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Oberbereiter Klaus Krzisch: „Die Rollkur ist ein Problem!"
27.07.2015 / News

Klaus Krzisch war 45 Jahre lang an der Spanischen Hofreitschule tätig – und sieht heute das Erbe der klassischen Reitkunst in Gefahr.
Klaus Krzisch war 45 Jahre lang an der Spanischen Hofreitschule tätig – und sieht heute das Erbe der klassischen Reitkunst in Gefahr. / Foto: Archiv
Bilder wie diese aus dem Jahr 2008 sorgten in den letzten Jahren wiederholt für Aufregung.
Bilder wie diese aus dem Jahr 2008 sorgten in den letzten Jahren wiederholt für Aufregung. / Foto: Dr. Ulrike Thiel
Ungünstige Momentaufnahme – oder schleichende Gefahr? Wird an der Spanischen Hofreitschule tatsächlich mit der Rollkur-Technik gearbeitet? – Diese Frage sorgt seit Jahren für hitzige Debatten.
Ungünstige Momentaufnahme – oder schleichende Gefahr? Wird an der Spanischen Hofreitschule tatsächlich mit der Rollkur-Technik gearbeitet? – Diese Frage sorgt seit Jahren für hitzige Debatten. / Foto: Dr. Ulrike Thiel
Für Klaus Krzisch ist die Rollkur unakzeptabel: „Die Rollkur ist gegen die Natur des Pferdes und hat daher auch in der klassischen Reiterei nichts zu suchen."
Für Klaus Krzisch ist die Rollkur unakzeptabel: „Die Rollkur ist gegen die Natur des Pferdes und hat daher auch in der klassischen Reiterei nichts zu suchen." / Foto: Dr. Ulrike Thiel

Der frühere Erste Oberbereiter Klaus Krzisch gilt als prononcierter Gegner des neuen Systems – und sieht das Niveau der Spanischen Hofreitschule ernsthaft gefährdet. Im Interview mit ProPferd erklärt er, warum die Überforderung der Pferde das klassische Ausbildungssystem untergräbt.

 

ProPferd: Hr. Krzisch, sie gelten als vehementer Gegner von Geschäftsführerin Elisabeth Gürtler, die seit 2007 die Leitung der Hofreitschule innehat und das Institut deutlich verändert hat. Was haben Sie denn gegen Fr. Gürtler?

Klaus Krzisch: Ich habe überhaupt nichts gegen Frau Gürtler persönlich – und schon gar nichts gegen meine ehemaligen Kollegen und das Bereiter-Team, wie das leider häufig kolportiert wird. Die Reiter können’s grundsätzlich, das möchte ich schon betonen. Was ich kritisiere ist das System, das Frau Gürtler eingeführt hat und das sich aus meiner Sicht nicht mit dem verträgt, was eigentlich der Daseinsgrund dieses Instituts ist – nämlich die Pflege der klassischen Reitkunst. Vieles von dem, was ich heute sehe, ist leider nicht mehr klassisch.

ProPferd: Zum Beispiel was...?

Krzisch: Da könnte ich vieles anführen, was allerdings den meisten Laien gar nicht auffallen würde – von der Zügelhaltung bis zum Sitz und immer größeren Schwächen bei den Schulen über der Erde. Wofür war denn die Schule weltweit anerkannt und geschätzt? Das waren die Linienführung und der Sitz – das ist heute vorbei. Das sehen auch immer mehr Fachleute – und wundern sich, was da los ist.

ProPferd: Und was ist los?

Krzisch: Es wurde in den letzten Jahren ein jahrzehntealtes, bewährtes System zerstört und durch ein neues ersetzt, das aber nicht funktionieren kann. Frau Gürtler hat geglaubt, sie muß das Institut mit einem Tritt in die Gewinnzone befördern, die Vorstellungen nahezu verdoppeln und eine zweite Garnitur für Tourneen aufbauen – all das führt letztlich zu einer Überforderung der Pferde, die klassisches Reiten und Ausbilden unmöglich macht.

ProPferd: Frau Gürtler stellt ganz entschieden in Abrede, daß Pferde überfordert werden – sinngemäß mit dem Argument, daß ein paar Minuten Höchstleistung für ein gesundes, trainiertes Pferd durchaus verkraftbar wären...

