Pferde studieren Gesichtsausdruck ihrer Artgenossen ganz genau 26.07.2017 / News
Mit diesen Pferde-Portraits wurden die Experimente durchgeführt. / Foto: J. Wathan/L. Proops/K. Grounds/K. McComb
Pferde können aus der Mimik ihrer Artgenossen wichtige soziale Informationen ablesen und orientieren auch ihr Verhalten danach – das konnten britische Wissenschaftler im Rahmen einer Studie nachweisen.
Wenn wir wissen wollen, wie ein Mitbürger gerade aufgelegt ist, ob er gut gelaunt oder griesgrämig ist, ob er freundliche Absichten hegt oder auf Krawall gebürstet ist, ob er neugierig und kontaktsuchend ist oder ob er lieber in Ruhe gelassen werden möchte: Dann schauen wir in sein Gesicht – und sind informiert. Lange Zeit galt diese Fähigkeit, schon kleinste Änderungen im Gesichtsausdruck eines anderen lesen und interpretieren zu können, als Zeichen höchster sozialer Kompetenz und eines besonders privilegierten evolutionären Status, der nur dem Menschen und allenfalls eng verwandten Primaten zukommt. Doch jüngste Forschungsarbeiten belegen: Pferde können das genauso.
Dass auch andere Tierarten zu einer derart diffizilen „mimischen" Kommunikation fähig sind, konnte in den letzten Jahren wissenschaftlich gut belegt werden – Hunde und Katzen zum Beispiel können das, aber eben auch Hauspferde. Sie verfügen über eine enorme Bandbreite mimischer Ausdrucksmöglichkeiten – mit deren Hilfe sie sehr effizient miteinander kommunizieren können, wie eine Studie nun nachweisen konnte: Pferde müssen sich nicht immer durch Körpersprache, durch akustische Signale oder Gerüche mitteilen – oft reicht ein Blick ins Gesicht des Artgenossen, der mehr sagt als tausend Worte.
So selbstverständlich, ja, banal die Erkenntnis anmutet, dass Pferde die Gesichtsausdrücke ihrer Artgenossen lesen und interpretieren können, so schwierig ist dieser Nachweis auch wissenschaftlich zu erbringen. Vor allem britische Wissenschaftler haben sich diesem Thema seit Jahren intensiv gewidmet – und dafür ein eigenes „Gesichts-Ausdruck-System" (Facial Action Coding System = FACS) emtwickelt, mit dessen Hilfe sich mimische Ausdrucksmöglichkeiten bei unterschiedlichen Spezies darstellen und kategorisieren lassen (siehe unseren ausführlichen Artikel dazu). Das für Pferde adaptierte Modell heißt EquiFACS und konnte immerhin 17 eigenständige Ausdrucks-Einheiten (Action Units) beim Pferd identifizieren – mehr sind es nur beim Menschen (27) und bei Katzen (21).
Mit Hilfe dieses Systems konnten die Wissenschaftler Jennifer Wathan, Leanne Proops, Kate Grounds und Karen McComb nun zeigen, dass Pferde tatsächlich die Gesichtsausdrücke von Artgenossen lesen und aus ihnen eindeutige Informationen gewinnen können – und das ohne jegliche Unterstützung durch andere Körpersignale oder -reize wie etwa akustische Geräusche oder Gerüche. Und das ist, so die Wissenschaftler, eine spannende, neue Erkenntnis: „Obwohl wir wissen, dass Pferde klare Gesichtsausdrücke produzieren, konnten wir bislang noch nie beweisen, dass die anderen Pferde um sie herum tatsächlich auf diese Ausdrücke achten und ihr eigenes Verhalten danach ausrichten und orientieren", so Dr. Leanne Proops von der Forschungsgruppe für Säugetier-Kommunikation und -kognition der Universität Sussex.
Um andere Einflussfaktoren wie Bewegungen, Töne oder Gerüche auszuschließen, haben Dr. Proops und ihre Kolleginnen die Reaktion von insgesamt 48 Testpferden (29 Wallache, 19 Stuten) analysiert, denen in einem neutralen Umfeld Fotos gezeigt wurden. Sie zeigten den einzelnen Tieren jeweils zwei Fotos des gleichen, ihnen jedoch unbekannten Pferdes mit jeweils unterschiedlichem Gesichtsausdruck. Insgesamt gab es drei dieser „Unterschieds-Paare" – und jedes Paar repräsentierte einen unterschiedlichen Gemütszustand: positive aufmerksam/agonistisch, entspannt/agonistisch und positive aufmerksam/entspannt. Die Forscher definierten diese Ausdrücke und ihre damit zusammenhängenden Emotionen nach dem bewährten EquiFACS-System.
