Eine britische Studie konnte nachweisen, daß ranghohe bzw. dominante Pferde deutlich stärker zu Fettleibigkeit neigen – und daß Alter und Stockmaß offenbar kaum Einfluss auf den Rang haben, den ein Pferd in der Gruppe einnimmt.
Jeder, der Pferde in Gruppen hält oder die Gelegenheit hat, eine Pferdegruppe länger und eingehend zu beobachten, weiß um das Problem: Der ,Boss' kriegt das meiste Futter ab – und für die anderen bleibt oft nicht genug. Das Problem der ungerechten Verteilung ist aber nicht nur eine Herausforderung für den Stallmanager – sondern, wie eine aktuelle britische Studie zeigt, auch ein Problem für das ranghohe Pferd: Es ist häufig zu fett. Das ist ab sofort mehr als eine Vermutung, sondern wissenschaftlich erwiesen.
In der Tat scheinen ranghohe Pferde ihre dominante Position in der Gruppe unter anderem und vielleicht sogar vor allem dazu zu nutzen, möglichst viel vom vorhandenen Futter abzubekommen – und das schlägt sich über kurz oder lang auf die Rippen, wie britische Forscher der Universität von Bristol und des Waltham-Zentrums für Tiernahrung nun herausgefunden haben. Sie wollten schlicht und einfach wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Rang eines Pferdes in der Gruppe und seiner Leibesfülle (wissenschaftlich ausgedrückt: seinem Body Condition Score) gibt, ob also ranghohe Pferde öfter an Übergewicht leiden als ihre Kollegen in der Gruppe. Die Antwort darauf ist eindeutig – ja.
Die Studie, die von Sarah Giles und ihren KollegInnen durchgeführt wurde, basierte auf Auswertungen der sozialen Interaktionen von insgesamt 203 Pferden, die in 42 Gruppen in Freiland-Haltung lebten und deren Verhalten bei Fütterungs-Tests im März 2012 mittels Video aufgezeichnet wurde. Beim Test wurde den Pferden zu bestimmten Zeiten eine Anzahl von Futterrationen – Heu oder Kraftfutter – vorgelegt, die exakt der Anzahl der Gruppenmitglieder entsprach. Die Rationen wurden jeweils im räumlichen Abstand von einer Pferdelänge platziert. Die Videos hielten detailliert fest, wieviele ,Vertreibungen' es während der Fütterungen gab – und wie oft ein Pferd entweder selbst von seiner Futterration vertrieben wurde oder seinerseits andere Pferde von deren Ration vertrieben hat. Aus diesen Verhaltensweisen konnte schließlich ein ,Gruppen-Ranking' abgeleitet werden, also der genaue Platz, den jedes einzelne Pferd in der Rangordnung seiner Gruppe einnahm. Am Ende konnte für 194 Pferde eine Rangordnung festgelegt werden.
Weiters wurden die Basis-Daten jedes einzelnen Pferdes berücksichtigt – insbesondere Alter, Stockmaß, Geschlecht und Rasse, und es wurde auch der Body Condition Score auf einer Skala von 1 bis 9 (1 = stark unterernährt, 9 = extrem dick) für jedes Pferd ermittelt, wobei ein Score von 7 bis 9 als ,dick' bzw. ,fettleibig' eingestuft wurde.
Die sorgfältige Auswertung der Futter-Tests förderte eine Reihe interessanter Ergebnisse zutage:
– Der durchschnittliche Body Condition Score der 194 beobachteten Pferde lag bei 5,53, und immerhin 17,24 % der Pferde wurden als ,dick' (BCS von 7 bzw. darüber) eingestuft.
– Kleinere Pferde (also mit einem geringeren Stockmaß) wie z. B. Ponys neigten mehr zu Übergewicht als größere Pferde.
– Je höher der Rang eines Pferdes, desto höher sein Body Condition Score – hier zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang. Für jede Stufe, die ein Pferd in der Rangordnung seiner Gruppe aufsteigt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Übergewicht um den Faktor 12.
