Warum nicht gebisslos? Plädoyer für das Ende der "Eisenzeit" im Pferdemaul 14.06.2023 / News
Hier die deutsche Ausführung des von Dr. Robert Cook entwickelten ,Bitless Bridle'. / Foto: Wikimedia Commons/Hü
Der bekannte Tierarzt und Wissenschaftler Dr. Robert Cook plädiert in einem Kommentar dafür, gebissfreies Reiten in allen Pferdesportdisziplinen zuzulassen: Es sei an der Zeit, die Ära der Metallgebisse im Pferdemaul zu beenden – die weltweite Pferde-Community wäre für einen grundlegenden Wandel bereit.
Dr. Robert Cook, Tierarzt, Wissenschaftler und emeritierter Professor, hat sich in seiner gesamten beruflichen Laufbahn auf die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde von Pferden spezialisiert und gilt international als einer der entschiedensten und wortgewaltigsten Befürworter des gebisslosen Reitens. Er hat selbst eine gebissfreie Zäumungs-Variante (,Bitless Bridle') entwickelt und hat im Laufe seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Tätigkeit eine Vielzahl bahnbrechender Arbeiten zu diesem Thema verfasst.
In einem großen und ausführlich dokumentierten Beitrag auf der Website Horsesandpeople.com.au hat Dr. Robert Cook seine wesentlichen Argumente, die für ein Ende des Zeitalters von Metallgebissen im Pferdemaul sprechen, nochmals zusammengefasst. Er bezieht sich dabei auf den jüngsten Vorstoß der ,World Bitless Association' gegenüber dem Weltverband des Pferdesports FEI, die Verwendung moderner gebissfreier Zäume im Wettbewerb zu erlauben (siehe auch unseren Artikel dazu). Dem formellen Antrag soll übrigens schon bald ein Treffen von Roly Owers, Geschäftsführer von World Horse Welfare, mit FEI-Veterinärdirektor Göran Åkerström sowie den zuständigen FEI-Funktionären folgen, um die vorgelegten Argumente und Beweise zu prüfen.
In seinem Kommentar betont Dr. Cook, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Pferdesports gefährdet ist. Um dessen Zukunft zu sichern, ist für Dr. Cook eine Änderung der Ausrüstung unbedingt erforderlich – und zwar allen voran beim Gebiss: „Das Gebiss ist für ein Pferd genauso abstoßend wie Tageslicht für eine Fledermaus. Das Gebiss ist eine Fessel für das Maul eines Pferdes, so wie eine Handschelle eine Fessel für das Handgelenk eines Mannes ist. Es ist Zeit, das Eisenzeitalter im Pferdemaul zu beenden."
Pferde sprechen keine menschliche Sprache, so Dr. Cook – sie sind aber mit ihrer eigenen Körper- und Verhaltenssprache hervorragende Kommunikatoren. Leider werden ihre Notsignale und Hilferufe allzu oft nicht wahrgenommen bzw. richtig erkannt. Viele der Verhaltenszeichen von Gebissschmerz beim Pferd kommen so häufig vor, dass sie entweder als normal für die Pferderasse angesehen und übersehen werden – oder man glaubt, sie seien ein unveränderlicher Teil des Charakters eines Pferdes, also etwas, das einfach akzeptiert werden muss. Dieser weit verbreitete Irrtum wird treffend als „Gebiss-Blindheit“ bezeichnet. Und selbst Dr. Cook gibt zu: „Ich war 45 Jahre lang als Tierarzt und Reiter blind für das Gebiss, bevor ich es als Fremdkörper im Maul eines Pferdes erkannte."
Durch die Verwendung eines Gebisses lernt – so Dr. Cook weiter – ein junges Pferd schnell eine Fülle unerwünschter Gebiss-Vermeidungsstrategien, zum Beispiel das Aufsperren des Mauls, Kopfschütteln, das Zurückziehen der Zunge, die Zunge über das Gebiss legen und Würgen. Dr. Cook: „Versuche, die letzten drei dieser Verhaltensweisen beim Rennpferd auszurotten, haben zum häufigen Einsatz des Ringgebisses (zwei Gebisse) geführt, oft in Kombination mit der schmerzhaften Praxis, die Zunge eines Pferdes mit einem Gummiband oder Bänder aus anderen Materialien am Unterkiefer zu befestigen (also die Anwendung der vieldiskutierten ,Zungenbänder', Anm.)." Dr. Cook wendet sich scharf gegen die Anwendung dieses umstrittenen Utensils – Zungenbänder würden dem Pferd Schmerzen verursachen, den Blutfluss der Zunge unterbinen und, ebenso wie das Gebiss selbst, die sogenannte ,Lippendichtung' durchbrechen und die Atmung behindern (was mittlerweile auch durch Studien belegt ist, Anm.).
Pferde seien äußerst sensible Tiere und in hohem Maße ausdrucksvoll, so Dr. Cook. Gebisse erschrecken Pferde, machen sie nervös und neigen eher zum Erschrecken. Beim Freizeitreiten kann ein Pferd mit Gebiss scheuen, bocken, steigen, in Panik geraten und ausbrechen. Bei Wettkämpfen und Rennen führt die durch Gebisse verursachte Beeinträchtigung der Atemwege zu Kurzatmigkeit, vorzeitiger Erschöpfung und Blutungen aus der Lunge aufgrund eines Unterdruck-Lungenödems. Wie beim Erstickungstod beim Menschen verspüren Rennpferde starke Schmerzen in der Brust und ein Gefühl des Ertrinkens, wenn ihre Lungen durchnässt werden und ihr Herz zu versagen beginnt. Erst dadurch kommt es – so Dr. Cooks Hypothese – zu so häufigen Stürzen, Knochenbrüchen, ausgerenkten Gelenken und plötzlichen Todesfällen. Aktuelle Regeln verhindern, dass diese Hypothese überprüft wird, aber der plötzliche Tod durch Strangulation ist eine bekannte Ursache beim Menschen.
Der Ursprung der aktuellen Krise im Pferdesport sei, so Dr. Cook weiter, auf einen Ausrüstungswechsel in der Eisenzeit zurückzuführen. Begeistert von der Entdeckung, wie man Metall herstellen und verarbeiten kann, ersetzten damals Metallgebisse die bis dahin verwendeten Faser- und Holzgebisse – und machten das Pferd zu einer Waffe im Krieg. Seit Tausenden von Jahren ist die Verwendung des Metallgebisses „Standardpraxis“. Das Prinzip eines modernen Gebisses ist weitgehend identisch mit dem eines bronzezeitlichen Gebisses: Sein Design und seine fortgesetzte Verwendung basieren auf der irrigen Annahme, dass das Zufügen von Schmerzen ein Pferd gefügig und kontrollierbar macht. Die Beweise für durch Gebisse verursachtes Konfliktverhalten erinnern uns jedoch an das Gegenteil, so Dr. Cook: Gebissbedingter Schmerz ist die häufigste Ursache für Kontrollverlust.
Ein Pferd ist darauf programmiert, alles in seinem Maul zu meiden und abzulehnen, was weder Nahrung noch Flüssigkeit ist. Mit einem oder mehreren Gebissen zu reiten bedeutet, ein Pferd mit gepanzerten „Fingern“ ins Maul zu haken und diese aus der Ferne zu manipulieren, während Pferd und Reiter beide in Bewegung sind. Es ist, als würden wir mit einer Rute in jeder Hand „ein Pferd angeln“ und beide Leinen „anbeißen“.
Die Signale, die das Pferd empfängt, selbst von einem Reiter mit den freundlichsten Absichten, schwanken zwangsläufig in ihrem Ausmaß und reichen von leicht bis stark. vorübergehend oder länger andauernd. Die natürliche Reaktion eines Pferdes auf den Fremdkörper besteht darin, das Maul zu öffnen und die „Finger“ herausfallen zu lassen.
Dies kann jedoch nicht passieren, da das Gebiss festgeschnallt ist. Wenn ein Pferd mit Gebiss geritten wird, also unterdrückt, verletzt und belästigt wird, ist der Geist darauf konzentriert, den Schmerz zu verhindern oder zu begrenzen. Allzu schnell lernt ein Pferd viele Möglichkeiten, dies zu tun. Bisher wurden, so Dr. Cook, nicht weniger als 37 aversive Verhaltensweisen und Konfliktverhalten dokumentiert, aber noch viel mehr werden aufgedeckt, wenn gebisslose Reitbewerbe eines Tages zugelassen sein werden.
