Der unverfälschte Gesichtsausdruck diente Ärzten zu allen Zeiten als bedeutendes Diagnostikum – und auch heute sollte jeder Pferdemensch in der Lage zu sein, Wohlbefinden und Freude, aber auch Schmerz, Ungemach und Missbehagen aus dem Gesicht seines Pferdes herauszulesen, wie Dr. K. anhand eindrucksvoller Beispiele verdeutlicht.
Das Gesicht – definiert als die Vorderseite des Kopfes – ist derjenige Teil eines Wesens, Mensch oder Tier, der uns in der Regel als Erstes „begegnet“; die Aufforderung „schau mich an“ oder „schau mir ins Gesicht“ ist somit auch ein Aufruf zur Offenheit und Ehrlichkeit – den Blick abzuwenden oder zu senken kann das Gegenteil bedeuten.
In der Literatur, aber auch in der Medizin ist für das Gesicht auch die Bezeichnung „Antlitz“ gebräuchlich – wörtlich also das „Entgegenblickende“ – die Miene, der Ausdruck, das Äußere oder the expression.
Der unverfälschte Gesichtsausdruck diente alten Ärzten von jeher, und guten Ärzten bis heute als ein bedeutendes Diagnostikum: wichtige, empfehlenswerte Bücher zeugen davon: Antlitz-Analyse in der Biochemie (Feichtinger/Niedan; Haug 2001), Äußere Kennzeichen innerer Erkrankungen (H.D. Bach, BIO-Rittler, 2009) oder Körperdeutung (Ohashi, Bauer Verlag 1993).
In den „Gesichtern von Pferden“ zu lesen, so scheint es, war und ist eher einer Randgruppe von „Spinnern“ vorbehalten, denen unterstellt wird, etwas in das Lebewesen Pferd hineinzuinterpretieren, was „klinisch“, „apparativ“ oder „im Labor“ nicht objektivierbar wäre. Frau Tellington -Jones hat einige Aspekte zumindest hoffähig gemacht.
Das Edle, Erhabene und Würdevolle erfreut das Auge des Menschen, wenn er auf ein Pferd blickt – er sieht die Kraft, die Wendigkeit und Schönheit dieses Lebewesens – und dennoch scheint dasselbe Auge blind geworden zu sein für unliebsame Bilder – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ich werde in dieser, sehr umfangreichen Folge zum Thema „Schmerz, Ungemach und Missbehagen“ Bilder darstellen, die – mit ganz wenigen Ausnahmen – aus meiner eigenen „diagnostischen Linse“ stammen und die im Verlaufe von einem halben Jahrhundert in mein Archiv eingingen – alle abgebildeten Pferde kannte ich persönlich oder bin ihnen zumindest zum Zeitpunkt der Aufnahme begegnet – in jedem Bild schwingt die Besonderheit des Augenblicks mit, die jeweils konkrete Situation des Moments, die mich zu dieser Dokumentation veranlasst hat – fern einer abstrakten Annahme oder einer im „Nachhinein“ hineingedeuteten Interpretation.
Ich „deute“ also nicht ein Bild, sondern ich berichte mit Hilfe von Bildern, was mir „entgegenblickte“.
Ich lege diesem Bericht keine dramaturgische Ordnung zugrunde, sondern präsentiere wissenshungrigen Lesern in rascher Reihenfolge Momentaufnahmen, wie sie das tägliche Leben bot- und immer noch bietet.
Das Dominierende im Gesicht eines Pferdes sind meist die klaren, großen, reinen Augen – sofern das Tier gesund und bei Wohlbefinden ist – ausdruckslose, matte, trübe oder gar „gebrochene“ Augen sind klare Merkmale von Schwäche, Unwohlsein oder Krankheit.
Ein höchst bemerkenswertes Phänomen beobachtete ich bei „Goldrausch“, dem großen dunkelbraunen Grannus-Sohn, der mich einige Jahre begleitet hat: fühlte er sich gestresst, verdunkelte sich sein Blick, die Augen wurden pechschwarz – meist ein Vorbote für eine Explosion. Ein ähnliches Phänomen, sah ich auch bei Menschen im Gerichtsaal, wenn es bei einer Befragung eng wurde – es entstand stets der Eindruck eines bevorstehenden Gewaltausbruchs.
Auch ein über dreißig Jahre altes Pferd hat noch einen klaren Blick.
Der aufmerksame und scheinbar fokussierte Blick dieses Schimmels auf das Kind neben seiner Weide verrät Unsicherheit und Skepsis – und kann jederzeit in panische Flucht umschlagen.
Scene auf einem großen internationalen Springturnier: fernab von anderen Pferden wurde dieser verunsicherte Schimmel zwischen Fahrzeugen „abgestellt“.
Pferde hassen es, wenn sie von Fremden in plumper Vertraulichkeit am Kopf betatscht werden – der Pferdemensch weiß, dass er nur den Handrücken zur Kontaktaufnahme hinhalten darf – vielleicht lädt ihn das Pferd dann zu mehr ein.
Der Braune im Vordergrund treibt unangebrachten Unfug, der Rappe im Hintergrund sieht`s mit Unbehagen.
Trauer, Verständnislosigkeit und Qual zeigt das Gesicht dieses kleinen Pferdes mit den verkrüppelten Beinen. (Foto: ATÄ Mag. Konstantopoulos)
Beim Maskenball für Pferde ist ein Lesen im Gesicht nicht möglich, dass ein Ausritt in dieser Adjustierung jedoch jedem Sicherheitsdenken widerspricht, ist auch SO erkennbar.
Manche mögen in diesem Gesicht ein „feuriges“ Pferd erkennen – dieser Dunkelbraune hatte viele Gründe, unglücklich zu sein.
