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Die Fälle des Dr. K.: Wenn der Sattel krank macht
12.11.2022 / News

Ein Sattel, der nicht passt, kann im schlimmsten Fall gesundheitliche Schäden beim Pferd verursachen, die nicht selten gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Doch dass der Sattel die Ursache der Probleme ist, wird nicht immer sofort erkannt – wie zwei Beispiele aus der Gutachter-Praxis von Dr. K. zeigen.

 

Zur „Mängelrüge":
Bei Geschäften zwischen Unternehmerinnen/Unternehmern muss die Käuferin/der Käufer die Ware nach Erhalt untersuchen und allfällige Mängel „binnen angemessener Frist“ bei der Verkäuferin/beim Verkäufer rügen,  andernfalls gehen ihre/seine Ansprüche (z.B. auf Gewährleistung, auf Schadenersatz etc.) verloren.
Auch wenn sich ein Mangel erst später zeigt, muss er der Verkäuferin/dem Verkäufer „binnen angemessener Frist“ angezeigt werden, ansonsten können die Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden.

(Internet: Letzte Aktualisierung: 27. April 2022
Für den Inhalt verantwortlich: oesterreich.gv.at-Redaktion)

 
Die Mängelrüge ist ein Rechtszug, mit dem der Erwerber eines Pferdes oder einer Sache (Kutsche, Sattel usw.) bekannt gibt, dass in seinen Augen grundlegende oder zugesicherte Eigenschaften des Tieres oder der Sache nicht vorhanden sind. Kommt es in der Folge zu keiner Einigung oder Verbesserung, sondern zu einem Rechtstreit, wird meist ein Gutachter beigezogen und vom Gericht bestellt, der nach gerichtlichem Gutachtensauftrag zu untersuchen hat, ob übliche oder zugesicherte Eigenschaften tatsächlich nicht vorliegen bzw. Mängel vorhanden sind, die zum Zeitpunkt der Übergabe – wenn auch nur in ihrer „Wurzel“ – vorhanden waren.
 
 
Fall 1

Sachverhalt des vorliegenden Rechtsfalles
Die Klägerin erwarb vom Beklagten, der einen Handel mit Sportpferden betreibt, am 2.9.200X um € 12.000.00 den Rappwallach D, wobei sie die Absicht hatte, ein Pferd für Turnierverwendung, speziell für den Dressursport, zu kaufen.  Sie ersuchte um Durchführung einer Kaufuntersuchung, welche vom Beklagten bei FTA Dr. Z. in Auftrag gegeben worden ist und von diesem durchgeführt wurde. Ohne das Protokoll der Kaufuntersuchung zu übergeben, teilte der Beklagte der Käuferin mit, dass „alles in Ordnung“ sei.
Noch am Tage der Kaufuntersuchung wurde das Pferd durch den Beklagten auf einem Parkplatz bei B. an die Klägerin übergeben, eine postalische Übersendung des Protokolls der tierärztlichen Kauf-Untersuchung wurde zugesagt.
Bald nach der Überstellung des Pferdes an den nunmehrigen Standort wurde D unter Beritt genommen und in der Folge ein Reittraining begonnen. Als das Reittraining Anfang November 200X intensiviert wurde, zeigten sich zunehmend und sich steigernde Probleme mit der Rittigkeit des Pferdes, bis es zuletzt als „nicht reitbar“ eingestuft worden ist.
Die Klägerin führte das Benehmen des Pferdes auf Schmerzen zurück und wurde in ihrer Annahme durch das mittlerweile beschaffte Untersuchungsprotokoll bestärkt, in welchem von diversen Zubildungen an den Extremitäten berichtet wird. Die Klägerin zog aus diesen Befunden den Schluss, dass D für den Turniersport ungeeignet wäre und begehrt eine Wandlung bzw. einen Rücktritt vom Kauf.
 
Gerichtlicher Gutachtensauftrag
– Wie hoch war der Wert des Pferdes Rapp-Wallach D zum Stichtag 4.9.200X (Tag der Übergabe)?
 
EXKURS: Preis, Wert und Wertermittlung – eine Begriffsbestimmung

Preis
Ein Preis ist ein Geldbetrag, der unter Berücksichtigung individueller Einflüsse zufällig für ein bestimmtes Wirtschaftsgut verlangt, geboten oder bezahlt wird.

Wert
Von einem Wert spricht man bei einem statistisch repräsentativen Durchschnittspreis (Mittelwert) von mehreren konkreten Preisen.

Verkehrswert
– Flexibler Wertbegriff, der keinem konkreten Wert zugeordnet werden kann.
– Ergebnis einer Schätzung, ist ein Wert > kein Preis
– Im ABGB wird der Terminus „Preis“ gleichbedeutend mit „Wert“ angewandt, nicht jedoch in der üblichen Taxationslehre.

Marktwert
– Ist der ordentliche gemeine Preis, den eine bestimmte Sache zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort hat.
– Kommt beim Kauf zwischen Privaten zu tragen (Privatverkaufswert)
– Marktwert Synonym: Der gemeine Wert  wird durch den Preis bestimmt, der gewöhnlich im Geschäftsverkehr nach Beschaffenheit des „Wirtschaftsgutes“ bei einer Veräußerung zu erzielen wäre.

Zeitwert
– Flexibler Wertbegriff, der keinem konkreten Wert zugeordnet werden kann.
– Beschreibt den Wert eines Objekts zu einem festgelegten Zeitpunkt
– Die Zeitkomponente wird bei der Wertermittlung berücksichtigt
– Bei Wirtschaftsgütern: der um die bisherigen Abschreibungen verminderte Anschaffungswert

Sachwert:
– Ist der von Wirtschaftsgütern verkörperte Gebrauchswert
– Ist unabhängig von Geldwertschwankungen
– Nur für Liegenschaften, Immobilien und im Sachwertverfahren

Ertragswert:
Der Wert von Rendite-Objekten wird durch Kapitalisierung der Nettoerträge, die mit diesen Objekten voraussichtlich erwirtschaftet werden, ermittelt.
– Ertragswertverfahren
– Vermietung und Verpachtung
Pferde
– Für die Wertermittlung von Pferden, die Erlöse erzielen wie
– Zuchtstuten, Deckhengste, Rennpferde

Vergleichswert
– Ableitung des Wertes aus tatsächlichen erzielten Verkäufen vergleichbarer Objekte
– Pferde: Rasse, Schlag, Geschlecht, Alter, Farbe, Pedigree, Ausbildungsstand nach objektivierbaren Daten

Wiederbeschaffungswert (Händlerverkaufswert)
– Darunter versteht man den Durchschnittspreis, der am redlichen inländischen Markt bei einer Wiederbeschaffung vom Geschädigten voraussichtlich zu zahlen sein wird.
– Objektiv - abstrakte Ermittlung des allgemeinen und gewöhnlichen Nutzens zum Zeitpunkt einer Beschädigung
o   durch Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung.
– Kein Totalschaden bei Pferden.

Lieberhaberwert – Affektionsinteresse
– Bezifferung eines immateriellen Schadens
– Bemessung durch das Gericht, nicht durch den SV
– Kein Vermögensschaden.

Wertminderung
– Wertminderung durch planmäßigen oder außerplanmäßigen Wertverlust von Gütern durch Schäden oder Nutzungseinschränkung

Merkantiler Minderwert
– Schönheitsfehler oder Funktionsbeeinträchtigung
– Altersabhängige Wertminderung
– Ausbildungsdefizite
– Gefühlsmäßige Abneigung beim Käuferpublikum

Verfahren zur Wertermittlung
– Vergleichswertverfahren
– Ersatzwertverfahren
– Ertragswertverfahren

Quellen: Manfred Köhne: Landwirtschaftliche Taxationslehre (Parey1999), Pick, v.Salis, Schön, Schüle: Der Verkehrswert eines Pferdes (svK Verlag 2005), Schneider. Die Grenzen des Vergleichswertverfahrens bei der Bewertung hochklassiger Sportpferde (HLBS Verlag 2013), Internet.
 
