News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Die Macht der Sportverbände , Teil 3: Die Ohnmacht des Athleten
29.06.2018 / News

Auch im Vielseitigkeitssport wurde die machtvolle Position der Verbände offensichtlich, zuletzt am Fall von Julia Krajewski.
Auch im Vielseitigkeitssport wurde die machtvolle Position der Verbände offensichtlich, zuletzt am Fall von Julia Krajewski. / Symbolfoto: Julia Rau
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden.
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden. / Foto: privat

Im dritten und letzten Teil seines ProPferd-Interviews analysiert Dr. F.-Wilhelm Lehmann die vieldiskutierten Dopingfälle von Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski und Springreiter Christian Ahlmann – und zeigt mögliche Auswege aus der juristischen Ohnmacht der Athleten.


ProPferd: Sportverbände rechtfertigen ihren starken rechtlichen Status gern damit, dass sie diese Sonderstellung haben müssen, um effektiv gegen Doping und verbotene Medikation vorgehen zu können. Ist dieses Argument überzeugend?

Dr. Lehmann: Das Vorgehen gegen Sportler, die unfair im Wettkampf sind, ist zweifellos ein wichtiges und legitimes Ziel. Denn immerhin ist unbestreitbar der nationale und internationale Sportwettbewerb inzwischen weit über die historische olympische Idee hinaus zu einer Art Großindustrie entartet. Die Zuschauer, die einen fairen und chancengleichen Wettbewerb der Sportler erwarten, bringen das große Geld, mit dem wiederum die Verbände sich selbst erhalten und ausbauen können. Dieses Wachstum ist ein legitimes Ziel, wenn nicht Sportler und Pferde als Objekte darunter leiden. Eines der wichtigsten legitimen Ziele der Sportverbände ist die Sauberkeit des Sports. Im Sport wie auch sonst in der Gesellschaft gibt es schwarze Schafe, beginnend vom Athleten bis hinauf in die Führungsspitzen der Verbände.

Zum Vertrauen in die Integrität des Sports gehört das Vertrauen in die Sportverbände.
Das Vertrauen geht leicht durch schwarze Schafe verloren. Daher haben die Sportverbände ein eigenes Regelwerk geschaffen, mit dem sie herausfinden, ob Athleten den sportlichen Erfolg in unfairer Weise durch Doping oder gleichgestellte Medikation erreicht haben.
Das Regelwerk der Sportverbände besteht unabhängig von den rechtsstaatlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Daher hält der Staat sich aus dem Sportrecht weitgehend heraus. Dies wiederum führt dazu, dass die Sportverbände
bei der Verfolgung des idealen Zieles der Sauberkeit des Sportes gern der Öffentlichkeit schnell einen Täter präsentieren (wollen), der gemäß den Statuten des Sports als überführt gilt.

Der Täter ist leicht überführt, wenn er den Beweis der Unschuld nicht führen kann. Die im Doping-Verdacht stehenden weiblichen oder männlichen Sportler müssen nach dem Regelwerk selbst den Beweis führen, dass sie für die Anwendung festgestellter verbotener Mittel nicht verantwortlich sind. Auf der Suche nach Beweisen seiner Unschuld fehlen dem in Verdacht geratenen Athleten die rechtlichen Möglichkeiten zu eigenständigen  Ermittlungen. Er ist gleichsam ohnmächtig – und das genau ist der kritische Punkt: Wenn der Einzelne den Nachweis nicht führen kann, wird der Athlet somit zum Opfer der Macht der Sportverbände. Wegen dieser Ohnmacht des Einzelnen habe ich erhebliche Zweifel an der europarechtlichen und nationalen verfassungsgemäßen Grundlage dieser Macht.

ProPferd: Wie sehen Sie konkret das  Nebeneinander von Sportgerichten und staatlichen Gerichten?  Ist ein solches ,Doppel‘ überhaupt sinnvoll?

Dr. Lehmann: Die Rechtsprechung der obersten staatlichen Gerichte hält die Zweiteilung für verfassungsrechtlich zulässig und für vereinbar mit einem Rechtsstaat. Aus meiner Sicht ist die Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit von Sprüchen der Sportgerichte und insbesondere des Sportgerichtshofes CAS  wegen der Übermächtigkeit der Sportverbände und der Ohnmacht der betroffenen  Athleten zu schwach. 

