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Geklonte Nachkommen: Das zweite Leben von Spring-Legende Cruising
25.11.2021 / News

Verblüffende Ähnlichkeit: Cruising Arish ist ein Ebenbild seines genetischen Vorfahren ...
Verblüffende Ähnlichkeit: Cruising Arish ist ein Ebenbild seines genetischen Vorfahren ... / Foto: Martin Haller
... ebenso wie sein Klon-Kollege Cruising Encore.
... ebenso wie sein Klon-Kollege Cruising Encore. / Foto: Martin Haller

Quidam de Revel, E.T., Calvaro, Ratina Z – die Liste hochkarätiger Sportpferde, die ihre kostbaren Gene an geklonte Nachkommen weitergeben, ist eindrucksvoll. ProPferd-Autor Martin Haller nutzte die besondere Gelegenheit, die Klone einer weiteren vierbeinigen Legende kennenzulernen, nämlich des 2014 verstorbenen irischen Schimmelhengstes Cruising.

 

Das berühmte Klon-Schaf Dolly ist längst Geschichte, steht ausgestopft im schottischen Nationalmuseum und erinnert mit mildem Gesichtsausdruck nur wenig an den Riesen-Hype, den es hervorrief. Dabei ist „es“ eigentlich falsch, denn das Schaf war eine „Schäfin“, Mutter etlicher Lämmer und genauso normal und fruchtbar wie andere Artgenossen. Seit Dolly und dem Jahr 1996 ist viel passiert in Sachen Haustier-Genetik und Biologie. Vor allem bewies Dolly damals, dass man aus den Körperzellen von erwachsenen (sogar toten oder kastrierten) Tieren durchaus wieder Keimzellen und damit identische Embryonen erschaffen kann. Klonen beginnt mit einer Eizelle, die wie alle anderen einen eigenen Zellkern besitzt. Entfernt man ihn, so dass die Eizelle kein eigenes Erbmaterial mehr besitzt, kann man ihn durch einen anderen Zellkern mit neuem Erbmaterial aus einer reifen Körperzelle ersetzen. In der Fachwelt heißt die Technik „Kerntransfer“, manchmal auch „Dolly-Methode“, umgangssprachlich Klonen. So entstehen genetisch identische Kopien eines erwachsenen Tiers.

Bei Dollys „Klongeburt“ kehrten Forscher erstmalig den biologischen Alterungsprozess um, machten eine reife Körperzelle wieder embryonal. Das galt in der Entwicklungsbiologie zuvor als unmöglich – und erweckte in der Pferdezucht sofort allerlei Träume von endlos reproduzierbaren Top-Hengsten, die nun „ewig“ nutzbar wären. Tatsächlich gelang es erst recht spät, Pferde erfolgreich zu klonen, und bis heute ist das Verfahren aufwändig, langwierig und wird nur an einigen Orten vorgenommen. Erfolgreiche Labors befinden sich z. B. in den USA, Argentinien, Italien und Frankreich.

Cesare Galli und seiner Frau Giovanna Lazzari erzeugten 2003 im Laboratorio di Tecnologia della Riproduzione Cremona das erste Klonpferd aus 841 Embryonen, von denen 22 lebensfähig waren; 17 Embryonen wurden in Stuten eingesetzt, vier Stuten wurden trächtig – aber nur eine brachte ein Fohlen, das ein völlig gesunder Hafi wurde. Stuten bilden nur wenige Eizellen, darum kommen diejenigen, welche beim Klonen mit neuem Genmaterial befüllt werden, von Schlachthöfen. Man benötigt außerdem viele Stuten, die zum Austragen der Fohlen dienen, den man muss immer noch 15 bis 20 Embryos einsetzen, bevor ein Klon geboren wird, sagt Galli. Klonen wird wohl immer eine aufwendige, teure Technologie sein, mit der man nur wenige ausgewählte Tiere vervielfältigt und immer wieder zu neuem Leben erweckt.

