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Wissenschaftlich bestätigt: Rollkur ist nicht akzeptabel!
08.08.2015 / News

Im Turniersport nach wie vor häufig zu sehen – ein Pferd in Rollkur-Haltung, und sein Gesicht sagt mehr als 1000 Worte...
Im Turniersport nach wie vor häufig zu sehen – ein Pferd in Rollkur-Haltung, und sein Gesicht sagt mehr als 1000 Worte... / Foto: Julia Rau
Hier ein Überblick über die unterschiedlichen Kopf-Hals-Stellungen: vor der Senkrechten (1a), an der Senkrechten (1b), hinter der Senkrechten (1c) und umgekehrt – also nicht in gebeugter, sondern aufgerichteter Kopf-Hals-Position (1d).
Hier ein Überblick über die unterschiedlichen Kopf-Hals-Stellungen: vor der Senkrechten (1a), an der Senkrechten (1b), hinter der Senkrechten (1c) und umgekehrt – also nicht in gebeugter, sondern aufgerichteter Kopf-Hals-Position (1d). / Illustration: Cristina Wilkins, courtesy of ISES
Die Richtung der Stirn-Nasen-Linie ist eines der möglichen Merkmale, um Hyperflexion bzw. Rollkur zu beschreiben – in den untersuchten Studien war es auch das mit Abstand am häufigsten verwendete Kriterium.
Die Richtung der Stirn-Nasen-Linie ist eines der möglichen Merkmale, um Hyperflexion bzw. Rollkur zu beschreiben – in den untersuchten Studien war es auch das mit Abstand am häufigsten verwendete Kriterium. / Illustration: Cristina Wilkins, courtesy of ISES
Auch der Winkel zwischen Unterkiefer und Hals kann ein mögliches Merkmal sein, um Hyperflexion zu beschreiben.
Auch der Winkel zwischen Unterkiefer und Hals kann ein mögliches Merkmal sein, um Hyperflexion zu beschreiben. / Illustration: Cristina Wilkins, courtesy of ISES
Hier eine dritte Variante, um die Hyperflexion zu bestimmen – der Winkel zwischen Schulter und Genick.
Hier eine dritte Variante, um die Hyperflexion zu bestimmen – der Winkel zwischen Schulter und Genick. / Illustration: Cristina Wilkins, courtesy of ISES

In einem Grundsatz-Papier hat die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) ihre Haltung zum Thema Rollkur/Hyperflexion festgelegt: Extreme bzw. stark gebeugte (hyperflexed) Kopf-Hals-Stellungen haben im Training von Pferden keinen Platz.

 

Das Grundsatzpapier der International Society for Equitation Science (ISES = Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften) wurde bei der diesjährigen ISES-Konferenz vorgestellt, die von 5.–8. August im kanadischen Vancouver durchgeführt wurde. Präsentiert wurde es den Delegierten von Prof. Paul Mc Greevy von der Universität Sydney, einem Spezialisten für tierische Verhaltens-Therapien mit einem besonderen Interesse für Tierschutz und Pferdewissenschaften. Das 14 Seiten umfassende Papier bietet eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Kopf-Hals-Positionen sowie deren Folge-Wirkungen für das Pferd.

Herzstück – und zweifellos auch spannendster Teil der Arbeit – ist eine Zusammenfassung der wichtigsten wissenschaftlichen Studien in Sachen Hyperflexion/Rollkur, die in den letzten Jahren erschienen sind. Insgesamt werden 55 Studien, die bis Mai 2015 veröffentlicht wurden, analysiert und aufgearbeitet – und zwar in zwei großen Themenkomplexen: 1) die Auswirkungen gebeugter (,hyperflexed') Kopf-Hals-Stellungen für das Pferdewohl und 2) die Effekte hinsichtlich der körperlichen Förderung bzw. Gymnastizierung. Als ,Hyperflexion' wurden dabei alle Grade von eingerollter bzw. gebeugter Kopf-Hals-Stellung bezeichnet, bei welchen die Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten war – dies war auch bei der großen Mehrzahl der Studien das entscheidende Definitionskriterium.

Körperliche Effekte

Von den 55 analysierten Studien haben sich 35 mit ,gymnastic effects', also Effekten hinsichtlich der Gymnastizierung und körperlichen Förderung der untersuchten Pferde beschäftigt, etwa den Auswirkungen auf ihr Bewegungsvermögen, ihre körperliche Belastung sowie ihre Turnierleistungen. Die Ergebnisse waren zwiespältig: Von den 35 wisenschaftlichen Arbeiten kam etwa ein Viertel (26 %) zum Schluss, daß das Training in Hyperflexions-Haltung positive Auswirkungen bei der Gymnastizierung hätte – während 23 % der Studien genau zum gegenteiligen Ergebnis kamen und schädliche Effekte beschrieben. Die übrigen Studien kamen zu keinem schlüssigen Ergebnis.