Meine Kritik entzündet sich auch an der Einstellung staatlicher Zivilgerichte, die im Blick auf die Vereinsautonomie und Sportgerichte diese Insel der Sportverbände rechtlich nicht betreten wollen. Diese Situation erhellt sich am bereits ausführlich dargestellten Beispiel der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, die – wie nachträglich von ihr bewiesen ist – zu Unrecht am Pranger gestanden und mit diesem Unrecht belastet  eine ungerechtfertigte Sperrzeit von zwei Jahren durchlebt hat.

Es gibt und bleibt ein Interessengegensatz auf der einen Seite beim Interesse des Sportlers auf ein faires, rechtsstaatlich geprägtes Sportgerichtsverfahren mit gerechter Verteilung der Beweise sowie auf der anderen Seite dem zuständigen Sportverband wie in der Pferde-Verbandswelt bei der FN und der FEI. Wenn die Sportverbände das eigene Regelwerk nicht an die Beweislastverteilung der staatlichen Gerichte anpassen wollen und auch nicht den Weg der Sportler zu den ordentlichen staatlichen Gerichten zulassen wollen, dann kommen die Sportverbände der Rechtsstaatlichkeit zumindest dadurch näher, dass sie den Weg zu den für den Sportler zuständigen nationalen ordentlichen Gerichten zulassen und erklären, dass die Gerichte den Fall unabhängig von der Vereinsautonomie prüfen können.

ProPferd: Wie sehen die Vereine und deren Mitglieder diese Vereinsautonomie?

Dr. Lehmann: Die Vereine und Verbände sehen sich als unantastbar, zumal die Rechtsprechung die Vereinsautonomie garantiert. Einheitlich ist die Meinung über die Notwendigkeit des fairen Sports mit dem Verbot der Wettkampfverfälschung durch Fremdanwendung von Dopingmitteln und Eigendoping und der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung des sauberen Sports, den die interessierten Zuschauer erwarten dürfen. Kontrovers sind aber die Meinungen über die unzumutbare Kriminalisierung von Sportlern unter dem Etikett der Vereinsautonomie.

Die von mir genannten Beispiele lassen die Frage entstehen, ob die Wahrheit und das Sportrecht miteinander harmonieren oder ob das Sportrecht nicht doch einer Änderung bedarf, welche der Würde des einzelnen Sportlers, seinem Persönlichkeitsrecht gerecht wird und daher die Vorverurteilung wie im generellen Strafrecht verhindert.
Verbandsstrafen wie insbesondere Geldstrafen und Sperren sind nicht Strafen im strafrechtlichen Sinne, sondern zivilrechtliche Maßnahmen bzw. Sanktionen von Verstößen gegen die von den Vereinen selbst geschaffenen Regeln. Die Sanktionen dienen der Durchsetzung der Regeln und Aufrechterhaltung der Ordnung. Sie sind Ausfluss der Vereinsautonomie. Ihre Verhängung muss in einem fairen Verfahren erfolgen.

Ich halte es vor allem nicht für gerecht, dass die Sportverbände anstreben, nur den verantwortlichen Sportler des Dopings oder der Medikation zu überführen. Sie halten sich aus den Ermittlungen zur Entlastung des Sportlers heraus und legen dem Betroffenen sogar die Beweislast auf, dem Verband und dem Sportgericht zu erklären, wie das verbotene Medikament oder Dopingmittel in den Körper des Pferdes gelangt ist. Die Verbände, forsche ihrerseits nicht weiter nach, wer denn sonst noch die Hand im Spiel hat.

Gewiss: Wir befinden uns beim Vereinsrecht im so genannten Privatrecht. Wenn im Rechtsstaat wie in Österreich und in Deutschland der Staat über den Staatsanawalt ermittelt, so hat dieser als Gehilfe des Gerichtes nicht nur die den Beschuldigten belastenden, sondern auch diejenigen Sachverhalte, die ihn entlasten, zu ermitteln.

Ich frage: Sollte nicht auch ein Sportverband so fair sein, seinerseits alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, den Sportler als Vereinsmitglied zu unterstützen und ihn nicht gleich fallen zu lassen, indem ihm allein die Last des Beweises der Unschuld aufgebürdet wird? Muss denn nicht wie im staatlichen Recht bis zur Rechtskraft des Urteils eines Sportgerichts die Unschuldsvermutung für ihn gelten? Machen es sich die Verbände unter Berufung auf ihre Vereinsautonomie nicht zu einfach, indem sie den Sportler nur anhören und ihm auferlegen, den Beweis zu erbringen, dass er unschuldig ist? Müssten die Verbände nicht auch nach entlastenden Umständen suchen?

