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Studie beweist: Pferde zeigen hohes Maß an Selbstbeherrschung (wenn sie wollen)
24.07.2022 / News

Wie lange verschmäht ein Pferd eine Handvoll Heu – wenn es weiß, dass danach eine Karotte winkt? Dieser durchaus spannenden Frage haben sich deutsche Wissenschaftlerinnen gewidmet.
Wie lange verschmäht ein Pferd eine Handvoll Heu – wenn es weiß, dass danach eine Karotte winkt? Dieser durchaus spannenden Frage haben sich deutsche Wissenschaftlerinnen gewidmet. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Eine Studie der Universität Gießen zeigt, dass viele Pferde in der Lage sind, sich selbst zu kontrollieren, um auf eine bessere Futterbelohnung zu warten. Viele – aber eben nicht alle, denn es gab große individuelle Unterschiede zwischen den getesteten Pferden.


Selbstbeherrschung ist definiert als die Fähigkeit, auf sofortige Befriedigung zugunsten einer besseren Auszahlung in der Zukunft zu verzichten. Es wurde wissenschaftlich eingehend untersucht und zeigte enorme Unterschiede zwischen verschiedenen Arten und auch innerhalb einer Art. „Pferde sind in dieser Hinsicht interessant, weil man von ihnen als Weidetiere erwarten würde, dass sie nur eine geringe Selbstkontrolle zeigen, während andererseits ihre komplexes Sozialleben mit hohen Selbstkontrollfähigkeiten verbunden sein könnte“, so Studien-Autorin Désirée Brucks, die ihre Untersuchung gemeinsam mit ihren Kolleginnen Anna Härterich und Uta König von Borstel von der Universität Gießen durchführte.

Allgemein nimmt man an, dass Selbstkontrolle kognitiv anspruchsvoller ist als bloße Reaktionshemmung, da sie eine zusätzliche Entscheidungskomponente beinhaltet. In der Tat haben Studien gezeigt, dass individuelle Selbstkontrollfähigkeiten beim Menschen mit Erfolg im späteren Leben verbunden sind. Auch bei Schimpansen ist die Selbstkontrolle mit anderen Parametern der allgemeinen Intelligenz verknüpft, was darauf hinweist, dass Selbstkontrolle eine wichtige Rolle bei der kognitiven Verarbeitung von Informationen spielt. Ein hohes Maß an Selbstbeherrschung bei Pferden könnte daher – so die Autorinnen – ein Schlüsselfaktor beim Training oder bei der Bewältigung potenziell stressiger Haltungsbedingungen sein.

Désirée Brucks und ihre Kolleginnen untersuchten die Selbstbeherrschungsfähigkeit von Pferden zuerst in einem vereinfachten Belohnungs-Verzögerungs-Test, der auf einem Pferdebetrieb durchgeführt wurde. 52 Pferde wurden mit dem Test und dem Konzept vertraut gemacht, nur Zugang zu einer hochwertigen Belohnung zu erhalten, wenn die minderwertige Belohnung verschmäht wird. In einem eigenen Verfahren wurde dabei ermittelt, welche Futterbelohnung von den Pferden als geringwertige Belohnung (LVR = low value reward) und welche als hochwertige Belohnung (HVR = high value reward) anerkannt wurde.

In der ersten Phase des Tests standen die mit den Pferden vertrauten Experimentatoren gerade außerhalb der Reichweite der Pferde, mit einer geringwertigen Futterbelohnung in der einen Hand (eine Handvoll Heu) und einer hochwertigen (Apfel, Karotte oder Banane) in der anderen Hand. Dann streckten sie die Hand aus, um die geringwertige Futterbelohnung in Reichweite des Pferdes zu bringen. Der Versuchsleiter würde nur dann mit der hochwertigen Belohnung eingreifen, wenn das Pferd für eine bestimmte Zeit auf die geringwertige Belohung (also das Heu) verzichten würde. Die Zeit, die das Pferd zuwarten musste, wurde in einer Reihe von Tests schrittweise auf 60 Sekunden erhöht. Wenn das Pferd die erforderliche Zeit nicht abwartet, bekam es zwar die Handvoll Heu zu fressen – aber nicht das hochwertige Leckerli. Alle Pferde wurden in zwei Testphasen getestet: in der einen Phase konnten sie die Augen der Experimentatoren, die direkt auf das jeweilige Pferd gerichtet waren, sehen – in der anderen Phase hingegen nicht (der Experimentator trug eine dunkle Sonnenbrille).

Hohes Maß an Selbstbeherrschung

Das bemerkenswerte Ergebnis: Immerhin 20 Pferde (41,67 %) warteten erfolgreich bis zur maximalen Verzögerungsstufe von 60 Sekunden – zeigten also ein hohes Maß an Selbstbeherrschung, was für die Forscherinnen durchaus erstaunlich war. Ein weiterer interessanter Befund: Alle Pferde schnitten in der Testphase mit Sonnenbrille schlechter ab.

In einem zweiten Experiment modifizierten die Forscher das Testverfahren mit einem Experimentator pro Pferd. Sie testeten 30 weitere Pferde in einem Qualitäts- und Quantitäts-Experiment. Dabei wurden die Pferde unter zwei Bedingungen getestet: einem Qualitätstest mit der Wahl zwischen einer sofort verfügbaren Belohnung mit niedrigem Wert (LVR) und einer verzögerten Belohnung mit hohem Wert (HVR). Anschließend folgte noch ein Quantitäts- bzw. Mengentest, bei dem die Pferde die Wahl zwischen einer sofort verfügbaren geringen Mengenbelohnung (low quantity reward = LQR, 1 Stück Belohnung) und einer verzögerten hohen Mengenbelohnung (high quantity reward = HQR, 5 Stück Belohnung) hatten. Die Pferde wurden nach dem Zufallsprinzip entweder dem Qualitätstest (N = 15) oder dem Quantitätstest (N = 15) unterzogen, bevor sie nach Beendigung des Wartens in das jeweils andere Testverfahren wechselten. Zwischen den beiden Testbedingungen wurde eine Pause von zwei Wochen eingelegt.

