Wer die FEI Dressur-Europameisterschaften 2015 in Aachen verfolgte, erlebte ein Wechselbad der Gefühle, völlig unabhängig von der Nationalität. Eine Zusammenfassung von Birgit Popp.
Die EM endete mit Charlotte Dujardins und Valegros knappsten Kür-Sieg, seitdem das britische Paar bei den Olympischen Spielen in London 2012 seinen Siegeszug angetreten, dort Doppel-Gold und anschließend bei der EM 2013 und der WM 2014 Einzelgold gewonnen hatte. Mit 89,054 Prozent konnten sie sich im Deutschen Bank Preis nur knapp gegen das deutsche Paar Kristina Bröring-Sprehe und Desperados FRH durchsetzen, die auf 88,804 Prozent kamen und wie schon im Special hinter dem britischen Paar Silber gewannen. Dujardin waren in der Kür Fehler in den Einer-Wechseln wie schon in den beiden Prüfungen zuvor unterlaufen, hatte aber ansonsten eine fehlerfreie und ausdrucksstarke Vorstellung mit einer zur Filmmusik von How to tame your dragon wie bei keinem anderen Paar abgestimmten Choreographie abgeliefert, sodass ihr Sieg durchaus in Ordnung ging und sich das Aachener Publikum mit seinen Pfiffen bei der Siegerehrung als unfair erwies. Die Deutsche Meisterin, WM-Special-Dritte und Mannschafts-Weltmeisterin
Kristina Bröring-Sprehe hatte nach eigenen Worten ihre bisher beste Kür zum feinabgestimmten Geigenspiel von Violinen-Talent Lucas Wecker mit ihrem schicken, 14-jährigen Rapphengst geboten. Ganz schüchtern meldete die 28-jährige mit Blick auf die bei der Pressekonferenz neben ihr sitzende neue und alte Europameisterin Dujardin ihre Ansprüche für die Olympischen Spiele 2016 an, „Ich möchte noch besser werden!“
Sensation durch Ferrer-Salat
Eine noch größere Überraschung als Silber für die Deutsche Meisterin war Bronze für die Spanierin Beatriz Ferrer-Salat, die ihre letzte Einzelmedaille 2004 mit Bronze bei den Olympischen Spielen in Athen auf ihrem legendären Hannoveraner Wallach Beauvalais gewonnen hatte. Mit ihrem mittlerweile 14-jährigen Westfalen Delgado hatte sie 2010 bei den CDIs in Achleiten und Fritzens einen äußerst erfolgreichen Einstieg auf internationaler Ebene genommen, und es sah aus, als hätte sie mit dem De Niro-Sohn einen ebenbürtigen Nachfolger für Beauvalais gefunden. Doch dann fiel der Fuchswallach krankheitsbedingt jahrelang aus. Beatriz Ferrer-Salat gab nie die Hoffnung auf („Delgado ist zu gut um aufzugeben, an ihn zu glauben.“) und wurde nun dafür belohnt. Seit Februar 2015 befand sich der hochtalentierte Fuchswallach wieder im Training. „Hagen war unser erstes Turnier außerhalb Spaniens,“ so die Reiterin, „dort lief es schon sehr gut für uns. Ich bin in erster Linie nach Aachen gekommen, um mitzuhelfen, für das spanische Team die Olympia-Qualifikation zu sichern. Das ist uns mit Platz vier hervorragend gelungen, im Grand Prix wurde es für Delgado und mich außerdem Platz fünf, im Special konnten wir uns auf Platz vier steigern und in der Kür auf Bronze. Von mir aus hätte die EM noch ein paar Tage weiter gehen können. Delgado ist total fit. Ich arbeite ihn nur zwei-, dreimal die Woche dressurmäßig, sonst gehen wir ins Gelände oder auf die Rennbahn. Das bekommt ihm gut.“
Werth verpasst Bronze
Wie schon um Gold und Silber ist auch die Entscheidung um Platz drei (82,714)) und vier (83,482) denkbar knapp ausgefallen. Aber auch ohne Medaille war Isabell Werth glücklich, „Das war die beste Kür von Don Johnson, die er jemals gegangen ist, und eine klare Steigerung über die drei Prüfungen. Ich bin total stolz auf ihn.“ Mit dem Niederländer Hans-Peter Minderhoud und Glock’s Johnson (5./82,411), den EM-Dritten des Specials, der Schwedin Tinne Vilhelmson-Silfvén mit Don Aurelio (6./80,643) und der Deutschen Jessica von Bredow-Werndl mit Unee BB (7./80,214) waren erstmals drei weitere Paare über der Achtzig-Prozent-Marke geblieben und mit 79,571 der Brite Carl Hester mit Nip Tuck als Achter nur knapp darunter. Ein so hochwertiges Starterfeld hatte es trotz der zahlreichen Ausfälle zuvor, in der Kür noch nie gegeben.
