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Die Macht der Sportverbände , Teil 2: Der Fall Pechstein und die Folgen
28.06.2018 / News

Durch eine – ebenso überraschende wie umstrittene – Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnten die Sportverbände ihre juristische Sonderstellung vorerst behaupten.
Durch eine – ebenso überraschende wie umstrittene – Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnten die Sportverbände ihre juristische Sonderstellung vorerst behaupten. / Symbolfoto: Julia Rau
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden.
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden. / Foto: privat

Der aufsehenerregende Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein beschäftigt seit fast einem Jahrzehnt Sportverbände und Gerichte gleichermaßen – und zeigt die bedenklichen Folgen eines Reglements, das Sportler unter Generalverdacht stellt und deren Möglichkeiten, sich zu verteidigen, erheblich einschränkt.


ProPferd: Wieso ist der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein so relevant und wichtig – und wieso wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs von 2017 so heftig kritisiert?

Dr. Lehmann: Dazu muss ich ein wenig ausholen: Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hatte sich gegen den Eislauf-Weltverband ISU gewandt, der ihr im Jahre 2009 wegen zu hoher Blutwerte eine Sperre von zwei Jahren auferlegt hatte. Sie hat durch Gutachten von international anerkannten Hämatologen den Nachweis erbracht, dass ihre Blutwerte durch eine vom Vater geerbte Blutanomalie hervorgerufen sind.

Sie hatte, um zu den internationalen Wettkämpfen zugelassen zu werden, im Athletenvertrag mit ihrem Sportverband eine Klausel unterschrieben, die ihr abverlangt hat, im Falle des Falles nur die Sportgerichtsbarkeit und danach allenfalls nur noch die Schweizer Zivilgerichtsbarkeit anzurufen. Claudia Pechstein hat daher gegen die ISU auf Schadensersatz in Höhe des von ihr nachgewiesenen Schadens von 5 Millionen Euro geklagt. Im Verfahren, das zuletzt beim Bundesgerichtshof (BGH) in Form einer Anhörungsrüge anhängig gewesen ist, ging es als Voraussetzung für den Schadensersatz zunächst um die entscheidende Frage, ob C. Pechstein aufgrund einer unzutreffenden Entscheidung des Court for Arbitration (CAS) von dem weltverband ISU vor einem Zivilgericht Schadensersatz verlangen kann.

Streitgegenstand war, ob Sportverbände eine marktbeherrschende Macht missbrauchen. Dazu gehören der Zwang zur Unterwerfung unter eine Schiedsvereinbarung, nach der der internationale Schiedsgerichtshof (Court of Arbitration for Sport = CAS) als letzte Instanz angerufen werden kann. In der Pechstein-Entscheidung vom 5.6.2016 (BGH-vom 7.6.2016 -Az.: KZR 6/16  ging es um die Frage, ob eine aufgezwungene Schiedsvereinbarung wirksam ist. Im Vertragsrecht sind Verträge, die von einer Vertragspartei unter Zwang abgeschlossen werden, rechtlich unwirksam. In der von ihr unterzeichneten Schiedsvereinbarung ist die Klausel enthalten, dass die Sportlerin nicht vor ein deutsches Zivilgericht gehen darf. Sie darf gemäß der ihr vorgelegten vorformulierten Schiedsgerichtsvereinbarung gegebenenfalls nur die Sportgerichtsbarkeit und in letzter Instanz das zuständige Schweizer Zivilgericht anrufen.

ProPferd: Und dagegen hat sie sich vor den deutschen Zivilgerichten gewehrt …?

Dr. Lehmann: So ist es. Sie führte ins Feld, sie habe den Vertrag über die Schiedsvereinbarung unter Zwang unterschrieben, weil sie sonst keine andere Möglichkeit gehabt hätte, an internationalen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Ohne die Unterschrift unter den Schiedsgerichtsvertrag, in dem sich die Sportlerin dem Schiedsgericht Court of Arbitration (CAS) unterworfen hat, hätte sie nicht an den internationalen Wettspielen teilnehmen dürfen. Sie sei – ebenso wie andere Athleten – gezwungen, das Ungleichgewicht hinzunehmen. Ein faires sportgerichtliches Verfahren sei nicht gewährleistet. Durch den Zwang werde ihr verfassungsrechtlich geschütztes Recht unzulässig verwehrt, nämlich der Zugang zu den staatlichen Gerichten und die Wahrnehmung ihres verfassungsrechtlich garantierten Grundrechts auf den gesetzlichen Richter.