Krzisch: Die sieben oder acht Minuten, die ein Programmpunkt dauert, strengen die Pferde tatsächlich nicht übermäßig an, da hat Fr. Gürtler schon Recht. Aber: Um acht Minuten auf diesem Niveau Leistungen vollbringen zu können, dazu bedarf es jahrelangen, intensiven Trainings, und das vergisst Fr. Gürtler in ihrer Rechnung. Wenn ich heute ein Grand Prix-Pferd habe, brauche ich rund vier Jahre, um das Pferd überhaupt auf dieses Niveau zu bringen – und weitere zwei Jahre, um an den Details zu feilen. Es geht nicht um die acht Minuten Leistung – sondern die jahrelange Arbeit davor, die eine erhebliche Belastung für die Pferde darstellt. Und das geht in der öffentlichen Diskussion leider meist unter. Wenn ein Skirennläufer die Streif hinunterfährt, dann dauert das auch nur zwei Minuten – aber was liegt denn vor dieser Leistung, wieviele Jahre hartes Training, wieviel Mühe und wieviel Schweiß? Es hat sich ja nicht nur die Anzahl der Vorstellungen nahezu verdoppelt, sondern auch der gesamte Trainingsumfang. Früher hatten wir pro Jahr rund 170 Trainingstage – jetzt sind es an die 250. Unter Albrecht haben wir das ja alles schon durchgemacht, auch damals wurde die Zahl der Vorstellungen auf etwa 70 erhöht, aber es hat sich bald gezeigt, daß das nicht nur für die Gesundheit der Pferde, sondern auch für das Niveau der Vorstellungen sehr schlecht war. Damals war man aber noch so verantwortungsbewusst, dieses Experiment rasch zu beenden. Da hatten noch echte Pferdeleute das Sagen.

ProPferd: Können sich denn die Bereiter nicht gegen die Überforderung der Pferde stellen – und z. B. einfach sagen, daß dieses oder jenes Pferd nicht oder noch nicht eine Vorstellung gehen darf, weil es einfach nicht soweit ist?

Krzisch: Durch die nunmehrige Gestaltung des Programms ist dem jeweiligen Bereiter die letzte Verantwortung in Wahrheit entzogen – er kommt aus dem Hamsterrad nicht mehr heraus, dazu ist auch der zeitliche Druck zu groß geworden. Es war Teil unserer Tradition, daß wir immer selbst bestimmen und entscheiden konnten, wie und vor allem wie intensiv wir die uns anvertrauten Pferde trainieren und ausbilden. Wenn ich z. B. gemerkt habe, daß heiße Tage kommen oder ein vielleicht älteres Pferd schon an seiner Leistungsgrenze angelangt ist – dann habe ich das Pferd eben geschont und bestenfalls nur leicht gymnastiziert, damit es am Sonntag für die Vorführung wieder frisch und fit ist. Und mit jungen, besonders eifrigen Pferden hat man vielleicht etwas mehr gearbeitet, damit sie am Sonntag ruhiger und gelassener sind. Das hat man ja als Bereiter immer gewusst und gespürt – weil wir mit dem Pferd immer eins waren.

ProPferd: Sie haben vorhin auch die sogenannte ,zweite Garnitur’ angesprochen – wie beurteilen sie diesen Plan von Fr. Gürtler?

Krzisch: Meiner Meinung nach ist eine zweite Garnitur weder sinnvoll noch machbar – und inhaltlich ein völliger Irrweg. Diese Idee ist ja auch nicht neu – realisiert konnte sie aber niemals werden. Schon Podhajsky hat immer gesagt: ,Eine zweite Garnitur? Wir haben ja nicht einmal eine gescheite Garnitur – sind wir doch froh, wenn wir EINE super Truppe haben, die funktioniert und die anerkannt ist.’ Später ist einmal Direktor Oulehla zu uns gekommen und hat gemeint: ,Wir müssen mehr Geld einnehmen – was haltet ihr davon, wenn wir zumindest das Training zuhause weiter machen, während der andere Teil auf Tournee ist?’ Das war für uns ok – ein Training kann man mit dem Rest der Pferde und Reiter noch machen, aber doch um Himmels willen keine Vorführung! Wenn ich in die Oper gehe, dann will ich doch auch für mein teures Geld die besten Sänger hören – und nicht die zweit- oder drittbesten, es kann ja auch nicht zwei Garnituren vom Fußball-Nationalteam geben. Ich kann doch nicht für eine sogenannte Vorführung, in der nur zwei Pferde in einer Handarbeit in der Abteilung gehen – was tatsächlich vorgekommen ist – das gleiche Geld verlangen, als wären die besten Reiter und Pferde in der Halle? Aus meiner Sicht ist das nicht redlich – und eigentlich eine Frechheit. Die besten Reiter auf den besten Pferden – das war immer die Spanische Hofreitschule und nur das kann sie sein.