So wechselhaft wie der Verlauf der Europameisterschaften war übrigens auch das Wetter gewesen. Am Mittwoch, 12. August 2015, der ersten Woche der Europameisterschaften in fünf Disziplinen hatte der Grand Prix um den Lambertz Preis bei 31 Grad begonnen, bei 14 Grad und Regen ging die Kür am Sonntag der ersten EM-Woche über die Bühne. Doch mit Ausnahme von nur rund 2000 Plätzen auf den nicht-überdachten Tribünen war das 40.000 Zuschauer fassende Hauptstadion in der Soers ausverkauft und hat damit den Veranstalter in seiner Entscheidung bestätigt, die Dressurprüfungen vom nur 6000 Zuschauern Platz bietenden Deutsche Bank Stadion, wo die Wettbewerbe der Reining-EM stattfanden, wie 2006 bei den Weltreiterspielen ins Hauptstadion zu verlegen. Die Gesamtzuschauerzahl für die vier Dressurtage belief sich, so Turnierchef Frank Kemperman, auf 96.000, was mit großem Abstand ein Zuschauerrekord für eine Dressur-EM ist!
Totilas: Blamage statt Triumph
Etliche de Medaillen-Favoriten waren allerdings in der Kür nicht mehr am Start. Was zum großen Comeback für Totilas werden sollte, wurde von vielen als Blamage empfunden. Fakt ist, dass der Gribaldi-Sohn erstmals seit dem CHIO Aachen 2014, bei dem er aus taktischen Gründen für die Kür zurückgezogen wurde, nachdem er im Grand Prix und im Grand Prix Special gesiegt hatte, bis zum CDIO Hagen Mitte Juli 2015 nicht mehr am Start gewesen war. In Hagen gewann er in der CDI3*-Tour in beiden Prüfungen überlegen mit Noten jenseits der Achtzig-Prozent-Marke und wurde daraufhin ohne den Sichtungsweg über die Deutschen Meisterschaften und die CDIO-Tour gegangen zu sein, für das deutsche EM-Team nominiert. Einen Nachweis, drei Prüfungen durchstehen zu können, hatte er damit in den letzten zwölf Monaten nicht erbracht. Was die Spekulationen anheizte, er sei nur nominiert worden, um der Mannschaft mit einer Wertung über achtzig Prozent Gold zu sichern. Klaus Roeser, Vorsitzender des deutschen Dressurausschusses und deutscher Equipechef, bestritt jedoch solche Überlegungen, „Natürlich wollten wir den EM-Titel verteidigen und wussten, dass wir dazu nur eine Chance mit zwei Pferden über achtzig Prozent haben würden, aber wir sind immer davon ausgegangen, dass Totilas alle drei Prüfungen gehen würde. Später ist man immer schlauer.“
Bereits beim Vet-Check hatte einer der beiden Tierärzte Totilas nicht passieren lassen wollen, wurde aber von seinem Kollegen und den beiden Dressurrichtern überstimmt. Im Grand Prix zeigte der Dreifach-Weltmeister von 2010 (unter Edward Gal) vor allem im Starken Trab in der Hinterhand sehr ungleiche Tritte, was ein Teil de Richter auch entsprechend abstraften. Aus den erhofften 80plus wurden nur 75,971 Prozent (6.), was aber immer noch das zweitbeste Ergebnis des deutschen Teams war. Am Freitag nach dem Grand Prix wurde Totilas mit Beschluss des Reiters, der Mannschafts-Führung und des Mannschafts-Tierarztes für den Special zurückgezogen, da er hinten links nicht klar ging. Eine äußerliche Schwellung oder Verletzung sei aber nicht zu erkennen gewesen, so der deutsche Equipechef Klaus Roeser. Nach einer Untersuchung in einer belgischen Spezialklinik kam schließlich die Diagnose: Knochenödem im Krongelenk – mit ungewisser Prognose.
