Aus dem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil gegen den Schweizer Springreiter Paul Estermann wegen Tierquälerei kann man einige wichtige Lehren ziehen, die auch über den Fall selbst hinausweisen. Ein Gastkommentar und eine Analyse von Dr. Reinhard Kaun.
Das noch nicht rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichtes Willisau vom 20. Nov. 2019 weist eine Reihe von bemerkenswerten Besonderheiten auf, die im folgenden Text spiegelstrichartig dargestellt werden. Generell ist dem Urteil zu entnehmen, dass das Gericht mit hoher Sachkunde zum Thema „Tierquälerei“ ausgestattet war, denn auf die Bestellung eines Sachverständigen wurde verzichtet.
Ungewöhnlich gründlich legt das Gericht seine Überlegungen offen, wobei festgehalten wird, dass zwar der Glaubwürdigkeit der Aussagen wichtiger Stellenwert eingeräumt wird, dass aber die Glaubhaftigkeit – also die fachliche Nachvollziehbarkeit der Vorwürfe (Verletzungen) – „weitaus bedeutender“ sei.
Dies unterstreicht eine jahrzehntelang erhobene Forderung des Verfassers dieses Beitrages, dass nur minutiöse Dokumentation (Gedächtnisprotokoll) eines möglicherweise tierquälerischen Vorfalls geeignet sein kann, vor Gericht Bestand zu haben (vgl. dazu auch meine Ausführungen zur ,Bedeutung der Beweissicherung bei Streitfällen ums Pferd'):
– Datum
– Uhrzeit
– Vorfallort
– Details zur Misshandlung und zum misshandelten Tier
– Fotos und Videos
– Zeugen
Bedeutsames aus dem schriftlichen Urteil:
– Eine strafrechtlich relevante Misshandlung, Vernachlässigung oder Überanstrengung im Sinne des TSchG Art.26 Abs. 1 lit a (Schweiz) muss mit einer Missachtung der Würde des Tieres einhergehen.
– Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn seine Belastung nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann.
– Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tiefgreifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermäßig instrumentalisiert wird.
– Von einer Missachtung der Würde ist auszugehen, wenn das Wohlergehen des Tieres beeinträchtigt ist, weil Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst nicht vermieden werden.
– Die Leiden oder Schmerzen eines kranken Tieres brauchen nicht besonders stark zu sein.
– Eine Vernachlässigung setzt eine Pflichtverletzung von gewisser Schwere voraus und beurteilt sich in erster Linie nach dem Krankheitsbild.
– Wer mit Tieren umgeht, hat ihren Bedürfnissen in bestmöglicherweise Rechnung zu tragen und für ihr Wohlergehen zu sorgen.
– Jeder, der ein Tier hält oder betreut, hat es dessen Bedürfnissen entsprechend zu ernähren, zu pflegen sowie ihm die für sein Wohlergehen notwendige Beschäftigung, Bewegungsfreiheit und Unterkunft zu gewähren.
– Tiere sind so zu halten und es ist so mit ihnen umzugehen, dass ihre Körperfunktionen und ihr Verhalten nicht gestört und ihre Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird.
– Diesem Verhalten darf jedoch keine subjektive Betrachtungsweise, sondern muss ein objektiver Maßstab (= aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse)zugrunde liegen.
– Eine tierschutzwidrige Haltung kann nicht mit Hinweis auf die persönlichen Umstände in der Person des Tierhalters – wie Alter, Gesundheit, Bildung oder wirtschaftliche Verhältnisse – gerechtfertigt werden.
– Nach Art.4 Abs.2 Satz 1 TSchG(Schweiz) darf niemand ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise sein Würde missachten (qualifizierte Rechtsgutverletzung).
– Das „ungerechtfertigte Zufügen“ hat im Einzelfall einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen zu werden.
– Eine strafrechtlich relevante Vernachlässigung, Misshandlung oder Überanstrengung muss mit einer Missachtung der Würde des Tieres einhergehen, um als Tierquälerei bezeichnet werden zu können.
– Von einer Missachtung der Würde ist auszugehen, wenn das Wohlergehen des Tieres beeinträchtigt ist, weil Schmerzen oder Leiden nicht vermieden werden.
– Als Misshandlung gilt jedes Verhalten, mit dem einem Tier Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängste zugefügt werden, eine fortdauernde oder sich wiederholende Zufügung ist dabei nicht notwendig, auch muss die entsprechende Handlung nicht „ausgesprochen tierquälerisch oder „roh“ sein, hat aber eine gewisse Intensität aufzuweisen, die über schlichtes Unbehagen hinausgeht.
– Es genügt somit, wenn die Belastung einmalig, jedoch beträchtlich ist und das Wohlergehen des Tieres dadurch beträchtlich eingeschränkt ist.
– Eine Misshandlung ist auch durch Unterlassung möglich, wenn der Täter eine Garantenstellung innehat.
– Der Gebrauch der Peitsche und/oder Sporen ist immer dann unangemessen und somit tatbestandsmäßig für „Tierquälerei“, wenn das Pferd durch die Handlungen Verletzungen oder Schlagstriemen respektive Schwellungen erleidet.
– Das Gericht stellt fest: Der Beschuldigte handelte im subjektiven Tatbestand vorsätzlich, mit Wissen und Willen gem. Art.12 StGB (Schweiz)
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. November 2019)
Art. 12 2. Vorsatz und Fahrlässigkeit. / Begriffe
2. Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Begriffe
1 Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht.
2 Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt.
3 Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Verfasser:
Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
– Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin,
Tierhaltung, forensische Hippologie & Kynologie
– Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
www.pferd.co.at