Sabine Dell’mour hat den Reitunterricht neu erfunden. Ihr Konzept der ,ganzheitlichen Reitpädagogik' hat das Ziel, Kinder und Erwachsene ohne Stress, aber mit umso mehr Freude ans Pferd und ans Reiten heranzuführen.
Sabine Dell’mour ist eine bemerkenswerte Frau: In den vergangenen 15 Jahren hat sie mit der von ihr entwickelten „ganzheitlichen Reitpädagogik“ die Reitausbildung revolutioniert. Nach eigenen negativen Erlebnissen beim Reiten-Lernen und Unterrichten suchte sie nach einem neuen Ansatz – und verband dabei moderne Pädagogik mit Biomechanik. Im Unterricht darf man Reitschüler nicht in eine Zwangshaltung bringen, sondern muss ihnen beibringen, die Bewegungen des Pferdes zu spüren und ihnen zu folgen. Ziel ist ein freier, unabhängiger und geschmeidiger Sitz als Voraussetzung für die weitere reiterliche Ausbildung. Die Methode, mit der dies alles vermittelt wird, ist eine spielerische, die sowohl dem Geschlecht als auch dem Alter der Kinder bzw. Erwachsenen angepasst sein muss. Dell’mour „Meine Kinder lernen spielend anatomisch korrektes Reiten“ – so kann man es zusammenfassen.
1999 hat Sabine Dell’mour ihre Methode in Form eines ,Reitkindergartens‘ erfolgreich ausprobiert – und 2000 den ersten Ausbildungslehrgang zusammen mit dem Ländlichen Fortbildungsinstitut der Landwirtschaftskammer Oberösterreich durchgeführt. Diese Lehrmethode „Reitpädagogische Betreuung – FEBS®“ (F = Fantasie, E = Erlebnis, B = Bewegung, S = Spiel) vermittelt Kindern in kleinen Gruppen unterschiedliche Bewegungserfahrungen mit und auf dem Pferd. Die Reaktionen auf diesen ersten Lehrgang waren so positiv, dass daraus eine bundeszertifizierte Ausbildung wurde, der nach wie vor mit großem Erfolg angeboten wird.
ProPferd hat Sabine Dell’mour zu ihrer Methode, aber auch zu ihrem persönlichen Werdegang befragt: Wieso ist alles so gekommen, wie es gekommen ist – und was läuft aus ihrer Sicht in Österreichs Reitschulen falsch.
ProPferd: In Ihrem Buch „Ganzheitliche Reitpädagogik – Leitfaden für einen einfühlsamen Unterricht ist der schöne Satz zu finden: ,Pferde tun der Seele gut’ – und Sie beschreiben sehr ausführlich die unterschiedlichen Motive und „die heimlichen Wünsche“, weshalb Menschen den Kontakt zu Pferden suchen. Was haben Sie als Kind bei den Pferden gesucht und gefunden?
Sabine Dell’mour: Ich muss voraus schicken, dass ich ein sehr verträumtes Kind war. Die Pferde haben mich immer in meine Traumwelten begleitet. Sie waren damit ein stabilisierendes Element in meinem Leben und halfen mir, Selbstbestätigung zu finden.
ProPferd: Was war die schlimmste Reitstunde, die Sie jemals erlebt haben?
Dell’mour: Da gab es viele! Grundsätzlich war’s einfach so, dass ich viel lieber mit dem Pferd in Ruhe gelassen worden wäre. Aber das ging ja nicht! Bei den Reitstunden war auch immer die Angst groß, sich zu blamieren. Mit Gesicht absteigen können, war quasi unmöglich. Ich erinnere mich an eine Reitstunde, in der ich wie immer in Träumen versunken war. Nachdem ich nicht auf das Brüllen des angetrunkenen Reitlehrers reagiert hab – wir hätten antraben sollen – ist er mit der Peitsche auf mein Pferd losgegangen. Natürlich hat’s mich runter geschmissen.
ProPferd: Gab es irgendein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu veranlasst hat zu sagen: Nein, so kann’s nicht gehen – ich entwickle eine neue Art des Reitunterrichts?
Dell’mour: Als ich begonnen hab Reitunterricht zu geben, hab ich zunächst versucht, den Stil meiner Reitlehrer zu kopieren, also: Streng sein, schreien, Zwang ausüben. Und da hab ich sehr schnell bemerkt, dass dieser Stil überhaupt nichts bringt und mich auch noch ermüdet.
ProPferd: Wann haben Sie mit der Entwicklung Ihres Unterrichtssystems begonnen – und wie sehr hat es sich seither verändert bzw. weiterentwickelt?