Benötigter Beeidungsumfang für die Gutachtenerstattung im vorliegenden Fall
Der Gutachtensauftrag ist Nomenklatur-überschreitend, weil zu Ermittlung des Zeitwertes auch die gesundheitlichen und reiterlichen Aspekte erhoben und berücksichtigt werden mussten.
11.01:  Veterinärmedizin: Klinische und forensische Pferdemedizin
05.35:  Reiten und Pferdesport: speziell Überprüfung der zugesicherten
             Reiteignung; forensische Hippologie.
33.08:  Haltung, Produkte, Wertermittlung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles.
33.80:  Tierschutz


Befunde

Aus dem Akt

Klage:
[……] Im November 200X habe ich zur Wettkampfvorbereitung mit intensiverem Training mit D begonnen. Schon nach kurzer Zeit sind Probleme aufgetreten. „D“ hat gebockt, ist aufgestiegen und hat mich mehrmals abgeworfen. Grund waren offensichtlich große Schmerzen.
……………….
Letztendlich habe ich die Unterlagen (Protokoll der tierärztlichen Untersuchung; Anm. des SV) erst Mitte März 200X bekommen.
Laut diesem Untersuchungsprotokoll waren u.a. Zubildungen am Strahlbein an den Vorderbeinen und am Talus an den Hinterbeinen festgestellt.
Auf Grund dieser Zubildungen ist das Pferd für das Turnierreiten nicht geeignet, zu welchem Ergebnis auch die Ankaufsuntersuchung kommt.
 
Klageerwiderung:
[….] Tatsache ist, dass die Klägerin seinerzeit mit ihrem Berater in den Stall des Beklagten gekommen ist, um ein älteres Pferd auszuprobieren. Dabei fiel der Klägerin im Stall des Beklagten sofort der Rapp-Wallach D auf….
Beim Ausprobieren kam die Klägerin mit diesem gut zurecht, und kam es zu keinerlei Beanstandung.
[….]
Die Klägerin kaufte das Pferd nicht ausdrücklich als Sportpferd für den Turnierreitsport, wenngleich das streitgegenständliche Pferd die Bezug habenden Eignungen ohnehin aufweist.
Der Wallach ist äußerst gutmütig und von Amateurreitern bereits auf Turnieren in der Klasse A gestartet worden.
 
Klägerin: Tatsache ist, dass im Zuge der Ankaufsuntersuchung von FTA Dr. Z. röntgenologische Veränderungen der Röntgenklasse II bis III festgestellt wurden. […..]  Ich wollte aber von Anfang an ein Pferd für den Turnierreitsport kaufen, was ich dem Beklagten auch mitgeteilt habe.
………….
Der Beklagte hat mir die Unterlagen der Ankaufsuntersuchung nie übergeben. Das war mir zunächst auch nicht so wichtig, da ich auf die Angaben des Beklagten, es wäre alles in Ordnung, vertraut habe und es zunächst auch keine Probleme mit dem Pferd gab.
 
Diese sind erst im November/Dezember 200X aufgetreten, als „D“ mich nach einem längeren Training zum ersten Mal und dann immer wieder abgeworfen hat. Der Grund lag aber nicht – wie der Beklagte vermeint – in einer Disharmonie zwischen mir und dem Pferd, sondern daran, dass dieses offenbar an Schmerzen litt.
……………..
Letztlich haben wir die Unterlagen (Protokoll der Ankaufsuntersuchung; Anm. d. SV) dann von Dr. Z. direkt erhalten.
Erst nach Erhalt der Ankaufsüberprüfung habe ich erkannt, dass der Befund keineswegs unbedenklich ist, sondern Dr. Z. erhebliche röntgenologische Veränderungen an D festgestellt hat, auf Grund derer das Pferd für den Zweck des Turnierreitens ungeeignet ist.
 
Befundaufnahme durch Dr. K.:
Die Befundaufnahme am Pferde erfolgte durch den bestellten SV am 12. März 201X, 11 Uhr am Standort des Pferdes 33xx A.. Anwesend waren die Streitparteien mit ihren Rechtsvertretern. Der SV erläutert den Gutachtensauftrag und das geplante Programm der Befundaufnahme. Es wird ferner erläutert, dass wegen der vom Gericht geforderten Rückdatierung eine sehr gründliche Untersuchung durchgeführt werden müsse.
Vor der Befundaufnahme wurde von Seiten der klagenden Partei mitgeteilt, dass ein Reiter für das Vorreiten des verfahrensgegenständlichen Pferdes nicht zur Verfügung stehen würde, da die Klägerin selber das Pferd nicht zu reiten wage und aus dem Reitstall niemand dafür zur Verfügung stünde. Der Beklagte teilte daraufhin mit, dass er einen Fremdreiter mitgebracht habe. Ob der Fremdreiter zum Einsatz kommen würde, wurde vom SV bis zur Beendigung der klinischen Untersuchung aufgeschoben.
Das verfahrensgegenständliche Pferd wird nun von der Klägerin aus dem Stall am Halfter vorgeführt und vom SV an Hand des Pferdepasses die Nämlichkeit überprüft und bestätigt.
Die folgenden Befunde beziehen sich auf D AT 141-084X-XX, Rappe, Wallach, Warmblut, geb. am 18.5.200x beim Züchter XX. Der Wallach verfügt über einen österreichischen Warmblutbrand sowie den Nummernbrand „44X“. Im Pedigree hat der Wallach viele Vollblüter unter seinen Ahnen, väterlicherseits geht er auf den Staatsprämienhengst „Weltmeister“ zurück. Das Pferd ist vom Landespferdezuchtverband Steiermark registriert. Als Turnierpferd wurde der Rappe am 23.3. 2006 eingetragen.
Soweit nachvollziehbar, weist der Equidenpass eine durchgehende Impfgeschichte auf. Ein Wechsel im Eigentum zur nunmehrigen Klägerin ist im Pass nicht vermerkt.
In der Dokumentenhülle befinden sich auch die Kopfnummern: XXXX. D ist als „lebensmittel-lieferndes Tier“ deklariert.

Eine CD mit Röntgenaufnahmen der Kaufuntersuchung wird dem SV übergeben.

Die klinische Untersuchung wurde nach dem dafür vorgesehenen Schema durchgeführt. Es werden im Folgenden nur Punkte festgehalten, die nicht im Bereich der Norm oder des Physiologischen lagen. Das in gutem Ernährungszustand befindliche Pferd war ruhig und kooperativ, jedoch schlecht bemuskelt und in keinem gehobenen Trainingszustand, außerdem noch im Winterhaar befindlich. Der Wallach war nicht beschlagen.
Bei der Adspektion der Gliedmaßen fallen keine Besonderheiten auf. Die Adspektion des Rückens zeigt eine leichte Atrophie der Rückenmuskulatur.
Es folgen Aufnahmen mit der Wärmebildkamera von Rücken und Extremitäten.
Die Extremitäten werden dann mittels Hufuntersuchungszange und mittels Beugeproben untersucht.
Dabei konnte ein punktueller, gering- bis mittelgradiger Schmerz vorne beiderseits auf der Höhe der Strahlspitze ausgelöst werden.
Die normale Beugeprobe war an allen vier Extremitäten negativ, bei forcierter Beugung konnte ein geringgradiger Schmerz an den Vorderextremitäten ausgelöst werden, der jedoch beim anschließenden Vortraben keine positive Entsprechung fand.
Bei der, im Anschluss durchzuführenden Untersuchung des Rückens löste das bloße Hinführen der untersuchenden Hand bereits eine heftige Ausweich- und Abwehrbewegung aus, das Pferd wich zurück und begann zu steigen. Der Versuch, den Rücken mit einem Rückenpalpator zu untersuchen, wurde nach drei Ansätzen auf jeder Seite wegen Unmöglichkeit bzw. Gefährlichkeit abgebrochen. Die Schmerzreaktionen waren besonders im Bereich des caudalen Widerristes und der Sattellage markant. Die deutlichen Abwehrbewegung der Hinterextremität (Ausschlagen) lassen auf einen mittel- bis hochgradigen Schmerz schließen.
Die Rückenuntersuchungen mit dem Spurrad und dem Tensiometer wurden aus diesem Grund unterlassen.
In der Folge sollte das Pferd in der Bewegung untersucht werden, wobei zunächst Arbeit an der Longe und dann Beritt geplant war. Beides sollte in der Reithalle stattfinden.
Das Angebot der beklagten Partei, den mitgebrachten Fremdreiter einzusetzen, wurde von der klagenden Partei akzeptiert. Der Fremdreiter wurde vom SV auf die Sicherheitsaspekte aufmerksam gemacht und zum Tragen eines Schutzhelmes angehalten.
 

