Eine neue Studie scheint eine häufig angeführte Theorie über die Funktion des Streifenmusters bei Zebras zu widerlegen: Die Streifen scheinen Jäger weder zu täuschen noch zu verwirren – ganz im Gegenteil.
Seit vielen Jahrzehnten sind Wissenschaftler, Biologen und Verhaltensforscher dem Rätsel der Zebra-Streifen auf der Spur – und haben viele Thesen und Theorien darüber aufgestellt, welche Funktion bzw. Funktionen die auffallenden Streifen des Zebrafells denn erfüllen. Die Streifen könnten – ähnlich wie ein Strichcode – zur Art- bzw. Wiedererkennung dienen, aber auch zur Tarnung, zur Kühlung oder auch eine soziale Funktion zur Stärkung des Gruppengefühls haben. Als gut abgesichert gilt mittlerweile, daß das Streifenmuster eine exzellente Insektenabwehr darstellt und insbesondere die gefährliche Tsetsefliege auf Distanz hält: Wie jüngere Forschungen gezeigt haben, können die Facettenaugen der Tsetsefliegen die Streifen des Zebrafells nicht auflösen – und daher greifen daher Zebras deutlich seltener an als andere Equidenarten.
Eine ebenfalls oft geäußerte Theorie, die auch in Tierdokumentationen immer wieder zu hören ist, geht davon aus, daß die im Herdenverband lebenden Zebras durch die stark kontrastierenden Streifen besonders gut vor Jägern geschützt wären: Insbesondere bei einer davon- oder auseinander laufenden Herde würden die Streifen in der Bewegung gleichsam ineinander verschwimmen, was es Raubtieren deutlich schwerer mache, einzelne Tiere auszumachen und zu fokussieren. Forscher nannten diesen Effekt ,Motion dazzle' (,Bewegungs-Täuschung').
Nun, diese Theorie klingt zwar durchaus überzeugend – ist aber möglicherweise falsch, wie Forscher der Universität Cambridge nun herausgefunden haben. Sie luden insgesamt 60 menschliche Probanden zu einer Versuchsreihe ähnlich einem Computerspiel ein: Sie sollten am Touchscreen bewegliche Ziele fangen bzw. treffen, wobei die Ziele unterschiedliche Färbungen und Muster aufwiesen – horizontal, vertikel und diagonal gestreifte ebenso wie einfärbige. Primäres Interesse der Forscher war es herauszufinden, ob die Färbung bzw. Musterung einen Einfluss auf die ,Fang-Quote' hat. Auch die Zahl der Ziele wurde variiert, um nachweisen zu können, ob der ,Motion dazzle'-Effekt tatsächlich bei mehreren Individuen bzw. größeren Gruppen stärker zum Tragen kommt.
Die Ergebnisse sprachen eine deutliche Sprache: Wenn Einzelobjekte in beliebiger Abfolge gezeigt wurden, wurden senkrecht sowie schräg gestreifte Ziele mit einer ebenso hohen Trefferrate gefangen wie einfärbig graue Ziele. Parallel gestreifte Ziele waren jedoch signifikant leichter zu fangen. Wenn mehrere Objekte während eines Versuchs gleichzeitig angezeigt wurden, dann konnten gestreifte Ziele mit weniger Versuchen und deutlich schneller gefangen werden als graue Ziele. Kurzum: Der ,Motion dazzle'-Effekt konnte nicht bestätigt werden – im Gegenteil: Gestreifte Objekte waren eher leichter und rascher zu fangen als einfärbige – auch in der Gruppe.
DIe Forscher abschließend: „Unsere Ergebnisse legen nahe, daß es – basierend auf der Ziel-Erfassung nach dem Fellmuster – möglicherweise Unterschiede im ,Jagd-Erfolg' gibt; diese könnten auf unterschiedliche visuelle Mechanismen in der Verarbeitung von parallelen Streifen im Vergleich zu senkrechten bzw. schrägen Streifen zurückgehen. Diese Ergebnisse lassen sich aber offenbar nicht auf Versuchsanordnungen mit mehreren Zielobjekten übertragen – im Gegensatz zu früheren Annahmen scheinen gestreifte Objekte sogar leichter wahrzunehmen und zu fangen, wenn mehrere Ziele vorhanden sind und nicht nur Einzelobjekte. Diese Resultate legen nahe, daß die unterschiedliche Anordnung bzw. Ausrichtung von Streifen, die man in der Natur bei verschiedensten Tierarten (etwa bei Fischen und bei Schlangen) beobachten kann, vielen verschiedenen Zwecken dient – und daß es nach wie vor unklar ist, ob der ,Motion dazzle'-Effekt Tieren in Gruppen tatsächlich größeren Nutzen bringt."
Dennoch wollen die britischen Forscher ihre Ergebnisse nicht überbewerten – und sind sich möglicher Schwächen ihrer Testreihen durchaus bewusst: „Die menschlichen Augen sind nicht ganz vergleichbar mit jenen der wahren Jäger der Zebras, und daher könnte auch der Wahrnehmungs-Effekt der Streifen ein anderer sein. Weiters war unser Computer-Modell der Gruppenbewegung ein sehr einfaches, bei dem alle Zielobjekte sich unabhängig voneinander bewegt haben. Bei einem komplexeren Design, bei dem sich die Ziele gleichsam zusammenrotten, wie es eine Herde in der Realität tun würde, könnte das Ergebnis ein anderes sein. Hinweise für ,Motion dazzle'-Effekte von Streifen müssen im Zusammenhang mit anderen Funktionen der typischen Zebra-Musterung gesehen werden, da möglich und wahrscheinlich ist, daß die Streifen für verschiedene Zwecke entwickelt wurden. Und ob ,Motion dazzle' eine plausible Erklärung für das Mysterium der Zebra-Streifen darstellt – diese Frage ist zweifellos noch immer nicht ganz gelöst."
Der Artikel „The role of stripe orientation in target capture success" („Die Rolle von Streifen-Orientierung beim Jagderfolg") von Anna E. Hughes, Richard S. Magor-Elliott und Martin Stevens ist in der Zeitschrift ,Frontiers in Zoology' am 12. August 2015 erschienen und kann hier nachgelesen werden.