Eine britische Studie kam zu einem alarmierenden Ergebnis: Bei 37 % der untersuchten Pferde, die unter dem Reiter eine schlechte Leistung zeigten, wurde ein schlecht sitzender Sattel als Ursache ermittelt, und das trotz einer kürzlich erfolgten Sattelanpassung.
Dr. Sue Dyson, die bekannte Verhaltens-Spezialistin, Orthopädin und Expertin für Lahmheiten beim Pferd, und Dr. Danica Pollard, eine Veterinär-Epidemiologin, wiesen einleitend darauf hin, dass es ein zunehmendes Bewusstsein dafür gebe, dass Pferde Ganganomalien aufweisen könnten, die die Leistung beim Reiten beeinträchtigen, bei der Beurteilung der Bewegung an der Hand aber nicht erkennbar seien. Zudem sei es möglich, dass eine leichte Lahmheit, die an der Hand oder beim Longieren beobachtet wird, möglicherweise nicht die Schmerzquelle widerspiegelt, die die Reitleistung des Pferdes beeinträchtigt.
Sie sagten, Reiter seien oft frustriert, wenn sie feststellten, dass die Leistung ihres Pferdes nachlasse, weil sie professionellen Rat einholten und ihnen aufgrund einer Untersuchung an der Hand oder vielleicht an der Longe mitgeteilt würden, dass ihr Pferd nicht lahm sei.
Es sei daher wichtig, bei der Untersuchung leichter Lahmheit und schlechter Leistung bei Pferden jedenfalls auch Übungen unter dem Reiter/der Reiterin einzubeziehen: „Pferde sollten in allen Gangarten und bei der Ausführung aller Bewegungen ihres aktuellen Arbeitsrepertoires bewertet werden“, so die Forscherinnen in der Zeitschrift ,animals'.
Das Paar stellte fest, dass der zunehmende Einsatz objektiver Ganganalysen Diskussionen darüber ausgelöst hat, was der Grad der Asymmetrie sein könnte, der schmerzbedingte Gangänderungen widerspiegelt, und nicht ein inhärentes asymmetrisches Bewegungsmuster. Bewegungsasymmetrien, manchmal auch als Lateralität bezeichnet, wurden nicht nur bei erwachsenen Pferden, sondern auch bei Fohlen dokumentiert.
In ihrer aktuellen Studie wollten Dyson und Pollard Gang- und Verhaltensänderungen bei Pferden beschreiben, die sich vor und nach einer diagnostischen Anästhesie routinemäßigen Untersuchungen auf Lahmheit oder schlechte Leistung unterziehen und bei Bedarf einen Sattelwechsel durchführen, und zwar in einer größeren Gruppe als bisher dokumentiert.
Die Studie konzentrierte sich auf 150 Pferde, die routinemäßigen klinischen Untersuchungen an verschiedenen Standorten in Großbritannien unterzogen wurden und allesamt schlechte Leistungen unter dem Reiter/der Reiterin zeigten. Die Pferde wurden nacheinander auf Lahmheit oder schlechte Leistung untersucht und beim Reiten vor und nach einer diagnostischen Anästhesie und, wenn dies als notwendig erachtet wurde, einem Sattelwechsel beurteilt.
In der Studie wurde das ,Ridden Horse Pain Ethogram (RHpE)' (,Schmerz-Ethogramm für gerittene Pferde') eingesetzt, das zur Erkennung von muskuloskelettalen Schmerzen bei Pferden entwickelt wurde. Dieses Ethogramm ist eine Zusammenstellung von Körpersignalen bzw. Verhaltensweisen, die gerittene Pferde bei körperlichen Schmerzen zeigen und umfasst 24 Verhaltensweisen mit jeweils strengen Definitionen, die bei einem Pferd mit Schmerzen des Bewegungsapparats häufiger auftreten als bei einem nicht lahmen Pferd. Zu diesen Verhaltensweisen gehören etwa angelegte Ohren, geschlossene Augen, ein offenes Maul mit Trennung der Zähne für mindestens 10 Sekunden, wiederholtes Neigen bzw. Schwenken des Kopfes, Schweifschlagen oder Einklemmen des Schweifs, ein intensives Starren für fünf oder mehr Sekunden, Erschrecken, Buckeln, Steigen, wiederholtes Zeigen der Zunge und Anlegen der Ohren für länger als fünf Sekunden – um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Vorhandensein von mindestens 8 der 24 Verhaltensweisen gilt als zuverlässiger Indikator für das Vorliegen eines zugrunde liegenden muskoskelettalen Problems: Je höher der Wert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Pferd Beschwerden im Bewegungsapparat hat, die die Leistung beeinträchtigen können. Es wurde bereits gezeigt, dass die häufigste Bewertung bei nicht lahmen Pferden bei 2 von 24 liegt.
