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Pferde altern besser als Menschen - aber warum?
08.01.2023 / News

Pferde bleiben von vielen gesundheitlichen Bedrohungen, mit denen ältere Menschen konfrontiert sind, verschont – doch der Alterungsprozess hält für sie andere Herausforderungen bereit ...
Pferde bleiben von vielen gesundheitlichen Bedrohungen, mit denen ältere Menschen konfrontiert sind, verschont – doch der Alterungsprozess hält für sie andere Herausforderungen bereit ... / Symbolfoto: Archiv/Simone Aumair

Pferde sind interessanterweise nicht dem gleichen Risiko für altersbedingte Krankheiten wie Krebs, Herz- und Gefäßkrankheiten und neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer ausgesetzt wie wir Menschen. Erstmals haben zwei US-Wissenschaftlerinnen untersucht, warum das so sein könnte – und sind dabei auf spannende Ähnlichkeiten und Unterschiede gestoßen …

 

Die Wissenschaft ist sich nicht ganz sicher, warum Pferde von vielen gesundheitlichen Geißeln, die alte Menschen bedrohen, weitgehend verschont bleiben. Eine naheliegende Erklärung wäre, dass ein Mangel an negativen Lebensgewohnheiten, Unterschiede in Ernährung, Bewegung, Genetik und Physiologie in Summe zu einer insgesamt verbesserten Gesundheit älterer Pferde beitragen könnte. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, wie die Forscherinnen Sally DeNotta und Dianne McFarlane vom College of Veterinary Medicine an der University of Florida in einer aktuellen Übersichtsstudie betonen. Sie haben sich eingehender mit diesem Thema befasst – und dabei entdeckt, dass es nicht nur bemerkenswerke Unterschiede, sondern auch erstaunliche Ähnlichkeiten im Alterungsprozess von Pferden und Menschen gibt und dass dabei insbesondere das Immunsystem und seine altersbedingten Veränderungen eine zentrale Rolle spielen.

DeNotta und McFarlane hielten einleitend fest, dass die Pferdepopulation in den Vereinigten Staaten und weltweit aktuell einen höheren Prozentsatz an alten Pferden umfasst als je zuvor. Die Zahl der über 15-jährigen Pferde wird auf 22 % bis 34 % geschätzt. In den USA hat sich die Zahl der älteren Pferde – also über 20 Jahre alt – seit 1998 mehr als verdoppelt und ist allein in den letzten zehn Jahren um 50 % gestiegen.

„Dieser Trend ist wahrscheinlich auf Verbesserungen in der Gesundheitsvorsorge sowie auf eine zunehmende gesellschaftliche Sichtweise von Pferden als Partner und Gefährten des Menschen – im Gegensatz zu Nutztieren – zurückzuführen. Da Methoden zur Behandlung und zum Management älterer Equiden entwickelt und verfeinert werden, wird diese alternde Population wahrscheinlich weiter wachsen“,  so die AutorInnen. Sie meinten auch, dass routinemäßige Impfungen, Parasitenbekämpfung und vorbeugende Zahnheilkunde in den letzten Jahrzehnten zweifellos die wichtigsten Beiträge zu einer verbesserten Gesundheit und höheren Lebenserwartung von Pferden geleistet haben.

Von besonderem Interesse in der Gesundheitsversorgung von alten Pferden sind Methoden zur Unterstützung und Stärkung einer wirksamen Immunität gegen Infektionen bei gleichzeitiger Reduzierung des Auftretens von entzündlichen Erkrankungen. Die beiden Forscherinnen untersuchten in ihrer rückblickenden Studie den aktuellen Wissensstand zu den Auswirkungen des Alterns auf die Immunität, das Ansprechen auf Impfstoffe und das Krankheitsrisiko bei alten Pferden – und glich die Ergebnisse auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu dem hervor, was bei älteren Menschen beobachtet wird.

Das zentrale Ergebnis: Sie fanden heraus, dass Pferde ähnliche, aber mildere altersbedingte Veränderungen der Immunfunktion zeigen wie bei Menschen. Bei älteren Pferden wurde eine Abnahme der Lymphozyten- und Antikörperproduktion – beide entscheidend für die Funktion des Immunsystems – und eine verminderte Reaktion auf Impfungen dokumentiert. Ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten wird jedoch nicht häufig berichtet. Alte Pferde zeigen auch Anzeichen des sogenannten „Entzündungsalterns“ (engl.: inflammaging) – also eine altersbedingt vermehrte Ausschüttung von entzündungsfördernden Botenstoffen, die das allgemeine Risiko chronischer Erkrankungen erhöhen.