Sattellage von D: Hoher Widerrist, tief eingesattelt. Muskelatrophie erkennbar.
 
D wurde hierauf in der Stallgasse im Beisein des SV gezäumt und gesattelt. Die verwendete Zäumung - die als zum Pferd gehörend bezeichnet wurde – erwies sich als zu klein, sowohl Reithalfter wie auch Reitzaum  passten sehr schlecht, der Nasenriemen und das Stirnband war viel zu kurz. Speziell der Nasenriemen konnte nur im letzten Loch verschnallt werden, was das Pferd extrem beengte. Zusammengefasst muss festgehalten werden, dass die Zäumung nicht annähernd den Regeln der Lehre entsprach. Die Klägerin machte beim Aufzäumen und Verschnallen einen unsicheren Eindruck und ihr Umgang mit dem Pferde war lieblos.

 

Die bei der Klägerin üblich Zäumung: Das Reithalfter ist zu klein, der Nasenriemen liegt zu hoch und zu eng verschnallt. Der Reitzaum ist im Nackenstück zu hoch eingestellt, das Gebiß wird in den Lefzen hochgezogen.
 

Das Pferd wurde mit seinem Dressursattel des Herstellers XX gesattelt, neben einer Satteldecke wurde auch eine Lammfellunterlage verwendet. Der Besattelungsvorgang verlief ohne Probleme. Im Anschluss an den Besattelungsvorgang wurden keine Maßnahmen gesetzt, um den Sattelgurt in seiner Lage zu festigen bzw. zu korrigieren.

Das Pferd wurde dann in die Reithalle gebracht, die Zügel versorgt und vom Fremdreiter mit der Longenarbeit begonnen.
 

 

Verwendet wurde von der Klägerin ein Sattel des Herstellers XX.
Zur Druckentlastung wir neben der Satteldecke noch eine Felleinlage benützt.
 

Die Strupfen im Sattelgurt eingeschnallt.
 
An der Longe ging das Pferd ohne Probleme auf jede Hand in allen drei Grundgangarten willig und kooperativ.
Im Anschluss an die Longenarbeit wurde der Sattel abgenommen und eine Infrarotaufnahme des Rückens angefertigt (siehe Bericht Infrared – Imaging).
Dann wurde der, vom Fremdreiter mitgebrachte Springsattel aufgelegt. Auf Betreiben des SV wurde das Pferd zusätzlich zu den Zügeln mit einem Führstrick verwahrt, um das Sicherheitsrisiko so gering wie möglich zu halten.
Aufsitzen und Angehen im Schritt war unproblematisch, nach etwa 20 m löste die das Pferd führende beklagte Partei den Führstrick und der Fremdreiter ritt frei.
Vom Fremdreiter geritten, ging das Pferd – auf Kommandi des SV – in allen drei Gangarten und auf beide Hände problemlos, willig, durchlässig und ohne Widerstand. Zu keinem Zeitpunkt gab es auch nur den Ansatz einer Widersetzlichkeit. Die Hilfen wurden willig angenommen, die Übergänge waren fließend und geschmeidig.
Der beschriebene Befund des Berittes ist filmdokumentarisch festgehalten (Beilage zum GA).

Nach Abnahme des Sattels wurde eine neuerliche Untersuchung mit der Wärmebildkamera durchgeführt.
 
Eine Untersuchung mit dem Drucktensiometer ergab nun eine deutliche Schmerzempfindlichkeit im Bereich des Widerristes an der Lage des Vorderzwiesels (1.5 bis 1.7 kg/cm²). Im hinteren Bereich der Sattellage und der Lende wurden Druckbelastungen von 4 – 5 kg /cm² problemlos toleriert.
 
Ergänzende informative Befragungen:
Klägerin:

– Nach Übernahme des Pferdes wurde diesem eine Eingewöhnungszeit von etwa 14 Tagen gewährt. In dieser Zeit wurde das Pferd im Schritt geführt, mit der Umgebung vertraut gemacht und gelegentlich longiert.
– Nach diesen 14 Tagen begann sie das Pferd zu reiten, Probleme traten dabei nicht auf. Es war zu diesem Zeitpunkt noch ein anderer Sattel in Verwendung.
– Kurz darauf wurde ein Kurs besucht, der an zwei Wochenenden absolviert wurde, und an dem sie pro Tag etwa 1 ½ Stunden geritten ist. Als Trainer fungierte hierbei bis Mitte bzw. Ende 200X Stefan P., trainiert wurde an 2 Wochenenden ca. 1 ½ Stunden pro Tag.
Die Probleme mit dem Pferd begannen im November 200X und entwickelten sich kontinuierlich steigernd.
– Gewaltsame Methoden wurden auch nach Auftreten des Rittigkeitsverlustes nie angewendet, sehr wohl haben aber beide Reitlehrer das Pferd geritten, Stefan P. nur einmal, B. M. mehrmals.
– Als Trainer bis Ende Jänner / Anfang Feber 200X fungierte B. M., wobei dieser 2 bis 3 Mal pro  Woche für 50 Minuten mit dem Pferd gearbeitet hat. Es wurde ein spezielles Reittraining der Klasse A und L durchgeführt.
– Zu keinem Zeitpunkt hat die Klägerin mit D ein Aufbau- oder Muskeltraining durchgeführt. Ihrer Einschätzung war das Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe im Training gewesen.
Eine tierärztliche Untersuchung oder eine Blutuntersuchung wurde nie durchgeführt, obwohl die Klägerin überzeugt davon war, dass die Verhaltensänderung des Pferdes durch Schmerzen verursacht wurde. (Hier ist festzuhalten, dass das Pferd am 6.10.200X und am 6.4.200X den Pferdesport-Tierärzten Dres. S. zur Impfung vorgestellt worden war!).
– B. M. hatte den Verdacht geäußert, der Rittigkeitsverlust gehe auf die Zähne zurück. Nach einer Zahnkorrektur hatte man auch zunächst den Eindruck, „es werde besser“.
Ende Jänner 200X war das Pferd jedoch dann nicht mehr reitbar und wurde in der Folge außer Dienst gestellt.
– Die Klägerin hat seit 2008 die Lizenz RD1, die Prüfung erfolgte im Reitstall G.; spezielle Kenntnisse über Training und Aufbau von Pferden hat sie nicht.
– Damian ist ihr erstes eigenes Pferd, zuvor hatte sie 2007/2008 eine Reitbeteiligung an einem erfahrenen Pferd des Stalles.
– Zum Zeitpunkt der Übernahme war das Pferd beschlagen.
Sowohl Zaumzeug wie auch Sattel – wie bei der Befundaufnahme gezeigt und verwendet – waren von ihr speziell für D angeschafft worden und standen ständig in Verwendung. Diese Mitteilung wurde später relativiert: bis Anfang Dezember 200X wurde ein N. – Sattel verwendet, anschließend kam der XX -Sattel in Verwendung.
Auf Befragen durch den SV teilte die Klägerin mit, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, dass der Rittigkeitsverlust mit dem Sattel zusammenhängen könnte.
– Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme war das Pferd über ein Jahr nicht mehr geritten worden, es war jedoch an der Longe und in der Führmaschine bewegt worden.
 
