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Konsens statt Dominanz – Pferde treffen Entscheidungen gemeinsam
27.05.2015 / News

Die französischen Forscher untersuchten die Bewegungsdynamik von Pferden anhand von zwei Przewalski-Gruppen.
Die französischen Forscher untersuchten die Bewegungsdynamik von Pferden anhand von zwei Przewalski-Gruppen. / Foto: Martin Haller

Die Führerschaft innerhalb einer Herde wird oft einem Hengst oder einer älteren Stute zugeschrieben – aber ist das auch tatsächlich so? Französische Forscher äußern in einer aktuellen Studie Zweifel an dieser traditionellen Sichtweise.

 

Französische Forscher um Marie Bourjade haben die Bewegungsdynamik von Pferdeherden anhand von zwei verschiedenen Gruppen untersucht und konnten kaum Verhaltensweisen nachweisen, die auf einen klaren Anführer bzw. eine Anführerin innerhalb einer Gruppe hindeuten. Was sie jedoch entdeckten waren deutliche Hinweise von Konsens bei der Entscheidungsfindung.

Marie Bourjade und ihre Kollegen leiteten ihre Erkenntnisse aus der Beobachtung des Bewegungs- und Wanderverhaltens von zwei Gruppen Przewalski-Pferde ab, die in einem 380 Hektar großen Gebiet in Le Villaret lebten. Die größere Gruppe umfasste einen acht Jahre alten Hengst, fünf erwachsene Stuten, zwei zweijährige Stuten and vier Fohlen. Die zweite, kleinere Gruppe, die insgesamt zwei Jahre lang beobachtet wurde, bestand aus einem zwölf Jahre alten Hengst, drei erwachsenen Stuten und zwei Fohlen. Die Gruppen lebten weitgehend frei, wurden nicht von Menschen betreut und erhielten auch kein zusätzliches Futter.

Bourjade und ihre Kollegen gingen davon aus, daß Führerschaft vor allem dadurch gekennzeichnet ist, die Verantwortung bei der Koordinierung von Gruppenbewegungen zu übernehmen, aber das scheint nur sehr eingeschränkt der Fall zu sein. Parallel dazu gab es immer mehr Hinweise darauf, daß Entscheidungen bei Gruppenbewegungen gemeinsam getroffen werden.

Sie untersuchten im Rahmen ihrer Studie die Bedeutung von drei zentralen Kennzeichen von Führerschaft – nämlich sich als Erster in Bewegung zu setzen, an der Spitze der Gruppe zu gehen und andere Gruppenmitglieder dazu zu bewegen, sich anzuschließen. Das Resümee war erstaunlich: „Wir konnten keinen einzigen ,Anführer' entdecken, der fähig gewesen wäre, die meisten Gruppenbewegungen auszulösen oder Gruppenmitglieder rascher als andere zum Aufbruch zu motivieren. Sehr häufig zeigten mehrere Gruppenmitglieder Anzeichen eines Aufbruchs zur selben Zeit – und der gleichzeitige Aufbruch mehrerer Tiere war die Regel. Wir schließen daraus, daß die Entscheidung über eine Gruppenbewegung von mehreren Gruppenmitgliedern gemeinsam getroffen wird", so die Forscher – ein Verhalten, das sie als ,partiell geteilten Konsens' beschrieben. Dies widerspricht der lang geglaubten Weisheit, dass die Führungsrolle in einer Gruppe von einem Hengst oder einer älteren Stute eingenommen wird – auch wenn es schon in der Vergangenheit mehrere Untersuchungen gab, die zu anderen Schlußfolgerungen gekommen waren.

Wenn sich zwei oder drei Pferde zur gleichen Zeit in Bewegung gesetzt haben, wurde dies als ,gleichzeitiges Aufbrechen' verzeichnet. Dies war bei 33 Prozent aller Bewegungen der größeren Gruppe der Fall – und bei 19 Prozent aller Bewegungen der kleineren Gruppe. „Wir fanden in beiden Gruppen kein Pferd, das man als ,Leitpferd' bzw. ,Anführer' hätte qualifizieren können – ganz gleich, welche Definition man anwendet, um Führerschaft zu beschreiben. Kein einziges Tier hat sich ständig als Erstes in Bewegung gesetzt, konnte – mehr als andere Pferde, die sich zuerst in Bewegung gesetzt haben – mehr Gruppenmitglieder zum Anschließen motivieren oder ist konsequent an der Spitze der Gruppe gelaufen", so die Forscher.

Die Wissenschaftler gaben jedoch zu, daß die kleine Anzahl der beobachteten Pferdegruppen nur begrenzte Schlussfolgerungen zuließ: „Beispielsweise schien es so zu sein, daß es in der größeren Gruppe öfter ältere Pferde waren, die sich als Erste in Bewegung setzten oder an der Spitze der Gruppe liefen – aber bei der kleineren Gruppe war dies nicht der Fall. Es ist aber wichtig festzuhalten, daß Alter und Dominanz statistisch nicht unterscheidbar waren, weil vor allem das Alter über die soziale Rangordnung bei Pferden bestimmt. Doch weder die älteste Stute, noch der älteste Hengst haben mehr zur Bewegungs-Koordination der Gruppe beigetragen als andere Pferde. Auch wenn es mancher traditioneller Pferde-Weisheit widerspricht: Alter, Geschlecht und Dominanz scheinen bei der Koordination von Gruppenbewegungen bei Pferden nur eine sehr begrenzte Bedeutung zu haben."

Jene Pferde, die sich als erste in Bewegung gesetzt haben, zeigten im Moment des Aufbrechens keine spezifischen Verhaltens-Signale – und sie haben auch nicht versucht, auf die anderen Gruppenmitglieder in irgendeiner Weise Druck auszuüben. Vielmehr schien ein unausgesprochener Konsens über die Bewegung der Gruppe zu herrschen – zum Zeitpunkt des Loslaufens konnten keine Unstimmigkeiten oder Konflikte beobachtet werden, vielfach liefen mehrere Pferde gleichzeitig los. Das alles spricht dafür, daß Pferde ihre Entscheidungsfindung bereits unmittelbar vor einer Herdenbewegung abgeschlossen hatten – und daß diese Entscheidung nicht von einem einzelnen Leitpferd, sei es Hengst oder Stute, sondern unter Beteiligung mehrerer Gruppenmitglieder gemeinsam getroffen wird.

Die Studie ,Is Leadership a Reliable Concept in Animals? An Empirical Study in the Horse' von Marie Bourjade, Bernard Thierry, Martine Hausberger und Odile Petit ist Journal PLOS ONE erschienen und kann hier nachgelesen werden.

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