Neben den Schmerzen, die ein Gebiss verursacht, sieht Dr. Cook noch ein weiteres grundlegendes Problem, das durch Metallgebisse verursacht wird: nämlich die Beeinträchtigung der natürlichen Atemfunktion eines Pferdes, die sogar zu Erstickungsanfällen führen kann. Dies begründet Dr. Cook ausführlich: In Freiheit läuft ein Pferd mit geschlossenem Maul und versiegelten Lippen. Ein Gebiss bricht diese natürliche ,Lippendichtung' und verhindert dadurch, dass ein laufendes Pferd einen negativen atmosphärischen Druck in seiner Mundhöhle aufrechterhält. Beim freien Laufen wirkt diese entscheidende „Negativität“ wie ein Saugnapf, um den langen weichen Gaumen fest an der Zungenwurzel „festzuhalten“. Außerdem bleibt das elastische Knopfloch des weichen Gaumens „zugeknöpft“ und sorgt für eine weitere luftdichte Abdichtung um den Kehlkopf.
Zusammen stellen diese beiden lebenswichtigen Dichtungen sicher, dass die Atemwege des Rachens nicht durch einen „ungebundenen“ weichen Gaumen verstopft werden, der durch den bei jeder Inspiration erzeugten Unterdruck nach oben (dorsal) gezogen wird. Da ein Gebiss die Lippendichtung bricht, hat ein Pferd, das mit Gebiss geritten wird, Schwierigkeiten beim Atmen, d. h. es erleidet, drastisch formuliert, Strangulation. Beim Galopp kann ein instabiler weicher Gaumen wie eine nasse Decke im Sturm flattern. Darüber hinaus besitzt die Zunge die Eigenschaft eines Hydrostaten: Wie bei einem Quetschball bleibt sein Volumen unabhängig von seiner Form unverändert. Wenn ein Pferd dem Gebiss ausweicht, indem es die Zungenspitze zurückzieht, wölbt sich die Zungenwurzel nach oben und verstopft die Atemwege im Rachen zusätzlich.
Die Genickbeugung, die durch die Spannung der gebissbewehrten Zügel verursacht wird (die übliche Strategie, mit der ein Jockey ein Rennpferd in der Anfangsphase eines Rennens zurückhält), verstärkt die Schmerzen, die Erstickungsgefahr und die lebensbedrohliche barometrische Schädigung der Lunge, die dazu führt, dass Rennpferde Blutungen im Atmungstrakt erleiden. Eine belastungsbedingte Lungenblutung, eine bedauerlicherweise weitverbreitete Erkrankung bei Rennpferden mit Metallgebissen, ähnelt in der Humanmedizin einem Atemnotfall, der als „Unterdruck-Lungenödem" (negative pressure pulmonary oedema = NPPE) bezeichnet wird und durch eine Atemwegsobstruktion verursacht wird, so Dr. Cook.
Einen reibungslosen Übergang zum gebisslosen Reiten anzustoßen und zu begleiten bietet den verantwortlichen Verbänden die Möglichkeit, das Wohlergehen von Pferd und Mensch zu verbessern, die Zukunft des Pferdesports zu sichern und einen bahnbrechenden Beitrag zur Geschichte des Reitsports zu leisten, so Dr. Cooks zentrale These. Einige Verbände haben bereits Schritte in diese Richtung unternommen.
Seit vielen Jahren erlaubt etwa der Königliche Niederländische Pferdesportverband die gebissfreie virtuelle Dressur in allen Klassen außer Grand Prix. Der Pony Club Australia erlaubt auf Anfrage und im Einzelfall gebissfreie Wettbewerbe. Da die Tierschutzrichtlinien für neuseeländische Vollblutrennen von der „International Federation of Horseracing Authorities" (IFHA) übernommen wurden, bedeutet dies, dass – mit Unterstützung der IFHA – Tierschutzfragen wie die Verwendung von Peitschen, Sporen, Gebissen, Zungenbändern usw. gelöst werden müssen. Enge Nasenriemen können jetzt mithilfe des Fünf-Domänen-Modells beurteilt werden. Dies sei ein großer Fortschritt, so Dr. Cook.
Der Grundstein für einen Wandel sei jedenfalls gelegt – und die wissenschaftlichen Beweise überzeugend. Weltweit reiten bereits viele Reiter ohne Gebiss, so Dr. Cook. Der Trend zur Veränderung im Pferdesport geht stetig in Richtung Gesundheit und Sicherheit für Mensch und Pferd. Damit der Sport gedeihen kann, ist von Seiten der Pferdesportverbände Leadership dringend gefragt.
Dr. Cooks leidenschaftliches Plädoyer schließt mit der Forderung: „Einem Pferd, das laufen will, ein Gebiss einzuschnallen, ist so, als würde man einem Pferd, das gerade fressen will, einen Maulkorb anlegen. Kurz gesagt, mein Vorschlag zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Freizügigkeit des Pferdesports lautet „Emanzipation“, d. h. die Entfesselung. Sobald Reiter einen Versuch ohne Gebiss machen, schwören sie oft, nie wieder ein Gebiss in das Maul eines Pferdes zu stecken. Der stärkste Widerstand gegen die Idee, ohne Gebiss zu reiten, kommt von denen, die es noch nie ausprobiert haben. Aus diesem Grund fordere ich die Verantwortlichen auf, diese Erfahrungen selbst zu machen oder den Prozess bei anderen mitzuerleben.“
Den vollständigen Kommentar von Dr. Robert Cook mit vielen eindrucksvollen Illustrationen und Fotografien findet man hier!
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:14.04.2023 - Neuer Vorstoß, um gebisslose Zäumungen im Pferdesport zuzulassen
Neuer Vorstoß, um gebisslose Zäumungen im Pferdesport zuzulassen 14.04.2023 / News
Gebisslose Zäumungen finden in der Pferde-Community immer größere Akzeptanz – und sollen auch im Pferdesport zugelassen werden, so der Wunsch der „World Bitless Association“. / Symbolfoto: Archiv/Fotolia
Die „World Bitless Association“ hat beim Pferdesport-Weltverband FEI den formellen Antrag gestellt, die Verwendung moderner gebissloser Zäumungen bei Turnieren zu erlauben, insbesondere in der Dressur.
Der Antrag der Vereinigung „World Bitless Association“, die sich für die Gleichstellung von Pferden mit gebissloser Zäumung einsetzt, führte für sein Anliegen umfassende wissenschaftliche Belege ins Treffen. Der Veterinärdirektor der FEI, Göran Åkerström, bestätigt, dass ein Treffen mit dem Geschäftsführer von World Horse Welfare, Roly Owers, gemeinsam mit den zuständigen FEI-Beamten einberufen wurde, um den Antrag und die vorgelegten Beweise zu prüfen.
Die von der Vereinigung vorgelegten Daten beinhalten auch Erkenntnisse aus einem Report FEI-Ethik- und Pferdewohl-Kommission, in dem ReiterInnen ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Verwendung und des Missbrauchs von Gebissen und der damit verbundenen möglichen Beeinträchtigung des Pferdewohls geäußert hatten.
Die Kommission hatte Ende 2022 auch weitere Empfehlungen zu Zaumzeug und Ausrüstung präsentiert und darin vorgeschlagen, dass Kandaren in der Dressur nicht länger obligatorisch und im Grand Prix optional sein sollten.
Es listete auch eine ganze Reihe von Punkten auf, die sich alle auf die Folgen von Gebiss-Schmerzen in der einen oder anderen Form bezogen. Der erste Punkt in den unterstützenden Informationen, der sich auf Untersuchungen aus den Jahren 1999 und 2021 bezieht, stellt fest, dass Gebisse zwar äußerst effektiv sein können – vor allem, wenn sie mit entsprechender Sorgfalt verwendet werden – dass aber insbesondere schärfere Gebisse bzw. Gebisse mit starker Hebelwirkung ein Risiko für das Tierwohl darstellen, da sie an Zunge, Laden und Gaumen des Pferdemauls erheblichen Schaden verursachen können. Gebisse können zudem direkte Schmerzen und Konfliktverhalten auslösen.
Die Vereinigung stellte weiters fest, dass die Kommission 27 wissenschaftliche Publikationen bzw. Studien auflistete, die sich fast alle auf Schmerzen im Maul, Verletzungen, Stress und/oder Konfliktverhalten aufgrund des Gebisses bezogen.
In ihrem Antrag auf Regeländerung verwies die „World Bitless Association“ auch auf die zunehmende, von Experten begutachtete Literatur über die nachteiligen physischen und psychischen Befunde bei der Verwendung von Gebissen, die nochmals verschlimmert werden, wenn sie im Rahmen aversiver Trainingspraktiken eingesetzt werden. Es ist, so ihr expliziter Befund, ein ernstes Problem des Pferdewohls.
