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Gastkommentar: Darum war die Hilfsbereitschaft nach der Flutkatastrophe so groß
22.07.2021 / News

Prof. Dr. Kathrin Schütz ist Reiterin, Pferdebesitzerin und Professorin für Wirtschaftspsychologie.
Prof. Dr. Kathrin Schütz ist Reiterin, Pferdebesitzerin und Professorin für Wirtschaftspsychologie. / Foto: privat

Nach dem Jahrhundert-Hochwasser bewies die Pferdeszene großen Zusammenhalt und bemerkenswerte Solidarität – was dahintersteckt und wie sich das erklären lässt, analysiert Prof. Dr. Kathrin Schütz in einem Gastkommentar.


Die während der Flutkatastrophe an den Tag gelegte Hilfsbereitschaft in der Pferde-Community ist vor allem deshalb so bemerkens- und anerkennenswert, weil man den Pferdemenschen häufig das Gegenteil nachsagt: Sie seien egoistisch und "speziell" sowie keine Teamplayer. Die krisenhafte Situation hat jedoch ein gänzlich anderes Bild gezeigt: Es war unglaublich – und unglaublich berührend, wie viele bedrohte Pferde noch in der ersten Katastrophennacht gerettet wurden, wie jegliche Transporter bereitgestellt wurden, wie Heu- und Strohlieferungen aus der Ferne kamen und auch die Landwirte ihre Ernte unterbrachen, um mit ihren Geräten zu helfen. In div. Facebookgruppen und auf privaten Seiten wurde nach Pferden gesucht, gerettete Pferde gepostet und Hilfe angefordert und angeboten. Die Spendenlager für Sachspenden waren im Nu überfüllt - und bei vielen Pferdemenschen sah man Reiterstübchen prall gefüllt mit Sätteln, Trensen, Decken etc., die kostenlos abgegeben wurden. Wie sich all das psychologisch erklären lässt, analysiert die Psychologin Prof. Dr. Kathrin Schütz in diesem Gastkommentar.

 

Während des Hochwassers in Deutschland und auch bei den Folgen halfen sich die Reiter/innen, wo es nur ging. Die meisten werden es sich kaum vorstellen können, was sich in der vergangenen Woche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ereignete. Aufgrund immenser Regenfälle stieg das Wasser in einigen Städten und Orten so schnell an, dass sich die Bewohner/innen in Windeseile retten mussten – und natürlich ihre Tiere. So standen auch viele Pferde bis über einen Meter hoch im Wasser oder wurden von den Fluten mitgerissen.

Beeindruckende Hilfsbereitschaft
Viele Helfer/innen wurden benötigt, um die Tiere an sichere Orte zu bringen – und das war wirklich beeindruckend: Ob Privatpersonen mit Zugfahrzeugen und Anhängern, Profibetriebe mit ihren LKW oder Inhaber/innen von Pferdetaxi-Firmen – zahlreiche Personen machten sich auf den Weg, um zu helfen, wo es nur ging. Und das, ohne eine Gegenleistung hierfür zu erwarten. Da war es auch egal, ob man die Person mochte oder nicht, ob Dressur-, Spring-, Western- oder Freizeitreiter/in – es stand vor allem die Rettung der Tiere im Vordergrund. So waren eine große Welle der Hilfsbereitschaft für Reitställe, Pferde und Pferdebesitzer/innen verbunden mit viel Mitgefühl, einer hohen Spendenbereitschaft und ehrenamtlichem Engagement wichtiger als alles andere. Der Austausch erfolgte häufig über die sozialen Medien (z. B. in Facebook-Gruppen). Hier wurde gepostet, wo noch Pferde zu retten waren, wer seinen Stall, seinen Paddock oder seine Wiesen zur Verfügung stellte und wer noch Transportkapazitäten hatte. Da war es den Pferdemenschen (und Nichtpferdemenschen) egal, ob sie dreckig wurden, ob der Anhänger nach dem Transport der unbekannten Pferde noch so aussah wie vorher und teilweise, ob man sich selbst in Gefahr begab. An vielen Stellen wurde angepackt.