Das Landgericht München hatte ihr in erster Instanz Recht gegeben. Der Bundesgerichtshof hat in dritter Instanz diese rechtliche Schwelle durch eine einfache rechtliche Lösung überwunden. Der BGH hat dem Anti-Doping-Gesetz den Willen des Gesetzgebers entnommen, dass der Gesetzgeber im Kampf gegen Doping auch aufgezwungene Schiedsvereinbarungen als zulässig ansehen will. Der BGH hat gegen die Sportlerin entschieden, indem er die der Sportlerin aus deren Sicht aufgezwungene Schiedsvereinbarung für wirksam erachtet hat.

ProPferd: Mit welchen Argument rechtfertigt der BGH seine Entscheidung?

Dr. Lehmann: In den Urteilsgründen führt der BGH unter anderem aus, dass erstens doch alle Beteiligten an der Bekämpfung des Doping interessiert seien, zweitens der Athlet gemäß der Vereinbarung die Möglichkeit habe, auf der Grundlage einen Schiedsrichter des Gerichts zu benennen und zudem Schiedsrichter wegen Befangenheit abzulehnen und drittens sei das Recht des Athleten auf ein rechtsstaatliches Verfahren schon deshalb gewahrt, weil er nach der Klausel auch ein Zivilgericht in der Schweiz, wo der CAS sitzt, anrufen kann.

Folgt man der Rechtsprechung des BGH im Fall Pechstein, so gibt es praktisch keinen Zugang für Sportler zu den ordentlichen Gerichten. Der BGH hat den Weg der Sportler dorthin versperrt. Die Begründung des BGH ist ein Zeichen dafür, dass der BGH sich mit einer nach Meinung von Kritikern fragwürdigen Argumentation aus der Affaire zieht. Er will mit einem Urteil offensichtlich nicht in die Vereinsautonomie einzugreifen. Halten wir dem BGH zugute, dass er der Setzung von Recht in einer verbandlichen Rechtsordnung vertraut.

Was also ist für den Sportler das Fazit seines bisherigen Vertrauens in den Rechtsstaat? Die Rechtsprechung überlässt den Sportverbänden die Schaffung der Rechtsordnung, die außerhalb der Verbände nur dem Parlament als Gesetzgeber zukommt. Das bedeutet für Sportler den Entzug des gesetzlichen Richters, der dem deutschen Sportler durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung garantiert ist. Ein Sportler wird daher zukünftig nur noch an die Urteile von Sportgerichten gebunden sein.

Kritiker der Entscheidung des BGH sehen in der Argumentation des BGH Fehler, so wie auch der Sportrechtsexperte Rechtsanwalt Fabian Reinholz mit dem Ausspruch: „Das Urteil verhindert Reformen im Sport. Das BGH-Urteil gegen Claudia Pechstein ist so überraschend wie falsch. Es bestätigt den Sport in dem Irrtum, seine Gerichte und Prozesse verliefen fair“, (nachzulesen im Internet unter diesem Link, Anm.). Die Wissenschaftler Lehner, Nolte und Putzke analysieren kritisch, aber fair die missglückte Entscheidung des BGH vom 7.6.2016 (Handkommentar „Anti-Doping -Gesetz“ Rn. 22 und 23 zu § 11;  1. Auflage 2017, erschienen im Nomos -Verlag).

Die Wissenschaftler nennen die Auswahl der Schiedsrichter alles andere als "frei". Sie belegen anhand des Regelwerks mit dem gemäß BGH den Athleten legitim aufgezwungen  Vertrag über die Schiedsvereinbarung, dass  einzelne Sportverbände im Sportgerichtshof  CAS ein strukturelles Übergewicht haben. Dies sei ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit, welche die Neutralität des CAS infrage stellt. Die Sportverbände hätten großen Einfluss auf die Besetzung der Sportgerichte. Die vorgenannten Autoren legen den Finger in die Wunde.

Es besteht der starke Eindruck, so die Wissenschaftler, als würden die zuständigen Sportverbände die Schiedsrichter nach ihren Zielen einseitig zu ihren Gunsten bestellen. Gemäß der Verfahrensordnung des CAS werden die Schiedsrichter von den Verfahrensbeteiligten aus einer geschlossenen Liste ausgewählt. Die Liste wird von einem Gremium aufgestellt, das mehrheitlich mit Vertretern des Internationalen Olympischen Komitees, des Nationalen Olympischen Komitees und der internationalen Sportverbände besetzt ist. Sportverbände und Athleten stünden sich daher grundsätzlich nicht als Partner gegenüber, die nur das eine wollen, nämlich das Doping zu bekämpfen. So aber sieht es der BGH. Im Gegenteil: Der Athlet kämpft im CAS um sein Ansehen und den Beruf. In Wirklichkeit mangelt es der Verfahrensordnung des CAS an den Garantien für die Rechte der Athleten.

