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Studie: Mikroausdrücke könnten Fenster zu den wahren Gefühlen von Pferden sein
04.06.2023 / News

Pferde haben eine ausgeprägte Mimik – und sie zeigen auch sogenannte Mikroausdrücke, wie ein Forscherteam der Universität Brüssel nachweisen konnte.
Pferde haben eine ausgeprägte Mimik – und sie zeigen auch sogenannte Mikroausdrücke, wie ein Forscherteam der Universität Brüssel nachweisen konnte. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay/Rebecca Scholz

ForscherInnen der Universität Brüssel fanden in einer bahnbrechenden Studie heraus, dass auch Pferde sogenannte Mikroexpressionen zeigen – also flüchtige, unbewusste Gesichtsausdrücke, die nur Sekundenbruchteile andauern. Mikroausdrücke wurden bislang nur beim Menschen beschrieben.


Menschen tun es ständig – sie zeigen im Gesicht für Sekundenbruchteile Emotionen, die eine große Bandbreite von Gefühlen ausdrücken können. Diese sogenannten Mikroausdrücke oder Mikroexpressionen sind oft diskret, aber für andere verständlich und offenbaren unbewusst die wahren Gefühle einer Person. Beim Menschen wurden sie mit den sogenannten Basisemotionen – Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude – in Verbindung gebracht.

Wie aber sieht es bei Pferden mit derartigen Mikroexpressionen aus? Zeigen auch sie derartige Mikroausdrücke – und tun sie dies in einem sozialen Kontext?

Claude Tomberg und seine ForscherkollegInnen der Universität Brüssel sind diesen Fragen in einer grundlegenden Studie nachgegangen – und sie stellten einleitend fest, dass Mikroausdrücke bisher nur beim Menschen beschrieben wurden. Im Gegensatz zu Makroausdrücken sind Mikroausdrücke beim Menschen nicht das Ergebnis willentlicher Kontrolle, sondern werden unbewusst gezeigt und können nur schwer absichtlich erzeugt oder unterdrückt werden.

Das Studienteam verwendete für seine Untersuchung Pferde, da diese über die Fähigkeit verfügen, ein breites Spektrum an Gesichtsausdrücken zu zeigen – weniger als die von Menschen, aber mehr als die von Schimpansen oder Hunden. Der Gesichtsausdruck von Pferden kann alles von Schmerz bis hin zu positiven Emotionen ausdrücken. „Es wäre zu erwarten, dass der Gesichtsausdruck von Pferden auch als Kommunikationsmittel für soziale Interaktionen dienen könnte, da es sich bei Pferden um soziale Tiere handelt, die in einem sogenannten ,Fission-Fusion-System’ (FF-System) ähnlich dem Menschen leben.“ (,Fission-Fusion’ – also ,Spalten & Zusammengehen’ – kennzeichnet ein besonders komplexes soziales System und stellt an die einzelnen Mitglieder hohe kognitive Anforderungen, Anm.)

Das Studienteam zog für seine Studie 22 Pferde verschiedener Rassen im Alter von 4 bis 26 Jahren heran. Die Pferde wurden in Anwesenheit eines vertrauten Menschen unter kontrollierten Bedingungen im Putzbereich eines Stalls gefilmt, in dem eine Karotte in Sichtweite, aber für die Pferde unerreichbar platziert worden war. Das Filmmaterial wurde anschließend Bild für Bild auf Hinweise für Mikroausdrücke analysiert und ausgewertet, wobei das „Equine Facial Action Coding System“ (EquiFACS) angewendet wurde, um die Beurteilung etwaiger Mikroausdrücke zu erleichtern.

Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Alle Pferde zeigten Mikroausdrücke, so die Forscher, und zwei Drittel aller Gesichtsausdrücke waren Mikroausdrücke. Es wurde eine Reihe von Gesichtsausdrücken gefunden, die mit dem Kodierungssystem unterhalb der Schwelle von einer halben Sekunde gemessen wurden. Knapp ein Drittel der Mikroausdrücke standen im Zusammenhang mit dem Schließen der Augen und dem Absenken des Lids.