Zwei Jahre später gelang es den italienischen Forschern, in Zusammenarbeit mit dem französischen Gen-Labor Cryozootech, das erste Hochleistungspferd zu klonen, den Vollblut-Araber Pieraz, zweimal Distanz-Weltmeister. Cryozootech kommerzialisierte den Prozess und legte die erste Genbank an. Die Namensliste der Spenderpferde war beeindruckend: Quidam de Revel, E.T., Calvaro, Poetin, Ratina. Für Aufsehen sorgte 2006 ein Klon von Hugo Simons Spitzenpferd E.T., und im Sommer 2013 ging die Nachricht durch die Presse, dass zwei Klone von Rusty existieren, Ulla Salzgebers Dressurcrack; beide „Originalpferde“ waren Wallache und daher ohne Nachkommen. Auch das belgische Gestüt Zangersheide interessierte sich umgehend für die neue Technologie – der erste Z-Klon war Chellano Alpha Z von 2008. Zangersheide gab vier Klone – oder Kloninnen – der Stute Ratina Z in Auftrag, die als eines der besten Springpferde der Welt gilt.

Unsterblicher Cruising
Auch eine andere Spring-Legende machte sich – von der Weltöffentlichkeit bislang nur wenig bemerkt – durch geklonte Nachkommen gleichsam unsterblich, nämlich der grandiose Schimmelhengst Cruising von Sea Crest aus der Stute Mullacrew, der als Springpferd und als Vererber jahrelang dafür sorgte, dass Irland in beiden Bereichen zur Weltspitze zählte.

Als wir uns auf dem relativ kleinen Gestüt von Cruisings Züchterin Mary McCann selbst ein Bild von seinen genetischen Doppelgängern machen durften, schickte uns Mary in die Reithalle – dort würde Cruising Arish gerade gesprungen … und fünf Minuten später blieb uns buchstäblich die Luft vor Verblüffung weg: Da war ER, kein Zweifel! Dieselbe Galoppade, derselbe Stil am Sprung, das Gesicht, einfach alles völlig identisch … eindeutig eine Wiederauferstehung!

Das Hartwell Gestüt wurde 1880 gegründet und wurde in den letzten 40 Jahren von Mary und David McCann zu einem Zentrum des Springsports in Irland aufgebaut. Man hat sich auf die Zucht von Leistungspferden für den Weltmarkt im Spring- und Vielseitigkeitssport konzentriert. Durch selektive Zucht des Irish Sport Horse haben die McCanns den Irish Draft, weltweit bekannt als Grundlage für Spitzenspringer, mit ausgewähltem Dreiviertel- und Vollblut kombiniert, um einige der besten Spring- und Vielseitigkeitspferde der Welt hervorzubringen. Der Betrieb ist vom Landwirtschaftsministerium für die Entnahme und den Export von gefrorenem und gekühltem Samen und Embryotransfers zugelassen. Mit den beiden Klonen von Cruising wurde hier Neuland betreten, denn Derartiges kannte man in Irland zuvor nicht.

Sein Vater Sea Crest wurde von Mary McCann entdeckt, die uns die spannende Geschichte erzählte: „Ich pachtete den Draft-Hengst dreijährig vom irischen Landwirtschaftsministerium, und bald haben wir sein enormes Springvermögen erkannt. Innerhalb von drei Jahren war er S-fertig, dann haben wir ihn ins Gestüt geholt, weil er nicht verheizt werden sollte. Cruisings Mutter Mullacrew war ein mittelmäßiges internationales Springpferd, nicht der Star im Grand Prix, wie es die Legende behauptet. Ihr Vater, der Vollbluthengst Nordlys, brachte viele berühmte Springpferde, darunter der italienische Olympiasieger von 1972, Ambassador, mit Graziano Mancinelli. Sie wurde vom Sport abgezogen, nachdem sie international für die Armee gesprungen war und Shows wie Luzern, Rom und Wembley gewonnen hatte. Nach ihrer Pensionierung hat sie ein einziges Fohlen gebracht und blieb drei Jahre güst. Als Mullacrew neunzehn war, wurde uns gesagt, wir sollten sie einschläfern. Am Ende habe ich Mullacrew 1984 gepachtet und wir haben sie in der nächsten Woche mit Sea Crest gedeckt. Cruising war der Nachwuchs, ein schönes Fohlen, das aber nichts Besonderes an sich hatte. Als er drei Jahre alt war, begann er hengstig zu werden. Ich sagte zu Edward Doyle, unserem internationalen Reiter, wenn er nicht springt, kastriere ich ihn. Er ist bis ins Dach gesprungen – und da haben wir gemerkt, dass wir doch etwas ganz Besonderes haben. Von da an trainierten wir ihn sehr ruhig und setzten ihn gezielt ein.“