In der Tat hatte die Vorinstanz auf dem Weg zum BGH (Urteil des Oberlandesgerichts vom 15.1.2015 (Az.: U 1110/14 „Kartell“) mit überzeugenden Worten das Rechtssystem der die Sportverbände und der Sportgerichtsbarkeit gerügt. Das OLG hat ausgeführt, dass die Sportverbände gegen die bloße Möglichkeit und den Verdacht einer Manipulation der Richterbesetzung Vorkehrungen für ein beanstandungsfreies Rechtssystem in ihrem Regelwerk treffen müssten. Derartige Vorkehrungen fehlten in den verbandlichen Rechtsordnungen. Daher seien die deutschen Gerichte nicht an die CAS-Entscheidung gebunden. Die Entscheidung des OLG, welche die Sportverbände rügte, ist durch die Entscheidung des BGH aber überholt. Der BGH sieht die Rechtsstaatlichkeit anders. Er hat Vertrauen in die Integrität der Sportverbände und ihrer Funktionäre.

ProPferd: War nicht ein wesentliches Argument des Bundesgerichtshofs, dass des Dopings beschuldigte Sportler gemäß dem Regelwerk der Verbände ohnehin die Schweizer Zivilgerichtsbarkeit anrufen könnten, um das Recht auf den gesetzlichen Richter zu erhalten?

Dr. Lehmann: Das ist eine kühne These des BGH. Die Schweizerische Gerichtsbarkeit ist nicht gleich zu setzen mit dem national garantierten gesetzlichen Richter in der ordentlichen staatlichen Gerichtsbarkeit.

Die Athletin Claudia Pechstein hat nach der Entscheidung des Court of Arbitration CAS, Lausanne, das Schweizerische Bundesgericht als letzter Instanz ein Rechtsmittel eingelegt, so wie es im Regelwerk vorgesehen ist. Sie hat formal richtig den Antrag auf Überprüfung des Urteils des CAS gestellt. Sie hat vorgebracht, dass sie zwei Tage nach der Verhandlung des CAS endlich das Beweismittel in Händen hatte. Mediziner der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) bestätigten, dass C. Pechstein eine vererbte Blutanomalie hat. Aus medizinischer Sicht sei die Sperre haltlos (Ehninger: „Der Fall Pechstein: Falsches Beuteschema“ in Frankfurter Allgemeine Zeitung – FAZ - vom 24.3.2010).
Das schweizerische Bundesgericht, das gemäß dem Regelwerk als Revisionsgericht über die Entscheidung des CAS urteilt, bestätigte trotz des Beweismittels das gegen C.Pechstein gerichtete Urteil des CAS und begründete dieses Urteil formaljuristisch sinngemäß mit folgendem Argument: Bedeutsam für die Entscheidung des schweizerischen Zivilgerichts sind nur neue Tatsachen und Beweismittel, die im voraufgegangenen CAS Verfahren nicht beigebracht werden konnten; nicht bedeutsam sind jedoch solche Beweismittel, die erst später entstanden sind. Das Vorbringen vor Gericht, dass sie nur gerade zwei Tage nach dem Schiedsurteil des CAS Kenntnis von der angeblich neuen Diagnosemöglichkeit erhalten habe, es ihr aber während des Schiedsverfahrens unmöglich gewesen sei, sich darauf zu berufen, ist prozessual nicht hinreichend.

ProPferd: Claudia Pechstein hat nach dem BGH-Urteil angekündigt, sich an das Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls sogar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden zu wollen – gibt es da schon eine Entscheidung?

Dr. Lehmann: Soweit erkennbar „Nein“. Ich kann diesen Schritt aber gut verstehen und nachvollziehen. Das, was durch das mit Vereinsautonomie und Verbandsmacht gesetzte Regelwerk mit der Sportlerin geschehen ist, ruft zu einer menschengerechten Änderung des Regelwerks. Aus der Sicht der Verfassung, über deren Einhaltung das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wacht, sind die verfassungsrechtlich garantierte Vereinsautonomie und die dadurch geschützten Interessen der Sportverbände abzuwägen gegen das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der einzelnen Athleten und deren individuelles Grundrecht auf die Prüfung von Vorwürfen durch den verfassungsrechtlich garantierten „gesetzlichen“ Richter.

ProPferd: Wie läuft eine solche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts konkret ab?