Die Pferde erhielten außerdem eine „Lahmheitsnote“: Der häufigste Lahmheitsgrad war 2 von max. 8 – ein Wert, der auf eine leichte Lahmheit hinweist. Die vergebenen Lahmheitswerte der untersuchten Pferde lagen zwischen 0 und 4. Es wurde festgestellt, dass 35 % der Pferde keine offensichtliche Lahmheit aufwiesen, ihnen aber der Schub aus der Hinterhand fehlte.
Die RHpE-Werte wurden vor und nach Nervenblockaden (und, sofern angezeigt, einem Sattelwechsel) ermittelt. Der häufigste RHpE-Score lag vor der Anwendung von Nervenblockaden bei 9 von 24 (mit einer Spanne von 2 bis 15). Durch die Nervenblockade und gegebenenfalls einen Sattelwechsel sank der häufigste RHpE-Score auf 2 (mit einer Spanne von 0 bis 12). Die Score-Änderungen waren mit einer verbesserten Gangqualität und Rittigkeit verbunden.
Dyson und Pollard stellten fest, dass bei den meisten Pferden der RHpE-Wert vor der diagnostischen Anästhesie 8 oder mehr von 24 betrug, obwohl die Lahmheit im herkömmlichen Sinne geringgradig war oder nicht vorhanden war. Sie sagten, dies unterstreiche die Aussagekraft des RHpE für die Erkennung des Vorhandenseins von Schmerzen des Bewegungsapparates: „Die erhebliche Reduzierung der RHpE-Werte nach einer diagnostischen Anästhesie bestätigt die Aussagekraft des RHpE als Instrument zur Feststellung, ob die meisten schmerzverursachenden Leistungseinbußen behoben wurden.“
Das wohl alarmierendste Ergebnis: Bei 37 % der Pferde kam es häufig zu schlecht sitzenden Sätteln, was sich negativ auf die Leistung auswirkte, obwohl ein großer Teil davon in den letzten ein bis drei Monaten einer professionellen Sattelüberprüfung unterzogen worden war. Allerdings sei vielen ReiterInnen die exakte berufliche Qualifikation des Sattlers bzw. Prüfers nicht bekannt, so die Forscherinnen.
Bei allen betroffenen Pferden wurde eine Verbesserung des Verhaltens und/oder Gangs beobachtet, nachdem der aktuelle Sattel gegen einen besser passenden Sattel ausgetauscht wurde. Paradoxerweise trat bei einigen Pferden jedoch eine Lahmheit auf oder verschlimmerte sich. Die Autorinnen sagten, dies sei mit einem subjektiv bewerteten größeren Bewegungsumfang der Brust- und Lendenwirbelsäule und einer erhöhten Schwingung des Schweifs verbunden – sie hätten zu Recht angenommen, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem maximalen Lahmheitsgrad, der während der Reitübung vergeben wurde, und dem RHpE-Score geben würde.
„Es war unwahrscheinlich, dass der maximale Grad der Lahmheit während der Reitübung den Grad der Beschwerden widerspiegelte, die ein Pferd verspürte, da 98 % der Pferde an mehr als einer Gliedmaße lahm waren und unter solchen Umständen die Einstufung den Schweregrad der Lahmheit nicht widerspiegeln kann“, so die Autorinnen. Wie sie weiter erklärten, gewöhnen sich Pferde gleichsam an Lahmheiten, indem sie den Bewegungsbereich der Brust- und Lendenwirbelsäule reduzieren, Schrittlänge und Abfederung verringern und den Arbeitsfaktor erhöhen, um zu versuchen, Beschwerden zu minimieren und Lahmheiten effektiv zu verbergen.
Das Resümee ihrer Analysen war für die beiden Autorinnen daher eindeutig: „Diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Reitübungen bei der Untersuchung schlechter Leistung/leichter Lahmheit und den Wert des RHpE zur Überprüfung des Vorhandenseins von Muskel-Skelett-Schmerzen“, so ihre Zusammenfassung – und sie fügten hinzu, dass Nervenblockaden für die Bestimmung der Schmerzquellen, welche die Leistung beeinträchtigen, von entscheidender Bedeutung sind: „Das häufige Vorkommen schlecht sitzender Sättel, die sich negativ auf die Leistung dieser Pferde auswirkten, unterstreicht, wie wichtig es ist, Reiter und Trainer auf die überragende Bedeutung eines korrekt sitzenden Sattels für die optimale Leistung von Pferd und Reiter hinzuweisen und entsprechend aufzuklären.“
Die Studie „Application of the Ridden Horse Pain Ethogram to 150 Horses with Musculoskeletal Pain before and after Diagnostic Anaesthesia" von Sue Dyson und Danica Pollard ist am 9. Juni 2023 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.