Basierend auf der begutachteten Literatur, den eigenen Erkenntnissen der Kommission und der weltweiten Umfrage der „World Bitless Association“ aus dem Jahr 2020, in der 93 % der Reiter der Meinung waren, dass gebisslose Zäumungen im Pferdesport erlaubt sein sollten, forderte sie die Zulassung derartiger Zäumungen und bat die FEI, eine formelle Prüfung einzuleiten.
Zu den wichtigsten Beweismitteln, welche die Vereinigung vorgelegt hat, gehörten die Erhebungen der Wohlfahrtskommission, Schlüsseldokumente und zitierte Beweise sowie mehrere Berichte. Die Beweise seien eindeutig, sagte der Verband. „Gebissschmerzen sind dem Wohlergehen des Pferdes abträglich. Das Gebiss birgt ein Schmerzrisiko und für einige Pferde kann ein Gebiss aus verschiedenen Gründen nicht toleriert werden. Aus diesem Grund glauben wir, dass – wenn wir wirkliche Fortschritte für das Wohlergehen der Pferde sehen wollen – die Option, auf Gebiss zu verzichten, jetzt umgesetzt werden sollte.“
Und weiter: „Nachdem die FEI und die nationalen Verbände beschlossen haben, das Rasieren der Tasthaare im Jahr 2021 aus Tierschutzgründen zu verbieten, hoffen wir, dass nun die Beweise in Bezug auf Tierschutzfragen im Zusammenhang mit Gebissen akzeptieren, die ein weitaus größeres Tierschutzrisiko darstellen – und dass gebisslose Trensen als Option im Pferdesport zugelassen werden.“
Die „World Bitless Association“ (WBA) ist eine in Großbritannien ansässige, eingetragene Wohltätigkeitsorganisation, die eine Gleichstellung von Pferden und Reitern mit und ohne Gebiss erreichen möchte. Es setzt sich daher bei Pferdesportverbänden auf der ganzen Welt für entsprechende Regeländerungen ein und arbeitet auch daran, das damit verbundene Wissen zu verbessern und die Pferdewohl-Standards durch speziell geschulte Trainer weltweit zu erhöhen.
19.05.2018 - Nach Umstieg auf gebisslose Zäumung: Schmerzsignale dramatisch reduziert
Nach Umstieg auf gebisslose Zäumung: Schmerzsignale dramatisch reduziert 19.05.2018 / News
Nach der Umstellung auf eine gebisslose Zäumung kam es zu einer drastischen Reduzierung schmerzbezogener Verhaltensweisen. / Foto: Fotolia/Scully Pictures
Eine Studie aus den USA belegt die positiven Erfahrungen, die Pferdebesitzer nach der Umstellung ihrer Pferde auf eine gebisslose Zäumung gemacht haben: Die wahrgenommenen Schmerzsignale reduzierten sich um insgesamt 87 %.
Gebisse gehören – wie auch jüngste archäologische Funde nahelegen – seit der Bronzezeit zur Standardausrüstung des Reiters – und wurden als solche jahrtausendelang auch kaum in Frage gestellt. Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren kamen in Fachkreisen Zweifel an der Sinnhaftigkeit und vor allem an der Pferdefreundlichkeit dieses Ausrüstungsteils auf: Gebisse gerieten – unterstützt durch die Ergebnisse diverser Studien – unter Verdacht, das Pferdewohl z. T. erheblich zu beeinträchtigen, was zu intensiven Diskussionen und zu einem rasanten Anstieg der Anhänger gebissloser Zäumungen führte.
Diese Diskussion – die in vollem Gange ist – wird durch die nunmehr präsentierte Untersuchung zweifellos zusätzliche Nahrung erhalten. Die Studie „Behavioural assessment of pain in 66 horses, with and without a bit“ („Verhaltens-Beurteilung von Schmerz bei 66 Pferden, mit und ohne Gebiss“) von Bob Cook und Matthew Kibler, hat schmerzbezogene Verhaltensweisen von insgesamt 66 Pferden untersucht, und zwar mit Hilfe eines detaillierten Fragebogens, der von ihren Besitzern sowohl vor als auch nach der Umstellung ihres Pferdes auf eine gebisslose Zäumung ausgefüllt wurde. So war es möglich, das Verhalten desselben Pferdes in verschiedenen Modi – einmal mit Gebiss, einmal ohne – zu analysieren und zu vergleichen.
Der Fragebogen war nach jahrelanger Vorarbeit entwickelt worden und basierte im Wesentlichen auf dem Feedback von Reitern, die von einer Zäumung mit Gebiss auf eine gebisslose Variante umgestiegen waren. Basierend auf ihren Angaben und Beschreibungen identifizierten die Forscher insgesamt 69 typische Verhaltensweisen, die auf gebiss-bezogene Schmerzen hinwiesen und als Formen von stereotypem Verhalten beschrieben werden konnten. Darunter fielen z. B. Verhaltensweisen wie eine Abneigung gegen das Gebiss oder eine energische Ablehnung desselben durch das Pferd, ungenügende Kontrolle, Kopfschütteln, Konzentrationsmangel, steifer oder unruhiger Schritt, Schweifschlagen, Kopfwippen, Gähnen, übermäßiger Speichelfluss, Buckeln, Ausschlagen, Schwierigkeiten beim Aufsteigen, Stolpern usw.
Jeder an der Befragung teilnehmende Pferdebesitzer musste angeben, welche der insgesamt 69 schmerzbezogenen Verhaltens-Anzeichen von seinem Pferd gezeigt wurde – und zwar sowohl vor, als auch nach der Umstellung auf eine gebisslose Zäumung. Die Anzahl der dabei angegebenen Schmerzsignalen wurde anschließend gezählt und verglichen.
Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Die Anzahl von Schmerzsignalen, die von den Pferden mit Gebiss-Zäumung gezeigt wurden, reichte von 5 bis 51 (Durchschnitt 23); bei den Pferden mit gebissloser Zäumung reichte sie von 0 bis 16 (Durchschnitt 2). Die Anzahl der insgesamt registrierten Schmerzsignale aller 66 Pferde vor der Umstellung (also noch bei Zäumung mit Gebiss) lag bei 1.575 – während sie nach der Umstellung, bei gebissloser Zäumung, nur noch bei 208 lag: Das entspricht einer Reduzierung von 87%. Im Durchschnitt lag die Verringerung der Schmerzsignale zwischen 43 bis 100 Prozent.
Bob Cook und Matthew Kibler konnten anhand der Ergebnisse auch zeigen, dass die Verwendung eines Gebisses einen negativen Effekt auf die eigene Körperwahrnehmung bei Pferden hat – also auf Gleichgewicht, Haltung, Koordination und Bewegung, was sie mit dem Begriff „Gebiss-Lahmheit" bezeichneten, also einem Lahmheits-Syndrom, das letztlich durch das Gebiss verursacht wird. Nur ein einziges Pferd zeigte keine Reduktion von Schmerzsignalen, wenn es ohne Gebiss geritten wurde – während das Wohlbefinden von 65 von 66 Pferden nachweisbar verbessert werden konnte. Es kam zu einer Verringerung negativer Gefühlsäußerungen (Schmerz) und zu einer Erhöhung des Potenzials positiver emotionaler Erfahrungen (Vergnügen). Bei der Bewertung des Wohlbefindens auf einer fünfstufigen Skala (Fünf-Domänen-Modell) zeigte sich durch die Umstellung auf gebisslose Zäumung eine deutliche Verbesserung – nämlich von einem „ernsthaft beeinträchtigten Wohlbefinden ohne Verbesserungsmöglichkeiten" zu einem „gering beeinträchtigten Wohlbefinden mit mittelgradigen Verbesserungsmöglichkeiten". Mit anderen Worten: Die gesamte Untersuchungsgruppe hatte von der Umstellung deutlich profitiert und ihre Lebensqualität steigern können.
Den beiden Forschern ist selbstverständlich bewusst, dass ihre Studie nur von begrenzter wissenschaftlicher Aussagekraft war, nicht zuletzt deshalb, weil die Auswahl der Testgruppe nicht auf dem Zufallsprinzip beruhte und die „Gutachter" (sprich: die Pferdebesitzer) nicht „blind" (also objektiv und vorurteilsfrei) waren. Doch dies sei bei Studien über das Wohlbefinden nicht zu vermeiden – und werde mittlerweile sogar vielfach empfohlen, weil die Besitzer – ebenso wie die Pfleger oder Reiter – letztlich jene Personen sind, die mit den untersuchten Tieren am besten vertraut sind und daher auch über deren Verhalten bzw. Verhaltensäußerungen am besten und unmittelbarsten urteilen können.