Dr. Lehmann: Zunächst findet eine verfassungsrechtliche Vorprüfung statt. Dabei wird das BVerfG auch die Drittwirkung der Grundrechte außerhalb des Verhältnisses vom Bürger zum Staat prüfen. Das Problem möchte ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Denn vernünftige Menschen sollten Lösungen suchen. Das ist auch mein Petitum an die Sportverbände und an den nationalen Gesetzgeber.

Mein Vorschlag lautet: Der nationale Gesetzgeber bzw. das Parlament eines jeden europäischen Staates könnte helfen und der Vereinsautonomie dort, wo sie unabhängig von Überprüfbarkeit durch die ordentlichen Gerichte derzeit ein Zuviel an rechtsstaatlicher Macht durch eigene verbandsinterne Gesetze erlaubt, ein rechtliches Korsett geben.

Der jetzige Zustand kann doch wohl nicht so bleiben. Ein Stehenbleiben bedeutet Rückschritt. Derzeit ist die Verbandsmacht so ausgestattet, dass sie gleichsam wie ein Panzer über die Persönlichkeitsrechte der Athleten hinwegrollen kann. Wenn es unschuldige Sportler sind, die ihre Unschuld wegen Fehlens eigener Beweismittel nicht beweisen können, dann versetzt die Verbandsmacht mit ihren Gesetzen die Sportler, die ihr Leben und Berufsleben am Leistungssport ausrichten, in eine Ohnmacht.

ProPferd: Erkennen Sie einen Verstoß gegen Menschenrechte?

Dr. Lehmann: Die Athleten müssen derzeit, um im Sport durch die Verbände und auch durch materielle Sporthilfen des Staates gefördert zu werden, rechtswirksame Schiedsvereinbarungen abschließen, mit denen sie sich dem Schiedsgericht CAS in mit dessen Sitz in (CH) Lausanne unterwerfen. Dazu gehört, dass sie unbedingt den Nationalen Anti-Doping-Code einhalten.

Nach meiner Auffassung sind die Einzelgarantien des Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Denn in Deutschland darf ein Athlet, der aufgrund seiner Fähigkeiten und Leistungen an internationalen Sportwettbewerben teilnehmen will, nicht zum Turnier zugelassen , also auch nicht in die Olympiamannschaft oder den Kader für andere Spitzenturniere aufgenommen werden, wenn er sich nicht vertraglich der Sportgerichtsbarkeit  der Verbände und  dem internationalen Schiedsgericht (Court of Arbitration for Sport = CAS) zu unterwirft. Diese Verpflichtung zum freiwilligen Abschluss von Schiedsvereinbarungen sind der Regelung über die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (§ 11) zu entnehmen.

Aufgezwungene Schiedsvereinbarungen sind rechtlich unwirksam, dies auch dann, wenn der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 7.6.2016 eine Entscheidung für die mächtigen Sportverbände getroffen hat, in ihnen keine Übermacht erblickt und Sperren im Sport nicht als tragisch anerkennt. Das hohe Gericht meint, man könne sich ja wehren. Namhafte Wissenschaftler widersprechen vehement diesem Standpunkt (vgl. Lehner/Nolte/Putzke „Anti-Doping-Gesetz“ 1. Auflage 2017, Nomos Verlag ) und nennen ihn naiv.

ProPferd: Sie teilen diese Kritik …?

Dr. Lehmann: Der BGH sperrte mit seiner Entscheidung vom 7.6.2016 -Az.: KZR 6/15- zur Überraschung der Prozessbeobachter den Weg zur Zivilgerichtsbarkeit. Er gab der Insellösung der Sportgerichtsbarkeit den Vorrang – und schließt den Weg zur Zivilgerichtsbarkeit. Wer ihn dennoch gehen will, hat einen Canossagang vor sich. Die Zivilgerichte werden aufgrund der Entscheidung des BGH sich wohl kaum die nun vorgegebenen Bahnen der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlassen, es sei denn, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verletzung von Grundrechten korrigiert.

Beobachter des Prozesses hatten eher eine Wegfreigabe vom BGH erwartet. Wenn dieser Fall eingetreten wäre, dann allerdings wären Sportler in Zukunft nicht dem Urteil von Sportgerichten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die Sportverbände hätten Macht verloren.  Wenn der BGH keine rechtlich plausible Lösung gefunden hätte, dann wären als Folge sämtliche aufgezwungenen Schiedsvereinbarungen nichtig. Das verbandsrechtliche System über die Einbindung von Sportlerinnen und Sportlern in die nationale und internationale Sportschiedsgerichtsbarkeit wäre ins Wanken gekommen. Dem wirkt die Entscheidung des BGH entgegen. Lassen Sie mich ein wenig spotten: „Geben Sie einem hervorragenden Juristen einen Auftrag zu einer bestimmten Lösung, und er wird eine Lösung finden und rechtlich begründen können.“

ProPferd: Das heißt, das Problem ist durch das BGH-Urteil zwar juristisch, aber eben nicht nachhaltig und praktisch gelöst worden.