Das Ergebnis der Versuche war eindeutig: Die Pferde tendierten beim Betrachten der Foto-Paare deutlich dazu, sich den Bildern mit positiv-aufmerksamer Grundstimmung mehr zu nähern als den Fotos mit agonistischer Grundstimmung, die Konkurrenz und Rivalität vermittelten. Sie bevorzugten auch Fotos mit entspanntem Ausdruck mehr als mit agonistischem. Zwischen ,entspannt' und ,positiv-aufmerksam' schien es hingegen keine Präferenzen zu geben – die Testpferde näherten sich beiden Fotos mehr oder weniger gleich stark,
„Wir waren überrascht von der Aussagekraft und der Deutlichkeit der Ergebnisse – wie klar die Pferde die unterschiedlichen Gesichts-Ausdrücke unterscheiden konnten und wie motiviert sie waren, sich den ,positiven' Fotografien anzunähern, wenn sie dazu die Möglichkeit hatten", so Dr. Proops im Gespräch mit dem Portal TheHorse.com. „Denn es waren schließlich nur fotografische Stimuli, die sie da zu sehen bekamen – und keine realen Pferde. Sie kamen oft ganz nah an die Gesichter heran und ,begrüßten' das unbekannte Pferd Nase an Nase, als ob es ein echtes Pferd wäre."
Für Dr. Proops und ihre Kolleginnen war dieses Experiment nur ein erster Schritt, um die Bedeutung derartiger mimischer Signale – und die Reaktionen darauf – für das soziale Verhalten von Pferden im Allgemeinen zu verstehen: „Vielleicht finden wir zuverlässige Unterschiede in der Art und Weise, wie unterschiedliche Pferde auf derartige Gesichts-Ausdrücke antworten bzw. reagieren", so Dr. Proops. „Das könnte für Pferdebesitzer und -halter von Nutzen sein – sie könnten etwa die unterschiedliche Art und Weise kennenlernen, in der Pferde auf soziale Signale reagieren und wie gut sie mit anderen Pferden in ihrer sozialen Umgebung zurechtkommen. Diese Arbeit geht noch weiter."
Dr. Proops regt sogar an, dass Pferdebesitzer diesen Test auf eigene Faust durchführen könnten: „Es ist ein sehr einfach Setup und erfordert nur Besitzer, der Fotos in einem abgegrenzten Bereich aufstellt und sein Pferd frei wählen lässt, mit welchen Stimuli es interagieren möchte – und mit welchen nicht. So könnten sie lernen, dass die Art und Weise, wie ihr Pferd auf diese Reize reagiert, etwas über die Persönlichkeit des Pferdes aussagt. Das untersuchen wir gerade in einem weiteren Projekt", so Dr. Proops. Das Pferd scheint in der Tat ein faszinierendes und unerschöpfliches Forschungsgebiet zu sein ...
Die Studie „Horses discriminate between facial expressions of conspecifics" von Jennifer Wathan, Leanne Proops, Kate Grounds und Karen McComb ist im Dezember 2016 in der Zeitschrift ,Scientific Reports' erschienen und kann in englischsprachiger Originalfassung hier nachgelesen werden.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:06.08.2015 - Was der Gesichtsausdruck eines Pferdes alles sagt
Was der Gesichtsausdruck eines Pferdes alles sagt 06.08.2015 / News
Hier die „Ausgangsposition" (A) der Pferdeohren – und nachdem die Muskeln zum Ohren-Drehen und Ohren-Anlegen betätigt wurden (B). / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g015 Bild A zeigt einen „neutralen" Gesichtsausdruck – Bild B den Ausdruck, nachdem die Nüstern leicht angezogen wurden (Pfeilrichtung beachen). / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g008 Hier wird die innere Augenbraue hochgezogen – eine Ausdrucks-Einheit, die bei Pferden oftmals zu beobachten ist. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g004 Hier eine „Landkarte" des Pferdegesichts mit den wichtigsten Ausdrucks-Regionen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g002 Hier die Gesichtsmuskulatur des Pferdes – wie sich zeigt, sind vor allem die Muskeln rund um Ohren, Lippen und Nase außerordentlich groß und komplex. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g001 Hier die 17 eigenständigen „Ausdrucks-Einheiten" des Pferdegesichts im Überblick – viele davon haben Pferde mit dem Menschen gemein. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.t001
Pferde haben eine große Bandbreite an mimischen Ausdrucksmöglichkeiten, und viele davon gleichen jenen des Menschen – das konnten britische Forscher im Rahmen einer aktuellen Studie nachweisen.
„Was uns überrascht hat, war die große Zahl komplexer Gesichtsbewegungen bei Pferden – und daß viele davon jenen des Menschen sehr gleichen. Abgesehen von den Unterschieden in der Struktur und der Bemuskelung des Gesichts zwischen Menschen und Pferden konnten wir – vor allem hinsichtlich der Bewegungen von Lippen und Augen – einige sehr ähnliche Gesichtsausdrücke entdecken", so eine der Leiterinnen der Studie, Jennifer Wathan, von der Universität von Sussex. Einige Gesichtsausdrücke glichen auf frappierende Weise jenen von Menschen und Schimpansen, so die Forscher, die ihre Ergebnisse kürzlich im Journal PLOS ONE veröffentlichten.