Mannschafts-Titel an die Niederlande
Das Streichergebnis des deutschen Teams lieferte Isabell Werth mit Don Johnson (13./74,90), die allerdings von den Richtern wenig wohlwollend bewertet wurde. Jessica von Bredow-Werndl und Unee BB (10./75,20) waren als Auftaktreiterin für Deutschland ebenso wenig fehlerfrei geblieben wie das deutsche Schlusspaar Kristina Bröring-Sprehe und Desperados FRH (3./ 79,743). So wurde es am Ende für Deutschland statt der recht sicher geglaubten Titelverteidigung nur Bronze (230,914). Der Titel ging statt dessen an die Niederlande, die im Vorfeld von Bronze gesprochen hatten, aber wie Bundestrainer und Equipechef Wim Ernes feststellte, „Im Trainingslager sind sie alle immer besser geworden.“ Einen beeindrucken Ritt legte Edward Gal mit Glock’s Undercover vor, der in ihrer Taktreinheit und Energie im Abfußen die besten Piaffen der Prüfung präsentierte und mit der zweithöchsten Grand Prix-Note von 82,229 Prozent entscheidend zum Titelgewinn seines Teams beitrug.
Team-Silber ging an Großbritannien, das mit den amtierenden Olympiasiegern, Welt- und Europameisterin Charlotte Dujardin und Valegro mit 83,29 Prozent die Prüfungssieger stellte, wenngleich Fehler in den Galoppwechseln schon da die Note minderten. Mit 235,629 für die Niederlande und 234,229 Prozentpunkten für die zweitplatzierten Briten war die Entscheidung knapp ausgefallen. Da sich die drei Nationen auf dem Podium bereits bei den Weltreiterspielen im Vorjahr in Caen für die Olympischen Spiele 2016 in Rio qualifiziert hatten, kämpften die restlichen 15 Nationen in den Europameisterschaften um die drei noch offenen Plätze (vier bis sechs). Mit 222,486 Punkten konnte sich das viertplatzierte Spanien ebenso wie Schweden (5./221,557) und Frankreich (6./212,757) für Rio qualifizieren. Die Entscheidung zwischen Platz sechs bis zehn fiel denkbar knapp aus: Russland (7./212,543), Dänemark (8./212,072), Österreich (9./211,529) und Belgien (10./211,101). Mit 207,728 Prozentpunkten für das auf Platz elf rangierende portugiesische Team war der Sprung nach Platz zehn schon deutlicher.
Österreich verpasst Olympia-Qualifikation
Mit einer Differenz von 1,228 Prozent von Platz neun zu Rang sechs war eine Olympia-Qualifikation für das österreichische Team in greifbarer Nähe gewesen. Erstmals hatte Victoria Max-Theurer ihre 13jährige Hannoveraner Stute Blind Date bei einem internationalen Championat vorgestellt und im Grand Prix mit 75,2 Prozent einen hervorragenden zehnten Platz unter den 72 Teilnehmern belegt. Ihre Championats-Debüts gaben Andrea Slanec mit dem 13jährigen Hannoveraner Wallach Lord of Dream (51./66,043) und Astrid Neumayer mit dem 15jährigen Rubinstein Noir-Sohn Rodriguez. Mit 69,386 Prozent und Platz 36 hätte sich das elegante Paar aus Haag am Hausruck fast unter die 30 für den Special qualifizierten Paare schieben können. Pech hatte hingegen Evelyn Haim-Swarovski, für die es nach den Weltreiterspielen 2006 in Aachen die zweite Championats-Teilnahme war. Auf dem Abreiteplatz hatte alles noch nach einer Note im Bereich derer von Astrid Neumayer ausgesehen, doch beim Einreiten in die große Arena drehte ihre 13jährige, dänische Stute auf und nahm die Zunge übers Gebiss und heraus. Obwohl die Lektionen dennoch gelangen, gab es dafür erhebliche Abzüge bei den Noten. Erst beim Starken Schritt entspannte sich Dorina, ließ die Zunge im Maul und zeigte noch einige Höhepunkte wie in den Serien-Galoppwechseln und in den Galopp-Pirouetten. Mit 63,157 Prozent war das Paar aus Fritzens jedoch das Streichergebnis des rot-weiß-roten Teams.
Der Grand Prix Special um den Meggle Preis verlief für Victoria Max-Theurer und Blind Date dann leider enttäuschend, denn die Breitling W-Tochter spielte bei der ersten Piaffe nicht mit, die zudem wie die anderen Piaffen doppelt zählt, aber ebenso wie der Übergang zur Passage bestenfalls mit einer Zwei bewertet wurde. Bei der zweiten Piaffe hatte die zwölffache Österreichische Staatsmeisterin die Stute zwar wieder unter Kontrolle, die Schlusspiaffe gelang sogar wieder gut und es gab Achten u.a. für die Passage und die Serienwechsel, mit 69,412 Prozent und Rang 21 konnte sich Victoria Max-Theurer aber nicht mehr für die Kür qualifizieren.