ProPferd: Solange derartige Vorführungen aber gut besucht sind und sich niemand daran stößt  – wer könnte es Fr. Gürtler verübeln, dafür möglichst hohe Eintritte zu verlangen?

Krzisch: Wenn man mit dem Niveau, das da geboten wird, glücklich und zufrieden ist – bitteschön. Einem ganz normalen Touristen, der vom Pferdesport oder gar von klassischer Reitkunst keine Ahnung hat – dem gefällt das sicher, die weißen Pferde, die Uniformen, die Halle etc., das alles hat ja seinen Charme. Denen fällt tatsächlich nicht auf, wenn am Heldenplatz die Spanier in der Passage eine Traversale reiten, während die Hälfte unserer Bereiter nicht einmal Passage reitet. Das erkennt der normale Tourist nicht – weil er meist gar nicht weiß, was eine Passage ist. Für den Normalbürger ist alles in Ordnung. Aber von diesen hat die Schule nicht gelebt – sondern von jenem Ruf und jenem Renommee, das wir uns auf den Tourneen über Generationen hinweg erarbeitet haben. Wir hatten früher auch 90 % Touristen in den Vorstellungen in der Hofburg gehabt – aber auf den Tourneen hatten wir 90 % Fachpublikum, Trainer, Ausbilder, Turnierreiter. Die Schule hat sich über Generationen einen Ruf in Fachkreisen aufgebaut, von dem auch die jetzige Leitung des Instituts noch immer profitiert, zumindest ein wenig. Das ist aber nicht das Verdienst von Fr. Gürtler, sondern das Verdienst von Generationen an Bereitern in der Vergangenheit. Sie schmückt sich da mit fremden Federn. Aber dieses Guthaben wird eines Tages aufgebraucht sein – und es mehren sich die Anzeichen dafür, daß dieser Tag nicht mehr fern ist...

ProPferd: Der Fairness halber muss man aber sagen, daß Fr. Gürtler den ausdrücklichen politischen Auftrag hat, möglichst ausgeglichen zu bilanzieren – und wohl an der Ausweitung der Vorstellungen kein Weg vorbeiführt. Oder hätten sie eine bessere Idee...?

Krzisch: Eine Maßnahme, die beträchtliche Einsparungen bringen würde, wäre schlicht eine Reduzierung der Pferdezahl. Was brauche ich 75 Pferde in der Hofburg und 40 am Heldenberg? Das sind 115 Pferde – und jedes kostet natürlich Geld. Wir hatten früher 72 Pferde in der Hofburg und sind auch durchgekommen. Mit den 72 Pferden sind wir im Sommer nach Lainz – und im Herbst waren sie wieder voll Energie, und wir konnten das ganze Programm und auch noch die Tourneen mit ihnen problemlos bestreiten – alles eine Frage des Managements. Und wenn es heißt: ,Aber die jungen Pferde müssen doch gearbeitet werden’ – dann sieht man wieder, daß Fr. Gürtler von vielen Dingen schlicht zu wenig versteht. Auch junge Pferde brauchen Erholung, weil die Pferde geistig und körperlich gearbeitet werden – und wenn wir von Mitte Februar bis Ende Juni intensiv trainieren, dann brauchen auch die jungen Pferde Erholung und Regeneration.

ProPferd: Dem wurde entgegnet, daß die Pferde doch nur 30 Minuten am Tag gearbeitet werden und alles nicht so anstrengend für sie sei...

Krzisch: Auch diese Aussage – sofern sie ernst gemeint sein sollte – beweist entweder Ahnungslosigkeit oder ist einfach nur zynisch. Jeder Reiter hat früher selbst entscheiden können, wie lange er mit seinem Pferd arbeitet – weil auch nur der Reiter das seriös abschätzen kann. Wenn ich einmal mehr Zeit mit einem Pferd gebraucht habe, dann habe ich mir das einfach so eingeteilt, daß ich eine Stunde oder vielleicht sogar länger geritten bin. Und wenn es für ein Pferd zu anstrengend wurde, hab ich das Training eben abgekürzt. Ein Pferd hat ja nur eine Aufnahmefähigkeit von maximal 40 Minuten, in denen es geistig folgen kann – bei einem jungen Pferd ist es sogar noch weniger. Mit einem jungen Pferd arbeitet man am Anfang maximal 15–20 Minuten, dann kann es sich nicht mehr konzentrieren und dann fangen die Probleme an. Deswegen brauchen junge Pferde genauso ihre Ruhe.

