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Pferde verlieren durch Boxenhaltung an Knochenstärke
17.06.2021 / News

Kurze Sprints sind die beste Stimulation für das Wachstum der Knochen – Pferde verlieren Knochenmasse, wenn Sie nicht sprinten oder wenn sie keine Möglichkeit für Sprints haben.
Kurze Sprints sind die beste Stimulation für das Wachstum der Knochen – Pferde verlieren Knochenmasse, wenn Sie nicht sprinten oder wenn sie keine Möglichkeit für Sprints haben. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Pferde in Boxen und Ausläufen zu halten, ist eine gängige Praxis, um sie möglichst gut vor Verletzungen zu schützen, insbesondere bei wertvollen Turnier- und Sportpferden. Doch vor allem bei jungen Pferden kann das eine fatale Nebenwirkung haben – die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit verursacht eine rasche und deutliche Abnahme der Knochenmasse und -stärke. Doch es gibt ein einfaches Gegenmittel …


Obwohl es auf den ersten Anschein verlockend sein mag, ein Pferd sicher und geschützt in seinem Stall zu halten, um Verletzungen oder Rangeleien mit anderen Pferden zu vermeiden, ist dieser Ansatz, seine wertvollen Pferde gleichsam in Watte zu packen, keine gute Idee – und zwar aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt, um seine körperliche und geistige Gesundheit zu unterstützen und vor allem auch die lebenswichtigen Sozialkontakte zu Artgenossen zu ermöglichen.

Auf einen oftmals wenig beachteten Aspekt der Boxenhaltung hat nun die ,American Quarter Horse Association’ in einem lesenswerten Online-Beitrag hingewiesen: Wie langjährige Forschungen zeigen, kann das Einsperren eines Pferdes in einer Box oder einem engen Auslauf zu einem Verlust von Knochenmasse und Knochenstärke führen – und dieser unerwünschte und gefährliche Effekt tritt bereits nach sehr kurzer Zeit ein.

In einer von der Stiftung ,American Quarter Horse Foundation’ finanzierten Studie, die von Dr. Brian Nielsen von der Michigan State University durchgeführt wurde,  konnte gezeigt werden, dass boxengehaltene Pferde eine deutliche Abnahme der Knochenmasse und -stärke im Vergleich zu Pferden in Weidehaltung erlitten haben, und dieser unerwünschte und gefährliche Effekt war bereits nach zwei Wochen Boxenhaltung nachweisbar. Das kann dramatische, ja fatale Konsequenzen haben: Diese Pferde haben vielleicht aufgrund des späteren Trainings eine gute Muskelkraft, aber unter diesen Muskeln können die Knochen extrem schwach sein, weil es nicht oder viel zu wenig auf der Weide war.

Dr. Brian Nielsen hat sich schon als Student in den 1990er Jahren mit der Knochendichte bzw. -stärke bei Quarter Horses im Renntraining beschäftigt und auch in den folgenden Jahren eine Reihe von Studien zur Knochenmasse durchgeführt, und seine Ergebnisse waren konsistent – und überraschend: „Wir hatten eine Situation, in der die meisten Systeme im Körper des Pferdes immer stärker wurden, weil sie im Training waren – die Herz-Kreislauf-Fitness, das Muskelsystem etc., alles wurde stärker – nur das Skelett wurde immer schwächer“, so Brian Nielsen. Und er fragte sich, ob die vielen Verletzungen der Pferde vielleicht damit zusammenhingen, dass sie meist in Boxen anstatt auf der Weide gehalten wurden und dadurch ihre Knochen nicht genug stimuliert und so immer schwächer wurden.

Um dies herauszufinden, führte Nielsen 1996 eine Forschungsstudie an der Michigan State University durch: Er teilte Jährlinge in zwei Testgruppen – die eine Hälfte wurde ab einem bestimmten Zeitpunkt auf Boxenhaltung umgestellt, während die andere Hälfte weiter auf der Weide blieb. Die boxengehaltenen Pferde wurden jeden Tag eine Stunde lang in einer Führanlage bewegt. Alle Pferde hatten zu Beginn der Studie ein für Jährlinge normales Knochenwachstum. Die Forscher überwachten in den Folgemonaten beide Testgruppen und entdeckten Überraschendes, so Brian Nielsen: „Die Pferde auf der Weide haben ihre Knochenmasse im Röhrbein weiter erhöht, wie man erwarten konnte, aber bei den Pferden, die auf Boxenhaltung umgestellt wurden, ging die Knochenmasse sofort zurück und blieb die nächsten drei Monate niedrig.“

In der nächsten Studien-Phase begannen die Forscher, die nun zweijährigen Pferde anzureiten. In den nächsten zwei Monaten durchliefen sie ein typisches Jungpferde-Ttraining – Schritt gehen, Traben und leichter Galopp. Ihre Röhrbein-Knochen wurden regelmäßig auf Knochenmasse und -dichte untersucht. „Selbst während des Trainings gelang es nicht, die Knochenmasse der Pferde im Stall zu erhöhen“, so Brian. „Fünf Monate nach Studienbeginn hatten die boxengehaltenen Pferde trotz Trainings eine geringere Knochenmasse als zu Beginn der Studie. Die Knochenmasse blieb niedriger als bei den weidegehaltenen Pferden.“