Wie andere Säugetiere – und wie auch der Mensch – verwenden Pferde die unter dem Gesicht liegenden Muskelstrukturen, einschließlich Nüstern, Lippen und Augen, um durch ihre Mimik in unterschiedlichen sozialen Situationen zu kommunizieren und Gemütszustände auszudrücken. Wie bereits frühere Studien gezeigt haben, ist dies für Pferde ein wichtiger Mechanismus, um miteinander zu kommunizieren. „Pferde sind vor allem visuelle Tiere, ihr Sehvermögen ist sogar jenem vom Hauskatzen oder Hunden überlegen – dennoch hat man vielfach ihre mimischen Ausdrucksmöglichkeiten übersehen", so Jennifer Wathan.
Um diese Möglichkeiten in ihrer gesamten Bandbreite darstellen zu können, haben die Forscher ein spezielles Kodierungs-System entwickelt, um die einzelnen Gesichtsausdrücke auf der Basis der darunterliegenden muskulären Strukturen beschreiben zu können. Sie nannten es das ,Equine Facial Action Coding System' (EquiFACS) – frei übersetzt: equines Gesichts-Ausdrucks-System. Die Forscher analysierten umfangreiches Video-Material, das natürliches Pferde-Verhalten dokumentierte, um möglichst alle unterschiedlichen Ausdrucksweisen zu identifizieren, die Pferde mit ihrem Gesicht darstellen können. Insgesamt wurden 86 Pferde unterschiedlichen Alters und verschiedener Rassen in die Untersuchung einbezogen.
Das Gesichts-Ausdrucks-System (Facial Action Coding System = FACS) wurde ursprünglich für den Menschen entwickelt. Um es auch auf Tiere und im konkreten Fall auf Pferde anwenden zu können, mussten in einem ersten Schritt die Anatomie und die muskulären Strukturen des Pferdegesichts genau analysiert werden. Dabei zeigte sich, daß die Muskeln rund um Ohren, Lippen und Nase des Pferdes außerordentlich groß und komplex waren. Anschließend konnten sich die Forscher daran machen, die auf den Video-Aufzeichnungen dokumentierten eigenständigen Gesichtsbewegungen den zugrundeliegenden Gesichtsmuskeln zuzuordnen.
Auf diese Weise konnten sie insgesamt 17 eigenständige ,Action Units', also Ausdrucks-Einheiten bzw. Ausdrucks-Möglichkeiten, bei Pferden identifizieren. Beim Menschen sind es übrigens 27 – beim Schimpansen 13, bei Orang-Utans 16, bei kleinen Menschenaffen und bei Hunden 16 und bei Katzen – die in dieser Hinsicht dem Menschen am nächsten kommen – sind es 21. Für die Wissenschaftler war es eine interessante Entdeckung, daß Pferde mehr ,Ausdrucks-Einheiten' besitzen als die meisten anderen Tierarten, für die ein solches System bereits entwickelt wurde.
In einem letzten Schritt wurden schließlich die 17 eigenständigen Gesichtsbewegungen bzw. Ausdrucks-Einheiten detailliert beschrieben – darunter waren etwa das ,Anheben der inneren Augenbraue', das ,Schließen bzw. Blinzeln der Augen' und eine breite Palette von Lippen-, Ohren- und Nüstern-Bewegungen sowie Bewegungen des Mauls, des Kiefers und des Kinns.
Prof. Karen McComb von der Universität Essex: „Früher dachte man, daß – je weiter eine Spezies vom Menschen entfernt wäre – auch die Ausdrucksmöglichkeiten des Gesichts zusehends weniger ausgeprägt wären. Durch die Entwicklung von EquiFACS haben wir erkannt, daß Pferde mit ihrem komplexen, stets in Veränderung begriffenem Sozialsystem ebenfalls über eine enorme Bandbreite von mimischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügen – und daß sie viele davon mit dem Menschen und anderen Tieren gemeinsam haben. Das bestärkt uns in der Annahme, daß nicht nur evolutionärer Druck, sondern auch soziale Faktoren einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung mimischer Ausdrucksmöglichkeiten haben."
Die Forscher weiter: „Durch jüngere Forschungsarbeiten ist deutlich geworden, daß Pferde durchaus komplexe mimische Ausdrucksweisen beherrschen – und daß bestimmte Ausdrucks-Merkmale mit Schmerz in Verbindung stehen (Anm.: siehe auch diesen Artikel dazu). Aber bis jetzt gibt es kaum Studien, die untersuchen, welche Bandbreite an Informationen Pferde durch ihre vielfältigen mimischen Ausdrucksmöglichkeiten vermitteln können. So wissen wir von keinen Forschungsarbeiten, in welchen etwa die Gesichts-Ausdrücke von Pferden im Zusammenhang mit positiven Erfahrungen oder Emotionen aufgezeigt werden – und das ist zweifellos ein wichtiger, bislang kaum verstandener Aspekt des Wohlbefindens von Pferden."
