Eine kürzlich erschienene Übersichtsstudie betont die Bedeutung einer rohfaserreichen Ernährung für Pferde: Faser- und ballaststoffreiche Rationen und ein kontinuierliches Futterangebot reduzieren das Risiko von Magengeschwüren und verbessern die Verdauung, den pH-Wert im Darm, den Körperzustand, das Verhalten und die Leistungsfähigkeit von Pferden.
Colette Ermers und ihre Forscherkollegen betonten einleitend, dass Ballaststoffe nach Wasser die wichtigste Komponente der Ernährung eines Pferdes sind. „Sein Wert für die Bereitstellung von Energie wird allzu oft unterschätzt“, sagten sie.
Pflanzenfasern existieren in verschiedenen Formen von Kohlenhydraten; Daher sind sie auch als strukturelle Kohlenhydrate bekannt, einschließlich Lignin, Zellulose und Hemizellulose. Sie sind in vielen verschiedenen kommerziellen Futtermitteln zu finden.
In der Natur findet man Ballaststoffe eher im Stamm als in den Blättern von Gräsern und Sträuchern. In konserviertem Futter finden sich Ballaststoffe etwa in Heu und anderem Raufutter – und sowohl ausreichender als auch kontinuierlicher Zugang dazu sind essentiell für die Pferdegesundheit, so die AutorInnen: „Nicht den Ballaststoffbedarf von 1,5 % des Körpergewichts des Pferdes decken zu können und nicht die Möglichkeit zu haben, mindestens acht Stunden am Tag fressen zu können (die nicht länger als fünf Stunden unterbrochen werden sollte), können sowohl physiologische als auch verhaltensbezogene Folgen haben.“
Die Bereitstellung von Heu, sagten sie, kann Koppen, Holzkauen, Koprophagie (Kotfressen), das Fressen von Einstreu, Aggression und Stress reduzieren und in der Folge die soziale Bindung und Zugehörigkeit zu anderen Pferden erhöhen. Die Bereitstellung von unzureichender Faser kann das Wohlergehen beeinträchtigen und die Aggression innerhalb einer Gruppe erhöhen, sagten sie. „Mehr Forschung über die Auswirkungen der Ballaststoffaufnahme speziell auf das Verhalten, ob als Futter oder Konzentrat (wie zum Beispiel in Zuckerrübenschnitzeln) angeboten, wäre von Vorteil.“
Das AutorInnen-Team hob hervor, dass viele Futterrationen oft eher Stärke als Ballaststoffe enthalten, um eine Energiequelle für Pferde bereitzustellen. „Dies kann bei Pferden zu gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Magen-Darm-Trakt führen. Die Wahl einer faserreichen Alternative für Stärke in einer energiereichen Ernährung wird das Risiko des Magengeschwürsyndroms und der Azidose (= Übersäuerung, Anm.) bei Pferden erheblich verringern und die Verdauung, den pH-Wert des Magen-Darm-Trakts, die Körperkondition, das Verhalten und die Leistung verbessern.“
Die AutorInnen wiesen auch darauf, dass die Fütterung von Pferden mit weniger als dem täglichen Mindestbedarf an Ballaststoffen Auswirkungen auf das Verhalten haben kann: „Wie beim Menschen, der bei Hunger verstärkte Aggression und Gereiztheit verspürt, lassen sich auch bei Pferden Zusammenhänge zwischen verändertem Verhalten und Futtereinschränkungen navchweisen“, sagten sie. Beispielsweise wurde berichtet, dass Pferde mit begrenztem Futter ein hohes Risiko für die Entstehung oraler Stereotypien haben – sich wiederholende Verhaltensweisen ohne offensichtliche Funktion oder Ziel.
