Polnische ForscherInnen haben Verhaltens- und physiologische Veränderungen im Fortpflanzungszyklus von Stuten aufgezeichnet und analysiert – und überraschenderweise festgestellt, dass sie sich in der Rosse besser gegenüber Menschen und anderen Pferden verhalten.
Anna Stachurska und ihre ForscherkollegInnen der ,University of Life Sciences’ in Lublin (Polen) stellten einleitend fest, dass das Verhalten von Stuten während der Rosse in der Pferdezucht zwar wohlbekannt ist, dass jedoch Änderungen ihrer physiologischen und Verhaltensindizes über den gesamten Zyklus hinweg bislang kaum untersucht worden seien.
Das Studienteam machte sich daher daran, Veränderungen der Herzaktivität, der Körperemperatur, des Verhaltens gegenüber Menschen, des Verhaltens gegenüber anderen Pferden und Unterschiede in der Steh- und Bewegungszeit während ihres gesamten Fortpflanzungszyklus zu analysieren. 15 klinisch gesunde Warmblutstuten im Alter von 7 bis 10 Jahren wurden in die Studie aufgenommen. Während der Rosse (auch als Östrus bzw. Brunst bezeichnet) wurden sie an sechs aufeinanderfolgenden Tagen morgens und abends untersucht. Während des Diöstrus – der Zwischenbrunst bzw. der Zeit außerhalb der Rosse – wurden sie fünfmal (jeden dritten Tag) untersucht.
Die ForscherInnen fanden heraus, dass die von ihnen gemessenen physiologischen und Verhaltens-Variablen mit Änderungen im Sexualverhalten der Stuten einhergehen bzw. übereinstimmen. „Die Herzfrequenz sowie die Rektal- und Oberflächentemperaturen sind abends höher als morgens und in der Rosse höher als außerhalb der Rosse. Während der Rosse zeigen die Stuten ein besseres Verhalten gegenüber Menschen und anderen Pferden und sind weniger bewegungsaktiv als außerhalb der Rosse“, so die ForscherInnen. Dies war eine durchaus überraschende Erkenntnis, denn in Anekdoten wird das Verhalten von Stuten während der Rosse häufig als schwierig oder gar zickig beschrieben – eine Beobachtung, die sich in dieser Studie nicht bestätigt hat.
Das Verhalten gegenüber Menschen wurde anhand eines einfachen Tests beurteilt, bei dem es darum ging, ob sie sich von einer vertrauten Person über Schulter und Nase streicheln lassen würden. Der Test zeigte dabei eindeutig, „dass Stuten in der Rosse, insbesondere im zweiten Teil der Rosse, häufiger Streicheleinheiten akzeptieren als im Diöstrus, und die Werte für das Verhalten gegenüber Menschen in den ersten Tagen der Diöstrus sinken. Die Stuten waren ihr ganzes Leben lang an das Streicheln gewöhnt, daher war der Test für sie nicht neu und die Reaktion an den folgenden Tagen konnte durch die Gewöhnung nicht signifikant beeinflusst werden."
Die nahliegende Erklärung der ForscherInnen: „Es ist bekannt, dass Streicheln ein unruhiges oder nach einer Stresssituation oder körperlichen Anstrengung müdes Pferd entspannt und belohnt. Die Veränderungen im Verhalten gegenüber Menschen während der Rosse können veranschaulichen, dass Stuten in dieser Zyklusphase eine Beruhigung brauchen, die durch einen sanften Kontakt mit einem Menschen erreicht werden kann. Die hohen Werte für das Verhalten gegenüber Menschen in der zweiten Hälfte der Rosse scheinen auch mit dem Sexualverhalten vereinbar zu sein, das sich in der Suche nach Kontakt zu einem Hengst manifestiert", so die Autorinnen.
Das Verhalten der Testpferde gegenüber anderen Stuten basierte auf Beobachtungen auf einer kleinen Koppel, die ebenfalls aufgezeichnet wurden. Auch hier zeigten die Auswertungen eine geringere Anzahl negativer Verhaltensweisen in der Rosse als im Diöstrus – und somit ein Verhalten, dass man als insgesamt toleranter und verträglicher beschreiben könnte.