Eigene Erhebungen
Mit ausdrücklicher Zustimmung durch die Streitparteien und deren Rechtsvertreter war vereinbart worden, dass der SV Dr. K. im Sinne einer informativen Befragung versuchen wird, mit der in Beilage ./1 bis ./3 aufgeführten früheren Reiterin des Pferdes Kontakt aufzunehmen, um nähere Informationen über das verfahrensgegenständliche Pferd zu erhalten.
 
Durch Eingabe des Namens dieser Reiterin war über die Suchmaschine Google ein Kontakt beim ersten Versuch möglich. Der SV übermittelte per E-Mail einen Fragenkatalog.
 
Die Antworten erfolgten prompt. 
Sent: Wednesday, April 21, 20xx 12:42
AM Subject:
Re: Höfliche Anfrage
> > Gerne nehme ich zu xxxx und meinem gemeinsamen reiterlichen Weg Stellung. >
>> 1. Haben Sie das Pferd nur bei diesen drei Bewerben geritten, oder waren Sie intensiver mit dem Pferd befasst?
> Ich hatte meinen ersten Start mit D bei besagten Bewerben im Jahr
> 20xx (als 5jähriger). Es war sein erstes Turnier und gerne denke ich daran
> zurück, unsere Ergebnisse > (Datei beigefügt)
> waren mehr als zufriedenstellend. Hier bin ich ihn davor nicht sehr lange
> geritten, wir harmonierten aber von Anfang an.
> > Weiter ging es turniermäßig erst im Jahr 20xx, in welchem ich ihn bis Ende
> August/Anfang September geritten bin (im August sind wir jedenfalls noch
> gestartet).
> -Turnier in Frauenthal Juni 200X (4 Bewerbe + Rechenbewerb -> Geldpreis) > (Datei beigefügt)
> Ich bin von beiden Turnieren mit gutem Gefühl nach Hause gekommen, mit den
> Ergebnissen waren ich und der Besitzer  sehr zufrieden. Aufs > Reiten selbst bezogen gab es auch nie Schwierigkeiten. >
>> 2. Gab es bei den Gelegenheiten, bei welchen Sie das Pferd geritten haben, Auffälligkeiten?
> Nein. Definitiv nicht. Ich habe D als sehr williges, fleißiges Pferd
> in Erinnerung und wie gesagt, auch immer so kennengelernt. >
>> 3. Haben Sie aus Ihrer Sicht als sehr erfolgreiche Reiterin eine bedeutsame Zusatzinformation zu "D"?
> Ich war auf den Turnieren immer positiv von ihm überrascht, da man von
> einem jungen Pferd ja nicht erwarten kann, dass alles reibungslos abläuft.
> > Ich hoffe, Ihnen geholfen zu haben und würde auch telefonisch für weitere > Auskünfte zur Verfügung stehen! > > mfg > -- > ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 
Sachverständige Fallanalyse durch Dr. K.:

Zum Pferd 
Der zum Zeitpunkt der Befundaufnahme etwa 8 jährige Wallach entspricht in Aussehen und Veranlagung einem weit förderbaren Dressurpferd. Im Zuge der Klagegeschichte wurde ausschließlich der Rittigkeitsverlust, nie jedoch eine Lahmheit berichtet.
Das Pferd hat in der Zeit von 16.6.20X7 bis 10.8.20X8 13 Bewerbe bestritten, darunter zwei Springprüfungen.
Unter den Dressurprüfungen waren 6 der Klasse A, 5 der Klasse L.
In der Klasse A lagen die Wertnoten im Bereich von 6.5 bis 7 (ziemlich gut), in der Klasse L bei 5.7 bis 6.3 (befriedigend). Sämtliche Dressurprüfungen wurden von V. R. geritten, weshalb ihre informative Mitteilung (siehe E Mail) auch von besonderem Wert für den SV ist.
Frau R. beschreibt das Pferd als willig, fleißig und problemlos. Wortwörtlich teilt sie mit “Aufs Reiten selbst bezogen gab es auch nie Schwierigkeiten“.

Der letzte Bewerb vor Verkauf des Pferdes wurde von Frau R. am 10.8.20X8 geritten, also etwa 3 Wochen bevor das Pferd in das Eigentum der Klägerin übergegangen ist.
Aus fachlicher Sicht ist hieraus mit hoher Wahrscheinlichkeit abzuleiten, dass der Wallach zum Zeitpunkt der Übergabe im Hinblick auf die Rittigkeit in Ordnung war.

Als aber im September und Oktober 20X8 das Pferd bei der Klägerin dann einer intensiven Reitverwendung unterzogen wurde und zusätzlich ein neuer Sattel  für das Pferd angeschafft worden war, schaukelte sich der Rittigkeitsverlust systematisch und kontinuierlich bis zur Un-Reitbarkeit auf.
Aus sachverständiger Sich ist nicht nachvollziehbar, warum seitens der Klägerin und deren Berater und Reitlehrern S. P. und B. M. keine intensivere Ursachenforschung betrieben wurde.  So waren z.B. die Pferdesporttierärzte Dres. S. sowohl am 6.10.20X8 wie auch am 6.4.20X9 zur Impfung beim Pferd, ohne jedoch in gesundheitlicher Hinsicht konsultiert worden zu sein.

Wie die Klägerin selber mitteilte, hatte „man an den Sattel“ als Ursache dieser Entwicklung nie gedacht, wobei die Passform von Sattel und Zäumung eine der Grundvoraussetzungen für die Ausübung des Reitsportes ist. Für optimale Passform von Sattel und Zäumung zu sorgen, ist – nach dem Code of Conduct der FEI - eine der Kardinalspflichten eines jeden Reitsportausübenden.
Durch Verwendung ungeeigneter Zäumung – wie im vorliegenden Falle – und eines völlig unpassenden Sattels – wie im vorliegenden Falle – wurden dem Pferd „unnötige, weil vermeidbare Qualen“ zugefügt.

Die Untersuchung bei der Befunderhebung hat einen hochempfindlichen Rücken gezeigt, dessen selbst nur leichte Berührung zu heftigen Ausweich- und Abwehrreaktionen geführt hat.
Dieser Rücken ist „krank“ und bedarf- bevor das Pferd in weitere Reitverwendung kommt – einer zielgerichteten Behandlung. Der Austausch des Sattels alleine wird das Problem mit großer Wahrscheinlichkeit nicht lösen.

Es ist aus fachlicher Sicht davon auszugehen, dass das Pferd Schaden genommen hat, ob dieser – speziell im Hinblick auf das Schmerzgedächtnis – ein bleibender und daher wertmindernder sein wird, kann aus heutiger Sicht nicht mit Sicherheit festgestellt werden.   

Fest steht, dass der Wallach D zum Zeitpunkt der Übergabe die von der Klägerin ausbedungene Eigenschaft „Eignung zum Turniersport in der Sparte Dressur“  – durch Turnierergebnisse nachvollziehbar – aufgewiesen hat.

Inwieweit eine Mitteilung über die Röntgenklassen durch den Beklagten an die Klägerin eine Rolle spielt, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung. 
 
Grundwert ohne werterhöhende Faktoren (Vergleichswert)
Der Marktwert eines nach Alter, Geschlecht, Rasse, Exterieur und Verwendungszweck vergleichbaren, gesunden und einsatzbereiten Pferdes betrug zum Vorfallzeitpunkt:
Im Durchschnitt europäischer Pferdemärkte wurden veranlagte Dressurpferde mit ansprechenden Farben, gutem Gebäude und guten Grundgangarten, die charakterlich einwandfrei waren, Ende 2008 mit Preisen zwischen € 8.500.00 und 16.500.00 gehandelt. Dies ergibt einen Durchschnittspreis von € 12.500.00 für ein in Alter, Geschlecht und Veranlagung vergleichbares Pferd.
 