Dell’mour: Nachdem ich erkannt hab, dass mich der Stil meiner Lehrer nicht weiterbringt, hab ich neue Wege gesucht. Ich hab recht früh in Steyr einen Reitschulbetrieb übernommen und da hat es angefangen. Die Schulpferde waren damals alle mit Hilfszügeln zugeschnallt, einmal pro Stunde sind die Pferde durchgegangen, ein Sturz war immer dabei. Und da hab ich alles umgekrempelt: Die Schulpferde sind raus auf die Koppel gekommen. Die Hilfszügel hab ich weggelassen und stattdessen begonnen, die Kriterien der klassischen Reitlehre umzusetzen. Ehrlich über den Rücken reiten, immer vorwärts-abwärts. Siehe da: Die Pferde wurden gelassen. Und es sind immer mehr Reitschüler dazu gekommen. Dieser Weg war der richtige – Unterricht, der die Pferde nicht verspannt und den Schülern stressfreies Reiten ermöglicht! Und das gegen die Phalanx der erfahrenen Turnierreiter im Stall, die meine Methoden nicht gut geheißen haben. Später bin ich dann selbstständig geworden und da hatte ich endlich Narrenfreiheit, um meine Ideen immer weiterzuentwickeln.
ProPferd: Was läuft in Österreichs Reitschulen grundsätzlich falsch? Was sind die größten Fehler, die gemacht werden?
Dell’mour: Lassen Sie es mich so formulieren: Menschen suchen ehrliche Beziehungsangebote. Solange Reitschüler vielfach aber als „notwendiges Übel“ betrachtet werden, ist es einfach nicht stimmig. Wer unterrichten will, der soll sich vorher fragen: Freue ich mich überhaupt auf den Schüler? Dazu gehört übrigens auch, den Reitanfängern genügend Platz einzuräumen. Anfängergruppen, die bei Erscheinen der Privatreiter verschwinden müssen – das kann nicht sein.
Auch die Wertschätzung gegenüber den Pferden lässt oft zu wünschen übrig. Dabei sollte man gerade das weitergeben und vermitteln können! Kategorisierungen wie wertvolles Turnierpferd und Schulpferd finde ich nicht gut. Viele Reitschüler kommen trotz schlechten Unterrichts immer wieder, weil sie Mitleid mit den Schulpferden haben. Was ist denn das für ein ,Verkaufsargument' für einen Reitbetrieb?
ProPferd: Was ist aus Ihrer Sicht der wesentliche Unterschied zwischen Ihrer „Ganzheitlichen Reitpädagogik“ und dem klassischen Reitunterricht, wie er in Österreich angeboten wird? Können Sie diesen Unterschied in wesentlichen Punkten erläutern?
Dell’mour: Ich gehe davon aus, dass es in Österreich eine große Anzahl von Betrieben gibt, die hochwertigen Reitunterricht anbieten. Mein Ansatz unterscheidet sich im Wesentlichen darin: Ich ermögliche das individuelle Aufeinanderzugehen von Mensch und Pferd, wobei der Leistungssport dabei nicht im Vordergrund steht. Der Kontakt mit den Pferden hat erwiesenermaßen positive Effekte auf Körper, Geist und Seele und das nutzen wir. – Natürlich gibt es auch eine Gemeinsamkeit: Auch wir lehren das korrekte Reiten im Sinne der klassischen Dressur.
ProPferd: Sie arbeiten zunächst hauptsächlich mit Voltigiergurt und Sattelunterlage, warum?
Dell’mour: Erkenntnisse aus dem Therapiebereich belegen, dass man sich und das Pferd mit Gurt und Unterlage einfach besser spürt. Man erlangt dadurch ein Gefühl für Balance, stützt sich nicht in den Steigbügeln ab, sondern erreicht von sich heraus eine natürliche Aufrichtung. Und das ist wiederum der Schritt zum blockadefreien Mitschwingen – die Vorraussetzung zum gesunden Reiten. Die Erfahrungen, die meine Schüler auf diese Weise machen, übertragen sie wie selbstverständlich dann auch auf das Reiten mit Sattel.
ProPferd: Warum ist stressfreies, naturbetontes Reiten – wie Sie es fordern – so wichtig?
Dell’mour: Weil es alle Beteiligten gesund hält! Und das ist in einer immer schnelllebigeren Zeit eine Form der notwendigen Entschleunigung.
ProPferd: Mit FEBS® und GRIPS® haben Sie zwei reitpädagogische Methoden für Kinder entwickelt. Bringen Sie auch Erwachsenen das Reiten bei? Wie sieht Dell’mour Reiten für Erwachsene aus?
Dell’mour: Der Unterricht für Erwachsene entspricht dem Ansatz des GRIPS®, basiert jedoch noch mehr auf erfahrungsorientierten Übungen, die ich aber mit analytischer Argumentation verknüpfe. Das ist besonders für männliche Reitanfänger wichtig! Natürlich setze ich auch hier Longe und Langzügel ein und ermögliche den Reitschülern, die Funktion des Körpers am Pferd auszuprobieren.
ProPferd: Apropos Erwachsene: Was kommt nach FEBS® und GRIPS®? Was ist aus Ihren Schülern geworden?