Star im Parcours
Als Springer war Cruising ein Star – Sieger in 18 internationalen Grand Prix, darunter Aachen, Dortmund und Luzern, Zweiter im Weltcupfinale Göteborg 1999, Sechster bei den Weltreiterspielen Rom 1998, Siebenter der EM 1997, Sieger der WM-Qualifikationen Millstreet 1997 und 1998 und Genf 1998 und Teil des Nationenpreisteams in Dublin 1995 bis 1997, Aachen 1995, San Marino 1994, Calgary 1995 und Rotterdam 1996. Bis Dezember 1999 hatte Cruising in über 138 anerkannten internationalen Springpferdeprüfungen teilgenommen und war in 90 % davon platziert.

Ein genetischer Volltreffer
Mary McCann sah ihn mit Besitzerstolz und Züchterblick: „Genetisch war er ebenfalls ein Hit. Er vererbte sich sehr gut, war ein Veredler – er machte die Produkte nie schwer oder plump, und alle waren am Tag ihrer Geburt schon sehr korrekt.“ Der temperamentvolle Schimmel wurde in seiner zweiten Karriere als Deckhengst ein bewährter Produzent internationaler Spring- und Vielseitigkeitspferde, mit über 200 erfolgreichen Nachkommen im internationalen Sport, darunter Flexible (ISH), SailsAway (ISH), Mic Mac Du Tillard, Mr. Medicott (ISH) und Mr. Cruise Control. Der einzige irische Hengst mit fünf Sternen für seine Eigenleistung und jeweils fünf für seine Springnachkommen UND seine Vielseitigkeitsnachkommen starb 2014 im hohen Alter von 29 Jahren einen schnellen und friedlichen Tod. Doch Familie McCann konnte und wollte auf ihren Liebling und Superstar nicht verzichten und entschloss sich, ihm gleichsam eine dritte Karriere zu ermöglichen, sprich: ihn zu klonen. Durch seine 100 % genetisch identischen Hengst-Klone Cruising Arish (ISH) und Cruising Encore (ISH) ist der legendäre Spring-Crack züchterisch noch immer verfügbar, und zwar sowohl mit Frischsperma als auch TK-Sperma, das international versendet wird.

Etwa 200 geklonte Pferde gab es Schätzungen zufolge vor 10 Jahren. Heute ist es ohne Zweifel ein Vielfaches davon – eine genaue Zahl lässt sich kaum noch feststellen. Weil die Nachfrage wächst und die Technik weltweit Nachahmer gefunden hat, steigt ihre Zahl täglich. Auch asiatische Labore drängen auf den wachsenden Markt. Wegen des nach wie vor recht hohen Preises werden in den meisten Fällen aber überwiegend erfolgreiche Spitzenpferde kopiert – zu Zuchtzwecken. Denn so rentiert sich die Investition von derzeit rund 75.000,– € in ein Klon-Baby. Es geht nicht darum, Kopien von Top-Pferden anzufertigen, damit diese dieselben Pokale und Preisgelder gewinnen. „Dann müsste man auch den Reiter klonen, die Aufzucht imitieren, die Fütterung und das Umfeld, einfach alles“, sagt McCann. Es geht um die Verbesserung der Zucht und um die nächsten Generationen, denn Leistung ist vererblich, hofft man auf Hartwell Stud. So springen Cruising Arish und Cruising Encore selbst schon recht erfolgreich – und man ist auf ihre Nachkommen gespannt. Wir sind es auch – und waren froh, quasi noch einmal einen Blick auf „den alten Herrn“ geworfen zu haben, wenn auch in neuer Gestalt.
Martin Haller

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