Die Forscher hoffen, mit dem von ihnen entwickelten Gesichts-Ausdrucks-System die Basis dafür gelegt zu haben, diese Forschungslücke zu schließen – denn eine systematische Aufzeichnung und Analyse von Gesichtsausdrücken kann in vielerlei Hinsicht nützlich sein, so Prof. McComb abschließend: „Mit EquiFACS können wir den Gesichtsausdruck in unterschiedlichen sozialen und emotionalen Situationen dokumentieren und so Einblick in die Art und Weise gewinnen, wie Pferde gerade ihre soziale Umgebung wahrnehmen. Das wird unser Verständnis ihres Verhaltens, ihrer Kommunikation und ihrer Psyche verbessern – und kann uns wertvolles Wissen liefern, um ihre medizinische Versorgung oder ihre Haltungsbedingungen zu optimieren."
Die Studie „EquiFACS: The Equine Facial Action Coding System" von Jen Wathan, Anne M. Burrows, Bridget M. Waller und Karen McComb ist in der August-Ausgabe des Journals PLOS ONE erschienen und kann in voller Länge hier nachgelesen werden.
07.08.2015 - Studie: Schmerzen sind ins Pferdegesicht geschrieben
Studie: Schmerzen sind ins Pferdegesicht geschrieben 07.08.2015 / Wissen
Hier Beispiele für die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,steif rückwärtsgerichtete Ohren'. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Hier unterschiedliche Formen des Merkmals ,zusammengezogene Augen' – das Augenlid ist teilweise oder sogar vollständig geschlossen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Hier die unterschiedlichen Formen des Merkmals ,angespannte obere Augen-Region' – je nach Anspannung der um die Augen liegenden Muskeln werden die darunterliegenden Knochen sichtbar. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Hier die Ausformungen des Merkmals ,angespannte Kaumuskulatur' – deutlich sichtbar ist auf dem rechten Foto die verkrampfte Maulpartie. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Hier das Merkmal ,angespanntes Maul und akzentuiertes Kinn' – besonders deutlich am Foto ganz rechts zu sehen, wo die Oberlippe stark zurückgezogen ist und die Unterlippe ein deutliches ,Kinn' formt. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Hier die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,angespannte Nüstern und flaches Profil'. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002 Dieses Pferd wurde auf der ,Skala des Schmerzausdrucks' mit 1 bewertet – es ist also als weitgehend schmerzfrei zu beurteilen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g003 Dieses Pferd wurde auf der Skala mit 8 bewertet – zeigt also deutliche Anzeichen von Schmerz. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g003
Eine Gruppe europäischer Wissenschaftler hat untersucht, ob und wie sich Schmerzen im Gesichtsausdruck von Pferden ablesen lassen – und dafür ein Bewertungssystem mit hoher Zuverlässigkeit entwickelt.
Jeder Pferdebesitzer wird der Behauptung zustimmen, daß sich auch am Gesichtsausdruck von Pferden ablesen läßt, ob diese Schmerzen haben oder nicht. Aber es wird den meisten schwerfallen, präzise und nachvollziehbar zu beschreiben, an welchen mimischen Details sie das nun genau erkannt haben.
Exakt dieser Aufgabe haben sich sechs Wissenschaftler aus Italien, Deutschland und Großbritannien gestellt: Sie wollten ein schlüssiges, leicht erlernbares Bewertungssystem entwickeln, das es Pferdebesitzern sowie Personen, die beruflich mit Pferden zu tun haben, ermöglicht, den ,Schmerzzustand' von Pferden möglichst genau zu bestimmen. Das Ergebnis bezeichneten sie als ,Horse Grimace Scale' – also die ,Skala des Schmerzausdrucks' bei Pferden.
„Obwohl in den letzten 20 Jahren beträchtliche Fortschritte im Verständnis der Physiologie und der Behandlung von Schmerzen bei Tieren gemacht wurden, ist das Abschätzen von Schmerzen bei vielen Standard-Prozeduren wie etwa dem Fohlenbrennen oder auch bei Kastrationen, noch immer schwierig und häufig unzureichend", so die Forscher. „Obwohl die Kastration bei Pferden längst veterinärmedizinischer Alltag ist, gibt es für die Schmerzbeurteilung nach wie vor keine etablierte, allgemein anerkannte Methode. Wie bei anderen Tierarten ist auch der Schmerz bei Pferden schwer abschätzbar, da sie mit uns Menschen nicht in einer klaren, bedeutungsvollen Sprache kommunizieren können." Wie groß und gravierend das Problem allein im Zusammenhang mit Kastrationen ist, belegen die Wissenschaftler mit bedrückenden Zahlen: „Jährlich werden in Europa schätzungsweise 240.000 Pferde kastriert – und die Kastration ist nachweislich mit einem gewissen Grad an Schmerz verbunden", so Dr. Michela Minero, eine er Studienautorinnen. „Dennoch erhalten nur 36,9 % der kastrierten Pferde Schmerzmittel nach der Operation. Eine mögliche Erklärung dafür ist eben, daß die Schmerzbeurteilung während einer Kastrations-OP noch immer unzureichend ist." Mit anderen Worten: Das Leid der Pferde bleibt unbemerkt – und deswegen auch unbehandelt.