Es ist nicht bekannt, ob diese Verhaltensweisen, die früher als bloße Untugenden oder Laster betrachtet wurden, durch Gefühle von körperlichem Unbehagen, Hunger oder frustrierter Motivation zur Futtersuche verursacht werden. „Die Ursachen für unerwünschte Verhaltensreaktionen aufzudecken, kann schwierig sein, da oft viele Faktoren an ihrer Entstehung beteiligt sind, etwa Ernährung, Aufregung, die Haltungsform oder Frustration. „Dennoch gibt es klare Hinweise, dass sich das Verhalten ändert, wenn Pferde weniger als den empfohlenen Tagesbedarf an Ballaststoffen erhalten. Selbst, wenn der physiologische Bedarf an Nährstoffen gedeckt ist, bleibt die Motivation zur Futtersuche erhalten.“
„Der Mangel an Möglichkeiten zum Kauen aufgrund der Art und Weise, wie die Nahrung vorgelegt wird, ist bekanntermaßen nicht nur mit oralen Stereotypien verbunden, sondern auch mit Verhaltensweisen wie dem Koppen.“ Es sei auch möglich, dass ein Mangel an Ballaststoffen die Reaktivität erhöht: „Für das gerittene Pferd kann eine erhöhte Reaktionsfähigkeit das Sturzrisiko des Reiters erhöhen. Die Bedeutung des Verständnisses dieser Verhaltenskonsequenzen ist also nicht nur eine Frage des Tierwohls, sondern auch der Sicherheit der Pferdehalter.“
Das AutorInnen-Team hob hervor, dass der Magen-Darm-Trakt des Pferdes an ein nahezu kontinuierliches Weiden und die Aufnahme von ballaststoffreicher Trockenmasse angepasst ist. „Eine Änderung dieses Verhaltens oder der Ernährungsform wirkt sich daher auf den Magen-Darm-Trakt aus. Das kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben“, so die AutorInnen – und es sei schwierig, auch nur eine einzige Rechtfertigung dafür zu finden, Pferden weniger als den täglichen Mindestbedarf an Ballaststoffen zu füttern, so die AutorInnen.
Die Anzahl der Studien, die den Rohfaserbedarf von Pferden festlegen, sei ein gutes Indiz für dessen Bedeutung, so die Autoren. „Obwohl es genügend Beweise dafür gibt, dass eine ballaststoffarme, stärkereiche Ernährung schädliche physiologische Folgen hat und das Tierwohl erheblich beeinträchtigen kann, scheinen diese Informationen nicht die gesamte Pferde-Community zu erreichen. Es ist auch unklar, ob die durch diese Studien gelieferten Beweise dazu geführt haben, dass Pferde im Allgemeinen angemessenes Futter erhalten; die meisten Artikel enden zwar mit Ernährungsempfehlungen, aber selten wird überprüft, ob diese auch tatsächlich eingehalten werden.“
Wenn Pferde nicht mit dem täglichen Mindestbedarf an Ballaststoffen geüttert werden, wird dafür eine Vielzahl an Begründungen bzw. Rechtfertigungen angeführt, so die ForscherInnen: Ein Mangel an Wissen bezüglich Pferdeernährung spiele eine wichtige Rolle – und auch die Haltung, eher der Tradition als der Wissenschaft zu folgen. Beispielsweise gebe es noch immer das Missverständnis, dass Raufutter zwar viel Masse, aber wenig Nährwert bereitstellt – Pferdebesitzer sind dann versucht, dieses Raufutter teilweise durch Kraftfutter zu ersetzen, „in einem unklugen Versuch, das Beste für ihr Pferd zu tun“, so die ForscherInnen.
Die WissenschaftlerInnen wiesen darauf hin, dass es eine Vielzahl von Forschungsartikeln gibt, die den Schaden bestätigen, der entstehen kann, wenn Pferde nicht mit ihrem Faserbedarf versorgt werden, aber eine stärkereiche Nahrung erhalten. „Viele dieser Berichte schließen mit Empfehlungen zur Verbesserung des Fütterungsmanagements. Es wäre wissenschaftlich wertvoll, sich an diese speziellen Trainer und Pferdebesitzer zu wenden, um zu sehen, ob diese Empfehlungen umgesetzt wurden und welche Rechtfertigungen angeboten wurden, wenn die Empfehlungen ignoriert wurden.“
Eine allgemeine Umfrage unter Pferdebesitzern und -trainern zur Untersuchung der aktuellen Fütterungspraktiken und der Psychologie hinter Entscheidungen über die Pferdeernährung könnte Möglichkeiten zur Umsetzung optimaler Fütterungspraktiken aufzeigen. „Die Suche nach Wegen, Fütterungsinformationen einheitlicher und für Pferdebesitzer zugänglicher zu machen, hat das Potenzial, das Wohlergehen der Pferde durch optimierte Fütterung erheblich zu verbessern.“
Die Studie „The Fibre Requirements of Horses and the Consequences and Causes of Failure to Meet Them" von Colette Ermers, Nerida McGilchrist, Kate Fenner, Bethany Wilson und Paul McGreevy ist am 20. April 2023 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.