ProPferd: Gibt es denn überhaupt noch entlastende Momente, wenn im Körper eines Athleten oder Pferdes ein Dopingmittel oder verbotenes Medikament gefunden worden ist?

Dr. Lehmann: Sehen wir uns einmal Möglichkeiten der Entlastung an. Eine Bestrafung des Sportlers kann ein einfacher, aber nicht moralisch ethischer Weg sein, wenn ein zunächst anonymer Dritter ohne Wissen des Athleten im Wettbewerb verbotene Medikamente oder Dopingmittel eingesetzt hat. Dritte können sogar Nationen sein, wie das bewiesene Beispiel Russland und anderer aufgefallener Nationen bei den vergangenen olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften zeigt.

Eine Möglichkeit von vielen besteht im Pferdesport darin, dass ein überehrgeiziger Tierarzt, der den Reiter aus seiner Nation an oberster Stelle der Platzierung sehen möchte.
Ebenso kann ein Pferdebesitzer, der das Pferd mit einem beauftragten Reiter in das Turnier schickt, der Täter sein, ohne dass der Reiter es weiß.

Dann bleibt der Reiter gleichwohl der Täter im Sinne des Regelwerks. Er kann in der Regel nicht den Nachweis führen, dass eine andere Person dem Pferd ohne sein Wissen das Dopingmittel verabreicht oder gespritzt hat. Der Reiter ist und bleibt der Täter, weil Regelwerk nur auf den Reiter, und nicht auf den Pferdeeigentümer /Halter/Besitzer abstellt.
Ein neidischer Wettbewerber kann ebenso die Mittel dem Pferd ohne Wissen des Reiters heimlich zugeführt haben. Dieser Fall ist für den verantwortlich gemachten Reiter besonders schlimm, weil er nicht die Sportkameraden verdächtigen will. Das stiftet Unfrieden. Der Reiter fragt sich, ob es denn gerecht ist, dass er allein gelassen ist, ja nicht einmal der Veranstalter sich entlasten muss. Der Verband sendet den Reiter zu Ehren des Verbandes und der Nation in den Wettkampf, seilt sich aber durch Überantwortung der Beweislast rechtzeig ab, sobald ein Dopingmittel im Körper des Pferdes gefunden ist.

Oft beklagen sich Reiter, dass die Ihnen vorgeschrieben Stallungen nicht sicher bewacht sind. Die Verantwortung trägt der Veranstalter. Der Veranstalter kann sich bei Anwendung des sportrechtlichen Reglements der Verbände in Ruhe zurücklehnen, weil das Reglement den Reiter allein verantwortlich macht.

Auch Trainer können die Übeltäter sein. In einem Fall, den ich vertreten habe, war der Täter ein Hufschmied, der Zugang zu den Stallungen hatte und aus Rachsucht das Dopingmittel dem Pferdefutter beigemengt hat.

Wir sollten auch bedenken, dass Druck auf einzelne Athletinnen auch von entscheidungsbefugten Personen in den Sportverbänden ausgehen kann, dem sich Athletinnen beugen, um zu den Wettkämpfen zugelassen zu werden (SZ.de unter Sport am 8. Februar 2018 „Missbrauchsvorwürfe in Österreichs Skisport“)

In Deutschland sind etliche Fälle von Missbrauch und Nötigung bekannt, welcher die FN veranlasst, sich im Frühjahr 2018 diesem Thema „Der Schutz der Athleten vor Missbrauch und Nötigung“ zuzuwenden. Den Anstoß hat ihr ein mehr als 100 Seiten umfassendes Dossier des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gegeben. Demzufolge ist die sexuelle Belästigung und Nötigung eines der dringendsten Probleme des heutigen Sports
(Gabriele Pochhammer: „Anstoß zum ersten Schritt“, Süddeutsche Zeitung vom 19.4.2018).

Was lehrt uns diese Situation? Sie zeigt uns, dass ein relativ hoher Handlungsbedarf besteht, das Regelwerk zu überarbeiten und die künstliche Schuldvermutung bei Athletinnen und Athleten auf ein angemessenes Maß zurückzuführen oder zumindest die staatsgerichtliche Rechtskontrolle von Schiedssprüchen des CAS zuzulassen. Wenn die Sportverbände keine Lösung haben, dann sollte oder wird der Gesetzgeber die Vereinsautonomie stärker begrenzen müssen.