Um diesem deprimierenden Zustand abzuhelfen, entwickelten die Wissenschaftler die erwähnte ,Skala des Schmerzausdrucks'. Im Rahmen einer Studie analysierten sie das Schmerzverhalten von insgesamt 46 Hengsten verschiedener Rassen im Alter zwischen 1 und 5 Jahren. Die Hengste wurden in zwei Behandlungsgruppen mit 19 Hengsten (Gruppe A) und 21 Hengsten (Gruppe B) sowie in eine Kontrollgruppe mit 6 Hengsten eingeteilt. Alle Hengste wurden routinemäßig kastriert.
Gruppe A erhielt unmittelbar vor der Anästhesie eine Injektion Flunixin-Meglumin, ein Entzündungshemmer mit deutlich schmerzstillender Wirkung; Gruppe B erhielt denselben Wirkstoff verabreicht – jedoch sowohl unmittelbar vor der Anästhesie als auch sechs Stunden nach der durchgeführten Operation. Die Kontrollgruppe wurde ebenfalls unter Vollnarkose operiert – erhielt jedoch kein schmerzstillendes Mittel.
Sämtliche Pferde wurden für fünf Tage in einer Pferdeklinik stationiert und sowohl am Tag vor der Kastrations-OP als auch acht Stunden nach der OP mittels HD-Videos beobachtet. Auch an allen Folgetagen wurden Videos angefertigt, aus denen schließlich hochauflösende Fotos der Pferdegesichter entnommen wurden. Anschließend wurden von jedem einzelnen Hengst die Bilder vor und acht Stunden nach der OP von einem fachkundigen Beobachter analysiert, der in der Beurteilung des Schmerzausdrucks bei anderen Tierarten speziell geschult war. Der Beobachter wußte dabei nicht, welcher Behandlungsgruppe das jeweilige Pferd angehörte.
Am Ende ergaben sich aus den umfangreichen Bewertungen insgesamt sechs ,facial actions units', also ,Gesichts-Merkmale', aus denen sich Rückschlüsse auf das Schmerzempfinden eines Pferdes ziehen lassen. Diese sind:
– steif rückwärtsgerichtete Ohren
– zusammengezogene Augen
– angespannte obere Augen-Region
– angespannte Kaumuskulatur
– angespanntes Maul und akzentuiertes Kinn
– angespannte Nüstern und flaches Profil
Jedes dieser Merkmale kann auf einer Skala von 0 bis 2 bewertet werden (0 = nicht vorhanden, 1 = leicht vorhanden, 2 = deutlich vorhanden). Insgesamt ergibt sich somit eine Maximalbewertung von 12 Punkten.
Schmerz-Verhalten war bei den beobachteten Pferden vorwiegend acht Stunden nach der Kastrations-OP festzustellen – dies scheint somit ein entscheidender Zeitpunkt für die Schmerzbeurteilung zu sein.
Auch ein Test mit fünf verschiedenen, unabhängigen Beobachtern ergab, daß die so erarbeitete Skala zuverlässige und schlüssige Resultate lieferte. Es zeigte sich auch, daß die mit Schmerz verbundenen Veränderungen im Gesichtsausdruck sehr ähnlich zu jenen waren, die bereits bei anderen Tierarten beobachtet wurden, freilich mit kleinen, subtilen Abweichungen: Wie schon in früheren Untersuchungen bewiesen werden konnte, kann sich Schmerz bei Pferden auch durch verschiedene unspezifische Indikatoren ausdrücken, etwa einer insgesamt geringeren Körperaktivität, einem gesenkten Kopf, starrem Blick, steifer Haltung und Bewegungs-Unwilligkeit. Auch in der aktuellen Studie hat sich gezeigt, daß die Pferde in den acht Stunden nach der OP zu einer deutlich tieferen Kopfhaltung neigten.
„Unsere Studienergebnisse zeigen, daß die ,Horse Grimace Scale' – also die ,Skala des Schmerzausdrucks' – eine potentiell effektive Methode ist, die Schmerzen bei einer Kastrations-OP zu beurteilen", so die Forscher abschließend. Die Genauigkeit der Skala wurde mit 73,3 % angegeben. Die Beurteilung post-operativer Schmerzen anhand der ,Skala des Schmerzausdrucks' habe gegenüber einer traditionellen Verhaltens-Analyse eine Reihe klarer Vorteile – so wäre letztere erheblich komplexer, weil man dabei eine viel größere Zahl von möglichen Verhaltensweisen berücksichtigen müsse, so die Wissenschaftler. Sie betonten aber auch, daß noch weitere Bestätigungen für die Effizienz der Skala erforderlich sind – aber die ersten Resultate stimmen zuversichtlich, daß damit ein zuverlässiges Tool verfügbar ist, um post-operative Schmerzen bei Pferden korrekt einschätzen zu können. Dr. Michael Minero: „Die standardisierte ,Skala des Schmerzausdrucks' ist auch für Laien leicht erlernbar und kann nützlich für alle jene Personen sein, die Pferde betreuen, welche in irgendeiner Weise schmerzhaften Behandlungen oder Prozeduren ausgesetzt waren."