Zur Information:
Bei der Hannoveraner – Winterauktion 2008 kostete der teuerste Hengst (Dressur) € 72.000.00, aus 121 verkauften Pferden ließ sich ein Durchschnittspreis von € 13.495.00 ermitteln.

 
 
Zusammenfassung der Wertermittlung

Der Wallach D präsentierte sich anlässlich der Befundaufnahme im Winterhaar und mit mäßiger Bemuskelung. Das Pferd ist im Typ außerordentlich ansprechend, hat ein gutes und ruhiges Auge und bringt die, für ein weit zu förderndes Dressurpferd nötigen Reitpferdepoints mit.
Die Vorführung an der Longe und unter dem Sattel verlief problemlos. Das Pferd erwies sich im „Handling“ als kooperativ, freundlich und bemüht.
Im Beritt durch den Fremdreiter imponierten die ehrlichen Grundgangarten und die Durchlässigkeit, die sich vor allem in den Übergängen, Tempowechseln und Handwechseln zeigte.
 
Auf Grund der Vergleichswertschätzung ist dem Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe mit der Prämisse üblicher Gesundheit und sofortiger Einsetzbarkeit zum üblichen, altersabhängigen Gebrauch ein Grundwert von € 12.500.00 beizumessen.
Traditionell liegt der Wert für österreichische Warmblutpferde etwa 3 bis 5 % unter dem, vergleichbarer hannoverscher Pferde.
Für nachgewiesene Eigenleistung auf Turnieren der Klasse A und L gebührt der Multiplikator 1.5 (Mittelwert).
Ohne gesundheitliche Beeinträchtigung (Röntgenklassen !!) wäre somit der Zeitwert des Pferdes zum Zeitpunkt der Übergabe – gesund und einsatzbereit-  mit € 18.750.00 anzunehmen. (Grundwert x Multiplikator für nachgewiesene Eigenleistung)

Bei der vom FTA Dr. Z. durchgeführten Kaufuntersuchung     wurden auch routinemäßige Röntgenbilder erstellt, deren Befundung eine Einstufung des Pferdes in die Röntgenklasse II (bis III) nach sich zieht.
 
Röntgenklasse II: Definition
Röntgenologische Befunde, die gering von der Norm abweichen, bei denen klinische Erscheinungen unwahrscheinlich sind.

Röntgenklasse III: Definition
Röntgenologische Befunde, die deutlich von der Norm abweichen, bei denen klinische Befunde wenig wahrscheinlich sind.
Als klinischer Befund ist vor Allem eine Lahmheit anzusprechen.
 
Im vorliegenden Fall ist eine Lahmheit nicht nachvollziehbar!
 
Im Standardwerk „Liste zur Beurteilung von Wertminderungen des Verkehrswertes eines Pferdes durch Gesundheitsstörungen und Mängel“ geben die Autoren Schüle/Pick und v. Salis an:
Wertverlust
Röntgenklasse II                            Sportpferd   10-20 %  Wertminderung
(Röntgenklasse III                          Sportpferd   20-30 %  Wertminderung)
 
Es hat sich eingebürgert, die jeweils mittleren Ansätze für Pferde ohne Lahmheitszeichen anzuwenden: dies bedeutet im vorliegenden Fall das Mittel aus 10 und 20 %, mithin 15 % - d.h. einen Abzug vom ermittelten Vergleichswert von € 18.750.00 um den Betrag von € 2812.50, womit der Zeitwert des Pferdes D zum Zeitpunkt der Übergabe vom Beklagten an die Klägerin auf € 15.937.50 geschätzt wird.
(Der tatsächlich entrichtete Kaufpreis betrug € 12.000.00)

 


Gutachten
 
– Der Zeitwert des verfahrensgegenständlichen Pferdes D zum 4.9.20X8 (Tag der Übergabe) wird auf € 15.937.50 geschätzt.

– Der Rittigkeitsverslust gemäß der Klage ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die im Röntgenbefund festgehaltenen Veränderungen zurückzuführen.

– Der Rittigkeitsverlust gemäß der Klage ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Verwendung eines nicht passenden und unnötige Qualen zufügenden Sattels zurückzuführen.

– Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme war das Pferd „rückenkrank“; ein bleibender Schaden ist nicht auszuschließen.
 

Die forensische Relevanz zum Thema (Quelle: www.pferd.co.at/Downloads)

222. Strafgesetzbuch  (1) Wer ein Tier                    
1.
roh misshandelt oder ihm unnötige Qualen zufügt….
 
Unnötig sind Schmerzen und Qualen dann, wenn sie leicht vermeidbar sind. Unsachgemäße Zäumung und drückende Sättel sind keine Einwirkungen auf Pferde, die mit einem Achselzucken abzutun sind, sie haben vielmehr strafrechtliche Relevanz, wie übrigens auch angezurrte Nasenriemen oder zwickende Stirnbänder.
Im geregelten Pferdesport, aber auch im Freizeitsport mit Pferden ist keine Tendenz zu erkennen, dass dem Eigentümer, Besitzer oder der „person responsible“ eines Pferdes ein größerer Freiraum als anderen Personen für Rohheit oder Unnötigkeit von Qualen eingeräumt würde – in den Augen der Gesellschaft – und auch des Autors – ist das Gegenteil der Fall: dem zuvor erwähnten Personenkreis ist eine „Garantenstellung“ für die allgemein geforderten Paradigmen von  „horses health and welfare“ zuzuordnen.
 
Die moderne Literatur (z.B. Wonisch: Tierquälerei - § 222 unter besonderer Berücksichtigung des Bundestierschutzgesetzes, 2008, WNV) betrachtet jeden erheblichen körperlichen Angriff auf ein Tier als Misshandlung, akuter Schmerz – wie im vorliegenden Fall durch den nicht passenden Sattel und durch Zäumungsfehler - ist nicht unbedingte Voraussetzung.
Als körperliche Leiden werden die Folgen physikalischer Einwirkung auf ein Tier betrachtet, die noch nicht unbedingt mit Schmerz verbunden sind, aber einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens von nicht ganz kurzer Dauer entspringen. Dauern die körperlichen Leiden in ihrer Intensität über eine, nicht vernünftige und nötige Zeitspanne hinaus an, entwickeln sich daraus Qualen, die als „rohe Misshandlung“ einzustufen sind, wenn das Fehlen eines vernünftigen und berechtigten Zwecks, gepaart mit Ausmaß und Intensität der Zufügung einen Mangel an Gefühl beim „Täter“ vermuten lassen kann.

(Der wissenschaftlich-veterinärmedizinische Stand dieses Gutachtens entspricht dem Jahre 2010)

Erstellt: 12.10.2022
 


Fall 2

Sachverhalt des vorliegenden Rechtsfalles
Die klagende Partei kaufte am 18.6.201X bei der beklagten Partei einen Sattel und bezahlte diesen mit € 2220.00. Es stellte sich jedoch nach Angabe der Klägerin heraus, dass der Sattel dem Pferd nicht passt und ihm Schmerzen verursacht.

Gerichtlicher Gutachtensauftrag
– Passt der Sattel genau für dieses Pferd (zum Zeitpunkt 18.6.20X3)?
o   Warum?
o   Warum nicht?
– Ist die von der Klägerin und der Zeugin geschilderte Verletzung des Pferdes auf den Sattel zurückzuführen?
o   Warum?
o   Warum nicht?
– Ist der Sattel auch auf Grund der am 18.9.20X3 vorgenommenen Änderung (nicht) geeignet für das Pferd?
o   Warum?
– Liegt am Sattel ein Mangel vor?
– Wenn am Sattel ein Mangel vorliegt, wie ist dieser behebbar?
– Ist die verwendete Satteldecke die Ursache für die Verletzung?