ProPferd: Können Sie uns Beispiele aus dem Bereich der Antidoping-Gesetze in Österreich und in Deutschland nennen, in denen das Problem der Übermacht der Verbände und der Ohnmacht der Athleten deutlich geworden ist?

Dr. Lehmann: Das kann ich gerne tun. Ein symptomatisches Beispiel ist der Fall der Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski aus dem Vorjahr. Der Reiterweltverband FEI hat die deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in Warendorf über einen positiven Befund bei der Dopingkontrolle des Pferdes Samourai du Thot der vormaligen Olympiareiterin Julia Krajewski am 20. August 2017 bei der Vielseitigkeits-Europameisterschaft im polnischen Strzegom informiert. Unabhängig davon hat kurz nach der Rückkehr von Jutta Krajewski nach Warendorf die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA im Zuge einer unangekündigten Trainingskontrolle dem Pferd Blutproben entnommen.

Sie waren positiv. Mitte des Jahres September 2017 informierte die NADA das Deutsche Olympische Komitee für Reiterei (DOKR) über den Fund der Substanz Firocoxib, die nicht im Behandlungsbuch des Pferdes dokumentiert war.

Umgehend nach Bekanntwerden des Ergebnisses der NADA -Kontrolle hörte das DOKR Julia Krajewski dazu an, wie die Substanz in ihr Pferde gelangt sein könnte. Die Recherche von Julia Krajewski brachte keinen Erfolg. Sie war sich von Anfang an dessen bewusst, dass ihr Pferd zu irgendeinem Zeitpunkt einer Dopingkontrolle unterzogen wird. Sie unterstützt die Regelungen über Dopingkontrollen als gerecht und dringend erforderlich.  Ihr fehlt daher jeglicher Ansatz zur Erklärung, wie das Mittel in das Pferd gelangt sein könnte. 

Mit anderen Worten: Die Reiterin konnte bisher nicht beweisen, wie das verbotene Mittel in den Körper des Pferdes gelangt ist. Also trägt sie nach den vorgegebenen Verbandsnormen die Verantwortung und hat gemäß dem geltenden Sportrecht den Kopf für andere Täter hinzuhalten.

Ich betone nochmals: Anders als im Sportrecht verhält es sich im Strafrecht nach der Strafprozessordnung. Wie ich schon gesagt habe: Niemand kann nach dem wichtigen Rechtsgut unseres Rechtsstaates verurteilt werden, wenn der Staatsanwalt bei seinen Ermittlungen die Beweise nicht herangeschafft hat oder heranschaffen konnte. Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung solange, bis durch ein rechtskräftiges Strafurteil oder einen rechtskräftigen Strafbefehl die Schuld oder Unschuld feststehen.

Wegen der Verbandsherrschaft im Sport außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Staates hilft Julia Krajewski die Argumentation nicht weiter, dass sie berichtet, dass in der polnischen Stadt, in der die Wettkämpfe stattgefunden haben, jedermann in die Ställe hinein gehen konnte. Dies habe sogar der Trainer der Polen vor Ort beanstandet. Die Listen, auf denen festgehalten wird, wer in den Nachtstunden das Stallgelände betritt, habe der zuständige Steward der FEI eine Woche nach der Europameisterschaft weggeworfen. Da müsse eine Videoüberwachung installiert werden. Die Alternative sei, dass jeder Reiter sein Pferd rund um die Uhr bewacht (Gabriele Pochhammer, Süddeutsche Zeitung vom 22.12.2017).

Für die Reiterin Julia Krajewski entstand zugleich ein seelischer Schock für sie persönlich und ebenso für die deutsche Mannschaft. Die Reiterin war Mitfavorit in der deutschen Mannschaft und daher Teil der deutschen Mannschaft und ihrer Turniererfolge im Wettkampf. Die deutsche Mannschaft hat sich beim Wettkampf der Europäischen Meisterschaft die Silbermedaille geholt. Die Aberkennung des Einzelergebnisses des Mitglieds der Mannschaft ist bei einer positiven B-Probe verbunden mit einer Rückgabe der Mannschaftssilbermedaille gemäß der verbandsrechtlichen Vorgabe des internationalen Regelwerks. In der Tat hat die Mannschaft die Silbermedaille zurückgeben müssen. Die Reiterin war und ist daher tief betroffen, weil nicht nur sie persönlich, sondern die Mannschaft betroffen ist, dies ohne Rücksicht auf Schuld oder Unschuld der Mannschaft.