Die Studie ,Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration' von Dr. Michela Minero, Emanuela Dalla Costa, Dirk Lebelt, Diana Stucke, Elisabetta Canali und Matthew Leach ist im März 2014 im Journal PLOS ONE erschienen und kann in voller Länge hier nachgelesen werden.
29.03.2017 - Lahmheit ist auch im Pferdegesicht erkennbar
Lahmheit ist auch im Pferdegesicht erkennbar 29.03.2017 / News
Die Schmerzen einer Lahmheit sind gerittenen Pferden buchstäblich ins Gesicht geschrieben – das bestätigte die Studie britischer Forscher. / Symbolfoto: Fotolia/Kseniya-Abramova
Eine speziell geschulte Tierärztin konnte anhand von Kopffotos mit hoher Zuverlässigkeit bestimmen, ob das abgebildete Pferd an Lahmheit litt oder nicht.
Die Erforschung des Schmerzausdrucks bei Pferden ist in den letzten Jahren zusehends ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Bereits im Jahr 2014 ist es einem Forscher-Team aus Italien, Deutschland und Großbritannien gelungen, eine „Skala des Schmerzausdrucks" (,Horse Grimace Scale") bei Pferden zu entwerfen, mit deren Hilfe der Schmerzzustand bei Hengsten nach einer Kastrations-OP allein anhand ihres Gesichtsausdrucks bewertet werden konnte. Die Genauigkeit bzw. Trefferquote der Skala wurde damals mit 73,3 % angegeben (siehe unseren detaillierten Bericht dazu).
Britische Wissenschaftler um die renommierte Pferde-Orthopädin Dr. Sue Dyson entwickelten diese Skala weiter und konzipierten ein Ethogramm – also einen Katalog bzw. ein Verzeichnis von beobachteten Verhaltensmustern, bei dem die Gesichtsausdrücke von Pferden im Zentrum standen. In einem ersten Schritt überprüften sie die Zuverlässigkeit dieses Ethogramms, indem sie es 13 verschiedenen Testpersonen – vom Amateurreiter bis zum erfahrenen Pferdetierarzt – zur Beurteilung vorlegten. Die Zustimmung bzw. Übereinstimmung lag bei stolzen 87 % – das Ethogramm war also ein verlässliches Beurteilungsinstrument, um das Schmerzempfinden von Pferden anhand ihres Gesichtsausdrucks zu bestimmen.
In einer aktuellen Untersuchung gingen die Wissenschaftler nun einen Schritt weiter – und wollten herausfinden, ob das Ethogramm auch dazu geeignet war, den Schmerzausdruck von gerittenen Pferden anzuzeigen. Dafür wurde eine Tierärztin speziell in der Anwendung des Ethogramms, das die Forscher ,FEReq' nannten (FER = facial expression for ridden horses) geschult und mit einer speziellen Gebrauchsanleitung ausgestattet. Die Tierärztin sollte insgesamt 519 Fotos, welche den Kopf bzw. das Gesicht von 101 Pferden unter dem Reiter im Trab und im Galopp zeigten. 76 dieser Pferde waren zuvor als „lahm" eingeschätzt worden – die restlichen 25 zeigten völlig normale Gangarten. Unter den Fotos waren 30 Abbildungen von sieben lahmen Pferden sowie 22 Fotos derselben Pferde, jedoch nach einer lokalen Schmerzbehandlung, welche die Lahmheits-Symptome beseitigt hatte. Pro Pferd wurden zwischen 3 und 13 Fotos gezeigt.
Die Tierärztin musste die Fotos anhand des Ethogramms ohne jegliche Vorkenntnisse über Lahmheit oder Gesundheit der abgebildeten Pferde analysieren. Sie beurteilte den Schmerzausdruck auf einer vierstufigen Skala (0 = normal, 1-3 = abnormal) für jedes einzelne Kriterium des Ethogramms. Insgesamt wurden so 27.407 einzelne Gesichts-Marker durch die Tierärztin identifiziert.
Wie sich zeigte waren die Bewertungen des Schmerzausdrucks bei den lahmen Pferden signifikant höher als für die gesunden Pferde. Die lahmen Pferde erhielten geringere Bewertungen, nachdem sie eine lokale Schmerzbehandlung erhalten hatten – wie es das Studien-Team erwartet hatte.
Die deutlichsten Indikatoren für Schmerzen waren ein verdrehter Kopf, eine asymmetrische Position des Gebisses, die Stellung der Ohren (beide Ohren angelegt, ein Ohr zurück und ein Ohr zur Seite gedreht, ein Ohr zurück und ein Ohr nach vorn gedreht) und bestimmte Augenmerkmale (Augenweiß sichtbar, das Auge teilweise oder ganz geschlossen, Muskelspannung kaudal zum Auge und ein starrender Blick).
Für die Forscher steht fest, daß das von ihnen entworfene Ethogramm in Kombination mit einer Bewertung des Schmerzausdrucks sehr gut geeignet ist, zwischen gesunden und lahmen Pferden zu unterscheiden: „Das Ethogramm kann in vereinfachter Form Pferdebesitzern, Trainern, Reitern und Tierärzten dabei helfen, Schmerzen bei Pferden – auch in Zusammenhang mit Lahmheit – einzuschätzen. Das wäre ein bedeutender Schritt für eine bessere Beurteilung des Wohlbefindens von gerittenen Pferden", so die Wissenschaftler.