Merke:
Audiatur et altera pars! – Beide Seiten müssen gehört werden!
De omnibus dubitandum! – Alles ist in Zweifel zu ziehen!

 
Benötigter Beeidungsumfang für die Gutachtenerstattung im vorliegenden Fall
11.01: Klinisch-forensische Veterinärmedizin
05.35: Reiten und Pferdesport im Allgemeinen
33.08: Pferde: Produkte, Zubehör
33.80: Tierschutz

 
Befunde
 
Aus dem Akt
Klage:  Die beklagte Partei hat einen Sattel ausgeliefert und mit Rechnung vom 18.6.20X3 mit € 2220.00 in Rechnung gestellt und bezahlt erhalten. Der Sattel passt jedoch nicht und verursacht beim Pferd Schmerzen.
………….
Es liegt ein unbehebbarer Mangel vor….
 
Klageerwiderung:
Es wird außer Streit gestellt, dass die Klägerin bei der beklagten Partei einen Dressursattel der Marke XY, „W....... DR 2, schwarz EXCLUSIV“ Seriennummer 028um08XXX zum vereinbarten Preis von € 2220.00 gemäß Rechnung vom 18.6.20X3 gekauft, übernommen und bezahlt hat.
………….
Es ist jedoch der Sattel, bei dem es sich um keinen Maßsattel handelt, für das Pferd der Klägerin durchaus passend und daher nicht mangelhaft.
 
Vorbringen der Klägerin:
Am 18.6.20X3 kam ein Vertreter der beklagten Partei zum Reithof, wo der Schimmel der Klägerin eingestellt ist.
Er versicherte ihr, dass der Sattel für den Schimmel genau passen würde. Er kenne sich aus und wisse, wie ein Sattel auf das Pferd passe.
…………..
Nach einigen Tagen musste die Klägerin feststellen, dass entgegen der ausdrücklichen Zusicherung des Verkäufers der beklagten Partei der Sattel nicht gepasst hat. Ein Satteldruck war nicht entstanden und lag der Sattel an einer Stelle auf, an der er nicht aufliegen sollte.

Dies verursachte dem Pferd erhebliche Schmerzen und konnte der Sattel in weiterer Folge nicht mehr verwendet werden. ……
………………
Nach zahlreichen Urgenzen wurde am 18.9.20X3 eine kleine Änderung am Sattel vorgenommen. …
Der Sattel schmerzt das Pferd nach wie vor, sodass der Sattel nicht verwendet werden kann.
 
 
Vorbringen der beklagten Partei:
Die Klägerin hat aber zumindest vier Sättel ausprobiert, und zwar in der Form, dass zunächst jeweils die Passung des jeweiligen Sattels auf dem Pferd abgeklärt wurde und sie anschließend den  jeweiligen Sattel probegeritten hat.
……….
Er (der Geschäftsführer der beklagten Partei; Anm. d. SV) hat dabei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um einen vorgefertigten und nicht um einen Maßsattel handelt.
 
Der Geschäftsführer der beklagten Partei ist nach der Mängelrüge deshalb zur Klägerin gefahren und hat die Passung des Sattels überprüft. Er musste dabei feststellen, dass das Pferd insbesondere im Bereich der Schulter abgenommen hatte, sodass er die Kammer des Sattels enger stellen musste, was beim gegenständlichen Sattel einfach zu bewerkstelligen war.
 
Vorbringen der Klägerin
Der gegenständliche Sattel war der Einzige, der uns so halbwegs gepasst hat. …
Wir haben den Sattel dabei auch auf den Pferderücken gelegt, und auch so befestigt, wie es sich gehört. Ich bin auch mit meinem Pferd geritten, in etwa 10 Minuten.
…………………….
Ich reite jeden Tag mit meinem Pferd und habe dann nach drei Tagen bemerkt, dass der Sattel nicht passt. Ich habe zuerst bemerkt, dass das Pferd nicht mehr so vorwärts geht. Der Sattel hat deswegen nicht mehr gepasst, weil beim Pferd unterhalb der Mähne an der vorderen Stelle, wo der Sattel aufsitzt, am Rückgrat das Fell weggewesen war. Man hat gesehen, dass die Haut „schön rot“ ist. Die Fläche war kreisförmig und hatte in etwa einen Durchmesser von 1 cm.
 
Mitte September 20X3 war dann die Besichtigung des Sattels samt Pferd. Der Geschäftsführer der beklagten Partei sagte, dass sich der Widerrist beim Pferd verändert hätte, weil das Pferd mehr Muskel aufgebaut hätte, und dadurch der Sattel nunmehr zu eng sei. Daraufhin hat er beim Sattel etwas verändert. …… und sagte daraufhin, dass der Sattel nunmehr passt. Am besagten Tag habe ich das Pferd allerdings nicht Probe geritten.
Das Pferd ist 6 Jahre alt, es ist eine Trakehnerstute.
……….
Auffällig zugenommen hat es jedoch nicht. Mit dem anderen Sattel hatte ich kein Problem. Ich habe diesen zwischen dem 18.Juni und 18. September 20X3 verwendet. Das Pferd ist dabei wie normal marschiert. Ich benütze das Pferd ja auch für Turniere.
 
Vorbringen der beklagten Partei:
Ich habe ihr (gemeint ist die Klägerin; Anm. d. SV) verschiedene Sättel gezeigt und auch angepasst. Damit ist gemeint, dass ich den Sattel nicht nur auf das Pferd gelegt habe, sondern auch jeweils an das Pferd angepasst habe.
…………..
Dadurch, dass dieser Sattel ein Kopfeisen drinnen hat, ist er eben kalt verstellbar. Das habe ich bei allen Sätteln, die die Klägerin ausprobiert hat, so gemacht. Dieses Verstellen dauert ca. 5 Minuten. Das Verstellen kann nur ich mit den Maschinen, aber nicht der Kunde.
………………
Zwischen Sattel und Widerrist sind 6 bis 6.5 cm Platz.
Das Problem des Satteldruckes hat sie mir aber nicht geschildert und nur gesagt, dass das Pferd vorne offen sei. … Das konnte meiner Meinung nach möglich sein, wenn die Satteldecke von schlechter Qualität ist oder nicht vorgeformt ist, weil auch der Pferderücken ein bisschen „durchhängt“.
………………..
Ich habe mir bei meinem Besuch den Sattel angesehen und festgestellt, dass das Pferd ein bisschen schmäler geworden ist, sodass der Schwerpunkt beim Sattel nicht mehr gestimmt hatte und habe dadurch die Kammerweite um einen halben Zentimeter enger gestellt.
 
Aussage der Zeugin L. (Schwester der Klägerin):
Darauf haben wir zwei uns beratschlagt, ob der Sattel für uns passt und im Anschluss haben wir gefragt, ob der Sattel auch für das Pferd passt.
………..
2 – 4 Tage nach dem Kauf des Sattels haben wir festgestellt, dass das Pferd aufgescheuert ist…Es ist so, dass meine Schwester und ich abwechselnd einmal pro Tag das Pferd reiten. Dabei reiten wir jeweils mindestens eine Stunde.
………….
Meine Schwester hat diese Verletzung zuerst bemerkt. Drauf hin wurde dieser Sattel von uns nicht mehr verwendet.
………………..
Zwischen 18.6.20X3 und 18.9.20X3 hat sich meiner Meinung nach das Pferd nicht wesentlich verändert.
Die Abschürfung war nach der Mähne am vorderen Ende des Sattels. Die Abschürfung war ellipsenförmig mit 1-2 cm Durchmesser.
 