ProPferd: Julia Krajewski hätte also ihre Unschuld beweisen müssen – und weil sie dazu nicht in der Lage war, obwohl sie diverse entlastende Umstände benennen konnte, galt sie vor dem Verbandsgericht als schuldig.

Dr. Lehmann: Man könnte es sogar noch zuspitzen: Schuld oder Unschuld spielen nach den Regeln der Verbände auf nationaler und internationaler Ebene keine rechtliche Rolle. Die Bewertung der Schuld oder Unschuld spielt erst dann eine Rolle, wenn der Reiter des Pferdes mit der positiven B-Probe den Beweis führen konnte, dass das Dopingmittel oder verbotene Medikament ohne sein Wissen und ohne seine Beteiligung in den Körper des Pferdes gelangt ist. Dann trägt der Reiter von vornherein die Schuld nach dem Reglement. Nicht anders ist es Julia Krajewski ergangen.

Julia Krajewski war sich dessen bewusst, dass ihr Pferd einer Dopingkontrolle unterzogen wird. Sie war sich auch des Teamgeistes bewusst, der es nicht zulässt, als Mitfavorit
persönlichen Interessen den Vorrang zu geben. Ihr fehlt jeglicher Ansatz zur Erklärung, wie das verbotene Medikament in das Pferd gelangt ist. 

Die in Equioxx enthaltene Substanz Firocobix gilt als schmerzlindernd, fiebersenkend, entzündungshemmend und ist auf die Dauer von etwa 30 Tagen im Pferdekörper nachweisbar. Die Medikation ist zwar im Training erlaubt, aber im Wettkampf verboten.
Recherchen haben ergeben, dass sich das Firocoxib-haltige Medikament Equioxx, das wohl zum positiven Befund bei dem Pferd Samourai du Thot geführt hat, im Medizinkoffer des Mannschaftsarztes befunden hat. Vertrauenswürdige Zeugen bekunden Merkwürdigkeiten, unter anderem, dass der Mannschaftstierarzt falsche Angaben im Fall der Julia Krajewski gemacht hat. Der Mannschaftstierarzt ist von seinem langjährig ausgeübten Amt als Mannschaftstierarzt zurückgetreten mit der Erklärung, bei ihm sei der Eindruck entstanden, dass nicht mehr alle Personen im Verband hinter ihm stehen.

Über den Stand der Recherchen schrieb die Pferdejournalistin Gabriele Pochhammer in der Süddeutschen Zeitung (München) vom 23.12.2017 mit der Darstellung von einigen Merkwürdigkeiten, welche für die Unschuld der Reiterin und gegen die Vorgaben des Beweises der Unschuld durch den Reiter sprechen.

ProPferd: Wie ist dieses Verfahren letztlich ausgegangen?

Dr. Lehmann: Julia Krajewski konnte sich nach Bekanntgabe des Ergebnisses der B-Probe alternativ entscheiden, ob sie eine Geldstrafe in Verbindung mit Verwaltungskosten ohne befristete Wettkampfsperre annimmt, oder ob sie vor das Sportgericht zieht, das auch im Verfahren vor dem Sportgericht von ihr den Beweis fordert, wie die Substanz in das Pferd gelangt ist.

Von  einem rechtschaffenen Menschen, der von Kriminellen als Werkzeug missbraucht wird, kann der Beweis in der Regel nicht geführt werden, zumal die Privatperson keine amtlichen Mittel zur Ermittlung hat wie beispielsweise der Staatsanwalt, der im allgemeinen Strafrecht amtlich mit allen Befugnissen ermitteln darf und das Ergebnis seiner Ermittlungen mit Beweisen in einer Anklageschrift dem Gericht vorlegt.