In der Studie zeigten die Pferde in Anwesenheit des Experimentators deutlich weniger Mimik und Mikroausdrücke als wenn das Pferd allein war. Die Erklärung der ForscherInnen: „Da die Pferde in unserer Studie ihre Aufmerksamkeit gegenüber dem Experimentator stark steigerten und 75 % der Gesamtdauer auf den Experimentator gerichtet waren, könnte die Abnahme des Gesichtsausdrucks mit einem hohen Grad an Aufmerksamkeit gegenüber dem Experimentator zusammenhängen.“ Mit anderen Worten: Die visuelle Aufmerksamkeit von Pferden kann „fixierte Aufmerksamkeitsmuster“ umfassen, bei denen der Körper unbeweglich ist und die Ohren und Augen auf den Reiz ausgerichtet sind. Beim Menschen wurde ein neutrales Gesicht mit hoher Konzentration in Verbindung gebracht.

Die mentalen Merkmale, die Mikroausdrücke bei Pferden steuern, seien noch unbekannt, so die AutorInnen weiter. Sie fanden keine statistische Übereinstimmung zwischen dem Ausdruck dieser Gesichtsbewegungen und auch keine Verhaltensindikatoren, die einen Zusammenhang dieser Mikroausdrücke mit Stress oder Schmerz belegen: „In unserer Studie gab es auch keine verhaltensbezogenen Anzeichen von Frustration, aber da unser Protokoll eine vermutlich frustrierende Situation beinhaltet [von jeder eine Karotte], konnten wir nicht ausschließen, dass einige der Gesichtsausdrücke … insbesondere subtile Anzeichen von Frustration zum Ausdruck bringen würden, denn Mikroausdrücke könnten flüchtige, unfreiwillige Ausdrucksformen von Emotionen sein.“

Die Verringerung der Mikroausdrücke in Anwesenheit eines menschlichen Experimentators stützt frühere Daten, dass Pferde sensibel auf den sozialen Kontext reagieren. „Wir nehmen an, dass einige der Mikroausdrücke mit dem Aufmerksamkeitszustand zusammenhängen oder von Pferden als soziale Signale in einer Pferd-Mensch-Beziehung verwendet werden könnten. Dennoch ist ihre Klassifizierung als Kommunikationssignale verfrüht, da diese Studie die erste ist, die sich mit den mentalen Merkmalen von Gesichtsmikroausdrücken bei einem nichtmenschlichen Tier befasst.“

Ihr Vorkommen in verschiedenen sozialen Kontexten sollte getestet werden, sagte das Studienteam. „Diese Studie zeigt, dass Pferde Gesichtsmikroausdrücke zeigen – und legt nahe, dass einige davon mit dem Aufmerksamkeitszustand zusammenhängen oder von Pferden als soziale Information in einer Beziehung zwischen den Arten verwendet werden könnten“, so die AutorInnen.

Zukünftige Forschungen sollten versuchen, die Funktion dieser flüchtigen Mikroausdrücke zu klären, um zu bestätigen, ob sie als soziale Informationen dienen könnten und, wenn ja, welche Art von sozialen Signalen sie übermitteln könnten. „Es wäre auch interessant zu untersuchen, ob die Fähigkeit der Pferde, Mikroausdrücke auszuführen, ein evolutionäres Spezialisierungsmerkmal sein könnte, das auch andere sehr soziale Tiere teilen.“

Wenn ihre Funktion als soziales Signal bestätigt wird, könnten Mikroausdrücke möglicherweise Informationen über die Entwicklung subtiler Merkmale der Mensch-Tier-Kommunikation liefern. „Da Mikroausdrücke vorübergehende, flüchtige, unwillkürliche Gesichtsausdrücke sind, könnten sie Informationen über den wahren inneren Zustand der Pferde liefern“ – also gleichsam ein „Fenster zu vorübergehenden inneren Zuständen des Tieres" sein, so das Resümee der AutorInnen. Die genaue Erkennung von Mikroausdrücken würde auch das Wohlbefinden verbessern, da sich Pferde als Beutetiere so entwickelt haben, dass sie als Überlebensstrategie den Ausdruck von Schmerz verhaltensmäßig verbergen oder unterdrücken.

Die Studie „Horses (Equus caballus) facial micro-expressions: insight into discreet social information" von Claude Tomberg, Maxime Petagna und Lucy-Anne de Selliers de Moranville ist am 27. Mai 2023 in der Zeitschrift ,Scientific Reports' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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