Das Studienteam bestand aus Dr. Sue Dyson, Jeannine Berger, Andrea Ellis und Jessica Mullard (sie war auch die Tierärztin, welche die Fotos beurteilte). Die Untersuchung wurde von der Tierschutzorganisation ,World Horse Welfare' und von ,Saddle Research Trust' unterstützt.
Die Studie ,Can the presence of musculoskeletal pain be determined from the facial expressions of ridden horses (FEReq)?" ist im März 2017 in der Zeitschrift ,Journal of Veterinary Behavior – Clinical Applications and Research' erschienen und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.
14.10.2016 - Die Augen als Spiegel der Seele: Haben auch Pferde Sorgenfalten?
Die Augen als Spiegel der Seele: Haben auch Pferde Sorgenfalten? 14.10.2016 / News
Die Fältchen über dem Pferdeauge können Aufschluss über den emotionalen Zustand eines Pferdes geben – doch die Diagnose ist nicht einfach... / Foto: Simone Aumair Nach diesen sechs Faktoren wurden die Augenfalten beurteilt: Gesamteindruck (oben) und die Deutlichkeit der Augenfalten (unten)... / Foto: Sara Hintze et.a. ... weitere Faktoren waren die Form des Augenlids (oben) sowie der Anteil an Augenweiß (unten)... / Foto: Sara Hintze et.a. ... auch die Zahl der Augenfalten (oben) wurde gemessen – doch als zuverlässigster Indikator erwies sich der Winkel zwischen der Augapfel-Horizontalen und dem obersten Augenfältchen (unten). / Foto: Sara Hintze et.a.
Schweizer Wissenschaftler haben analysiert, ob die Falten über dem Pferdeauge auf deren Gemütszustand und Wohlbefinden schließen lassen. Die Studie liefert spannende Hinweise – zeigt aber auch, wie schwierig dieses Unterfangen ist...
Jeder Pferdebesitzer weiß es – und längst hat es auch die Wissenschaft nachgewiesen: Aus dem Gesichtsausdruck eines Pferdes kann man – ähnlich wie beim Menschen – verlässlich auf seine emotionale Befindlichkeit und seinen Gemütszustand schließen, ob sie leiden oder sich freuen, ob sie gestresst sind oder ob sie Schmerzen haben. So konnte im Vorjahr ein Wissenschaftler-Team aus Italien, Deutschland und Großbritannien ein Bewertungssystem entwickeln, mit dem sich verlässlich der Schmerzzustand eines Pferdes anhand seines Gesichtsausdrucks ablesen ließ. Die Wissenschaftler bezeichneten dieses System als ,Horse Grimace Scale' – also die ,Skala des Schmerzausdrucks' beim Pferd (siehe auch unseren ausführlichen Bericht zu dieser Studie).
Ein wichtiger Indikator dafür, ob ein Pferd Schmerz empfindet, waren in diesem System auch die Augenfalten – also die kleinen Fältchen oberhalb des Pferdeauges: Waren diese angespannt bzw. zusammengezogen, so war dies, gemeinsam mit weiteren Anzeichen, ein verlässlicher Hinweis, daß das Pferd Schmerzen hat. Nun haben sich Wissenschaftler der Abteilung Tierschutz der Universität Bern mit Experten vom Schweizer Nationalgestüt Agroscope in Avenches und Kollegen aus den USA und Grossbritannien und den USA diesem offenkundig so aussagekräftigen Indikator noch detaillierter gewidmet und im Rahmen eines bemerkenswerten Forschungsprojekts analysiert, ob man aus den Augenfalten von Pferden nicht nur Rückschlüsse auf ihren Schmerzzustand, sondern auch generell auf ihre emotionale Befindlichkeit und somit auch auf ihr Wohlbefinden ziehen kann.
Vor der eigentlichen Versuchsreihe wurde anhand von Bildern der Augenpartie von Pferden eine Bewertungs-Skala entwickelt, mit deren Hilfe unterschiedliche Aspekte der Augenfalten (Anzahl, Ausprägung, Winkel, etc.) möglichst objektiv und zuverlässig beurteilt werden konnten. Bei den Versuchen selbst wurden insgesamt 16 Pferde mit zwei angenehmen, emotional positiven Situationen (Putzen und bevorstehende Fütterung) sowie zwei unangenehmen, emotional negativen Situationen (Fütterung des Nachbarpferdes, Erschrecken mit einer Plastiktüte) konfrontiert. Jede der vier Versuchs-Situationen wurde in zwei Phasen unterteilt – eine Kontroll- und eine Ausführungs-Phase, die jeweils 60 Sekunden dauerten. Während der gesamten Versuchsdauer wurden mehrere Bilder der Augenpartie gemacht – also Fotos während der Ausführungs-Phase (also in einer emotional positiven oder negativen Situation) ebenso wie während der neutralen Kontrollphase. Am Ende wurden die Bilder von zwei Versuchsleitern nach der zuvor entwickelten Skala bewertet – und zwar ,blind', sprich: ohne zu wissen, aus welcher Phase und welcher emotionalen Situation das gerade vorgelegte Bild stammte. Die Skala umfasste insgesamt sechs Punkte – den Gesamteindruck, die Form des Augenlids, die Deutlichkeit der Augenfalten, der Anteil an Augenweiß, die Zahl der Augenfalten sowie der Winkel zwischen der Horizontal-Linie durch den Augapfel und der obersten Augenfalte.