ProPferd: Wie gehen denn die Bereiter mit all dem um – wie ist denn die Stimmung bei denen?

Krzisch: Wenn ich nach dem gehe, was ich von meinen ehemaligen Kollegen höre: katastrophal. Es haben sich unterschiedliche Lager gebildet. Die Jungen sind arm, weil die niemanden mehr haben, der ihnen weiterhilft, die müssen sich untereinander irgendwie selber helfen – doch das geht eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn wir früher auf der Bank gesessen sind und den Jüngeren zugeschaut haben, dann haben wir uns die immer hergewunken und gesagt: Mach das besser so oder so oder probiere das mal so. Das gibt’s heute kaum noch.

ProPferd: Aber wieso? Ist dazu keine Zeit mehr, fehlt es an Motivation – woher kommt diese Haltung?

Krzisch: Weil es z. B. eine Gruppe gibt, die eigentlich gegen das System von Fr. Gürtler sind, aber nichts dagegen machen können, es in Wahrheit boykottieren und aus diesem Grund nichts sagen. Der andere Teil hat unter Fr. Gürtler Karriere gemacht und ist heute in einer Position, in die sie früher nie gekommen wären. Die sind verständlicherweise ganz zufrieden mit dem Status quo – und haben wenig Interesse, daran irgendetwas zu ändern. Und dann gibt’s noch die Jungen, die eigentlich besonders arm dran sind, weil denen niemand mehr etwas erklärt und sie sich bei Problemen selbst helfen müssen – und das tun sie manchmal eben mit den falschen Mitteln. Es ist für mich daher auch kein Zufall, daß immer öfter im Internet Fotos und Videos kursieren, wo man die Lipizzaner in Rollkur-Haltung sieht. Das ist letztlich auch dadurch verursacht, daß die Pferde – und auch manche Reiter – überfordert sind und heute nicht mehr so ausgebildet werden kann, wie es eigentlich sein sollte.

ProPferd: Hat die Spanische Hofreitschule tatsächlich ein Rollkur-Problem?

Krzisch: Rollkur ist ein Problem – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens weil sie gegen die Natur des Pferdes ist. Klassische Reitkunst ist nichts anderes als die natürlichen Bewegungen des Pferdes herauszuarbeiten und zu präsentieren. Wenn sie sich die Junghengste in Piber auf der Koppel ansehen, dann werden sie Galoppwechsel sehen, Traversalen, Passage bzw. passageähnliche Tritte, wenn die Junghengste ihr Imponiergehabe demonstrieren und den Schweif heben, oder sie zeigen Piaffetritte oder stellen sich auf wie bei einer Courbette. All das ist klassisch – ich kann all diese Lektionen bis zu den Schulen über der Erde aus den natürlichen Bewegungen ableiten und diese gleichsam kultivieren und verfeinern. Zirkus ist es für mich, wenn man einem Pferd acht oder zehn Courbette-Sprünge machen lässt, wenn es sich niederlegen oder hinsetzen muss usw. – das hat mit klassischer Reitkunst nichts zu tun.

Die Rollkur ist gegen die Natur des Pferdes und hat daher in der klassischen Reiterei nichts zu suchen. Der Kopf und der Hals eines Pferdes sind seine Balancestange. Und das Pferd ist dann am besten ausbalanciert – und zwar in allen Lektionen – wenn es kurz vor der Senkrechten ist, das war in der klassischen Reitkunst stets so und glücklicherweise entdeckt man das jetzt auch im Dressursport wieder. Nun kann aber Folgendes passieren: Wenn ich heute Trainer und Ausbilder bin, und ein Pferd drückt mir immer weg – wegdrücken heißt den Kopf hoch nehmen, z. B. in einer Pirouette oder bei einem Übergang von der Piaffe in die Passage oder von der Passage in die Piaffe, dann ist das in der Ausbildung ein Problem. Immer, wenn ich angehen will, drückt das Pferd etwas weg. Wenn das Pferd wegdrückt, drückt es auch den Rücken durch und kann von hinten nicht antreten. Wenn ich jetzt Trainer bin, werde ich also versuchen, das Pferd etwas hinter die Senkrechte zu bekommen – aber nur für diesen Moment und diese Sekunde, damit das Pferd lernt, daß es auch so angehen kann. Und dann geht das Pferd auch wieder über den Rücken an, der ja immer schwingen soll, und tritt hinten nach, denn hinten spielt ja bekanntlich die Musik. Da kann ich das akzeptieren, daß ich das Pferd für ein paar Sekunden so einstelle – leicht hinter der Senkrechten, nur um ihm zu zeigen, daß es auch so funktioniert.