Die Reiterin hat – weil ihr der Nachweis der Unschuld nicht gelungen ist - aus Gründen der Vernunft wohl oder übel die administrative Strafe des Weltreiterverbades FEI akzeptiert. Damit vermied sie eine Wettbewerbssperre für höhere olympische Aufgaben. Dennoch ist sie auf einer anderen Verbandsebene – nämlich der Ebene des Exekutivausschusses des Deutschen Olympiade- Komitees für Reiterei - aus der Olympia- Mannschaft bis zum 30 Juni 2018 ausgeschlossen worden. Es ist ihr gnädiger Weise freigestellt, weiter an Turnieren teilzunehmen. Zugleich ruht die Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe.

Im Ergebnis hat Julia Krajewski-ob schuldig oder nicht- für die Gesundheit des Pferdes die Verantwortung und nicht der Eigentümer bzw. Halter. Für sie zieht dieses Ereignis einen materiellen Schaden im fünfstelligen Bereich nach sich. Es bedeutet einen immateriellen Schaden des Ansehens bei Zweiflern und möglichen Gegnern von Julia Krajewski.

Der Verband FN hat trotz der gegen die Reiterin verhängten Sanktion der Bundestrainerin Julia Krajewski das Vertrauen ausgesprochen. Wenn ich dies näher betrachte, dann betrifft die Vertrauenserklärung den Kern meiner Kritik: Der Sportverband ist nicht einmal selbst von der angeblichen Schuld der Reiterin überzeugt. Aber der Verband wendet dennoch das Reglement an und dringt nicht auf Abhilfe.

ProPferd: Was ist ihr zweites Beispiel für die fatalen Auswirkungen der rechtlichen Sonderstellung der Sportverbände?

Dr. Lehmann: Das wäre der Fall des Springreiters Christian Ahlmann aus dem Jahr 2008. Er wirkt noch heute wegen der Frage nach, ob die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN nicht zu viel an Macht erprobt und die Ohnmacht des Sportlers gegen diesen übermächtigen Sportverband mehr als erforderlich ausgedehnt hat.

Im Jahr 2008 standen im Brennpunkt des Sports unter anderem die olympischen Spiele in Peking/Honkong. Das Pferd des weltbekannten deutschen Reiters Ch.  Ahlmann war bei Dopingkontrollen wegen einer verbotenen Medikation aufgefallen. Die deutsche FN hatte daraufhin alle Hebel ihrer Macht betätigt, um die deutsche Reiterei von dem Fall  Ahlmann  abzugrenzen. Zu sehr stand noch aus der Vorzeit die staatliche Förderung der ehemaligen DDR und anderer diktatorisch geführter Staaten  im Vordergrund der Abwehr.

Die FN griff sich den Fall Ahlmann heraus und trieb diesen Fall Ahlmann – nicht aber die anderen gleichgelagerten Fälle -bis zum internationalen Sportgerichtshof CAS in der Schweiz, um die Sanktion des Weltverbandes FEI gegen Ahlmann auf höchster Ebene verschärfen zu lassen.  Ahlmann wurde zu einer Sperre von 8 Monaten wegen Dopings verurteilt. In vergleichbaren Fällen kamen die anderen Reiter, in deren Pferden die gleiche Substanz gefunden worden ist, wegen verbotener Medikation mit einer milden Verurteilung davon ( Gabriele Pochhammer, Süddeutsche Zeitung  vom 22.12.2017).

Kritiker meinen, dass sich die FN dem Druck der Medien und weniger der Gerechtigkeit gebeugt hat, weil sie an dem weithin bekannten Ahlmann mittels einer Abschreckungskampagne ein  Exempel statuieren wollte, damit sie von daher gesehen die von ihr nicht beherrschte Doping- und Medikationsproblematik stärker in den Griff  nehmen konnte.

ProPferd: Wie sollte der Gesetzgeber die Verbandsgerichtsbarkeit im Sport regeln?

Dr. Lehmann: Man sollte jedenfalls nicht von Anfang an sagen: Das geht nicht anders, als dem Athleten nach positiver Doping-Probe die Beweislast allein und ungeachtet seiner Schuld auf die Schultern zu laden, wie es die geltenden Regelungen tun.

Ich habe soeben an den Beispielen der Nötigung aufgezeigt, unter welchem Druck die Athleten stehen können, dem Zwang zur Einnahme des Dopingmittels oder der Medikation nicht ausweichen zu können. Ich erinnere an den Druck des ehemaligen Staates DDR, in der hörige Sportler ihre Gesundheit für den Sieg opfern mussten, oft genug auch ohne ihr Wissen. Es besteht der Verdacht, dass es sich heute noch in Russland oder anderen diktatorischen Saaten nicht anders verhält.