Auch die längere Stehzeit in der Rosse als im Diöstrus zeige, so die ForscherInnen, einen deutlichen Konnex mit dem Sexualverhalten: „Stillstand mit gespreizten Hinterbeinen ist eines der deutlichsten Verhaltensweisen, die auf Brunst bei der Stute hinweisen. Pferde wiederum gehen in geringem Umfang umher – häufig sind es nur Einzelschritte, die mit Körperhaltungswechseln und Grasen verbunden sind. Unsere Ergebnisse zu einer regelmäßig längeren Zeit der Bewegungsaktivität während des Diöstrus zeigen, dass Stuten in dieser Zeit aktiver werden. Die rasche Zunahme der Zeit der lokomotorischen Aktivität und die Verkürzung der Zeit des Stehens nach der Ovulation legen nahe, dass das längere Stehen in der Rosse auf das Sexualverhalten zurückzuführen ist."
Die ForscherInnen weiter: „In der Rosse weisen erhöhte physiologische Variablen wie Herzfrequenz, Rektaltemperatur und Oberflächentemperatur auf die erhöhte Aktivität des adrenergen Nervensystems hin, die bei gesunden Pferden meistens mit emotionaler Erregbarkeit verbunden ist. Im Gegensatz dazu sind Herzfrequenzvariabilität, Verhalten gegenüber Menschen, Verhalten gegenüber anderen Pferden und Zeit, die im Stehen verbracht wird, nicht charakteristisch für Erregung, sondern hängen eng mit einem entspannten Zustand zusammen.“
So kommt es, wie die ForscherInnen weiter ausführen, „zu dem typischen Sexualverhalten der Stute – also Verharren und erhöhte Reiztoleranz – bei gleichzeitiger Stimulation von Sympathikus und Parasympathikus. Änderungen der Verhaltensvariablen folgen normalerweise Änderungen der physiologischen Variablen und treten zu Beginn des Diöstrus auf.“
Das Ende der Rosse manifestiert sich durch eine schnelle Abnahme der Herzparameter sowie der morgendlichen und abendlichen Oberflächentemperatur, während zu Beginn des Diöstrus die Werte für das morgendliche und abendliche Verhalten gegenüber Menschen und die Anzahl negativer Verhaltensweisen gegenüber anderen Pferde zunimmt.
Die ForscherInnen wiesen zudem darauf hin, dass die Rosseperiode durch einen hohen Östrogenspiegel im Blut und ein charakteristisches Sexualverhalten gekennzeichnet ist, während der Diöstrus von einem hohen Progesteronspiegel begleitet wird. Östrogen, so die AutorInnen, erhöht die Synthese einiger Neuromediatoren wie Oxytocin und Dopamin im Gehirn und stimuliert die Synthese von Sexualhormon-bindendem Globulin, das als Signalstoff im Gehirn eine Rolle spielt.
Östrogene regulieren auch die Aktivität endokriner Drüsen. Außerdem hemmen Östrogene die Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen, während Progesteron als Stimulans wirkt. Veränderungen des Schilddrüsenhormonspiegels im Blut beeinflussen den Stoffwechsel und die allgemeine Aktivität des Körpers. „All diese Mechanismen sind an der Regulierung des Sexualverhaltens bei weiblichen Individuen beteiligt und können die allgemeine Rhythmik des Fortpflanzungszyklus beeinflussen“, so die AutorInnen.
Zusammenfassend betonten sie, dass ihre Ergebnisse für VerhaltensforscherInnen und ZüchterInnen gleichermaßen hilfreich sein könnten, die Stuten unter verschiedenen Umständen betreuen und auch Anpaarungen durchführen, wobei sie bislang die Rosse meist ausschließlich anhand des Sexualverhaltens einer Stute beurteilen, ohne andere, sich rhythmisch ändernde Variablen zu berücksichtigen.
Die Studie „Variation of Physiological and Behavioural Parameters during the Oestrous Cycle in Mares"
von Anna Stachurska, Witold Kędzierski, Beata Kaczmarek, Anna Wiśniewska, Beata Żylińska und Iwona Janczarek ist am 6. Jänner 2023 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.