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Die Fälle des Dr. K.: Bissverletzung einer Teilnehmerin bei einer Fortbildung
20.05.2022 / News

Die Klägerin besuchte im Rahmen einer Ausbildung das Kurs-Modul „Sättel und Gebisse“ am Reitergut K. Bei einem übungshalber durchgeführten Tastbefund an den Zähnen eines Übungspferdes wurde der Klägerin ein Teil ihres Mittelfingers abgebissen – sie klagte auf Schadenersatz. Dr. K. hatte als Gutachter zu untersuchen, ob ein schuldhaftes Verhalten seitens der Beklagten während dieses Vorgangs feststellbar war.



Die Beklagte erteilte im Rahmen ihres „Ausbildungsinstitutes“ in den Räumlichkeiten des Reitergutes K. Unterricht zum Thema „Grundkenntnisse des anatomisch gesunden Reitens sowie der Tieranatomie und Tierphysiologie“.
Die Klägerin war Teilnehmerin des laufenden Kursmoduls zum „Trainer“, in dessen Verlauf bei einem übungshalber durchgeführten Tastbefund an dessen Zähnen von einem Übungspferd ein Teil ihres Mittelfingers abgebissen worden ist.

Das erkennende Gericht beauftragte den bestellten Sachverständigen mit folgenden Fragestellungen:
– Befund und Gutachten zum Wesen des klagegegenständlichen Pferdes;
– Beaufsichtigung des Pferdes durch die Beklagte während der Erhebung des Tastbefundes durch die Klägerin;
– Beurteilung der Anweisung der Beklagten an die Klägerin zur Erhebung des Tastbefundes;
– Erfüllung dieser Anweisung durch die Klägerin;


Befunde

Klage
– Die Klägerin besuchte das Reitergut K., um unter Anleitung der Beklagten das Modul „Sättel und Gebisse“ zu erlernen. Bei diesem Modul führte die Beklagte der Klägerin an Hand eines Übungs- Pferdes vor, wie das Gebiss von Pferden zu überprüfen und zu sichten ist.
– Nachdem die Beklagte die Gebissbreite und Stärke des Pferdes überprüft hat, ersuchte sie die Klägerin, die Überprüfung selbst am Pferd der Beklagten durchzuführen.
– Unmittelbar nach dem Tastbefund verlor das Pferd die Contenance und schnappte nach den Fingern der Klägerin. Dabei biss das Pferd in den linken Mittelfinger. ……… Es musste ein Teil des linken Mittelfingers amputiert werden. …. Es fehlt nunmehr ein Teil der Fingerkuppe.
– Festzuhalten ist, dass der Schaden durch das Pferd der Beklagten verursacht wurde.
– Entgegen den Ausführungen der beklagten Partei hielt diese das Pferd nicht selbst, sondern überließ es den Kursteilnehmern, selbst die „Übungspferde“ während der Gebissuntersuchung zu halten. Hierbei ist interessant, dass die beklagte Partei während des Übungszeitraumes die Kursteilnehmer lediglich ab und zu kontrollierte. Die beklagte Partei hielt es offenkundig nicht einmal für notwendig, ihr eigenes Pferd während der Gebissuntersuchung zu „halten“.


Klageerwiderung
– Es ist davon auszugehen, dass das Pferd nach der Gebissuntersuchung vermutet hat, dass es eine Karotte zu essen bekomme und hat sohin einfach nach dem Finger der Klägerin geschnappt.

– Das Kursangebot richtet sich grundsätzlich an erfahrene Reiter, die durch Absolvierung der Ausbildung in die Lage versetzt werden sollen, selbst Trainertätigkeiten auszuüben.

– Hierbei wurde aus Gründen der Praktikabilität ausschließlich mit dem Pferd der Beklagten gearbeitet.

– Den Kursteilnehmern wurde vorerst das Gebiss eines Pferdes erläutert und demonstriert, wobei die Beklagte dies eben an ihrem eigenen Pferd vornahm. Im Anschluss wurde den Kursteilnehmern angeboten, das Maul eines Pferdes (nämlich desjenigen der Beklagten) ebenfalls mit der flachen Hand zu erforschen, wobei die Kursteilnehmer seitens der Beklagten ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, dass die entsprechende Tätigkeit freiwillig erfolgt, da mit dem Griff in das Maul eines Tieres naturgemäß immer Gefahren verbunden sind.

– Erst beim Herausziehen der Hand krümmte die Klägerin offensichtlich die Finger und gelangte dergestalt in den Bereich der Schneidezähne, wobei sie sich verletzte.

– Dem Erstbericht des LKH XX. kann entnommen werden, dass es sich eindeutig um eine Bissverletzung durch das Pferd der Beklagten gehandelt hat:
Diagnose: Verletzung durch Zahn am dritten Fingerglied der linken Hand und Amputation der Spitze des III. Fingers.

 

Sachverständige Befundaufnahme:

Auf Anfrage durch den bestellten Sachverständigen teilte der Österreichische Pferdesportverband mit:

Sehr geehrter Herr Dr. K.,
Die Z.- Ausbildung ist keine vom OEPS anerkannte od. bei uns geführte Ausbildung.

Ich habe keinerlei Abzeichen od. Prüfungen noch eine Ausbildung der Kursleiterin eingetragen.
Sie war lediglich von 20x1 bis 20x3 Mitglied bei uns, der Kurs- Veranstalter ist ebenfalls bei uns nicht eingetragen.