Befundaufnahme durch Dr. K.:
Die Befundaufnahme durch den bestellten SV fand am 6.3.20X4 von 15.00 bis 17.00 Uhr am Standort des Pferdes am Reitbetrieb H. statt.
Bereits zwei Tage zuvor hatte der Beklagtenvertreter  im SV Büro angerufen und angekündigt, beim Befundaufnahmetermin nicht anwesend zu sein. Bei dieser Gelegenheit betonte er, dass es sich im vorliegenden Rechtsstreit um einen Konfektionssattel und nicht um einen Maßsattel handeln würde.

Beim Befundaufnahmetermin waren die Klägerin, ihre Schwester, der Klagevertreter  und der Beklagte anwesend. Das beabsichtigte Programm der Befundaufnahme sowie der gerichtliche Auftrag wurden erläutert, Erlaubnis zum Fotografieren mit Personenabbildung wurde erteilt.

Der Klägerin war schriftlich aufgetragen worden, das Pferd geputzt vorzubereiten und für einen Reiter zu sorgen. Dem wurde entsprochen.

Dem Beklagten war schriftlich aufgetragen worden, „Werkzeuge“, die er zum Verstellen des Sattels verwendet hatte, zur Demonstration mitzubringen.  Dieser Aufforderung wurde nicht entsprochen.

Das Pferd befand sich beim Eintreffen in seiner Box und war vorher nicht bewegt worden.

Als erster Schritt der Befundaufnahme wurden von einem kleinen Balkon Infrarotaufnahmen von der Oberseite des Pferdes – jeweils von rechts und von links – angefertigt.

 

1. Die Vorhand des Pferdes vor dem Beritt – die roten Zonen markieren Bereiche mit höherer Temperatur.

 

2. Die Mittelhand: die markierten Punkte geben die Temperaturverteilung entlang der Wirbelsäule an.
 

3. Die Hinterhand: ein deutlich kühlerer Bereich
 

 4. Die Vorhand: unsymmetrische Temperaturverteilung
 

5. Die Mittelhand: Vergleich der Temperatur über den Dornfortsätzen in der Mitte der Sattellage im Vergleich zum Übergang Lendenwirbelsäule zu Kreuzbein.
 

6. Die Hinterhand: Temperaturvergleich vom  hinteren Drittel der BWS zur Sakralgegend.
 

 7. Aufnahmen nach dem Beritt des Pferdes mit dem streitbehafteten Sattel. Die höher temperierten Zonen des Sattel – Abdrucks machen einen „aus der Spur“ gehenden Eindruck.
Der blau umrandete Teil, in dem sich die Stelle befindet, an der der Sattel eine „Abschürfung“ verursacht haben soll, ist nicht merklich höher temperiert.
 

8. Aufnahmen nach dem Beritt des Pferdes mit dem streitbehafteten Sattel. Die höher temperierten Zonen der Sattelauflage machen einen „aus der Spur“ gehenden Eindruck.
Der blau umrandete Teil, in dem sich die Stelle befindet, an der der Sattel eine „Abschürfung“ verursacht haben soll, ist nicht merklich höher temperiert.
 
Nach der Anfertigung der Infrarotaufnahmen wurde folgende Checkliste abgearbeitet. Abweichungen sind mit X, Besonderheiten des Einzelfalles in rot dargestellt.

 

Die Aufnahmen 9 und 10 zeigen den Körperbau der Klägerin (rechte Seite mit quergestreiftem Pullover), auf der linken Seite den ihrer Schwester, der Zeugin L. Beide wollen denselben streitbehafteten Sattel auf dem Schimmel verwenden. 
 

11. Der Sattel ist im Kissen nicht symmetrisch und weist in der linken 
Naht Faltenbildungen auf.
 

12. Der lose aufgelegte Sattel liegt „über“ dem Pferd und nicht „im“ Pferd, was den Schwerpunkt des Reiters ungünstig nach oben verlagert. Zu beachten ist auch der tonnenförmige Thorax und Bauch.
 

13. Der Pfeil markiert die „haarlose“ Stelle – eine Berührung mit dem Sattel findet an dieser Stelle nicht statt.
 

14. Trotz gleicher Länge beider Steigbügelriemen sitzt die Reiterin mit dem rechten Bein tiefer als mit dem linken – aufgenommen im Stehen.
 

15. Der Schimmel ist ein „Bergab“-Pferd und wird zusätzlich auf der Vorhand geritten – die Reiterin sitzt am Vorderzwiesel – der Sattelgurt ist in die Ellbogenbeuge gerutscht.
Anlässlich der Befundaufnahme wurde das Pferd nur von der Schwester der Klägerin, der Zeugin L. geritten, deren Reitbemühungen in bescheidenem Niveau angesiedelt sind. Festzuhalten ist, dass das Pferd eine völlig inkorrekte Verschnallung des Sperr- und Nasenriemens aufgewiesen hat.
 
Sachverständige Fallanalyse durch Dr. K.:

Der Sattel wird als „Modell“ auf der HP der Herstellerfirma naturgemäß in Idealposition dargestellt. Dabei ist zu erkennen, dass der Hinterzwiesel im Verhältnis zum Vorderzwiesel etwa 3 cm höher ist. Im Vergleich: beim verfahrensgegenständlichen Sattel beträgt diese Differenz nur 1.5 cm, was bewirkt, dass der Sattel nach hinten „hängt“ und der Schwerpunkt eines Reiters verlagert wird. Auf die Zuordnung des Sattels seitens der Herstellerfirma an „Dressurkünstler“ sei verwiesen.
 
Das „Passen“ eines Sattels hängt im Wesentlichen von folgenden Faktoren ab:
 
– Der Sattel liegt angenehm und flächendeckend auf dem Pferderücken, lässt die Dornfortsätze der Brustwirbelkörper frei und behindert das Pferd in der Schulterfreiheit nicht. Diese Voraussetzungen werden erfüllt, wenn die Weite des Kopfeisens, die Form des Sattelbaums und die Ortsspitzenweite korrekt sind.
 


– Der Sattel ist der in seiner Lage der Körperform des Pferdes dergestalt angepasst, dass er während des Berittes nach Anziehen des Sattelgurtes in seiner korrekten Lage bleibt, also weder nach vorne noch nach hinten rutscht.
– Der Sattel passt von der Größe der Sitzfläche, von der Form des Sattelblattes, der Höhe des Hinterzwiesels und der Lage der Steigbügel harmonisch zur Figur des Reiters.
– Ein schlecht passender oder schlecht sitzender Sattel kann durch keine Sattelunterlage kompensiert werden.

Diese Forderungen sind speziell bei einem Dressursattel unabdingbar, weil in der Dressurreiterei mehr als bei anderen Reitsportausübungen „ausgesessen“ geritten wird.

Soll ein Sattel von mehreren Personen benützt werden, ist dies speziell bei Dressursätteln sehr problematisch und würde –hypothetisch – gleiche Figur, gleichen Sitz und gleiche Einwirkung durch die Sitzhilfen voraussetzen. Ist ein Sattel einmal eingesessen, so passt er sich der Reiterfigur wie ein Schlüssel dem Schloss an.

Die Vermessung der Distanz von Knie zu Gesäßende der beiden, den Sattel benützen wollenden Reiterinnen ergab ebenso eine Differenz wie die Körpergröße, das Körpergewicht und  die Form des Gesäßes.

Alleine vom Charakter dieser Parameter ist für Fachleute ablesbar, dass der gegenständliche Sattel den Reitbemühungen der Klägerin und ihrer Schwester nicht gerecht werden kann.

Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass der Sattel am Pferd offenbar nicht in der korrekten Sattellage gehalten werden kann. Dies hängt einerseits mit der speziellen Form des Brustkorbs des gegenständlichen Pferdes zusammen, anderseits mit dem Umstand, dass dieser Dressursattel – wie heute üblich - nur über zwei Strupfen verfügt, weshalb eine individuelle „Einstellung“ auf die Körperform des  Pferdes, wie dies bei Sätteln mit drei oder vier Strupfen möglich ist, nicht erfolgen kann.