Das interessante Ergebnis: Als einzig verlässlicher, statistisch relevanter Indikator, um auf den emotionalen Zustand eines Pferdes zu schließen, entpuppte sich der Winkel zwischen der obersten Augenfalte und der Horizontalen durch den Augapfel: Dieser Winkel nahm beim Putzen (= emotional positive Situation) ab – und bei der Fütterung des Nachbarpferdes (emotional negative Situation) zu, während er bei den beiden weiteren Situationen (bevorstehende Fütterung, Erschrecken mit einer Plastiktüte) keine Veränderung zeigte. Die anderen fünf Indikatoren zeigten keine statistisch relevanten Veränderungen in den vier getesteten Situationen – waren also nicht in der Lage, Aufschluss über die jeweilige emotionale Situation des Pferdes zu geben. Einzige Ausnahme: Der Anteil an Augenweiß war beim Erschrecken mit der Plastiktüte (= emotional negative Situation) bei mehreren Pferden größer als beim Putzen sowie der bevorstehenden Fütterung (= emotional positive Situationen) – kann also zumindest in einigen Fällen auf einen emotional unangenehmen Zustand für das Pferd hinweisen. Statistisch relevant war dieser Indikator jedoch nicht – ebensowenig wie die anderen vier der Bewertungs-Skala.
Dies zeigt, welch schwieriges Unterfangen es ist, den emotionalen Zustand eines Pferdes anhand seiner Augenfalten bestimmen zu wollen. Für das – objektiv betrachtet – eher bescheidene Untersuchungs-Ergebnis könnte es eine einfache Erklärung geben: daß nämlich die gewählten Mess-Indikatoren nicht vom emotionalen Zustand des Pferdes beeinflusst werden (wogegen jedoch zumindest die deutlichen Ergebnisse eines Indikators sprechen). Vielmehr könnten – wie die Wissenschaftler ausführlich darlegen – mögliche methodische Probleme der Studie dafür verantwortlich sein: etwa, daß die gewählten Test-Situationen zu wenig „emotional" waren, um eine messbare Reaktion zu erzielen – oder daß schlicht die gewählte Mess-Dauer von 60 Sekunden pro Situation zu kurz bzw. daß die Mess-Skala nicht breit genug gewählt war, um emotionale Veränderungen abzubilden.
Lt. den Wissenschaftlern haben sich immerhin fünf der sechs Kriterien der Bewertungs-Skala als technisch bzw. methodisch brauchbar erwiesen, um die Ausprägung bzw. den Ausdruck der Augenfalten anzuzeigen. D. h. die vom Team entwickelte Skala kann sehr wohl ein praktikables Werkzeug zur objektiven Erfassung der Ausprägung von Augenfalten in zukünftigen Studien sein. Lediglich ein Kriterium – die Form des Augenlids – erwies sich als wenig aussagekräftig. Dazu die Wissenschaftler: „Wir schlagen daher vor, bei künftigen Studien dieses Kriterium entweder auszuschließen oder es zu überarbeiten und neu zu definieren, um die Treffsicherheit zu erhöhen."
Für Sara Hintze, die diese Studie im Rahmen ihrer Dissertation durchgeführt hat, ist es dennoch positiv, daß im Rahmen dieses Projekt sechs Mess-Indikatoren entwickelt werden konnten, von denen fünf eine zuverlässige Beurteilung des Augenfalten-Ausdrucks bei Pferden zulassen. Sie betont aber auch, dass nun weitere Forschungen notwendig sind, um herauszufinden, welche Aspekte dieses Augenfalten-Ausdrucks tatsächlich allgemeine Emotionen wiederspiegeln – und welche eher spezifische Zustände und damit zusammenhängende Gefühle reflektieren. Darüberhinaus wäre es wichtig herauszufinden, ob sich die gewählten Mess-Faktoren bei länger andauernden Situationen verändern und als Indikatoren für die Einschätzung des Wohlbefindens von Pferden verwendet werden können. Bei einem Indikator – nämlich dem Winkel zwischen der Horizontal-Linie des Augapfels und der obersten Augenfalte – sei dies in der Studie gelungen – nun müssten weitere Forschungsarbeiten folgen.
Die Studie „Are eyes a mirror of the soul? What eye wrinkles reveal about a horse’ emotional state" von Sara Hintze,, Samantha Smith, Antonia Patt, Iris Bachmann und Hanno Würbel ist im Journal PLoS ONE am 12. Oktober 2016 erschienen (DOI:10.1371/journal.pone.0164017) und kann in englischsprachiger Originalfassung hier nachgelesen werden.
|