Was ich nicht akzeptieren kann ist jene Art von Rollkur, in der man das Pferd mehr oder weniger unterwirft und durch eine unnatürliche Zwangshaltung auch quält. Und leider hat diese Unsitte in der Spanischen Einzug gehalten – wie mittlerweile viele Fotos und sogar Videos zeigen. Wenn diese von Frau Gürtler als ,Momentaufnahmen’ und von Herrn Dobretsberger als ,Dehnungsübungen’ bezeichnet werden, dann finde ich das dermaßen verlogen, daß mir die Worte fehlen. Das kann ich vielleicht einem Laien erzählen – aber jeder, der ein wenig Ahnung vom Reiten hat, weiß was los ist und was da mit den Pferden gemacht wird. Tatsache ist, daß ein paar Reiter die Rollkur praktizieren – die Jungen schauen sich das ab und machen das ganze nach. Ich habe mir einige der Bilder angesehen, da wird ein Caprioleur geritten, der in der Capriole immer etwas wegdrückt. Daher versucht der Bereiter, ihn hinter die Senkrechte zu bekommen und reitet so dahin. Daran erkennt man aber auch die Unerfahrenheit des Reiters – denn das hilft null. Wenn ich heute ein Pferd ausbilde, und ich reite eine Traversale und es drückt mir ständig weg, ich pariere Schritt, tu ihn runter und gehe dann wieder an – dann werde ich das gleiche Problem wieder haben. Ich muss das Problem IN der Lektion lösen. Wenn ich ein Problem habe in einer Pirouette, in einer Traversale, dann muss ich das weiter machen und versuchen, dieses Problem zu lösen.

Und da schließt sich wieder der Teufelskreis: Offenkundig sagt keiner der erfahrenen, älteren Reiter zu dem: ,Du, das was Du da machst, das bringt nichts – da gibt’s eine andere Lösung.' Das passiert offenbar nicht mehr oder viel zu wenig. Wir haben uns ja früher nach einer Vorführung immer zusammengesetzt und über alles geredet – was war gut, wo hat’s Fehler gegeben, was kann man verbessern und so weiter. Es hat eine Manöverkritik gegeben, wir waren ein Team. Das gibt’s heute alles nicht mehr – und ich höre immer wieder, daß viele der Bereiter das vermissen. Heute ziehen sich nach einer Vorführung alle um und sind fort, die Gemeinschaft fehlt. Und das werfe ich Frau Gürtler wirklich vor – daß sie die Leute demotiviert und den Teamgeist zerstört hat. Jeder kann irgendetwas ein bisschen besser – und wenn einer nicht so gut Pferde ausbilden konnte, dann war er eben besser im Unterrichten und hat so die anderen entlastet. Wir haben uns gegenseitig geholfen, wir waren alle gleich – keiner war abgehoben. Nur weil ich das Solo geritten bin, war ich nicht besser oder mehr wert als die anderen – ich habe wahrscheinlich nur mehr Glück und ein besonders gutes Pferd gehabt. Wenn man über einen von uns gelästert hat, dann hat man über uns alle gelästert.

ProPferd: Also einer für alle – und alle für einen...