Ich möchte mich keinesfalls mit neunmalklugen Ratschlägen hervortun – dazu mögen andere integre Personen berufen sein. Jedoch brauchen wir nicht weit im europäischen Recht zu suchen. Im zivilen Vertragsrecht hat die Europäische Union längst geregelt, dass zwischen dem Mächtigen und dem Unterlegenen beim Abschluss von vorformulierten Verträgen ein Ausgleich stattzufinden hat.

ProPferd: Und der sieht konkret wie aus?

Dr. Lehmann: Ich erinnere an das europäische Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), welches in den Ländern Europas schon im Jahre 2002 in nationales Recht umgesetzt worden ist. Der unterlegene Verbraucher wird durch das Recht der AGB gegen die Übermacht des Verwenders von formularmäßigen Verträgen geschützt, wenn und soweit  seine ursprünglichen gesetzlichen Rechte  durch die AGB  des Verwenders unangemessen benachteiligen. Dann nehmen im Streitfall die ordentlichen Gerichte eine Inhaltskontrolle der AGB vor. In Deutschland sind diese Rechte des Verbrauchers gegenüber dem übermächtigen Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. formularmäßigen Verträgen durch die Bestimmungen des § 3015 BGB und der Folgebestimmungen gesichert.

Weshalb sollte Gleiches wie im Recht der AGB nicht auch im Sportrecht gelten?
Dort wären die Verbände die Verwender von formularmäßigen Regelwerken und Verträgen und der einzelne Sportler der Verbraucher.

Europa hat das Recht der AGB mit Wirkung ab dem Jahre 2002 eingeführt. Im Hinblick darauf, dass die Gerichte wegen der Vereinsautonomie die Regelwerke nicht ohne eine gesetzliche Erlaubnis antasten, kann der nationale Gesetzgeber die gesetzliche Erlaubnis der Inhaltskontrolle wie im europäischen Recht AGB geben.

ProPferd: Würde ein zu schaffendes Gesetz dann auch die Machtstellung der Verbände beim freiwilligen Abschluss von verbandlichen Schiedsvereinbarungen durch eine gerichtliche Inhaltskontrolle begrenzen?

Dr. Lehmann: Derzeit huldigen in Deutschland Zivilgerichte der Macht der Sportverbände. Es bleibt den betroffenen Sportlern wohl nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Dieser Kampf um die Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit im Sportwesen muss doch wahrhaftig nicht sein. Für die nationalen europäischen Gesetzgeber bedürfte es nur einer kleinen gesetzlichen Ergänzung im Recht der AGB. Der Gesetzgeber darf die Vereinsautonomie durch ein Gesetz in die Schranken weisen, wenn das Gesetz nicht tiefer als erforderlich in das Grundrecht auf Vereinsautonomie eingreift.

In der Tat käme es durch eine gesetzliche Klarstellung endlich zu einer Inhaltskontrolle derartiger dem Athleten vom Verband vorgelegten formularmäßigen Schiedsvereinbarung.  Denn der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat bisher die Antwort auf die Frage offengelassen, ob eine Schiedsvereinbarung dem europäischen Recht der AGB mit Inhaltskontrolle unterliegt (BGH vom 1.3.2007-III ZR 164/06).

ProPferd: Wie kann überhaupt ein Reiter die Vielzahl verbotener Mittel, die als verbotene Dopingmittel oder verbotene Medikamente gelten, heute noch überschauen?

Dr. Lehmann: Der Reiter holt sich Auskünfte bei der Nationalen Dopingagentur NADA oder beim Pferdeveterinär oder an anderer Stelle. Die Auskunft entbindet ihn nach dem derzeitigen Regelwerk der Sportverbände gleichwohl nicht von der Verantwortung und Beweislast.

Spannend ist eine neue Möglichkeit. Der Unternehmer Olaf Optenplatz aus dem niederrheinischen Brüggen hat das in Europa bisher einzigartige Unternehmen "Equidope" gegründet. Equidope bietet die Vorsorge vor möglicher Verfolgung eines gutgläubigen Reiters wegen Medikation und Dopings.  Er ist eine Art TÜV für den Futtermittelmarkt. Equidope zertifiziert Pferdefutter und weitere Mittel mit einem Siegel. Olaf Optenplatz ist davon überzeugt, dass er durch die Auskünfte einen Schutzwall für ehrbare Reiter vor Sanktionen aufbaut.