Dr. Lehmann: Das Problem besteht aus meiner Sicht weiter. Der einzelne Sportler braucht den Rechtsschutz der ordentlichen Gerichte, weil er durch die Entscheidungen von Sportgerichten – zuletzt durch den CAS – mit einer rechtsstaatlich zweifelhaften Beweislastverteilung seine Würde verlieren kann. Aus meiner Sicht sollten die Sportverbände rechtzeitig zuvor reagieren, um sich nicht – pardon – einen Verstoß gegen Menschenrechte durch den AGMR ins Stammbuch schreiben zu lassen.
Jeder ehrbare Sportler begrüßt das Anti-Doping-Gesetz und den Kampf der Verbände gegen Doping. Wenn er aber zu Unrecht verdächtigt wird und gemäß der Auflage des Regelwerks nichts darüber sagen kann, wie das Dopingmittel in das Pferd gelangt ist, beispielsweise als Folge einer nachlässigen Aufsicht der vom Veranstalter in den Stallungen eingesetzten Wachleute, dann erscheint dies als ungerecht. Der am Anti-Doping interessierte Sportler verliert als Folge der Beweislastverteilung Integrität und Würde und bei Sperren den Beruf zeitweilig oder ganz. Die durch eine Sperre verlorene Zeit gibt ihm niemand mehr zurück. Auch sinkt im Laufe der Jahre auf natürliche Weise seine körperliche Leistungsfähigkeit.

Wenn ein Sportler trotz seiner Unschuld von einem Sportgericht oder dem Schiedsgerichtshof CAS wegen des Verdachtes des Dopings oder der verbotenen Medikation verurteilt wird, weil er den Verdacht nicht im Sinne der Regelwerke der FEI entkräften konnte, dann geht es anschließend um seine Ehre und Existenz. Seine Sorge beginnt schon beim Anfangsverdacht nach einer Dopingprobe.  Die Medien bringen Berichte, der nicht juristisch geschulte Laie glaubt, dass „etwas dran“ ist und man zeigt schon beim Anfangsverdacht empört über die angenommene Schandtat gleichsam mit dem Finger auf den beschuldigten Sportler. Es bleibt selbst nach einem Freispruch ein Verdacht hängen.
Der Mensch wird generell stigmatisiert.

Ich nenne Ihnen weitere Auswirkungen: In den Fällen, in denen gegen einen objektiv unschuldigen Berufsreiter, der den Beweis zur Entlastung nicht führen konnte, zusätzlich eine Sperre verhängt wird, die bis zu 4 Jahre währen kann, bedeutet eine solche Sperre in der Regel das „Aus“ in der beruflichen Existenz des Sportlers, der seinen Beruf auf Pferde ausgerichtet hat. Wenn der Beschuldigte keine eigenen Pferde besitzt, nehmen ihm die Besitzer (Eigentümer) die Pferde weg. Seine Kunden bleiben zum Teil oder ganz weg, die Sponsoren ziehen sich zurück. Die Sporthilfe stellt ihre finanziellen Leistungen ein.

Nochmals: Ich spreche von Sportlern, die bei objektiver Beurteilung kein Verschulden trifft, die aber gemäß den verbandseigenen Regelwerken, die wie Gesetz wirken, in Art einer Gefährdungshaftung für andere Personen ohnmächtig gegenüber der Macht der Sportverbände und der Sportgerichte gegenüberstehen. Das ist für mich ein unhaltbarer Zustand. Das Beispiel von Claudia Pechstein zeigt, wie ein Sportleben auf dem Höhepunkt einer sportlichen Karriere  durch ein rechtsstaatlich zweifelhaftes Antidoping-Regelwerk der Sportverbände erheblich beeinträchtigt, im schlimmsten Fall sogar zerstört werden kann.

 

In Teil 3 des Interviews geht Dr. F.-Wilhelm Lehmann auf zwei spektakuläre Dopingfälle aus dem Pferdesport ein: nämlich jenen der Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski sowie jenen von Springreiter Christian Ahlmann – und zeigt auch mögliche Lösungsansätze auf, um die Allmacht der Verbände zu begrenzen.

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