Krzisch: So war es früher wirklich, es gab einen ungeschriebenen Codex. Und jeder von den älteren Bereitern, den ich kannte, hat sich mit der Schule identifiziert. Ich natürlich auch – mir hat das damals in der Seele wehgetan, was mit dem Institut passiert ist, heute ist es ein bisschen besser. Und Sie können sich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man eines Tages in die Direktion gerufen wird und dort heißt es: Krzisch, Du bist dienstfrei gestellt! Und das nach 45 Dienstjahren – so, als ob man das Licht abdreht. Und ich musste meine Pferde von einer Sekunde auf die andere zurücklassen – das waren ja meine Partner, mit denen ich 10, 15 und manchmal 20 Jahre zusammengearbeitet habe, das war wie meine Familie. Und dann muß man zuschauen, wie die Schule den Bach runtergeht. Was mich bei alledem auch sehr stört: Von den zuständigen Politikern hat es nie jemand der Mühe wert gefunden, einmal eine zweite Meinung anzuhören – man hatte immer nur ein Ohr für Fr. Gürtler, die stets betont hat, wie wunderbar und wie super alles ist. Wir Reiter, die 40 Jahre in dem Institut gearbeitet haben, wurden dazu nie gehört.
Das Einmalige an diesem Institut war immer: 70 bestens ausgebildete Pferde, dazu die besten Reiter – da lernst Du reiten, natürlich immer mit einem gewissen Auf und Ab. Aber die ganze Welt hat von unserem Wissen profitiert, viele sind gekommen, um sich Tipps und Hilfe bei bestimmten Ausbildungsproblemen zu holen. Ich verdanke der Schule alles – mein gesamtes Wissen, mein gesamtes Können, und eigentlich wäre es meine Aufgabe, das an die nächste Bereiter-Generation weiterzugeben und nicht an irgendwelche anderen Schüler. Leider habe ich die Möglichkeit dazu nicht mehr. Aber ich lasse mir auch nicht den Mund verbieten – wenn ich schon von innen her nichts mehr für die Schule tun kann, dann vielleicht von außen.

ProPferd: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Klaus Krzisch führte Leopold Pingitzer.


ZUR PERSON
Klaus Krzisch, geboren am 23. Juli 1950 in Wr. Neustadt/NÖ, trat im September 1964 als Eleve in die Spanische Hofreitschule ein und durchlief die klassische Hierarchie des Traditionsinstituts: Er avancierte 1970 zum Bereiteranwärter, 1980 zum Bereiter und 1990 zum Oberbereiter. Unvergessen bleiben seine Solo-Darbietungen mit seinem ,Leibpferd' Siglavy Mantua – Krzisch hatte den Hengst selbst ausgebildet und mit ihm unglaubliche 15 Jahre lang – von 1990 bis 2005 – das berühmte Solo gezeigt. Bei seinem letzten öffentlichen Solo 2005 während einer USA-Tournee war Siglavy Mantua 27 Jahre alt – und bei bester Gesundheit.

Nach der Pensionierung des damaligen 1. Oberbereiters Arthur Kottas-Heldenberg im März 2003 übernahm Klaus Krzisch – gemeinsam mit den beiden anderen Oberbereitern Johann Riegler und Wolfgang Eder – die Leitung der reiterlichen und ausbilderischen Arbeit an der Spanischen Hofreitschule. Am 1. März 2006 wurde Krzisch offiziell zum ,Ersten Oberbereiter' ernannt und rückte damit an die Spitze des Bereiter-Teams: Es war die ehrenvolle Krönung seiner beruflichen Laufbahn – die schon wenige Jahre später jäh enden sollte: Im Oktober 2009 wurde Krzisch unter dem Vorwand arbeitsrechtlicher sowie disziplinärer Verfehlungen von der neuen Geschäftsführerin Elisabeth Gürtler dienstfrei gestellt. Die Vorwürfe stellten sich nach eingehender Untersuchung und mehreren Gerichtsverfahren, die Krzisch allesamt gewann, als haltlos heraus. Doch anstelle der Wiedereinstellung folgte im Mai 2013 die Zwangspensionierung – gegen die sich Klaus Krzisch abermals erfolgreich wehrte und nach einem gewonnenen Rechtsstreit wieder auf die Lohnliste der Spanischen gesetzt werden musste. Arbeiten ließ man ihn dennoch nicht.

Im Juli 2015 erreichte Krzisch schließlich das gesetzliche Pensionsalter und hat nun auch keine rechtliche Möglichkeit mehr, seine Wiedereinstellung zu erreichen. Heute ist Klaus Krzisch international gefragter Dressur-Ausbilder.

Kommentare

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2) Spanische Hofreitschule Wien: Liebes Team von ProPferd.at,

schade, dass Sie ein sehr langes, einseitiges Interview zur Spanischen Hofreitschule publiziert haben, ohne dass Sie mit uns gesprochen haben. Wir hätten zu allen offenen Themen eine Antwort, die Sie sicher auch interessiert.
Gerne können wir ein Gespräch mit Frau Gürtler und auch mit unseren Bereitern organisieren - und laden Sie auch gern in unser Haus ein, um sich vor Ort ein Bild zu machen.
Wir würden uns über eine Kontaktaufnahme über presse@srs.at sehr freuen.

Beste Grüße,
Ihr Team der Spanischen Hofreitschule Wien
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