Als problematisch stellte sich in vielen Studien heraus, daß gewisse Verbesserungen oft nur auf einen bestimmten Bereich beschränkt blieben (z. B. eine spezielle Gangart betrafen, nicht jedoch eine andere) – und daß manche Veränderungen zwar mit Reiter beobachtet werden konnten, aber nicht ohne Reiter. Auch die Beurteilung und Bewertung sportlicher Leistungen blieb teilweise fragwürdig: So wurde bei Turnieren die Rittigkeit junger Pferde als höher bewertet, wenn diese „hinter der Senkrechten" geritten wurden – doch möglicherweise deshalb, weil diese Pferde als ,unterwürfiger' betrachtet wurden.

Auswirkungen auf das Pferdewohl

Gänzlich anders – vor allem wesentlich eindeutiger – fiel das Resümee bei der Frage aus, welche Auswirkungen die Hyperflexions-Haltung auf das Pferdewohl hat: Diesem Thema widmeten sich nicht weniger als 42 der 55 untersuchten Studien – und hier war das Ergebnis klar: 88 % der Untersuchungen bestätigten, daß eine Hyperflexions- bzw. Rollkur-Haltung negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pferde hat. (Anmerkung: Nur eine einzige Studie kam zu einem anderen Ergebnis – daß nämlich die Rollkur gut für das Pferdewohl wäre.)
Unter den negativen gesundheitlichen Folgen der Rollkur wurden u. a. beschrieben:
– Beeinträchtigungen der oberen Atemwege, verbunden mit Kurzatmigkeit und Atemnot
– krankhafte Veränderungen im Hals-Nacken-Bereich sowie der Halswirbel; extreme Rollkur kann sogar zu einer Vergrößerung der Zwischenwirbellöcher führen und die Nervenfunktionen beeinträchtigen
– eingeschränktes Gesichtsfeld, da das Pferd kaum sieht, wohin es sich bewegt
– Stress und Angst durch die vom Reiter erzwungene Kopf-Hals-Position und der Unfähigkeit, dem Druck auszuweichen

Ein Vergleich unter mehreren Studien hinweg aus dem Jahr 2015 hat bestätigt, daß gesundheitliche Beeinträchtigungen unabhängig von der Dauer der Hyperflexions-Haltung, der Methode, mit der diese Haltung erreicht wurde, des Trainings-Niveaus, früherer Hyperflexions-Erfahrungen und auch unabhängig von der Rasse nachgewiesen werden konnten. Die Hyperflexion/Rollkur hat also negative Folgen – ganz gleich, ob das Pferd bereits an diese Haltung gewöhnt ist oder wenn sie nur für eine kurze Zeit angewendet wird.

Resümee und Empfehlungen

Die Schlussfolgerung von ISES ist daher eindeutig: „Wenn man die körperlichen Effekte mit den offensichtlichen Kosten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen abwägt, dann gibt es kaum einen Grund, die Hyperflexion als eine praktikable und akzeptable Methode für das Training eines Pferdes zu betrachten."

Die Empfehlung von ISES lässt daher auch an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig: „Reiter, Trainer und Funktionäre müssen sich der jeweiligen Effekte einer Beugungshaltung stets bewusst sein und sicherstellen, daß die gewählte Kopf-Hals-Stellung keine negativen physiologischen oder psychologischen Folgen hat. Eine freie Atmung und die Möglichkeit, daß das Pferd seine Haltung selbst beibehalten kann (und nicht vom Reiter oder durch die Ausrüstung zu einer bestimmten Haltung gezwungen wird) sind wesentlich. Extreme oder stark gebeugte (hyperflexed) Kopf-Hals-Stellungen sind nicht akzeptabel."

Und weiter heißt es: „Reiter, Trainer und Sportfunktionäre müssen sich bewusst sein, daß psychologische Beeinträchtigungen (das Pferd fühlt sich verwundbarer als Folge des eingeschränkten Gesichtsfeldes und/oder als Ergebnis der durch Zwang herbeigeführten Kopf-Hals-Stellung) bereits früher auftreten als physiologische Beeinträchtigungen."

Und weiter: „ISES empfiehlt, daß die FEI Dressur-Reglements ausdrücklich betonen, daß die Beibehaltung einer Stirn-Nasen-Linie auf oder vor der Senkrechten zu jedem Zeitpunkt zu bevorzugen ist (in den FEI-Disziplinen, aber auch in den nicht von der FEI regulierten Disziplinen)."

Die Resultate der bisherigen Studien sind so klar und eindeutig, daß man bei ISES auch keinen Bedarf an neuen Untersuchungen sieht: „Basierend auf der großen Anzahl wissenschaftlicher Studien über die Auswirkungen von stark gebeugten (hyperflexed) Kopf-Hals-Stellungen auf das Pferdewohl und dem Wissen über die psychologischen und physiologischen Beeinträchtigungen, die dadurch ausgelöst werden, sieht ISES keine unmittelbare Notwendigkeit für zusätzliche Forschungen zur Hyperflexion/Rollkur." Dem ist wohl nichts hinzuzufügen....

Das vollständige Positions-Papier von ISES kann im englischen Originaltext hier nachgelesen werden.

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