Pferderegistrierung und Servicestelle
Österreichischer Pferdesportverband

 

Im Rahmen der Befundaufnahme zeigte die Klägerin an einem vom SV mitgebrachten Pferdeschädel, wie sie den „Tastbefund“ beim gegenständlichen Kurs erhoben hat.

 

Die Klägerin zeigt den verletzten Finger und wie durch eine „Fingernagel-Prothese“ am Mittelfinger die Verletzung kaum sichtbar ist. Als Verletzungsfolgen gab sie Sensibilitätsstörungen an der Fingerbeere an.

Anmerkung des SV Dr.K.: Der beschriebene „Fall“ ereignete sich zu einer Zeit, in der falsche Fingernägel noch nicht zum üblichen modischen Accesoire gehörten.

 
Fallanalyse

Qualifikation der Klägerin und der Beklagten:
– Keiner der beiden Streitteile weist eine Qualifikation in Pferdekunde auf;
– Die Beklagte verfügt über keine nachvollziehbare Ausbildung, die zum Unterricht als „Gesundheitstrainer für Pferde“ schlüssig und sinnvollerweise geeignete Voraussetzung wäre.
– Die Beklagte führt auf Ihrer Internetseite an, dass sie sich seit Anfang des Jahrtausends für naturheilkundliche Methoden und Homöopathie „interessiere“ und sich u.a. in Kinesiologie und „Schüssler -Therapie“ weiterbildete.
– Dokumente über abgeschlossene Ausbildungen wurden nicht vorgelegt.
– Soweit im Zuge der Befundaufnahme erkennbar war, hatte die Beklagte zum Zeitpunkt des Vorfalles - mit Ausnahme ihres Studiums der Pharmazie - keine andere abgeschlossene Ausbildung, die sie zum zertifizierten Unterricht für „Gesundheitstrainer für Pferde“ befähigen würde, vielmehr scheint sie „ihr Wissen“ durch den Besuch einzelner Wochenendkurse erworben zu haben.


Gutachten

– Das zu Übungszwecken am Vorfalltage herangezogene Pferd erwies sich als geduldig und kooperativ und zeigte selbst bei mehrfachen Wiederholungen des Untersuchungsvorgangs keine Abwehrtendenzen.
– Die Beklagte hielt sich – nach ihrer Angabe -während der Übungen (Erhebung von Tastbefunden) in der Nähe des Pferdes und der Kursteilnehmer auf, erläuterte mehrfach die Fragestellungen.
– Soweit nachvollziehbar, waren die Anweisungen und die, durch die Beklagte als Kursleiterin, vermittelten Wissensinhalte und deren Ausführung durch die Klägerin als Kursteilnehmerin korrekt und schlüssig – eine direkte Beobachtung war – anders als am Modell – am Übungspferd naturgemäß kaum möglich.


Die Frage, ob die Beklagte „Kurse“ dieser Art trotz fehlendem, fachlichem Hintergrund überhaupt anbieten und abhalten durfte, hatte der bestellte Sachverständige nicht zu beantworten, auch das Gericht äußerte sich zu dieser – nicht unwichtigen – Frage nicht, da ein Vorwurf in dieser Richtung kein Inhalt der Klage war.

Nota bene:
Die korrekte und umfassende Formulierung der Klageschrift ist im Zivilverfahren essentiell für den späteren Gutachtensauftrag an  Sachverständige und die  Prozessthematik.
Bekannte Sachverhalte, die in der „Klage“ nicht vorgehalten werden, können i.d.R. später nicht zum „Thema“ werden.

Im Rahmen der sogenannten „vorbereitenden Tagsatzung“ (erster Verhandlungstermin) haben die Rechtsvertreter regelmäßig die Gelegenheit, zusammen mit dem Gericht den Gutachtensauftrag an Sachverständige zu formulieren – diese haben die Pflicht, sich strikt an diesen Auftrag zu halten.
Themenbereiche, die weder in der Klage noch in anderen Vorbringen zur Rechtssache aufgeworfen werden, dürfen von Sachverständigen nicht ohne ergänzenden Gerichtsauftrag verfolgt werden, denn dies würde zum Vorwurf des „unerlaubten  Erkundungsbeweises“ führen.

Ist eine Thematik jedoch aus dem Akt bereits ableitbar oder implizit im Gutachtensauftrag enthalten – gegenständlich Beurteilung der Beaufsichtigung und Anweisungen durch die Beklagte – so sind Sachverständige verpflichtet, das Niveau des anzuwendenden „state of art“ zu erkunden, also zu erheben, auf Basis welcher Ausbildung eine Unterrichtserteilung erfolgt.


ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und  Bildern verfremdet und anonymisiert,  womit  geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit  für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt.

VORSCHAU: Ein Springreiter brachte seine Stute vorübergehend auf einem Gestüt unter, wo es in der Folge zu einem fatalen Unfall kam, bei dem sich die Stute schwer verletzte und innerhalb kurzer Zeit verstarb. Die Versicherung der Gestütsbesitzerin beauftragte Dr. K. als Sachverständigen – doch der stieß bei seinen Untersuchungen unvermutet auf zahlreiche Unklarheiten und sonderbare Umstände ...

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