Dennoch sind ältere Pferde insgesamt weit weniger anfällig für die Haupt-Todesursachen älterer Menschen, wie etwa Krebs, Herzerkrankungen, Erkrankungen der Blutgefäße, Schlaganfälle, chronische Erkrankungen der unteren Atemwege und Alzheimer, die alle mit Entzündungen in Verbindung gebracht werden. Das „Entzündungsaltern“ kann jedoch zu Krankheiten beitragen, die bei älteren Pferden häufig vorkommen, wie z. B. degenerative Gelenkerkrankungen und reaktive Atemwegserkrankungen, so die Forscherinnen: „Das Verständnis dieser Unterschiede und Ähnlichkeiten im Alter zwischen den Arten könnte sich für Pferde und Menschen gleichermaßen als informativ erweisen.“

Sally DeNotta und Dianne McFarlane wiesen insbesondere auch auf die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Definition und Bestimmung des Alters bei älteren Pferden hin. Darüber hinaus bleibt es eine Herausforderung, die spezifische Ursachen für den altersbedingten Rückgang der Immunfunktion – der sogenannten ,Immunoseneszenz’ – von Pferden zu identifizieren. Der Ausschluss subklinischer Erkrankungen als Ursache wäre theoretisch notwendig, ist aber bei einer älteren Population schwierig. Gerade bei alten Pferden kann die hohe Prävalenz von Krankheiten, die zu chronischen, geringgradigen Entzündungen beitragen, die Leistungsfähigkeit des Immunsystems insgesamt beeinflussen und diesbezügliche Studien verfälschen. „Zum Beispiel wurden Osteoarthritis oder reaktive Atemwegserkrankungen, zwei der häufigsten Krankheiten bei älteren Pferden, in Studien zum Altern von Pferden bisher weitgehend ignoriert“, so die Autorinnen.

„Darüber hinaus können endokrine und metabolische Anomalien alter Pferde die Immunfunktion stark beeinflussen. Die ,Equine Hypophyse Pars Intermedia Dysfunktion’ (PPID – hierzulande besser als ,Cushing-Syndrom’ bekannt), eine Krankheit, die 15 bis 30 % der Pferde über 20 Jahre betrifft, ist immunsuppressiv, während das Equine Metabolische Syndrom (EMS), eine ebenso häufige Erkrankung, entzündungsfördernd (proinflammatorisch) ist.“

Idealerweise sollte daher bei der Aufnahme von Teilnehmern in Studien zur Alterungsimmunität ein strenges Einschlussprotokoll angewendet werden. Die Forscherinnen wiesen auch darauf hin, dass die Vorstellung, dass alte Pferde einem erhöhten Risiko für Infektionskrankheiten ausgesetzt sind, in der nicht-wissenschaftlichen Pferdeliteratur häufig vorkommt. Es gibt jedoch nur wenige kontrollierte Studien, die diese Theorie stützen.

Kürzlich wurde dies durch mehrere Studien unter Verwendung von Besitzerbefragungen, prospektiven Studien mit tierärztlichen Untersuchungen und der Analyse von Krankenakten und Pathologieberichten untersucht. „In allen Berichten waren Infektionskrankheiten eine seltene Ursache für Krankheiten und Todesfälle bei alten Pferden. „Trotz der Vermutung, dass Infektionskrankheiten wie Druse (Streptococcus equi equi), Influenza oder Parasitismus bei älteren Pferden häufiger vorkommen, bleiben diese Behauptungen nach Kenntnis der Autoren unbegründet.“

Die Forscherinnen sagten, dass alte Pferde zwar nicht allgemein anfälliger für Infektionskrankheiten sind, es aber Beispiele für spezifische Krankheitserreger mit einer Vorliebe für ältere Pferde gibt. Eine Infektion etwa mit dem West-Nil-Virus kann bei alten Pferden im Vergleich zu Erwachsenen zu schwereren Erkrankungen führen, da bei älteren Pferden eine höhere Sterblichkeitsrate gemeldet wurde, insbesondere bei zuvor nicht exponierten Tieren.

In ähnlicher Weise scheinen ältere Stuten bei Pferden, die experimentell mit einem Stamm des Equinen Herpesvirus-1 (der bekanntermaßen neurologische Erkrankungen verursacht) infiziert wurden, anfälliger für die Entwicklung neurologischer Symptome zu sein. Ein klinisches Schlüsselmerkmal des altersbedingten Rückgangs des menschlichen Immunsystems ist der fortschreitende Rückgang der Antikörperantwort auf die Immunisierung. „Ein Versagen, schützende Immunglobulinkonzentrationen gegen Influenza zu erhöhen, wird in der älteren Bevölkerung beobachtet und trägt zu der hohen Morbidität und Mortalität aufgrund von Influenza-Infektionen bei älteren Menschen bei“, stellten sie fest.