Große individuelle Unterschiede

Das Studienteam stellte fest, dass Pferde höhere Verzögerungen tolerierten, wenn sie zuerst im Mengenzustand getestet wurden. Auf Gruppenebene tolerierten die Pferde eine maximale Verzögerung von 36,08 Sekunden plus oder minus 22,85 Sekunden. Individuelle Unterschiede in der Selbstkontrolle wurden in beiden Experimenten konsistent durch das Management der Heufütterung erklärt, da Pferde, die an freien Zugang zu Heu gewöhnt waren, höhere Verzögerungsstadien erreichten als Pferde mit eingeschränktem Zugang zu Heu.

„Wenn Futtermittel ständig und ohne Einschränkung verfügbar sind, könnten sie anders bewertet werden und riskantere Entscheidungen zur Nahrungssuche für verzögerte Optionen getroffen werden“, so das Studienteam. „Wir fanden heraus, dass Pferde im Paradigma der Belohnungsverzögerung bis zu 60 Sekunden auf eine verzögerte Belohnung von besserer Qualität und Quantität warten konnten.“ Sie fanden keine Korrelationen zwischen den von den Besitzern bewerteten Verhaltensmerkmalen und dem Erfolg der Pferde im Test. Pferde, die viel Ablenkungsverhalten zeigten (wie z. B. am Boden scharren oder wegschauen), waren erfolgreicher als Pferde, die während der Wartezeit nur wenige dieser Verhaltensweisen zeigten. „All diese Verhaltensmuster hängen damit zusammen, die Aufmerksamkeit von der verfügbaren geringwertigen Belohnung wegzulenken.“

Insgesamt waren bei den Pferden große individuelle Unterschiede in den Selbstkontrollfähigkeiten zu beobachten, so die Autorinnen: „Einige Pferde haben es nicht einmal geschafft, die bescheidene Zwei-Sekunden-Verzögerung zu überwinden, während andere erfolgreich 60 Sekunden gewartet haben.“ Ältere Pferde erreichten im ersten Experiment tendenziell höhere Verzögerungen, aber dieser Effekt wiederholte sich im zweiten Experiment nicht. Die großen individuellen Unterschiede waren auch nicht durch das Geschlecht oder die Haltungsbedingungen der Pferde (Gruppenhaltung vs. Einzelboxen) zu erklären.

Besitzer kennen ihre eigenen Pferde schlecht

Eine weitere sehr bemerkenswerte Erkenntnis war der Befund, dass die Vorhersagen der PferdebesitzerInnen über die Selbstbeherrschungsfähigkeit ihrer Pferde nicht mit der tatsächlichen Leistung im Test korrelierten – die BesitzerInnen also in dieser Hinsicht  ihre eigenen Pferde sehr schlecht kannten und einschätzen konnten. Die individuellen Selbstkontrollfähigkeiten korrelierten auch nicht mit anderen Verhaltensmerkmalen, die von den Besitzern bewertet wurden, wie z. B. Trainierbarkeit, Geduld, Futtermotivation und Reaktionen in Stresssituationen.

Weitere Untersuchungen zu Zusammenhängen zwischen inhibitorischer (hemmender) Kontrolle und Trainierbarkeit sowie zu allgemeinen Bewältigungskapazitäten seien gerechtfertigt und auch wünschenswert, so die Wissenschaftlerinnen. Ihr durchaus überraschendes Resümee: „Wenn man bedenkt, dass das Futtersuchverhalten von Pferden nur wenig Selbstkontrolle erfordert, da die Ressourcen gleichmäßig verteilt sind, sich die Qualität nur langsam ändert und Pferde keine Verzögerungen beim Zugriff auf dieses Futter haben, hätten wir erwartet, dass Pferde unter diesen Voraussetzungen eine eher schlechte Selbstkontrolle in solchen Belohnungs-Verzögerungs-Tests zeigen würden. Entgegen unserer Hypothese zeigten Pferde auf Gruppenebene aber recht gute Selbstkontrollfähigkeiten.“

Die Forscher meinten, ihre Studie liefere die ersten Daten über die Selbstkontrollfähigkeiten einer Weidetierart und erweitere das Wissen über die zugrunde liegenden evolutionären Kräfte, die die Entwicklung der Selbstkontrolle über Tierarten hinweg vorantreiben: „Obwohl wir außerhalb des Testkontextes keinen Zusammenhang zwischen Selbstkontrolle und Verhaltensmerkmalen von Pferden gefunden haben, hoffen wir, dass unsere Studie zu weiteren Forschungen im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden von Pferden führt, zum Beispiel das Verständnis der Rolle der Selbstkontrolle etwa bei der Bewältigung bestimmter Verhaltensweisen und der allgemeinen Trainierbarkeit."

Die Studie „Horses wait for more and better rewards in a delay of gratification paradigm" von Désirée Brucks, Anna Härterich und Uta König von Borstel ist am 22. Juli 2022 in der Zeitschrift ,Frontiers in Psychology' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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