„Die Verbesserungen können daher auch nicht als ,rein subjektiv' abgetan werden", wie sie gegenüber dem Portal horsetalk.co.nz meinten. „Dass einige Pferde Abneigungen gegen Gebisse zeigen können, ist weithin anerkannt. Dass aber jedes Pferd gleichsam darauf programmiert ist, Gebisse abzulehnen und vielfältige Aversionen dagegen zeigen, ist es nicht. Die Erwartung, dass ein Pferd einen Fremdkörper in seinem Maul akzeptiert, ist aus biologischer Perspektive unrealistisch. Unsere Studie belegt, dass zumindest 65 von 66 Pferden deutliche Abneigungen gegenüber Gebissen zeigen – und dass Pferde nicht weniger als 69 Wege und Ausdrucksformen haben, um zu signalisieren, wie frustriert sie sind, wie sie versuchen, mit Gebissen zurechtzukommen und wie sie sich bemühen, den Kontakt mit Gebissen zu vermeiden."
Die Studie „Behavioural assessment of pain in 66 horses, with and without a bit“ von Robert Cook und Matthew Kibler ist in der Zeitschrift ,Equine Veterinary Education' erschienen und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.
11.12.2017 - Gebisslose Zäumungen – Varianten, Vorteile und Tücken
Gebisslose Zäumungen – Varianten, Vorteile und Tücken 11.12.2017 / Wissen
Gebisslos zu reiten liegt wieder im Trend – und das nicht nur bei Westernreitern. / Foto: Martin Haller Ein gutes Bosal ist exakt „geshapt", also an die natürliche Form des Pferdekopfes angepasst. / Foto: Martin Haller Die mechanische Hackamore ist ein Hebelzaum und muss mit besonders viel Erfahrung und Sensibilität eingesetzt werden. / Foto: Martin Haller
Nachdem man jahrzehntelang außer Zaumzeug mit Trense und Kandare kaum anderes sah, sind seit einigen Jahren gebisslose Zäume auf dem Vormarsch. Warum das so ist und wie vielfältig gebissloses Reiten sein kann, hat ProPferd-Autor Martin Haller recherchiert.
In den Nachkriegsjahren war es in Europa unvorstellbar, ein Pferd ohne Gebiss – oder sogar ohne Kandare – ausbilden oder reiten zu wollen. Man hatte alle historischen Vorbilder und klassischen „Werkzeuge“ vergessen… vor allem den Kappzaum, den Vorläufer der amerikanischen Hackamore. Erst in den letzten runden 40 Jahren kamen durch vereinzelte Westernreiter die gebisslosen amerikanischen Zäumungen nach und nach in die Alte Welt zurück. Anfangs stießen sie auf großes Staunen, Ablehnung und Unverständnis, bis man begriff, dass Pferde gut und gerne damit gehen – und mitunter besser „funktionieren“ als mit Marterwerkzeugen aus dem Eisenwarenladen des Reitsports.
Der kleine, aber entscheidende Unterschied zwischen Zäumung mit Gebiss und gebissloser Zäumung liegt darin, dass im zweiten Falle das Pferd nichts im Maul hat. Solche Zäumungen sind uralt und waren vermutlich schon in Gebrauch, ehe der Mensch dem Gaul erstmals etwas zwecks besserer Kontrolle zwischen die Zähne schob. Durchsetzen können sich die fein durchdachten, daher aber auch nicht „deppensicheren“ gebisslosen Zäume bislang nur bedingt, was versicherungstechnische und ausbildungsbedingte Gründe haben dürfte. Das zum Leidwesen der Pferde, aber die können ja nichts sagen – etwa, weil sie zuviel Metall im Maul haben?
Der Reitkappzaum
Bei uns sehr selten zu sehen, ist der Kappzaum mit Zügeln ein uraltes und daher bewährtes Instrument. Vermutlich haben schon die alten Reitervölker Iberiens um 500 v. Chr. solche Zäume eingesetzt, um die ersten Ansätze versammelten Reitens zu praktizieren. Im Barock bildete man die Schulpferde generell am Kappzaum aus und ließ diesem dann ein Gebiss folgen – oft schon die Kandare. Damit war der Ablauf ähnlich dem mit der Hackamore und dem Spadebit der kalifornischen Vaqueros.
Das Prinzip ist einfach: ein mehr oder weniger scharf wirkendes Nasenband wird dem Pferd angelegt, die Zügeleinwirkung erfolgt ziemlich direkt auf den Nasenrücken. Allzu derbes oder längeres Ziehen stumpft – wie jede Einwirkung – das Pferd mit der Zeit ab, daher ist der Reitkappzaum kein Instrument für unsensible Hände.
Die wohl bekannteste Form ist die spanische Serreta, die in Andalusien noch immer zum Grundwerkzeug der Reiterei gehört und dort, weil recht brutal gehandhabt, vernarbte Nasenrücken hinterlässt. Als gezacktes (extrem scharf) oder glattes (scharf), bzw. lederummanteltes (humanes) Eisen-Nasenband gibt sie dem spanischen Pferd vom Zureiten an viel Respekt vor der Reiterhand und lässt den unbedingten Gehorsam entstehen, den man z. B. im Stierkampf für nötig erachtet.
Mildere Formen ohne Zacken etc. finden in der klassischen Schule Anwendung und dienen hier der Schonung des „jungfräulichen“ Mauls, ehe man mit Trensengebissen oder anderen eine weitere Verfeinerung der Hilfengebung anstrebt. Jede Art von Nasenzaum hat eine „eingebaute Sicherheitsschwelle“. Verwendet man zuviel Zug, gibt man zu wenig mit den Händen nach, ist man zu unsensibel, so zeigen das die meisten Pferde dem Reiter recht bald. Sie reagieren immer weniger fein, sie gehen gegen die Hand und laufen schließlich „durch den Zaum“. Wer dann nicht reagiert, hat quasi verloren. Dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis man einen Durchgänger geschaffen hat – oder zumindest ein sehr ungehorsames Pferd. Wer allerdings fein damit umgeht, der legt so eine ideale Grundlage für die weitere, immer feinere Ausbildung mittels Trense und eventuell später Kandare. Im alten Kalifornien (und den benachbarten US-Bundesstaaten) ging man nach relativ langer und gründlicher Ausbildung auf der Hackamore sogar gleich zur Kandare über, allerdings über eine anfängliche Phase mit vier Zügeln, wobei die Kandarenzügel kaum benützt wurden. Das entspricht den historischen Reitlehren des Barock, die der iberischen und damit auch der kalifornischen Reiterei zugrunde liegen (sollten).
Aus dem Kappzaum entwickelte sich – vermutlich aufgrund des Mangels an Eisen – in Amerika eine Variante aus Leder. Sie wird nach dem Kamelzaum der Mauren, auf Maurisch oder Spanisch Jaquima oder in englischer Verballhornung Hackamore genannt.
Die echte (kalifornische) Hackamore
Unter der Bezeichnung Hackamore werden heute zwei völlig verschiedene Typen von gebissloser Zäumung am Markt angeboten, darum muss erst einmal der Unterschied erklärt werden. Die echte, klassische Hackamore ist ein altes, feines und anspruchsvolles Instrument zur Ausbildung eines versammelten Pferdes an leichter Hand. Sie besteht aus einem Nasenband und einem speziell geknoteten Seilzügel. Die fälschlich als mechanische Hackamore bezeichnete Hebelzäumung ohne Gebiss ist eine Erfindung jüngster Zeit und stammt aus der mexikanischen bzw. US-amerikanischen Rodeo-Szene, wo es völlig maultote Pferde gibt. Sie wird daher auch mexikanische Hackamore genannt und ist sowohl beim Wanderreiten, Distanzrennen und auch im Rodeosport nicht unbeliebt. Der Name Hackamore ist irreführend, denn sie hat keine nachvollziehbare seitliche Einwirkung, nur eine durch Druck oder Schmerz „bremsende“.