Reitstallbetreiber/innen berichteten, dass sie ganz überrascht waren, wer alles kam und helfen wollte. So ging es nach den Rettungsaktionen auch weiter – es wurde gepostet, welche Ställe Pferde aufgenommen hatten (bei einigen der Tiere war nicht klar, wem diese gehören), welche Pferde noch als vermisst galten und wo noch Hilfe erforderlich war. Ebenso wurden Heu, Stroh, Futter und Equipment, aber auch Medikamente und die tierärztliche Betreuung kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Reiter/innen halfen und helfen sich immer noch gegenseitig – verlinken Ställe und Reiter/innen unter den Hilfsangeboten, um die Ressourcen möglichst fair aufzuteilen. Ebenso sind Beiträge über Pferde zu finden, die es nicht überlebt haben – auch solche, nach denen die Reiter/innen-Community tagelang gemeinsam gesucht und mit gehofft hatte – ob im realen Leben oder digital. Das Mitgefühl ist auch hier immens – obwohl viele die betroffenen Besitzer/innen und die verstorbenen Pferde gar nicht kennen.

Empathie war stärker als Egoismus
So unterschiedlich wir Reiter/innen uns im Alltag wahrnehmen, sei es je nach Disziplin, Leistungsklasse oder Reitweise, so ähnlich sind wir uns in solchen Situationen. Wir sind alle Reiter/innen und vergleichen uns, psychologisch betrachtet, mit den anderen, wobei Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen. Wie wäre es uns in einer vergleichbaren Situation gegangen, was würden wir tun – und auch: Wie können wir denen, die uns ähnlich sind, helfen? So versetzen wir uns in die Personen hinein (mit denen wir im Alltag vielleicht gar nicht so viel gemeinsam hätten – hier als Reiter/innen jedoch schon). Wir fühlen mit und sind empathisch – verbunden mit Trauer, Hoffnung, Angst und womöglich auch der einen oder anderen Träne. Dabei sind das Erleben und Verhalten bei jeder Person unterschiedlich stark ausgeprägt. Weitere Faktoren spielen auch noch eine Rolle: Kennt man die Personen, die betroffenen Ställe oder die Pferde, besteht natürlich ein stärkerer Bezug zu denjenigen, als wenn das nicht der Fall ist. Man ist stärker involviert, hat also ein höheres ,Involvement‘. Lesen wir uns Statistik-Kennzahlen durch, berührt uns das weniger, als wenn wir Einzelschicksale sehen und hören – wenn die Zahlen also ein Gesicht haben.

Es sind daher vor allem emotionale Gründe, die uns dazu bewegen, so zu denken und handeln. Rationale Gründe können bei der Spenden- und Hilfsbereitschaft auch von Bedeutung sein - aktuell scheint das aber zweitrangig zu sein. Altruistische Gründe überwiegen momentan wohl gegenüber eigennützigen Motiven (= ein gutes Gefühl zu haben, wenn man hilft bzw. spendet).

Reiter/innen und Pferdemenschen sind gerade jetzt – wie manche vorurteilsbehaftet denken – ganz und gar nicht egoistisch, keine Teamplayer oder "etwas speziell". Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten zu spenden, teilweise direkt an die betroffenen Ställe, aber auch von Vereinen und Institutionen organisiert. Hier sollte man genau prüfen, wie seriös die dahinter stehenden Personen oder Firmen sind.

Den Betreiber/innen, Reiter/innen, Pferden und allen weiteren Betroffenen wünschen wir Pferdemenschen jegliche Kraft und sind nicht nur in Gedanken bei euch.

Prof. Dr. Kathrin Schütz ist Reiterin, Pferdebesitzerin und Professorin für Wirtschaftspsychologie (und Promotion der Psychologie) und Coach für pferdegestützte Persönlichkeitsentwicklung (https://kathrin-schuetz.com).

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