Dell’mour: Viele sind heute Pferdebesitzer, manche betreiben sogar eigene Trainingsställe. Als Lehrer will ich, dass meine Schüler unabhängig von mir werden, damit sie den nächsten Schritt mit ihrem Pferd machen können. Die größte Freude ist für mich, wenn ich einen Schüler gehen lassen muss, weil er zu gut geworden ist.
ProPferd: Gibt es auch Turnierreiter unter Ihren Schülern oder schließen sich ganzheitliche Reitpädagogik und Wettkampfsport aus?
Dell’mour: Natürlich sind unter meinen Schülern auch Turnierreiter. Denn Reiten ohne sich zu messen, ohne Ziel ist für manche langweilig. Ein gelassener Reitstil und Wettkampf schließen sich also nicht aus, ganz im Gegenteil: Meine Schüler fallen den Richtern immer durch ihren ausbalancierten, korrekten Sitz auf. Da freu ich mich natürlich besonders, wenn ich als Enfant terrible mit meinen Schülern auftrumpfen kann...
ProPferd: In Ihren Reitstunden wird viel gespielt und noch mehr gelacht. Welche Eigenschaften muss ein Dell’mour Pferd mitbringen?
Dell’mour: Es muss eine Pferdepersönlichkeit haben! Außerdem muss es lernen, dem Menschen zugewandt zu sein und es muss selber Freude am Spielen entwickeln. In erster Linie ist es wichtig, an der Gelassenheit zu arbeiten. Ich sorge bei meinen Pferden daher für eine pferdegerechte Haltung mit viel Bewegung, viel frischer Luft, viel Gesellschaft und Sozialkontakten. Zusätzlich wende ich die Tellington Team Methode an und arbeite konsequent aber flexibel gemäß den Kriterien der klassischen Reitlehre.
ProPferd: In Ihren Unterrichtseinheiten arbeiten Sie mit Bokis (Bodenkinder) und Reikis (Reitkindern). Warum haben Sie sich für diese ungewöhnliche Einteilung entschieden und welche Vorteile ergeben sich für die Kinder?
Dell’mour: Selbstständiges Reiten fordert ein hohes Maß an Konzentration, deshalb brauchen Kinder auch Pausen. Das Boki-System ermöglicht es den Kindern, sich zu erholen und Kraft zu schöpfen, aber auch bei Bodenübungen und didaktischen Spielen, dazu zu lernen. Manchmal suche ich mir auch unter den Bokis einen Reitlehrer-Assistenten heraus – denn die Kinder lernen Bewegungsabläufe ja besonders gut durch Beobachtung. Ich ermögliche also damit auch das Reiten Lernen mit allen Sinnen. Dieser Ansatz hat übrigens noch zwei Vorteile: Er ist sicherer und wirtschaftlicher.
ProPferd: Wie viele nach Ihrem System ausgebildete „Reitpädagogen“ gibt es schon in Österreich – und wie viele Reitschulen setzen Ihre ganzheitliche Unterrichtsmethode ein?
Dell’mour: Aufgrund der hohen Nachfrage nach ReitpädagogInnen nach meinen Methoden haben wir den Verband der Österreichischen ReitpädagogInnen gegründet. Als Informationsplattform leiten wir Anfragen, unter anderem auch Jobanfragen/Jobangebote von Reitställen und Tourismusbetrieben weiter. Bis jetzt gibt es in Österreich über 1000 AbsolventInnen, die jedoch nicht alle im Verband erfasst sind. International tätige ReitpädagogInnen berichten von großen Erfolgen mit meinen Methoden.
ProPferd: Neues Buch, neue Anlage – Was sind Ihre nächsten Projekte?
Dell’mour: Ein Spielebuch für FEBS®, ein wissenschaftliches Sachbuch für meinen Therapieansatz HIPS – Heilsam intuitives Pferdesetting nach Dell‘mour®, erster Lehrauftrag in Deutschland für FEBS® und Präsentation der neuen Produktlinie Kieffer – Dell‘mour®.
Das Interview mit Sabine Dell’mour führte Doris Granegger.
Buchtipp
Sabine Dell’mour: Ganzheitliche Reitpädagogik – Leitfaden für einen einfühlsamen Unterricht“. Leopold Stocker Verlag, Graz-Stuttgart, 2010, ISBN 978-3-7020-1281-6, EUR 19,90. Erhältlich im Buchhandel sowie bei der Bücherquelle (www.buecherquelle.at)
DVD-Tipp
Passend dazu gibt es die DVD „Lernen mit FEBS“, die im Kundenservice der Landwirtschaftskammer OÖ um 19,– Euro erhältlich ist. Zu bestellen unter Tel.: 050/6902-1000, Fax 050/6902-91000 oder E-Mail kundenservice@lk-ooe.at
Infos & Kontakt
Weitere Informationen über ganzheitliche Reitpädagogik gibt es bei:
Sabine Dell’mour
Unterlungitz 30, 8230 Hartberg
E-Mail: office@therapiereiten.at
www.therapiereiten.at/shop
www.reitpaedagogik.at