Das Bosal mit Mecate (nur zusammen bilden sie die eigentliche Hackamore als Zaumzeug) ist hingegen ein aus Rohlederstreifen geflochtenes, elastisches Nasenband mit einem meist „pieksigen“ Seil (Englisch hair rope) als Zügel. Dieses Seil wird mittels eines Spezialknotens am unteren Ende des Bosals befestigt. Es dient zum Bremsen mittels kurzer Zügelanzüge und zur Lenkung mittels direktem Zügel und Druck auf gewisse Nervenpunkte am Pferdeschädel. Der Spezialknoten und der relativ schwere Verbindungsknopf am unteren Ende des Bosals bringen den gesamten Zaum in ein fein austariertes Gleichgewicht, das entscheidend ist für die Wirkungsweise und durch ein dünnes Seil, den Fiador, gehalten werden kann, der wie ein Kehlriemen wirkt. Deshalb ist es wichtig, die Auswahl und das Anpassen des Bosal sowie die Knotenverbindung von einem Könner vornehmen zu lassen. Die richtige Handhabung dieser eigentlich kalifornischen Zäumung ist diffizil, damit korrekt ausgebildete Pferde sind jedoch extrem leichtrittig und sensibel. Sie stellt an den Reiter gewisse geistige und sensorische Anforderungen, die nicht jedermann zu erfüllen bereit oder imstande ist.
– Alle Bosals sollten professionell geformt werden, was leider oft vernachlässigt wird. Sinn und Zweck ist die Anpassung an den natürlichen Umriss eines Pferdekopfes. Dazu braucht man ein Brett (Englisch shaper) mit entsprechenden, darauf montierten Holzklötzen, um die man das Bosal binden kann. Ich feuchte alle Bosals vorher in lauem Wasser ca. zehn Minuten an; sie bleiben solange auf dem Shaper, bis sie die gewünschte Form sicher behalten, was bis zu zwei Monate dauert. Billige, zu weiche Bosals haben keine Rohhautseele und müssen öfter nachgeformt werden. Andere sind zu steif und müssen mit viel Kraft und Feuchtigkeit zur Räson gebracht werden.
– Manche Reiter mögen keine Rosshaar-Mecates, sondern bevorzugen weiche Baumwoll-Mecates. Rosshaar-Originale könne aus Mähnenhaar (sehr weich, teuer) oder Schweifhaar (sehr borstig, billig) sein; der Preisunterschied beträgt mindestens 100 €. Persönlich mag ich die langen, stabilen Originale lieber, aber für ein sehr braves, sensibles Pferd tun es die handfreundlichen Schnürchen auch. Man sollte sich mit der Knüpfung intensiv befassen und sie öfter üben; der Heelknot und die Knüpfung sollten zusammen nicht zu massig und schwer sein. Immer muss ein Finger seitlich und zwei Finger unten im Bosal Platz haben, sonst kann es sich nicht bewegen und reibt.
– Das Leadrope ist bei den üblichen sieben Metern Länge der Mecate ziemlich lang. Es muss sehr gut versorgt werden, am besten aufgerollt und mit einer dünnen Lederschnur (Schuhband) am Sattelhorn festgebunden. Meine Stute hat sich einmal im Galopp überschlagen, weil ich nicht bemerkte, dass das Leadrope sich gelockert hatte und zu weit unten baumelte. Sie griff mit einem Vorderknie hinein und fesselte sich selbst. Also nicht so lang lassen, dass sowas passieren kann!
– Wer fein und/oder professionell ausbildet und sich der Hackamore dauerhaft zuwendet, was gerade groß in Mode kommt, der wird um ein teures, hochwertiges Set nicht herumkommen. Am Internet und im Fachhandel werden diese angeboten, wobei es sich nicht wirklich auszahlt, zu sparen. Man sollte sich wegen der Größe, Flechtung und Konstruktion vom Profi beraten lassen (Durchmesser und Breite des Nose buttons; Gewicht des Heel knots; Dicke und Länge der Schenkel…) und mit etwa 400-600 € für ein gutes Set (handgemachtes Bosal; Mähnenhaar-Mecate, feiner Hänger) rechnen.
– Grundsätzlich braucht ein sensibles Pferd mit feinem Kopf eine eher schlanke Hackamore von geringem Gewicht und Durchmesser. Eines mit derbem Kopf und viel Eigenwillen verträgt eine schwere, eher dicke Hackamore. Bosal und Mecate sollen sich im Durchmesser ähneln; somit wird auch die Knüpfung insgesamt eher groß und schwer oder klein und leicht. Man kann die Wirkung einer Hackamore nicht durch Ziehen verstärken, im Gegenteil; die Zügelhilfen müssen ganz kurz und klar bleiben.
– Auf die Pflege nicht vergessen! Hackamores sind sensible Zaumzeuge, die es verdienen, ordentlich behandelt zu werden. Man dreht alle Seile aus, man hängt alles ordentlich auf, man reinigt das Bosal öfter mit Sattelseife oder einem Pflegemittel für Rohleder. Rosshaar-Mecates sollte man nicht waschen, sie werden dann wie Stacheldraht.
– Ich verwende immer einen kleinen, runden Lederriemen, der von einer Seite des Hängers in Höhe des Auges des Pferdes unter den Ganaschen zur anderen läuft und den Hänger von den Augen weghält. Er wird einfach in den Hängerriemen durch je ein kleines Loch eingeknüpft und relativ eng verknotet Er verhindert, dass der Hänger ins Pferdeauge rutscht und das Tier zum Kopfschlagen verleitet. Beim Auf- und Abzäumen mache ich den Knoten links auf und lockere das Riemchen etwas.
Ich empfehle jedem, der noch keine Erfahrung hat, sich unbedingt mittels Fachbüchern, Lehrvideos und Reitunterricht mit dem Thema Hackamore gründlich zu befassen. Ohne gute Grundkenntnisse kann dieser Zaum nämlich sogar gefährlich sein, da Pferde sehr schnell begreifen, was damit an Einwirkung möglich ist – und was nicht. Die meiste Zeit muss man das Pferd vorwiegend mit Sitz und Bein reiten, ev. auch nur mit Sitz und Halszügel. Man muss selber gleichsam immer leichter werden, um das Pferd immer feiner zu machen – man muss ihm immer einen Schritt voraus sein, und das ist die wahre Schwierigkeit und Herausforderung. Daher gibt es auch Pferde, die mit einer Hackamore gar nicht gehen – sie sollte man nicht weiter damit belästigen. Wenn das Pferd gut damit läuft, kann und soll man es zu gegebener Zeit auf Snaffle und ev. später Bit umstellen. Nicht alle Pferde bleiben auf Bosal jahrelang frisch und verlässlich; aber selbstverständlich gibt es sie ...
Die mechanische Hackamore
Die Mechanische Hackamore (Deutsche Hackamore, Englische Hackamore, W.S. Pelham etc.) unterscheidet sich vom Bosal bzw. der klassischen Hackamore grundlegend, denn sie ist ein Hebelzaum, der den Grundsätzen der Hebelgebisse folgt und lediglich auf ein Mundstück verzichtet, das durch einen Nasenriemen ersetzt wird. Daher wirkt sie über die manchmal gewaltigen Anzüge und die unterschiedlich scharfen Nasenriemen und Kinnketten oder Kinnriemen, sowie auf das Genick des Pferdes ein und ist ein machtvolles Instrument zur Tempokontrolle, das in den Händen eines reiterlichen Affen tatsächlich zur Rasierklinge wird. Der Könner findet darin eine Möglichkeit, den Vorwärtsdrang eines heißen Pferdes etwas zu regulieren, oft in Kombination mit anderen Zäumungen, vor allem Trensen. Wenn aber ein Pferd gelernt hat, dass es vor dem Schmerz davonlaufen kann, ist alles verloren und nur mehr gefährlich. Bei einer solchen Zäumung gibt es nur ein Motto: Nachgeben ist seliger denn Annehmen.
Es gibt im Handel bereits fertige, kombinierte Zäumungen, die eine mechanische Hackamore und diverse Gebisse, z. B. Pelham-Varianten, in einem Stück verbinden. Dann wird die Einwirkung quasi maximiert, denn jeder mögliche Kontrollpunkt am Kopf des Pferdes wird zwingend angesprochen werden, was im Springsport oft zu sehen ist. Solche Zäumungen deuten auf Ausbildungsprobleme und/oder Temperamentsfehler hin und sind im klassischen Sinne bestenfalls als temporäre Servobremsen zu verstehen. Mit der klassischen Westernreitweise hat sie rein gar nichts zu tun, auch wenn das oft fälschlich so dargestellt wird. Als Zaum für Distanz- oder Wanderritte mit eingebauter Notbremsmöglichkeit sind sie nicht völlig abzulehnen, erfordern aber immer eine gute Reiterhand.