Variationen zum Thema „Schmerzgesicht“
Die grimassenhaft verzerrte Nasen- und Maulregion mit hartem Kinn … (Foto: ATÄ Mag. Konstantopoulos)
... oder das verkniffene „Mündchen“: oben bei langandauernden Qualen, unten beim Herz-Schmerz.
Das gebrochene, blicklose Auge bei Dauerschmerzen…
…oder der in sich gekehrte, stiere Blick beim Akutschmerz – nach Verkehrsunfall (oben und unten)
Hochgradige Schmerzen verzerren das Gesicht, der Blick wird leer und stier, Zähneknirschen unterstreicht das Bild. (Foto: ATÄ Mag. Konstantopoulos)
Das linke Bild zeigt das Pferd nach einer Trepanation und Ausstempelung eines Zahnes an einer Chirurgischen Klinik und den Zustand bei Einlieferung in mein Pferdespital, das rechte Bild dokumentiert den Zustand – acht Tage später nach Laserbehandlungen – der Gesichtsausdruck zeigt Erleichterung.
Das Gesicht des müden Pferdes (oben) und des erschöpften Pferdes (unten) darf nicht mit einem „Schmerzgesicht“ verwechselt oder in einen Topf geworfen werden – allerdings können Übergänge fließend verlaufen.
Lähmung des Nervus facialis – ein seltener Fall.
Ein Feuerwehr-Karabiner – zweckentfremdet!
Tiefe Gruben über den Augen zeugen von Abbau des Depotfett – bei jungen Pferden ein Alarmsignal, bei sehr alten Pferden normal.
Eine Inhalationsbehandlung – sofern in ruhiger und vertrauensvoller Umgebung durchgeführt – kann auch genossen werden.
Die „Balkon- Muppets“ – interessierte, fokussierte Pferdegesichter
Ein skeptisches Pferd mit traumatischer Vorerfahrung bei einem Bodenarbeits-Kurs – das Misstrauen gilt den Fremden.
Verinnerlicht und versunken in die Passion…..
... geknickt durch die Passion (des Reiters).
Dieser muntere und schmucke Braune weiß – Gottlob – nicht, wie schlecht gekleidet er ist.
Aufmerksame Anteilnahme am Rande des Fahrturniers.
Dieses unglückliche Pferdegesicht sollte einem Turnierrichter auffallen.
Aber auch am Viereck vor der eigenen Haustüre wirken viele Pferde unglücklich.
Jedes Pferd hat „sein Gesicht“ – es lohnt, eine Lupe zur Hand zu nehmen – ist ja fast auf jedem Handy vorhanden.
Das freudige Gesicht eines Dreijährigen
Des einen Freud´, des andern Leid.
Dieser Zweijährige hat eine Knochen-Deformation an einer Vorderextremität – er leidet sichtbar und wirkt früh gealtert. Übrigens: Pferde leiden nicht stumm, sondern meist lautlos – wer ihre Sprache versteht, versteht auch, was sie mitteilen.
Dieser Hengst hat (vermutlich) keinen körperlichen Schmerz, doch der Gram der Absonderung – das Schicksal vieler Hengste – steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Höchste Explosions-Gefahr!
Der bange Blick nach hinten – aus Angst vor Berührung: Pferd mit massiven Brandverletzungen.
Angst, Unsicherheit und Misstrauen, aber auch Zuversicht spiegelt sich im Gesicht dieses Pferdes, das vom Atemschutztrupp gerettet wird.
Wenn jeder Griff sitzt, gibt dies den Pferden Sicherheit – wenngleich mit gebotener Skepsis …
….kluge und gut ausgebildete Feuerwehrleute verzichten auf „gefährliche“ Einsatzkleidung, um ein in Not geratenes Pferd nicht unnütz zu ängstigen.
NeuGIER und kritiklose Naschhaftigkeit kann böse Folgen haben – auch für Pferde.
Der verinnerlichte, lauernde Blick – dieses Pferd hat den Pfeil einer Armbrust im Rücken stecken.
Szenen einer „Ehe“ – eines Fuhrwerks: Harmonie schaut anders aus – auch in den Gesichtern.
Fälschlicherweise wird dieser Gesichtsausdruck als Gutmütigkeit verstanden – Pferden mit Schweinsaugen ist immer mit Vorsicht zu begegnen; sie können es „faustdick“ hinter den Ohren haben.
Kompromisslose Aggression – der Schimmel hat den Fuchs zum Fressen „gern“ – besser: er hätte ihn gerne gefressen.
Ein Kind im Sattel ist keine Garantie für ein glückliches Pferd – Aufsichtspersonen haben hohe Verantwortung, die Hand und den Sporeneinsatz zu überwachen.
Mein Name ist „Weltschmerz“!
Aufmerksam, mit Kraft und Tatendrang, aber gehorsam und losgelassen:
„Satchmo“ und „Richmond“ gefahren von Ewald Welde; ein schönes Bild aus alten Tagen, in denen die Oberleitung der Bahn keine Angst vor der Peitsche eines Kutschers haben musste.
Gutachten, Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv und ex libris Dris. Kaun.
Eine Bitte: Meine Aufsätze, Publikationen und Kommentare sollen Pferdeleuten unserer Tage zu Orientierung, Selbsteinschätzung und Beziehung zu Pferden dienen. Personen, die kommerziell mit Pferden Kontakt haben, mögen die von Anstand und Benehmen vorgegebenen Regeln respektieren, Quellen anführen und korrekt zitieren – danke!
Sollten Leser meiner Aufsätze einzelne Themen vertiefen wollen, so kann auch - unter den oben angeführten Bedingungen - aus dem reichen Fundus der kostenlosen Downloads auf www.pferd.co.at geschöpft werden.