Viele Ausfälle
Während Totilas bereits vor dem Special zurückgezogen worden war, sollte auch sein früherer Reiter Edward Gal, dem nach seiner fulminanten Grand Prix-Vorstellung Chancen auf Gold eingeräumt worden war, den Special nicht beenden können. Als letzter Starter war der 14jährige Rappwallach Undercover schon völlig aufgedreht ins Stadion gekommen. Manche waren der Meinung, es sei noch die Folge der Grand Prix-Siegerehrung gewesen, für die Gal mit dem Ferro-Sohn keine Dispens erhielt, andere meinten Undercover habe sich so aufgeregt, weil er am Ende nur noch alleine auf dem Abreiteplatz gewesen sei. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, schon das Einreiten misslang und Undercover ließ sich kaum unter Kontrolle behalten, bis er schließlich bei der ersten Piaffe abgeläutet wurde, da Blut am Maul zu sehen war.
Es sollte auch weiterhin die EM der Ausfälle bleiben. Die dänische Reiterin Anna Kasprzak zog mit Donnperignon für die Kür zurück. Sie hatte beim ersten Vet-Check einen Tritt ihres Pferdes gegen den Oberkörper bekommen und wegen zunehmender Schmerzen zurückgezogen. Auch die Britin Fiona Bigwood, mit der zehnjährigen Garibaldi-Tochter Orthilia mit Platz zehn im Grand Prix und Platz neun im Special auffallend stark unterwegs, ging in der Kür nicht an den Start. In diesem Fall allerdings wegen eines gesundheitlichen Problems ihrer Stute. Die Schweizerin Marcela Krinke-Susmelj, die 16. des Specials, nutzte mit Molberg als Reservereiterin ihre Chance, in der Kür nachzurücken, nicht. So gab es im abschließenden Dressur-Wettbewerb nur 13 Teilnehmer.
Zweifelhafte Richterei
Auffallend waren erneut die großen Unterschiede in der Notengebung, die keineswegs nur eine Frage der unterschiedlichen Blickwinkel waren, so wie es der bei C sitzende Chefrichter des Grand Prix, der Niederländer Eduard de Wolff van Westerrode auf der anschließenden Pressekonferenz zu begründen versuchte. Er hatte mit einer der höchsten Bewertungen für Edward Gal, den er auf Platz eins gesehen hatte, und der niedrigsten der sieben Richter für Carl Hester und Nip Tuck im Grand Prix entscheidend zum niederländischen Teamgold gegenüber dem britischen Silber beigetragen. So hatte er mit 71,3 Prozent und Platz 19 die mit Abstand niedrigste Bewertung für Carl Hester im Grand Prix abgegeben. Nächst niedrigste Note waren die 75,1 Prozent (9.) seines neben ihm bei M sitzenden Kollegen gewesen, während die Richterin bei H (also auch neben ihm an der kurzen Seite) Hester mit 77,30 Prozent auf Platz vier gesehen hatte. Die Ausrede des Niederländers, die Notendifferenzen kämen durch die unterschiedlichen Blickwinkel von kurzer und langer Seite zustande, war leicht widerlegbar.
Noch stärker die ,patriotische Brille’ hatte Eduard de Wolff van Westerrode im Special bei seinem Landsmann Diederik van Silfhout und Arlando auf: Er sorgte dafür, dass, so FEI-Dressurdirektor Trond Asmyr, erstmals die am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Regel, dass, wenn ein Richter mehr als sechs Prozent vom Durchschnitt seiner Kollegen abweicht, was die Endnote bei sieben Richtern um 0,8 Prozent erhöhen oder erniedrigen würde, seine Note der nächst höchsten oder auch niedrigsten Note gleichgesetzt wird. Die Note des Niederländers für das niederländische Paar hatte über 83 Prozent gelegen, die nächst höchste bei 77,255 Prozent, so wurde seine Note darauf herabgesetzt – die niedrigste Gesamtnote lag sogar nur bei 70,98 Prozent. Eine Kennzeichnung dieses Vorgangs erfolgt in der Ergebnisliste jedoch nicht, ebenso wenig wie weitere Konsequenzen für den Richter, der sich ein solches Fehlurteil erlaubte, was angesichts des ,In-den-Himmel-Hebens’ eines Landsmannes noch schwerer wiegen dürfte.
Da ist die Objektivität der deutschen Richterin Katrina Wüst bei Totilas hingegen zu loben gewesen. Sie hatte Matthias Rath gemeinsam mit ihrem französischen Richterkollegen Jean-Michel Roudier nur auf Platz 20 bzw. 21 gesehen, was vor allem an einer strengen Bewertung des deutlich taktunreinen Starken Trabs gelegen hatte, wobei andere Lektionen wie die Galopp-Pirouetten oder die Zweier-Wechsel sehr gut gelungen und entsprechend von ihr honoriert worden waren.
Birgit Popp