Das Lindel/Sidepull
Dieser recht einfache Zaum wurde angeblich von „Päpstin“ Linda Tellington-Jones in Europa eingeführt und deshalb Lindel genannt. Als Sidepull im Westernsport erklärt es sich von selbst, denn es ist ein Zaum, der relativ starke seitliche Zügeleinwirkung ermöglicht. Die seitlich an einem relativ steifen Nasenriemen aus Lasso-Seil angebrachten Zügelringe erlauben kräftige und deutliche Einwirkung, die aber bei sorgfältiger Ausbildung kaum nötig sein sollten. Das Lindel mit eher weichem, ledernen Nasenband ist ein guter Ausbildungszaum und im Prinzip nichts anderes, als eine sehr milde, amerikanische Version des Reitkappzaums. Also gelten die gleichen Vor- und Nachteile: es verlangt ein gut reagierendes Pferd mit kooperativem Wesen; weiters eine sensible Reiterhand und einen denkenden und fühlenden Reiter; es verlangt eine vorausschauende Reitweise, die sich nicht auf „Reaction“ (Reaktion auf Geschehenes) beschränkt, sondern mit „Anticipation“ (Vorahnung) arbeitet. Wenn der Gaul einmal durchgeht, kann man mit einem Lindel/Kappzaum etc. nicht mehr viel erreichen... aber das gilt auch für alle anderen Zäume.
Lindels gibt es mit ledergeflochtenem Nasenriemen, der etwas weicher wirkt und nicht so scharf an der Haut des Nasenrückens reibt wie das Lasso-Seil des Sidepulls, dafür aber auch etwas weniger nachdrücklich einwirkt. Man hat gegenüber dem Bosal in jedem Fall den Vorteil, dass eine recht deutliche stellende Wirkung erzielt wird und das Pferd den Halszügel gut zu akzeptieren lernt. Man könnte diese Zäume plakativ-bösartig auch als „Bosals für Deppen“ bezeichnen... obwohl sie anatomisch etwas anders wirken.
Merothisches Reithalfter/Robert Cook Bridle
1985 patentierte Erwin Meroth, der Kölner Erfinder diverser pferdefreundlicher Zäumungen, einen Zaum, der schon wie sein Merothisches Ledergebiss besonders maulschonend sein soll. Es handelt sich dabei um ein einfaches Kopfgestell mit leicht gepolstertem Nasenriemen, in den eine elastische Stahlfeder eingearbeitet ist. Unter dem Kinn des Pferdes kreuzen sich zwei Zügelriemen, die letztlich die Zügel aufnehmen. Wird nun ein Zügel gestrafft, so schließt sich der gesamte Nasenriemen nebst Zügelriemen um den unteren Schädel des Pferdes; beim Nachgeben wird er durch die Elastizität der Stahlfeder wieder weiter gezogen. Die Wirkung lässt bei Nachgeben der Hand sofort nach; es können beliebige Zügel und Kopfstücke verwendet werden.
Ähnliche Konstruktionen sind auch aus den USA bekannt, wo sie unter der Bezeichnung Robert Cook Bridle oder Bitless Bridle u. a. verwendet werden. Sie sind seit 1997 in Gebrauch und ähneln dem Merothischen Reithalfter sehr stark. Dr. Robert Cook (Veterinär, emeritierter Professor der Tufts Universität, Massachusetts) ist in den USA das, was Erwin Meroth in Deutschland war – mutiger Vordenker und nimmermüder Rufer für das Wohl des Pferdemauls. Ob die beiden einander eventuell kannten? Das Cook Bridle ist ein eher konventionell aussehendes Zaumzeug, das in seiner Wirkung noch etwas über jene des Meroth-Zaumes hinausgeht. Es umschließt den gesamten Pferdekopf und wirkt neben der Nase auch auf das Genick bzw. den Schädel ein. Da die gesamte Einwirkung über den Kopf verteilt ist, brauchen die Pferde klare Hilfen, reagieren aber recht schnell und freudig auf eine Umstellung zu diesem Zaum. Mit ihm, so die Untersuchungen des Dr. Cook, sei es beinahe unmöglich, dem Tier nachweisbare Schmerzen zuzufügen, sofern der Zaum korrekt angelegt und bedient wird – und Ähnliches nimmt auch der Meroth-Zaum für sich in Anspruch.
Das Glücksrad
Der Dernier-cri der gebisslosen Szene ist ein unscheinbares Rädchen aus Metall, das sechs Speichen hat, an beiden Seiten Kopfgestell, Nasenriemen und Zügel verbindet und genauso wirkt wie eine kleine mechanische Hackamore, nur eventuell noch etwas milder, weil der wirksame Hebel etwas kürzer ist. Seine Erfinderin, Monika Lehmenkühler, stammt wie Erwin Meroth aus Köln (warum bringt ausgerechnet diese Stadt so viele Erfinder maulfreundlicher Zäume hervor?), daher wird das Ding auch LG-Zaum (Lehmenkühlers Glücksradzaum) genannt. Die Form ist relativ neu und originell, der Name ungewöhnlich und die Wirkung ist harmlos, wenn auch im Vergleich mit einem Gebiss (Trense, Pelham etc.) oder einer langhebeligen mechanischen Hackamore nicht besonders durchschlagend. Somit war ein Erfolg auf dem Freizeitsektor unvermeidlich, und viele junge Reiter sind begeistert vom Rädchen, das ihre Pferde glücklich macht. Entscheidend ist, dass man die Hebelwirkung durch verschiedene Kinnriemen oder –ketten und mehrere Verschnallungen etwas dosieren kann, wie bei allen anderen Hebelzäumungen auch.
Südamerikanische Bozals
Als Kolumbianische und Peruanische Bozals sind Zäume bekannt, die in Bauart und Wirkungsweise dem Bosal oder Sidepull nicht unähnlich sind. Sie erlauben unterschiedliche Zügelschnallungen und kommen in etwas unterschiedlichen Ausführungen zum Verkauf; in Europa werden sie nur in der winzigen Szene der lateinamerikanischen Paso-Pferde-Reiter eingesetzt. Außerhalb derselben werden sie kaum verwendet, obwohl sie, wenn sachkundig verwendet, durchaus als Dressurmittel und Ausreitzaum gut verwendbar sind. Als folkloristische Ausrüstungsteile sind sie optisch attraktiv, aber kaum mit anderen Reitweisen oder Ausrüstungsstilen kombinierbar. Daher ist ihr Einsatz limitiert, allerdings sind gut damit ausgebildete Pferde sehr fein und angenehm zu reiten. Als Reisepferde über weite Strecken sind Pasos einfach ein Vergnügen für den Hintern und das Kreuz eines Reiters, der es bequem braucht.
Dieser Zaum besteht aus einem Bozal (Nasenstück) und einer Barbada (Kinnstück), und er wird ca. vier bis fünf Finger breit über dem oberen Nüsternrand verschnallt. Er sollte weder zu tief noch zu eng verschnallt werden, damit die Atmung nicht behindert wird und das Pferd abkauen kann. Das Nasenstück und Kinnstück gibt es aus gegerbtem Leder, geflochtener oder gedrehter Rohhaut, Metall oder Nylon. Die Breite der Auflagefläche auf dem Nasenrücken kann von sehr schmal bis recht breit variieren. Die Einwirkung verstärkt man beispielsweise durch zwei eingearbeitete Holzkugeln oder Metalleinlagen. Je nach Beschaffenheit reicht sie von mild bis sehr scharf.
An der Barbada befinden sich unten zwei Ringe zum Einschnallen eines zweiten Zügelpaars. Das seitliche Zügelpaar am Bosal dient der Biegung und Lenkung; das untere Zügelpaar an der Barbada wird hauptsächlich zur Versammlung und zum Stoppen verwendet. Das kolumbianische Bosal kann auch mit einem Gebiss kombiniert werden, wobei dann ein Zügelpaar am Bosal und eines am Gebiss angebracht werden.
Fazit
Eine gebisslose Zäumung zu verwenden, bedeutet nicht automatisch sanfter und pferdefreundlicher zu reiten: Darüber entscheidet nicht so sehr die Ausrüstung, sondern die Art und Weise, wie man diese einsetzt. Eine harte, unsensible Hand wird auch ohne Gebiss dem Pferd Unbehagen oder sogar Schmerzen zufügen – das sollte man niemals vergessen. Dennoch sind die zahllosen Varianten gebissloser Zäumungen für viele Reiter, die Pferde mit Maul- oder Zahnproblemen haben bzw. generell die Nachteile von Gebissen vermeiden möchten, eine sinnvolle und empfehlenswerte Alternative – die heute mehr denn je im Trend liegt. Doch auch gebissloses Reiten will gelernt sein: Es kommt darauf, wie man’s macht – auch die beste Ausrüstung kann fehlendes Gefühl oder mangelnde Erfahrung niemals ersetzen.
Martin Haller
18.03.2015 - Der Kappzaum – ein verkanntes Genie
Der Kappzaum – ein verkanntes Genie 18.03.2015 / Wissen
Das Großpferde-Modell der Marke Solibel von Busse, das beinahe alle Merkmale eines guten, anatomisch korrekten Kappzaums besitzt. Das kleinere Ponymodell der Firma ist ebenfalls sehr ausgereift. / Foto: www.karinhaas.com Ein recht preiswerter portugiesischer Kappzaum, der zwar ein durchgehendes Naseneisen aufweist, jedoch etwas derb ausgeführt ist und nicht optimal angepasst werden kann. / Foto: www.karinhaas.com Derzeit stark en vogue sind Kappzäume mit einer ummantelten Kette statt eines Naseneisens. Wegen der eher schwammigen Wirkung und der diffizilen Anpassung als eher suboptimal zu bezeichnen. / Foto: www.karinhaas.com Das Modell, welches die Spanische Reitschule Wien einsetzt: ein nahezu perfekter Kappzaum, der leider nur von wenigen Herstellern im Hochpreissegment erzeugt wird – sein Geld aber durchaus wert ist. / Foto: www.karinhaas.com Manche Ausbildner lehren noch heute das Reiten in klassischer Tradition, wobei die Pferde am Kappzaum grundausgebildet wurden, ehe sie mit dem Gebiss – oft auch gleich der Kandare – Bekanntschaft machten. / Foto: www.karinhaas.com Longieren und die vorbereitende Arbeit an der Hand erleichtern das Anreiten ungemein – beim am Boden gut vorbereiteten Pferd gerät es beinahe zur Formalität. / Foto: www.karinhaas.com
Der Kappzaum ist eine der ältesten Formen eines gebisslosen Zaumzeugs und ein wertvolles, heute leider vielfach vernachlässigtes Ausbildungsmittel. Martin Haller hat es näher unter die Lupe genommen.
Der seltsame Name des Kappzaums ist nicht einfach zu erklären, kommt er doch vermutlich vom lateinischen Wort caput für Kopf oder Haupt; in der Verballhornung könnte vor langem daraus „Kappzaum“ geworden sein. Der Name ist Programm, denn diese Zäumung wirkt nur über die Schädelknochen, genauer das Nasenbein des Pferdes ein, und nicht über das Maul. Seit langem findet der Kappzaum Anwendung im Ausbildungsbereich, sowohl an der Hand und an der Longe als auch unter dem Reiter. Früher waren diese drei Bereiche etwa gleichwertig und auch gleich häufig, heute liegt das Schwergewicht eindeutig beim Longieren, und auch das nur mehr fallweise. Leider wird auf den Kappzaum meist ganz verzichtet, stattdessen weicht man auf das mit einigen Nachteilen verbundene Longieren von der Trense aus. Zudem kommen allerhand „Hilfskonstruktionen“ zur Anwendung, die aber nur selten sinnvoll sind und oft das empfindliche Pferdemaul beeinträchtigen.
Zur Entwicklungsgeschichte
Frühe Kappzäume dürfte es schon in der Bronzezeit oder zur nachfolgenden Zeit der Kelten – der Eisenzeit – gegeben haben, besonders in Spanien und Nordafrika. Möglicherweise hat sich die gebisslose Zäumung aus jener für Kamele und Esel entwickelt. In Spanien (damals Iberien) hat man die Reiterei mit Kappzaum schon früh praktiziert und für Pferde eingesetzt. Daraus entstand die Tradition der klassischen Reitkunst der iberischen Länder, welche ganz Europa und später Amerika beeinflusste. Spanien und Südamerika kennen noch verschiedene Formen der Einwirkung über den Naserücken und setzen sie bis heute ein, allerdings nicht immer in pferdefreundlicher, zeitgemäßer Form. Die glatte oder gezackte Serreta („kleine Säge), blanke Kappzäume und gezahnte Vorführzäume sind in Spanien bis heute üblich; sie alle wirken über den empfindlichen Nasenrücken des Pferdes ein. Durch Druck auf das knöcherne Nasenbein oder den Nasenknorpel (nicht erwünscht, bei uns jedenfalls tierschutzrelevant!) wird dem Pferd unbedingter Gehorsam beigebracht, was oft in aufgescheuerten Nasenrücken resultiert, die aber in Spanien nicht als Manko gelten. Einmal vernarbt, sind sie ein Beweis für die erfolgreiche Unterwerfung des (in Spanien und Portugal) meist männlichen Reittieres.
Hochblüte im Barock
Die Kappzäume (cavecons) der klassischen Reitkunst der Renaissance und des Barock waren nach unseren Begriffen zwar scharf, aber dennoch leicht und präzise. Sie erlaubten neben leichter Führung und reduzierter Hilfengebung aber auch eine deftige Einwirkung – im Kampf gegen Feind oder Stier vermutlich lebensnotwendig – und zu einer Zeit, da der schöne Schein mehr zählte als alles übrige auch kaum verwerflich. Die Kappzäume folgten dem Prinzip der damaligen Reiterei: Verwende die schärfsten Hilfsmittel (Sporen, Gebisse etc.), aber wende sie nur so leicht an, wie unbedingt nötig. In ihrer Form glichen sie der heute noch in Spanien gebräuchlichen Serreta, einer direkten Nachfolgerin bzw. modernen Variante jener barocken Modelle. Ihre schmale Nasenspange wies an der Unterseite oft kleine Zacken auf und übte schon durch Eigengewicht und Verschnallung einen gewissen Druck auf den Nasenrücken aus, der durch reiterliche Handeinwirkung verstärkt werden konnte; andere Formen waren glatt und gelenkig. Die klassischen Reitmeister waren keine Waisenknaben, dennoch finden wir in allen Schriften ständig den Hinweis auf die Empfindlichkeit des Pferdemaules und deren Erhaltenswürdigkeit! Schon bei Federico Grisone in der Renaissance – kein reiterlicher Waisenknabe – lesen wir: „Wenn du ein übel erzogenes Pferd bekommst, so reite es mit viel Aufmerksamkeit und so, als ob du einen Vogel in der Hand hieltest.“
Wischzaum und Passform
Der Wischzaum ist ein ganz einfacher Zaum, bestehend nur aus Kopfgestell und Trense; in Wien finden nur Knebeltrensen Verwendung. Name und Verwendung des Wischzaumes waren mit der Handarbeit und dem Longieren untrennbar verbunden, sind heute jedoch in Vergessenheit geraten.
Desmond O’Brien war Mitglied der Hofreitschule und ist anerkannter Barock-Ausbilder: „Die richtige Lage ergibt sich, indem man den Nasenriemen bzw. das Naseneisen ca. vier Fingerbreiten über den Nüstern anlegt. Der Kappzaum wird an der Hofreitschule immer wie das Hannoversche Reithalfter verschnallt, der Kinnriemen also unterhalb des Trensengebisses. Der Ganaschenriemen wird immer unter den Backenstücken des Wischzaumes verschnallt. Somit können sich diese frei bewegen und drücken nicht. Lediglich bei Pferden mit extrem kurzer Maulspalte wird die englische Verschnallung verwendet, bei der das Naseneisen zwischen Jochbein und Maulspalte liegt, aber unterhalb der Backenstücke des Wischzaums.“
Die Reihenfolge beim Zäumen zur englischen Verschnallung ist wie folgt: Man legt den Wischzaum an und legt den Kappzaum mit geöffnetem Kinn- und Ganaschenriemen darüber. Dann fädelt man die Enden des Kinnriemens unter die Backenstücke des Wischzaums oder um die Nase samt Trense und schließt ihn. Danach schließt man den Ganaschenriemen so fest, dass die Backenstücke keinesfalls in die Augen drücken können. Dann hängt man den Karabiner der Longe/des Handzügels in den mittleren Nasenring ein oder schnallt zum Reiten die Kappzaum-Zügel seitlich ein.
Einige Modelle weisen zusätzliche Riemen für das Gebiss auf, so genannte Hänger, oder haben seitlich kleine Ringe in die Backenstücken eingenäht, in welche man Gebissriemchen mit Karabinern einhängen kann. Sie ersetzen den Wischzaum und sind durchaus praktisch, weil das Pferd weniger Leder zu tragen hat und es zu keinen störenden Wechselwirkungen Kappzaum-Wischzaum kommen kann. Die Hänger verlaufen über dem Kappzaum.
Der Ganaschenriemen kommt relativ weit unten zu liegen und wird am unteren Ganaschenrand ziemlich eng verschnallt; daher sein Name. Er verhindert, dass die Backenstücke beim Zug an Longe/Handzügel seitlich verrutschen und schmerzhaft in die Augen drücken – was seine wichtigste Funktion ist.