Die Risiken für Reiter sind hoch. Hersteller werfen über 1000 Produkte von Zusatzfutter zur Gesundheit und Leistungssteigerung von Pferden auf den Markt. Bekannt ist der Spruch aus der Werbung in Medien: „Über Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“. Equidope fühlt sich dazu berufen, die Auskunft zu ergänzen. Es ist bei der Fülle der verbotenen Mittel der Medikation und des Dopings nicht so leicht, ohne einen Spezialisten herauszufinden, was möglicherweise an verbotenem Stoff im Zusatzfutter oder den Medikamenten ist. Es ist oft nicht auf dem Beipackzettel zu finden.

ProPferd: Ist nicht der Kampf gegen Doping zugleich auch eine gesellschaftliche Aufgabe ist, so dass wegen dieser hohen Aufgabe hinzunehmen ist, dass ein Unschuldiger im Netz hängen bleibt?

Dr. Lehmann: Das ist ganz entschieden zu verneinen: Ein einziger Unschuldiger, der im Netz hängen bliebt, kann zur Bewahrung des Rechtsstaates schon einer zu viel sein! Ich gebe Ihnen aber in einem Punkt Recht: Man darf und soll bei der Kritik nicht auf die positiven Seiten der Sportverbände vergessen. Die Welt des Sports ist seit Jahrzehnten straff organisiert. Sie ist durch Vereine und übergeordnete nationale und internationale Sportverbände als Dachverbände in geordnete Bahnen gelenkt. Dazu gehört die Sicherung der Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben als sportethische Güter von fundamentaler Bedeutung für den gesamten Sport.

Fairness erstreckt sich auf den partnerschaftlichen Umgang mit dem Gegner, die Achtung auf gleiche Chancen und Bedingungen, die Begrenzung des Gewinnmotivs sowie die Bewahrung von Haltung in Sieg und Niederlage erlangt die Einhaltung der Spielregeln und die Achtung gegenüber dem Sportgegner und Schiedsrichter.

Ähnliches gilt für die Chancengleichheit. Sie zielt auf die Gleichheit der Wettkampfbedingungen, um eine gerechte und effiziente Leistungsmessung zu gewährleisten. Sie verbietet externe Einflüsse auf den Leistungsvergleich, welche nicht zu den eigenen physischen und psychischen Fähigkeiten des Sportlers gehören.
Dem Sport kommt eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung zu, wie die Erhaltung der Gesundheit, Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, Fairness und Teamgeist. Dies betrifft den gesamten Sport.

Mit der Inkraftsetzung der Anti-Doping-Gesetze sind auf die Verbände weitere wichtige Aufgaben im Blick auf die nationalen und internationalen Turniere hinzugekommen.
Es geht um die Wahrung und Förderung der Integrität des Sports – doch darf dies niemals zu Lasten unschuldig verdächtigter Athleten oder auf Kosten von verfassungsmäßig garantierten Grundrechten gehen. Um nichts anderes geht es.

ProPferd: Herr Dr. Lehmann, wir danken Ihnen herzlichst für das Gespräch.
     
Das Interview mit Dr. F.-Wilhelm Lehmann führte Leopold Pingitzer.


Zu Dr. F.-Wilhelm Lehmann
Dr. F.-Wilhelm Lehmann (www.arbeitsrecht.com) ist Rechtsanwalt in Schliersee (Oberbayern) und gilt als einer der renommiertesten Arbeitsrechts-Experten Deutschlands. Er war von 1972 bis 2009 Geschäftsführer und ab 1996 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes „Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine e.V.“, Krefeld, eines Tarifträgerverbands mit innovativen Tarifverträgen und Tarifmodulen. Seit 1998 ist er Geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes des „Arbeitgeberverbandes Dienstleistungsunternehmen (ar.di) e.V.“, Krefeld, Tarifträgerverband mit innovativen Tarifverträgen und Tarifmodulen. Seit 2014 ist er als Dozent für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Fernhochschule Hamburg in Verbindung mit der Universität Wismar tätig und dort Prüfer für Bachelor- und Masterabschlüsse.

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...

Weitere Artikel zu diesem Thema:

28.06.2018 - Die Macht der Sportverbände , Teil 2: Der Fall Pechstein und die Folgen27.06.2018 - Die Macht der Sportverbände, Teil 1: Ein Staat im Staat
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen