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Wann Reiten schädlich sein kann & wieso dickere ReiterInnen im Vorteil sind
12.01.2023 / News

Ein gut gepolsterter Hintern ist beim Reiten gar nicht so schlecht, wie französische Forscher nun bestätigen konnten ...
Ein gut gepolsterter Hintern ist beim Reiten gar nicht so schlecht, wie französische Forscher nun bestätigen konnten ... / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Auch RadfahrerInnen kennen das Problem: Ein hoher Kontaktdruck in der Dammregion kann in seltenen Fällen zu einer Schädigung des Schamnervs (Nervus pudendus) und zu chronischen Schmerzen führen, der sogenannten Pudendus-Neuralgie. Ein französisches Forscherteam hat das Phänomen näher untersucht – und zumindest eine gute Nachricht für dickere Reitsportlerinnen …


Das Reiten von Frauen geht mit einem hohen Kontaktdruck im Dammbereich zwischen Genitalien und Anus einher, wie das französisch-tunesische Forscherteam in seiner Untersuchung einleitend feststellt. Dieser Druck könnte ein auslösender oder verschlimmernder Faktor für die sogenannte „Pudendus-Neuralgie“ sein, einer seltenen, belastenden Erkrankung, die durch eine Schädigung des Schamnervs (Nervus pudendus) verursacht wird, der den Anus, das Rektum, das Perineum, die unteren Harnwege und die Genitalien stimuliert. Die Erkrankung betrifft vor allem Frauen.

Sébastien Murer und seine Forscherkollegen wollten untersuchen, ob die Gangart eines Pferdes und die im Sattel entstehenden dynamischen Beckenbelastungen ein Risikofaktor für eine Pudendus-Neuralgie bei Frauen sein könnten. Die Forscher sagten, die Ursache der Erkrankung sei zwar nach wie vor unbekannt, aber mehrere Sportarten, darunter Reiten, werden als auslösende und verschlimmernde Faktoren angenommen, ebenso Radfahren, insbesondere auf langen Strecken.

Murer und seine Kollegen sagten, Reiter seien anfälliger für Kompressionsverletzungen, da das Reiten zyklische Bewegungen über den Dammbereich beinhaltet. Zu den rotierenden Bewegungen von Pferd und Reiter um die Frontalachse kommen gegenphasig Wechselwirkungen zwischen Sattelgeometrie und Damm hinzu. Diese gegenläufigen Bewegungen wirken nacheinander und zyklisch auf die Kontaktflächen mit dem Sattel ein: „Diese unterschiedlichen mechanischen Belastungen wirken sich auf den gesamten Dammbereich aus, der auch das Revier des Nervus pudendus – des Hauptnervs der Dammregion – ist, Vor allem aber werden die empfindlichen Strukturen des Dammbereichs nie optimal entlastet.“

Insgesamt nahmen 12 gesunde Reiterinnen mit mindestens fünf Jahren Reiterfahrung an der Studie teil. Keine berichtete von Anzeichen einer Pudendusneuralgie. Das Experiment umfasste einen elektromechanischen Pferdesimulator und eine flexible Druckmatte, die mit Sensoren ausgestattet war und zwischen Sattel und Reiter platziert wurde.

Die Reiter nahmen auf dem Simulator für eine Reihe von Experimenten Platz, bei denen Druckmessungen vorgenommen wurden.

Die Messungen zeigten, dass dynamisches Reiten tatsächlich zu hohen Druckspitzen in der Dammregion führt, was nach Meinung der Forscher bestätigt, dass der Reitsport Neuropathologien wie Pudendusneuralgie verursachen kann: „Unsere Ergebnisse stützen die Annahme, dass die Ausübung des Reitsports mit hohen Kontaktdrücken im Dammbereich einhergeht, die wahrscheinlich einen auslösenden oder verstärkenden Faktor für Pudendusneuralgie (PN) darstellen. Die für das Auftreten von PN beim Reiten verantwortlichen mechanischen Belastungen (Druckpegel und Trainingshäufigkeit) bleiben jedoch unklar, eine Schlussfolgerung, die auch für andere Sportarten wie dem Radfahren gilt“, das Resümee der Forscher.

Die Forscher wiesen jedoch auf mehrere Einschränkungen ihrer Studie hin:

– Erstens umfassten alle Experimente einen elektromechanischen Pferdesimulator und kein tatsächliches Pferd, hauptsächlich aus Gründen der Einfachheit: „Bei einem echten Pferd wären die Amplituden und Frequenzen während der Tests nicht konstant gewesen, was zu unterschiedlichen dynamischen Druckspitzen geführt hätte. Die vorliegende Studie zielte jedoch hauptsächlich darauf ab, zu beweisen, dass die Gangart des Pferdes die dynamischen Beckenbelastungen beeinflusst, was nachgewiesen wurde.“

– Zweitens wurden „aufgrund der Prävalenz von Pudendusneuralgie bei Frauen nur weibliche Teilnehmer in die Studie aufgenommen. Angesichts der anatomischen Unterschiede und der daraus resultierenden Änderungen des perinealen Drucks sollten auch männliche Probanden berücksichtigt werden“, so die Forscher.

– Drittens verfügten alle Teilnehmerinnen über mehrjährige Reiterfahrung, und ein Vergleich mit Anfängern könnte zeigen, ob Routine und eine richtige Reittechnik helfen könnten, einer Pudendus-Neuralgie vorzubeugen. Schließlich sollten weitere Studien die Position im leichten Sitz näher untersuchen, da es dabei „zu einem periodischen Kontaktverlust zwischen Reiter und Sattel kommt, was die mechanischen Belastungen des Damms drastisch beeinflusst“, so die Autoren.

Die Autoren sagten weiters, dass alle gesammelten Daten verwendet würden, um ein dreidimensionales numerisches Modell zu entwickeln, das darauf abzielt, mögliche Bereiche der Schamnerven-Quetschung zu lokalisieren. Letztendlich sollte die zukünftige Forschung auf diesem Gebiet darauf abzielen, sportbezogene Richtlinien zu erstellen, die beispielsweise eine maximale tägliche Trainingsdauer vorsehen können, ähnlich der europäischen Richtlinie für die Exposition von Arbeitnehmern gegenüber Vibrationen.

„Die bemerkenswerteste Beobachtung“, so die Forscher, sei jedoch diese: „Je höher der Körpermasseindex (BMI) der Reiterin, desto niedriger die Druckspitzen. Diese Beobachtung ist eigentlich nicht überraschend. Tatsächlich waren alle Teilnehmerinnen sehr ähnlich groß (Mittelwert: 1,66 m, Standardabweichung 0,05 m), während ihre jeweilige Körpermasse ziemlich unterschiedlich war (Mittelwert: 53 kg, Standardabweichung: 5,86 kg). Auch wenn sich die zugehörigen Body-Mass-Indizes (BMIs) nicht signifikant unterscheiden (…) kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass sich eine größere Dicke der Weichteile im relevanten Areal (also im Bereich des Nervus pudendus) dämpfend auf die Druckspitzen auswirkt, die von den Vertikalkräften der Sitzbeinhöcker ausgeübt werden, wie zuvor erwähnt.“ Darüber hinaus wird, so die Forscher weiter, „die Körpergewichtskraft während der hinteren Phase durch die Gesäßmuskulatur übertragen“, wodurch die Druckspitzen ebenfalls verringert werden.

Mit anderen Worten: Ein wenig mehr Körpergewicht, sprich: dickeres Weichteilgewebe und eine gut ausgebildete Gesäßmuskulatur helfen mit, die kritischen Druckspitzen während des Reitens abzumildern – wenn das keine gute Nachricht ist …

Die Studie „Could Horse Gait and Induced Pelvic Dynamic Loads in Female Equestrians Be a Risk Factor in Pudendal Neuralgia?" von Sébastien Murer, Guillaume Polidori, Fabien Beaumont, Fabien Bogard, Hassen Hakim und Fabien Legrand ist am 10. Jänner 2023 in der Zeitschrift ,sports' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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