Das „Rutschen“ des Sattels hängt zusätzlich  mit der Reitweise – zumindest – der Zeugin L. zusammen, die  ausgesessen am Vorderzwiesel reitet, beim Leichtreiten jedoch mit starker Bewegung „aufsteht“.
Die Sitzfläche des Sattels ist zumindest für die Zeugin L. zu groß, zusätzlich wirkt der zu niedrige Hinterzwiesel zu wenig umschließend  auf den Sitz der Reiterin.

Es ist zu erwarten – dies wurde jedoch nicht überprüft - dass die Klägerin den Sattel besser ausfüllt, wiewohl der Einwand des zu niedrigen Hinterzwiesels auch bei ihr wirksam wird.
Zum besonderen Hinweis des BKV, dass es sich gegenständlich um einen Konfektionssattel und nicht um einen Maßsattel handle, ist aus sach- verständiger Sicht auszuführen, dass im Hinblick auf die Anforderungen
– passend für das Pferd
– passend für den Reiter
– stabil in der Sattellage
zwischen den beiden Varianten kein Unterschied besteht.

Ein (wesentlich teurerer) Maßsattel findet in der Regel dann Verwendung, wenn weder für Pferd noch für Reiter ein Konfektionssattel passt oder wenn der Snobismus und das Ego des Reiters einen Sattel „von der Stange“ nicht zulässt.

Erwähnt muss aus fachlicher Sicht obendrein werden, dass unabhängig von den Anforderungskriterien an die Passform die Verwendung eines reinen Dressursattels – wie der verfahrensgegenständliche – auch gewisses reiterliches Niveau erfordert (Gemäß Hersteller nämlich „Dressurkünstler“). Der Reiter muss mehr als bei jeder anderen Sattelform im Schwerpunkt sitzen, fehlerhafte Schwankungen in Balance und Gleichgewicht „verzeiht“ diese Sattelform kaum. Ein weiteres Kriterium ist der stabile und ruhig liegende Schenkel, der eine klare Konsequenz der Form des Sattelblattes sein muss.

Ein Fachmann, der sich mit der Beratung rund um den Sattelkauf beschäftigt und gegebenenfalls Sättel auch anpasst oder in der Form verändert, sollte all die bisher erwähnten Kriterien bei seiner Beratung ins Kalkül ziehen, wobei die Entscheidung, ob er nötigenfalls auch gegen den Kundenwunsch agieren sollte, keine fachliche ist. Hier ist insbesondere die Aussage der Klägerin: „Der gegenständliche Sattel war der einzige, der uns so halbwegs gepasst hat“ [zit.] anzuführen.

Sattelkauf ist in der Regel keine Spontanentscheidung und erfolgt nicht unter dem „Druck einer vorgehaltenen Waffe.“
 
Gutachten
 
FRAGE: Passt der Sattel genau für dieses Pferd (zum Zeitpunkt 18.6.20X3)?
 
Gutachten:
Aus der Sicht der, bei der Befundaufnahme am 6.3.20X4 – also etwa 9 Monate nach Kauf des Sattels – gewonnenen Befunde hat der verfahrensgegenständliche Sattel bei seinem Ankauf dem Pferd und den Reiterinnen (Klägerin, ihre Schwester Zeugin L.) mit hoher Wahrscheinlichkeit genau so wenig gepasst wie jetzt.
Auf Grund seiner Bauart rutscht der Sattel nach vorne und bleibt nicht stabil in der Sattellage, der Sattel liegt dadurch instabil über dem Pferd und lässt nicht „sitzen“. Die Sitzfläche und die Höhe des Hinterzwiesels ist für die sehr unterschiedlichen Körperformen der in Frage kommenden Reiterinnen (Klägerin und ihre Schwester Zeugin L.) nicht geeignet, für beide einen passenden Sattel darzustellen.   
 
 

FRAGE: Ist die von der Klägerin und der Zeugin geschilderte Verletzung auf den Sattel zurückzuführen?
 
Gutachten:

Die geschilderte „Verletzung“ am linken Widerrist des Pferdes war in realiter keine Verletzung im medizinischen Sinne, sondern nur eine umschriebene Stelle, an der die Haare fehlten. Es war auch die Haut nicht entzündet, bestenfalls etwas gerötet (Grundfarbe) und geringgradig empfindlich. Da der Sattel an der beschriebenen Stelle bei korrekter Besattelung keinen Kontakt mit dem Pferd hat, ist der Sattel als Ursache mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Die „Verletzung“ kann durch jede Ursache, die zu einer Abrasion führen kann, entstanden sein (ungekammerte Satteldecke, Koppelstage usw.). 

 
FRAGE: Ist der Sattel auch auf Grund der am 18.9.20X3 vorgenommenen Änderung (nicht) geeignet für das Pferd?

Gutachten:
Der fachliche Wert, der am 18.9.20X3 durch den Beklagten durchgeführte Veränderung mittels dem „Verstellgerät“ ist zu bezweifeln, weil zu viele nachgiebige und elastische Materialien eine exakte Bearbeitung des Kopfeisens von außen kaum erlauben. Viele der im Sattelaufbau  verwendeten Materialien verfügen über ein hohes Maß an Elastizität, das sie wieder in die Ausgangsform zurückkehren lässt. Der Sattel ist also auch nach der vorgenommenen Änderung durch den Beklagten nicht passender als vorher.
 
FRAGE: Liegt am Sattel ein Mangel vor?
 
Gutachten:
Neben Verarbeitungsmängel an der Unterseite des rechten Sattelkissens  ist die Sattelkammer nicht durchgängig von gleicher Breite. Zusätzlich wirkt der Sattel unsymmetrisch und verzogen.
 
FRAGE: Wenn am Sattel ein Mangel vorliegt, wie ist dieser behebbar?
 
Gutachten:
Aus Erfahrung ist bekannt, dass Verarbeitungsmängel, Asymmetrien und Schiefe bei einem neuen Sattel nicht „nachgebessert“ werden sollten, weil außer einer optischen Veränderung die funktionellen Störungen meist bestehen bleiben.
Eine Behebung wäre nur insoferne möglich, als der Sattel unter der Aufsicht eines Kundigen zur Gänze geöffnet würde, Sattelbaum, Ortsspitzen und Kopfeisen auf Symmetrie und einwandfrei Materialbeschaffenheit  überprüft und  neu eingestellt bzw. ausgetauscht würden, und im Anschluss mit neuer Sattelwolle frisch gestopft und das Leder sorgsam und ohne Faltenbildung vernäht würde. Selbst dann gelten die oben angeführten Einschränkungen.

 
FRAGE: Ist die verwendete Satteldecke die Ursache für die Verletzung?
 
Gutachten:
Da sich die „Verletzung“ als ein einseitiger, umschriebener „Abrieb“ von Haaren über den Dornfortsätzen darstellte, kann eine „reibend und ohne eingekammert zu sein“ dort aufliegende Satteldecke dafür ebenso verantwortlich  sein, wie auch jede zufällige mechanische Einwirkung aus der Umwelt in diesem Bereich ursächlich in Frage kommen könnte.
 
 
Die forensische Relevanz zum Thema (Quelle: www.pferd.co.at/Downloads)

„Fass die Dinge nicht so auf, wie derjenige sie beurteilt, der dich beschimpft, oder wie du sie seiner Meinung nach beurteilen solltest, sondern sieh` sie nur so, wie sie sind!“

Marc Aurel: WEGE ZU SICH SELBST (Buch 4/11)
 
(Der wissenschaftlich-veterinärmedizinische Stand dieses Gutachtens entspricht dem Jahre 2014)

Erstellt 12.10.2022

 

ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und  Bildern verfremdet und anonymisiert,  womit  geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit  für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt.
 

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