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Gastkommentar: Die Spanische wurde kaputt repariert!
20.11.2021 / News

Seit zwei Jahrzehnten ist die Spanische Hofreitschule der Spielball politischer Kräfte – ohne Rücksicht auf Traditionen und ,rote Linien
Seit zwei Jahrzehnten ist die Spanische Hofreitschule der Spielball politischer Kräfte – ohne Rücksicht auf Traditionen und ,rote Linien' dieser Kulturinstitution, so Martin Haller. / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp

Dass ein Privathengst in der Spanischen Hofreitschule ausgebildet und eingesetzt wird, ist einmalig in der mehr als 400-jährigen Geschichte des Instituts – aber nur ein weiterer Tabubruch wie schon viele andere zuvor. Die Hofreitschule wurde seit 2001 kaputt repariert, so Martin Haller in einem Gastkommentar.

 

Penible Rechnungshof-Beamte – denen dafür unser ausdrücklicher und tiefempfundener Dank gebührt – haben zur leidigen Causa ,Spanische Hofreitschule’ noch einmal einen Bericht vorgelegt und schlicht alles bestätigt, was wir unverbesserlichen Pferdenarren seit 20 Jahren ebenso gebetsmühlenartig wie erfolglos wiederholten: Die Spanische hat abgewirtschaftet, und zwar in jeglicher Hinsicht, die Finanzen sind desolat, die Pferde überfordert, das Niveau ist am Boden – kurz: Die glorreiche ,Ausgliederung’ des Jahres 2001 ist krachend gescheitert.

Ich könnte mich nun – nachdem sich die allermeisten meiner in den Wind geschlagenen Warnungen bewahrheitet haben – zufrieden in den Lehnstuhl der hippologischen Lethargie versenken und die Brandreden jüngeren Federn überlassen. Einen Gedanken möchte und muss ich aber doch noch loswerden: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die ein gnädiges Schicksal zu seltener Perfektion reifen ließ, die in sich stimmig und rund waren. Sie waren sozusagen „klassisch“ geworden; zu ihnen gehörten zumindest bis um etwa 1980 (give or take a few years) unsere Lipizzaner, Fohlen, Stuten, Schulhengste …  Man brauchte sich über sie keinen Kopf zu zerbrechen, sie spielten, fraßen, sprangen Kapriolen auf der grünen Weide und im herrlichen Wiener Reitsaal, verdienten Geld, kosteten Geld, lockten Touristen an und waren einfach, was sie waren, ein kleiner Zipfel Vollkommenheit (Sie kennen den launigen Spruch, dass jeder echte Wiener seine Kindheit als Sängerknabe, seine Manneszeit als Lipizzaner und sein Alter als Hofrat zubringen möchte? Also, ICH kann mir inzwischen weit Angenehmeres vorstellen, weil doch nur mehr die Hofräte einigermaßen unbeschädigt sind – doch das nur nebenbei.)

Mein Resümee der Geschehnisse seit 2001, eigentlich seit 1982, lautet eindeutig, dass man diese wunderbare, gewachsene Institution „österreichische Lipizzaner“ einfach hätte in Ruhe lassen sollen! Ein altes irisches Sprichwort sagt: „Wenn es nicht kaputt ist, reparier es nicht“. Nichts war an unseren Kaiserschimmeln kaputt, weder die Genetik noch ihre Ausbildung, man hätte ein paar Boxen in der Stallburg und der Hermesvilla in aller Stille vergrößert, und alles wäre noch immer paletti. Jetzt sind sie kaputt repariert!

Österreichs Politik und ihre Handlanger haben 20 Jahre lang selbstherrlich, unbeirrbar und mit erstaunlicher Rücksichtslosigkeit gewerkt, haben Schulden angehäuft und die Reitkunst demoliert, haben Traditionen und Sachwerte (Wälder, Gebäude, Pferde usw.) vernichtet und unsinnige Duftmarken hinterlassen, die keiner brauchte. Und nun steht es im Rechnungshof-Bericht schwarz auf weiß, dass man auch vor dem letzten großen Tabubruch nicht zurückgeschreckt ist, nämlich die private Nutzung der Spanischen durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats (es gilt wie immer die Unschuldsvermutung).