– Es konnte kein Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Body Condition Score bzw. dem Risiko von Dickleibigkeit nachgewiesen werden. Pferde mittleren Alters hatten jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit auch einen höheren Rang in der Gruppe.
– Gruppen mit Pferden auf einer ähnlichen Altersstufe und von ähnlicher Größe zeigten eine größere Zahl von ,Futter-Vertreibungen'.
Das Resümee der Wissenschaftler: „Unsere Studie beweist, daß der Rang eines Pferdes mit seinem Body Condition Score in einem deutlichen Zusammenhang steht, und dieser Zusammenhang scheint völlig unabhängig sowohl vom Alter als auch von der Größe (Stockmaß) zu sein – zwei Eigenschaften, die in früheren Studien als bestimmende Faktoren für den Rangordnungs-Status eines Pferdes beschrieben wurden.
Tatsächlich sind viele Forscher davon ausgegangen, daß eine größere, kräftigere Statur einen Wettbewerbs-Vorteil in einem Nahrungs-Konflikt bietet. Unsere Ergebnisse legen jedoch nahe, daß dabei die Größe, also das Stockmaß, nicht im Zusammenhang mit dem Rang eines Pferdes steht; es besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen der Größe und dem Body Condition Score, der bei kleineren Individuen generell höher ausfällt. Dies trifft u. a. auch auf die bodenständigen britischen Ponyrassen zu, die eine deutliche Prädisposition zu Fettleibigkeit – also einen hohen BCS – haben.
Da Übergewicht die Gesundheit und das Wohlbefinden von Pferden beeinträchtigen kann und fettleibige Pferde ein deutlich größeres Risiko haben, von Stoffwechselerkrankungen wie EMS, Cushing-Syndrom oder Hufrehe betroffen zu sein, sollten Stallmanager und Pferdebesitzer das Fressverhalten und den Futterzustand ihrer Pferde ständig im Auge behalten, so die Empfehlung der Wissenschaftler. Ranghohe Pferde sollten als potentielle ,Risiko-Kandidaten' betrachtet werden, deren individuelle Nahrungsaufnahme aufmerksam beobachtet und notfalls durch entsprechende Management-Maßnahmen reguliert werden sollte.
Die Ergebnisse scheinen zudem eine bereits 1986 aufgestellte Hypothese von Maynard-Smith und Brown zu bestätigen, wonach die natürliche phänotypische Varianz einer Gruppe deren Zusammenhalt und Stabilität unterstützt und Konfliktverhalten reduziert. Eine Gruppe mit Pferden von unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher Größe – also mit hoher Varianz – zusammenzustellen, kann Nahrungskonflikte und das damit verbundene Verletzungsrisiko minimieren.
In diese Richtung geht auch die klare Empfehlung der Forscher: „Unsere Ergebnisse könnten erhebliche Konsequenzen für das Management von größeren Pferdepopulationen haben, die häufig in Gruppen gleichen Alters oder derselben Rasse gehalten werden, etwa auf großen Gestüten oder in Rennställen. Sehr junge Pferde werden oft in großen Gruppen im Freiland gehalten, und unsere Ergebnisse zeigen, daß jüngere Pferde sozial wesentlich aktiver sind als ältere. Pferde in Gruppen zu halten, die hinsichtlich Alter, Größe und Rasse gut durchgemischt sind, kann zu weniger Interaktionen führen – und der Pferdebesitzer muss sich weniger Sorgen über Verletzungen machen. Schon eine vorangegangene Studie hat gezeigt, daß sich Stuten öfter zusammenschließen und häufiger freundschaftliche Verbindungen eingehen, wenn sie sich altersmäßig stärker unterscheiden."
Die Studie „Dominance rank is associated with body condition in outdoor-living domestic horses (Equus caballus)" von Sarah L. Giles, Christine J. Nicol, Patricia A. Harris und Sean A. Rands ist im Magazin ,Applied Animal Behaviour Science erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.