Eine verminderte Reaktion älterer Pferde auf die Influenza-Impfung wurde ebenfalls in mehreren Studien bestätigt. „In der Praxis ist es wahrscheinlich wichtig, bei der Entwicklung einer Impfstrategie für ein älteres Pferd alle möglichen Störfaktoren zu berücksichtigen, einschließlich der allgemeinen Gesundheit, Fettleibigkeit und potenzieller endokriner Erkrankungen.“ Sie sagten, es sei wichtig zu beachten, dass trotz Beobachtungen einer verringerten Wirksamkeit des Influenza-Impfstoffs bei älteren Pferden keine erhöhte Inzidenz natürlich vorkommender Influenza-Infektionen bei älteren Pferden berichtet wurde.

Während alte Pferde im Allgemeinen eine ausreichende schützende Immunität gegen Krankheitserreger bewahren, weisen sie eine entzündungsfördernde Eigenschaft auf, die zur hohen Prävalenz von entzündlichen Erkrankungen bei älteren Equiden beitragen kann. Eine kürzlich durchgeführte Studie mit 1448 Pferden im Alter von über 20 Jahren ergab, dass 68,8 % von einer chronischen Erkrankung betroffen waren, wobei Osteoarthritis (42,4 %), PPID (26,8 %), Zahnerkrankungen (15,1 %) und Augenerkrankungen (11,1 %) am häufigsten vorkamen.

Die AutorInnen räumten ein, dass die spezifischen Mechanismen, durch die altersbedingte Ungleichgewichte in der Zytokin- und Akute-Phase-Reaktion zum Beginn oder Fortschreiten chronischer Entzündungskrankheiten bei älteren Pferden beitragen, noch nicht aufgeklärt wurden. Beim Menschen wird angenommen, dass es das Ergebnis erhöhter Konzentrationen zirkulierender proinflammatorischer Mediatoren ist, die durch chronische Entzündungsstimulation – den Prozess der Entzündung – produziert werden. Studien zur Immunalterung beim Menschen haben ferner gezeigt, dass oxidativer Stress eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung chronisch entzündlicher Erkrankungen bei älteren Menschen spielt.

Der altersbedingte Rückgang des Immunsystems kann auch eine wichtige Rolle für die Fähigkeit alter Pferde spielen, sich von entzündlichen Erkrankungen zu erholen. Eine Studie mit Pferden mit natürlich auftretender Colitis (Dickdarm-Entzündung) ergab, dass die Wahrscheinlichkeit des Nichtüberlebens mit jedem Lebensjahr um 11,8 % zunahm, und dass Pferde im Alter von 20 oder mehr Jahren 15,2-mal häufiger starben als junge erwachsene Pferde, unabhängig von finanziellen Erwägungen, sonstigen Erkrankungen und der Dauer des Klinikaufenthalts.

Im Gegensatz dazu fand eine Studie, die die postoperative Genesung nach Kolikoperationen bei alten und erwachsenen Pferden untersuchte, keine Unterschiede in der Schwere des postoperativen Reflux oder der Überlebenswahrscheinlichkeit. „In Bezug auf die Auswirkungen des Alters auf Krankheiten bei Pferden bleibt noch viel zu klären. Ein besseres Verständnis der altersbedingten Immundysfunktion ist erforderlich, um die Entwicklung wirksamer vorbeugender Strategien zur Minimierung chronisch entzündlicher Erkrankungen bei alten Pferden zu erleichtern. Ähnlich wie bei der alternden Bevölkerung besteht großes Interesse daran, eine optimale Gesundheit und Funktion bis weit ins hohe Alter zu erhalten, und es werden Strategien benötigt, um ein vitales, jugendliches Immunsystem in der alten Pferdepopulation zu erhalten.“

Eingriffe und Maßnahmen, die darauf abzielen, die adaptive Immunität zu erhalten und die Verschiebung hin zu einer entzündungsfördernden Tendenz, die bei alten Pferden auftritt, zu verhindern, könnten altersbedingte Krankheiten verhindern bzw. verzögern und die Gesundheit von Pferden bis ins hohe Alter fördern, so die Autorinnen zusammenfassend.

Die Studie „Immunosenescence and inflammaging in the aged horse" von Sally DeNotta und Dianne McFarlane ist am 6. Jänner 2023 in der Zeitschrift ,Immunity & Ageing' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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