Die Anwendung
Die heutigen Pferde werden gar nicht oder nur ungenügend an der Hand auf die Longenarbeit vorbereitet, welche daher in der Regel grob und eintönig verläuft. Dazu Oberbereiter Klaus Krzisch von der Spanischen Hofreitschule: „Die vorbereitende, lösende und disziplinierende Handarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der klassischen Ausbildung. Während dieser lernt das Pferd, dem leichten, kurzen Zug (halbe Parade) an der Nase nachzugeben und die Kommandos des Menschen, welche mittels Stimme, Handzügel, Körpersprache und Gerte erfolgen, zu gehorchen. Der Übergang zur Longenarbeit auf einem abgegrenzten Zirkel ist dann kaum mehr als eine Formalität.“
Auch das Erlernen der Seitengänge und der Piaffe ist an der Hand meist kein Problem, während es unter dem Reiter oft zum „Gewürge“ wird. So gilt z. B. an der Spanischen Hofreitschule in Wien das Prinzip, dass ein Pferd perfekt ohne Reiter piaffieren muss, bevor es diese Lektion unter dem Reiter auszuführen lernt.
Der Kappzaum muss – als kategorischer Imperativ – präzise, aber schmerzfrei einwirken können, weshalb er so eng anzulegen ist, dass das Pferd zwar seine Kiefer zum Abkauen seitlich bewegen kann, nicht aber das Maul aufsperren. Die schärfere Verschnallung des Kappzaums, die man in Wien und Spanien oder Portugal praktiziert, kann aber dem Laien nicht unbedingt empfohlen werden, denn dabei liegt das Kappzaumeisen nahe der empfindlichen Nasenknorpel. In der Regel kommt man ohne diese Verschnallung aus, die wirklich nur in die Hand von Profis gehört; die englische Verschnallung ist weniger diffizil und kann als Standard für den täglichen Gebrauch empfohlen werden.
Die beiden seitlichen Ringe finden kaum noch Verwendung, da zum Longieren oder der Handarbeit der mittlere ausreicht. Reiterliche Verwendung findet der Kappzaum heute leider kaum mehr, daher ist die Funktion der seitlichen Ringe unbekannt oder wird falsch interpretiert (Reserve, Ausbinder; Schlaufzügel…).
Formensprache
Der bei uns gebräuchliche Kappzaum ist traditionell ein schweres, derbes Ding, dessen Naseneisen mit drei Ringen aus vier länglichen, flachen Metallplatten besteht. Diese sind gelenkig miteinander verbunden und erlauben eine gewisse Anpassung an die Nase des Pferdes. Das Naseneisen ist in aller Regel mit einem breiten, weichen Leder- oder Kunststoffkissen unterfüttert, das die Einwirkung zwar mildert, damit jedoch die Idee insgesamt ad absurdum führt. Die Stabilität des Zaumes steht im Vordergrund, denn häufig kommt es zu Zerreißproben, bei denen Zug mit Gegenzug beantwortet wird. Reißfestigkeit und sattes Aufliegen werden darüber hinaus durch Stirnriemen, zusätzliche Kehlriemen und manchmal doppelte Backenstücke sowie einen Trägerriemen entlang der Stirn gefördert. Der wichtigste Riemen, der Kinnriemen, ist jedoch meist ungepolstert und unterdimensioniert und somit ein Quell ewiger Gefahr und Unbequemlichkeit für das Pferd. Die Frage muss gestellt werden, warum solche höchst zweifelhaften Ausrüstungsgegenstände noch immer hergestellt und vertrieben werden. Allerdings muss hier gesagt werden, dass man in letzter Zeit immer öfter Modelle sieht, die etwas mehr Sicherheit und Bequemlichkeit bieten; zumindest eines, aus portugiesischer Erzeugung, hat z. B. unter den Schnallen kleine Schutzleder, welche das Problem des Schnallendrucks vermeiden.
Der Wiener Kappzaum
Die günstigste Form ist jene, welche dem originalen Wiener Kappzaum der Spanischen Reitschule zugrunde liegt. (Nicht zu verwechseln mit sogenannten „Wiener Kappzäumen“ zum Longieren, die dem Wiener Pilarenzaum nachempfunden sind und mit der Arbeit an Longe oder Handzügel nichts zu tun haben; sie werden fälschlich unter diesem Namen angeboten.) Relativ leicht und schmal, hat deren Kopfgestell keine überflüssigen Riemen, das Naseneisen mit zwei seitlichen Gelenken und nur dünner Polsterung erlaubt eine präzisere Einwirkung als die dick gepolsterten, „pferdefreundlichen“ Modelle, die im Handel angeboten werden. Das Naseneisen ist vorne nicht gelenkig, hat also eine etwas schärfere Wirkung und weniger flexible Anpassung an einzelne Pferdeköpfe – Vorteil und Nachteil zugleich. Eine ähnliche Variante ist in Portugal üblich, die zwar gut geschnitten ist und durch je einen Ring im Backenstück sehr gut angepasst werden kann, jedoch in der Form des Naseneisens modellabhängig oft kleine Mängel hat – für große Warmblutköpfe ist sie manchmal zu oval. Generell findet man in Portugal die größte Vielfalt an Erzeugern und Modellen, darunter auch sehr gute, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Sie, und das Wiener Modell, sind neben einem glatten spanischen Kappzaum mit tief angesetztem Ganaschenriemen wohl die empfehlenswertesten.
Kappzäume aus Kunststoff
Einige Hersteller erzeugen Kappzäume aus Kunststoffgewebe, die in der Form plump wirken, aber für das Pferd bequem sein sollen. Sie sind recht leicht, aber in ihrer Einwirkung unpräzise und schwer anzupassen. Der dicke, breite Nasenteil tendiert zum Verrutschen und verteilt die Einwirkung auf eine große, diffuse Fläche. Vorteile sind die Robustheit, der billige Preis und die Pflegeleichtigkeit. Man bekommt sie auch in kleinen Ponygrößen, die in Leder kaum erhältlich sind, erfüllen aber ihren Zweck nicht.
Lässt man die zu scharf wirkenden und daher für ungeübte Hände ungeeigneten Serretas aus Spanien und die Kettenzäume der Camargue außer Betracht, so stellt man fest, dass es nur wenige wirklich zweckentsprechende Modelle gibt. Die einen zu schwer und plump oder zu schwammig in der Wirkung, die anderen zu scharf für den Laien, fast alle schlecht geschnitten und/oder mit überflüssigem Riemenzeug überladen.
Leichte, weiche Hilfen
Auch an der Longe streben wir die sichere Anlehnung des jungen Pferdes an. Sie darf aber nicht mit einem dauernden Tauziehen verwechselt werden, denn das von Steinbrecht als wenig empfindlich bezeichnete Nasenbein ist in Wirklichkeit stark nervendurchzogen und daher sehr sensibel! Für den Kappzaum gilt sinngemäß auch, was für das Gebiss selbstverständlich sein sollte, es leider aber selten ist: Man darf nicht daran ziehen und schon gar nicht reißen, sondern muss mit möglichst leichten, weichen und kurzen Hilfen einwirken, die einer abwechselnd nachgebenden und aushaltenden Hand entspringen, niemals einer zurückziehenden! Der größte Fehler im Umgang mit dem Kappzaum ist der, dauernd daran zu ziehen, weil man mit den stark gepolsterten Monster-Kappzäumen aus dem Handel nicht mit der Parade durchkommt und in ein permanentes Seilziehen mit dem Pferd gerät. Dann hat man auch schon verloren, denn nicht einmal ein kleines Pony lässt sich so „an der Nase herumführen“. Da ist es weit besser, einen schärferen Kappzaum zu kaufen und sich in seiner Verwendung anleiten zu lassen, denn dann hat man den angestrebten Erfolg mit Longe und Handzügel oder sogar beim Reiten.
Unterschätzt, aber wertvoll
Im Kappzaum ist ein wertvolles und – wenn richtig verwendet – schonendes Ausbildungsmittel, das heute zu Unrecht und oft nur aus Sparsamkeit, Bequemlichkeit und Unwissenheit an Bedeutung verloren hat. Immerhin verwenden einige „klassische oder barocke“ Trainer dieses Werkzeug und animieren ihre Schüler zu dessen kunstgerechter Verwendung. Diesen Trend weiter zu befördern wäre eine lohnende Aufgabe für die Hersteller von Sattelzeug und alle Ausbilder.
Martin Haller
|