Das ist, bitteschön, nicht mehr und nicht weniger als ein Sakrileg in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes, denn es war NIE UND NIMMER möglich, in der Schule ein Privatpferd zu halten, geschweige denn ausbilden zu lassen oder selbst zu reiten. Das wusste schon Arthur-Heinz Lehmann, der in seinem Roman „Hengst Maestoso Austria“ traurig feststellen muss, dass sein geliebter „Majestätischer“ – weil kein Ensemblepferd – nicht an der Spanischen verweilen darf und er wohl oder übel selbst in den Sattel steigen muss, um ihm Levaden beizubringen. Nicht einmal in der literarischen Fiktion war es für Lehmann (der die Gepflogenheiten der Spanischen sehr genau kannte) denkbar, dieses Tabu zu brechen.

Aber Politiker halten sich Journalisten, Konzerne halten sich Politiker, Influencer halten sich Follower – warum sollte sich in dieser Welt des Gebens und vor allem Nehmens nicht ein Aufsichtsrats-Vorsitzender einen Lipizzaner dort halten und ausbilden lassen, wo er das eigentlich nicht sollte oder dürfte? Solange keiner draufkommt, ist doch alles ok, oder?

Nein, ist es nicht, denn es gibt so etwas wie ein „G’hört sich“ und ein „G’hört sich nicht“. Und dergleichen gehört sich eben NICHT, nie und nimmer! Es gehört sich genauso wenig wie die mutwillige Demontage eines wichtigen Vorzeigebetriebes und Kulturgutes (geschehen seit 2001); wie die finanziell undurchsichtige, zumindest dumme Veräußerung von wertvollen Wäldern samt Provisionszahlung (geschehen 2007), wie die politisch motivierte Einsetzung von hippologisch relativ unerfahrenen Chefs und -innen in eine Position, welche eigentlich höchste reiterliche Fachkenntnis erfordert (alle nach Oberst Albrecht); es gehört sich auch nicht, parlamentarische Anfragen zum Thema unzureichend oder zynisch zu beantworten (geschieht dauernd, nachlesbar); verdiente Oberbereiter/Bereiter/Anwärter und Zuchtleiter in Piber aus persönlichen Motiven loszuwerden, ist ebenfalls ungehörig (geschehen mit Lehrner, Oulehla, Krzisch, Riegler und Druml und einigen weniger prominenten; man baut auch nichts um, was ein Fischer von Erlach geschaffen hat, pfuscht weder kitschige Lichtspiele oder gläserne Balkone dazu; es gehört sich im Umgang mit Menschen und Tieren einfach nicht, diese zu Statisten, Geldmaschinen oder willfährigen Erfüllungsgehilfen zu machen, weil sich eine fehlgeleitete Politik das so einbildet und und und …. Die betrübliche Liste ließe sich noch lange fortsetzen … aber schiefer kann die Optik eh schon nicht mehr werden.

Endlich auf den Punkt gebracht: Alle an den traurigen Umständen bisher Beteiligten sollten zur Strafe ein Jahr lang täglich „Die Flucht der weißen Hengste“ von Walt Disney anschauen müssen. Darin fänden sie jede Menge Vorbilder an Ehre, Mut und Entschlossenheit im Kampf für ihre Lipizzaner. Und der anstehenden Parlamentsdebatte zum Thema Rechnungshof etc. ist zu wünschen, dass man einfach den Urzustand wieder herstellt, und zwar mit aller Macht und Liebe zum Detail. Klingt banal und ist auch so gemeint. Jean Paul hatte Recht: Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann!
Martin Haller

Kommentare

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1) Henriette: Danke für diesen hervorragenden und richtigen Gastkommentar!
Sonntag, 21. November 2021
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