeiten bei PSSM 2 zu bekommen, kann das Augenmerk auf folgende Punkte gerichtet werden:

– Probleme beim Muskelaufbau
– Muskelabbau vor allem an Hinterhand und Rücken, Verlust der Oberlinie, herausragende Wirbelsäule
– Lokale Muskeldefekte mit Bildung von kleineren und/oder größeren Dellen, Kick Marks
– waschbrettartige Muskulatur am Hals
– Faszienwellen am Körper
– Muskelrisse
– Muskelverspannungen
– Muskelzittern
– Kreuzverschlag Symptome
– Starkes Schwitzen auch nach geringer Arbeit
– Hunters Bump
– Atembeschwerden, Schwierigkeiten Schleim aus den Atemwegen zu bekommen
– Stimmband Ton
– Schluckbeschwerden
– Eventuell Zungenfehler und/oder Zähneknirschen
– Verdauungsbeschwerden, Kotwasser, Magenprobleme, Darmprobleme
– Entlastung durch sägebockartiges Stehen, Stehen wie bei Urinabsatz ohne dass Harn kommt
– Schwierigkeiten beim Harnabsatz, in der Folge vermehrter Harngries und/oder Blasenentzündung möglich
– Schildern
– Schwierigkeiten bei der Hufbearbeitung insbesondere beim Aufheben der Hinterhand
– Wechselnde Lahmheiten – oft „Knieprobleme“ oder reheartige Symptome ohne wirklichen Befund
– Ataktischer Gang/Koordinationsprobleme
– kein Korrigieren der Beine bei überkreuzten Vorder- oder Hinterbeinen
– Shivering-artige Symptome
– Stolpern
– Probleme beim Rückwärtsrichten
– Probleme beim Bergabgehen
– wenig Raumgriff/kürzer treten/träge Hinterhand
– schleifende Zehe
– wenig Hankenbeugung
– Triebigkeit
– extremer Vorwärtsdrang
– Probleme bei Biegung und Versammlung
– Schwierigkeiten mit der Lastaufnahme
– Steifheit in kleineren Wendungen und Schwungverlust in Wendungen
– Schwierigkeiten bei der Rückführung in niedrigere Tempi
– Rope Walk
– Probleme im Galopp, Bunny Hop, Kreuzgalopp
– Trainingsintoleranz
– Wendeschmerz, begründet durch eine zu straffe Beugesehne, die durch Verspannung der oberen Muskeln verkürzt wird
– Headshaking
– Verhaltensveränderungen
– Aggressionen
– Bewegungsunlust
– Lethargie
– häufig nervös, angespannt, leicht erregbar, schreckhaft
– Berührungsempfindlichkeit zum Beispiel beim Putzen, Trensen und Satteln
– Unwilligkeit beim Satteln bis hin zu Sattelzwang, Gurtzwang
– Beißen an die Flanken oder sogar beim Reiten Beißen in die Steigbügel oder Reiterfüße
– exzessives Sich-Scheuern an Hals, Schultern, Kruppe (sich selbst die schmerzende Muskulatur Massieren)
– Bocken und andere Widersetzlichkeiten beim Reiten, die oft auf ein mangelndes Können des Reiters geschoben werden

Oft treten die ersten Symptome ab dem Alter von 7–10 Jahren auf.

Ein schubartiges Auftreten der Symptome bei Triggern wie starker Belastung, negativer Stickstoffbilanz, Entzündungen, Infektionen, starkem Stress, Verletzungen, Entwurmungen, Impfungen, Transport, heftigen Wetterlagen ist möglich.

Die Blutwerte der Kreatinkinase (CK) und der Aspartat-Aminotransferase (AST) liegen oft auch bei deutlich symptomatischen Pferden im normalen Bereich.

Schleichende Verschlechterung mit zunehmendem Alter ist möglich.

Amadeus zeigte jede Menge der typischen Symptome, die, wenn mehrere davon vorliegen, bei jedem Pferdebesitzer die Alarmglocken schrillen lassen sollten! Ein paar Sachen wie die Melanome haben wir noch extra…

Nach der für PSSM 2 empfohlenen Futterumstellung  und der zusätzlichen Versorgung mit entsprechender Nahrungsergänzung ging es erstmals bergauf. Es war nicht mehr jeden Tag, als hätte jemand über Nacht die Löschen Taste gedrückt und Erarbeitetes eliminiert. Amadeus wurde von der Muskulatur um Welten lockerer, allgemein entspannter und williger. …leider kämpfen wir grade noch an anderen Fronten, was den Allgemeinzustand wieder sehr gedämpft hat. Und trotzdem ist es möglich nun an guten Tagen nach über vier Jahren Reitpause, in der fast ausschließlich Arbeit an der Hand stattfinden konnte, wieder für ein paar Minuten aufzusitzen. Der Unterschied der sich hier zu früheren Tagen zeigt ist enorm.

Mein Fazit: Es ist dramatisch, wie wenig Wissen um das Thema PSSM2 selbst unter Fachleuten vorhanden ist. Das Schlimmste in dieser so langen Zeit war es, diesem Zustand ausgeliefert zu sein, also genau zu fühlen, dass etwas nicht stimmt und das eigene Bauchgefühl von so vielen, insbesondere auch Fachleuten, in Frage gestellt bekommen zu haben. Meinen eigenen Selbstwert im Umgang mit meinem Pferd erobere ich mir grade Schritt für Schritt zurück.

Wahre Unterstützung habe ich auf diesem langen und steinigen Weg von nur einigen ganz wenigen erhalten. Mit dem Wissen von heute um diese reale Diagnose, kann ich nun völlig anders an mein Pferd herangehen und ihm helfen.  Auch wenn der verfügbare Test nicht evidenzbasiert ist, ist es ein Unding das klinische Erscheinungsbild zu verleugnen, Pferd und Reiter alleine zu lassen und PSSM 2 etwa als Modediagnose abzutun. Echte Hilfe wird so verhindert. Und nein, ich schiebe nicht alles was heute nicht klappen will auf mein Pferd und seinen Gesundheitszustand, es gibt jeden Tag Neues zu entdecken und zu lernen um selbst immer besser zu werden.

Website: www.karolin-sacher-coaching.de

Kommentare

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1) Formidable: Wow der erste Teil deckt sich 1:1 mit unserer Geschichte, am besten sofort auf PSSM2 testen lassen 😳
Freitag, 13. Mai 2022
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