In weiteren Studien zeigte sich, dass vor allem eine bestimmte Bewegungsform der Schlüssel zu einer gesunden, wachsenden Knochenmasse war – nämlich Sprints, also kurze, explosive Laufeinheiten: Dies war die entscheidende Zutat dafür, dass Knochen an Masse zulegen konnten, wie Brian Nielsen herausfand: „Tatsächlich verlieren Pferde Knochenmasse, wenn Sie nicht sprinten oder wenn sie keine Möglichkeit für Sprints haben. Oder sie lagern – wenn es sich um ein Tier im Wachstum handelt – nicht so viel Mineralien ab, wie sie es normalerweise tun würden.“

Minutiös konnte Nielsen den Mechanismus hinter diesem Phänomen rekonstruieren: Das Geheimnis liegt darin, wie Knochen auf Belastung reagieren, insbesondere auf kurze, rasche Sprints, die hohe Anforderungen an die Knochen stellen und daher ein besonders gutes ,Knochen-Training’ darstellen: Bei Sprints wirken große Kräfte auf den Knochen und bewirken, dass er sich biegt, wodurch er auch stimuliert wird, mehr Knochenmasse zu bilden und so stärker zu werden. Wenn Pferde jedoch nicht sprinten können – weil sie etwa in Boxen oder engen Ausläufen eingezwängt sind –  dann werden ihre Knochen daran gehindert, sich zu verbiegen, der Organismus entzieht daraufhin den Knochen Mineralien, da er gleichsam „glaubt", die Knochen seien stark genug für die von ihnen zu leistende Arbeit. Mit anderen Worten: Kurze, kraftvolle Sprints, wie sie etwa Fohlen auf der Weide unablässig vollführen, sind die beste Anregung für ein gesundes, nachhaltiges Knochenwachstum.

Der Verlust an Knochenmasse betrifft aber nicht nur Fohlen und Jährlinge, sondern auch erwachsene Pferde, wie Brian Nielsen in weiteren Untersuchungen herausfand: Wenn das Pferd eingesperrt ist, tritt Knochenschwung selbst bei ausgewachsenen Pferden auf, so Nielsen – und das sei auch nicht überraschend, denn: „Forschungen bei Astronauten haben gezeigt, dass Menschen bereits nach drei Tagen im Weltraum einen nachweisbaren Knochenverlust haben“, sagt Brian. „Die NASA hat eine Menge Knochenforschung finanziert und nach Wegen gesucht, den Knochenverlust bei Astronauten zu reduzieren.“

Auch Brian Nielsen blieb nicht untätig – und hat in weiteren Studien gezeigt, dass auch Pferde die Fähigkeit haben, einen Teil der verlorenen Knochenmasse zurückzugewinnen, wenngleich das entsprechend länger dauert: „Wenn Sie ein Pferd haben, das aus irgendeinem Grund Boxenruhe benötigt, kann es die verlorene Knochenmasse wiedererlangen, aber man muss wissen, dass die Knochenmasse für eine gewisse Zeit lang niedriger sein wird als vor dem Aufenthalt in der Box“, so Brian Nielsen.  

Er fand auch heraus, dass die Menge an Sprints, die erforderlich ist, um die Knochenmasse zu erhalten, überraschend gering ist. Selbst die geringe Menge Herumlaufen und -spielen, die ein normales Pferd auf der Weide absolviert, reicht locker aus, um seine Knochenmasse zu erhalten. Eine von Brian Nielsen durchgeführte Studie an abgesetzten Fohlen ergab, dass der dafür erforderliche Laufaufwand minimal ist – nur 82 Meter pro Tag reichen aus, um Knochenverlust zu verhindern. Das entspricht fünf bis 10 Sekunden Laufen. Knochen reagieren nicht auf die Anzahl der Schritte, sagt er, sondern auf die Intensität oder Belastung jedes Schrittes. „Wenn Sie ein Pferd, das in einem Stall eingesperrt war, auf die Koppel führen, drehen sich die meisten einfach um und sprinten weg – und das war wahrscheinlich alles, was es gebraucht hat: ein kurzer kleiner Sprint, um Knochenschwund zu verhindern. Nur 20-30 Schritte sind vermutlich ausreichend.“

Dr. Brian Nielsen, mittlerweile Professor für Bewegungsphysiologie bei Pferden, appelliert in diesem Sinn an Züchter, ihren Umgang mit jungen Pferden zu überdenken: „Oft stellen wir Pferde in die Box, weil wir denken, dass wir ihnen etwas Gutes tun. In Wahrheit tun wir ihnen damit keinen Gefallen – sowohl ihren Knochen als auch ihren Sehnen nicht. Wenn Sie Ihr junges Pferd einfach Pferd sein lassen und ihm soviel Zeit wie möglich auf der Weide ermöglichen, dann ist das die beste Gewähr dafür, dass es fit und stark wird und den späteren Anforderungen in Training und Sport gewachsen ist.“

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