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Pferdegeschichte(n) einst & jetzt: Die Entstehung der Pferdesanitäter
02.03.2024 / News

Der Ausflug in die Geschichte führt diesmal in die 1990er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als in Österreich die Pferdesanitäter-Ausbildung begründet wurde – eine Institution, die aus der heutigen Pferdeszene nicht mehr wegzudenken ist und an deren Schaffung der alte Herr nicht ganz unbeteiligt war ...


„Aber es kann unterwegs doch etwas zustoßen! Sie können einen Unfall haben oder anderswie aufgehalten werden, und wenn Sie dann morgens nicht wieder zurück sind - und Sie können doch unmöglich zwei Tagesmärsche in einer Nacht reiten!“

„Warum nicht? Ich verfüge über drei Pferde. Eines schicke ich schon nachmittags mit meinem Reitburschen im Schritt nach Belgrad und lasse ihn mich hier erwarten. Auf dem zweiten Pferde verlasse ich Karanschebesch nachts, sobald ich fort kann und meine Abwesenheit nicht mehr auffällt. Wenn ich Galopp reite, mit kurzen Trab-Intervallen, so bin ich gegen ein Uhr nachts hier. Gegen drei Uhr setze ich mich auf das zweite Pferd und bin spätestens bei Tagesanbruch wieder in Karanschebesch. Das Pferd, auf dem ich gekommen bin, lasse ich im Schritt wieder zurückführen.“

Sobald ich das Dorf hinter mir hatte, galoppierte ich an. Honvedhusar war ein Wallach mit kräftigen Schultern und einem guten Widerrist, ein Pferd aus ungarisch-galizischem Blut, das heißt, von Steppenpferden stammend, die mit Arabern gekreuzt worden waren. Er war ein Fuchs, wie seine Kollegin Phase eine Füchsin war. Honvedhusar hatte auch einen schönen, arabischen      Hals, Phase aber einen sogenannten verkehrten Hals oder Hirschhals. Sie lag nun im Stroh und schlief, aber er hatte zu galoppieren. Er griff aus ohne sich sonderlich anzustrengen, doch war er freilich mit Mazeppa nicht zu vergleichen. Er hatte nicht den großen Stil des Jagdpferdes und ich sah voraus, dass er bis zur Donau ziemlich erschöpft sein werde.

Indem ich immer weiter galoppierte und die Zügel in den verschränkten Händen hielt, begann ich darüber nachzudenken, was denn aus dem allem noch werden würde.

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Sichtlich begeistert, aber doch auch nachdenklich ließ die junge Dame das Büchlein sinken, aus dem sie die kurzen Ausschnitte vorgelesen hatte. „Vielen Dank für diese wunderbare Lektüre, die Schilderungen des Fähnrichs der kaiser- und königlichen Armee, der sich im Konak, dem Palast, in die schöne Resa verliebt und Nächte durchreitet, um sie für wenige Augenblicke sehen zu können.“

„Ja“ fügte der alte Herr hinzu „der Roman >Die Standarte< von Alexander Lernet-Holenia kann wohl als Juwel altösterreichischer Erzählkunst betrachtet werden, verbunden mit viel Authentizität, zumal der Autor selbst noch zwei Jahre im ersten Weltkrieg eingerückt war. Ich hatte Ihnen einen literarischen Schatz versprochen, in dem die Zweisamkeit eines Reiters mit seinem Pferde nachempfunden werden kann – heute habe ich ein kleines Büchlein für Sie beide vorbereitet, in dem ein Pferd aus einem Leben erzählt: >Leinwandmesser- Die Geschichte eines Pferdes< von Leo Tolstoi handelt vom Leben des Scheck-Wallachs, dessen Schritt so raumgreifend war, dass er mit einem Längenmaß verglichen wurde, einem Längenmaß also, das in früherer Zeit, also man nicht auf Millimeter genau vermessen hat, sondern die Maßeinheiten nach dem „Körper“ geschätzt wurden: eine Handbreit stand für ca. 10 cm, eine große Spanne, der Abstand  zwischen Daumen und Spitze des kleinen Fingers, oder die Elle, von Ellbogen bis Mittelfingerspitze (50 – 85 cm) – bei Pferden waren Angaben mit Faust (10-11cm) oder in Fuß (gute 30 cm) üblich, auch die Bezeichnung Klafter (1,8 m) findet man in der Literatur immer wieder.“

Nun ergriff der junge Herr das Wort, dem offensichtlich das Gerede über „altes Zeug“ etwas auf die Nerven ging. „Ich habe Sie vor einigen Tagen angerufen, als ich in der Presse über ein Pferd las, das von der Feuerwehr geborgen werden musste – können Sie uns dazu Näheres erzählen?“

„Das Pferd, von dem Sie sprechen, wurde >gerettet< – geborgen werden Leichen; aber gerne kann ich Ihnen etwas über die Entwicklung des Pferderettungswesens hierzulande erzählen. Mehrfach wurde schon über die Versorgung von Pferden im Felde berichtet, die Gründung und Entwicklung der Tierärztlichen Hochschule in Wien brachte auch eine Verbesserung in der Versorgung der Tiere mit sich.  

 Quelle: Gottfried Brem: Rösser in Wien, 2023, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

 

Der moderne Standard kristallisierte sich aber erst nach den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts – parallel zu den Erfordernissen des Pferdesports heraus.  
 

Modernes Pferde-Ambulanzfahrzeug: Möglichkeit zu Stehend-Transport in Gurten, Pferdeschleppe mit Vakuum-Matratze, seitlich ein Paravent zum Abschirmen einer Unfall-Stelle.

Während der Ausbildung von Pferdesanitätern, die seit 1996 im Laufen war, wurden auch immer wieder Situationen dargestellt und geübt, die auf Notfälle mit Pferden und Menschen gerichtet waren z.B. das sinnvolle Verhalten von Ersthelfern unter Berücksichtigung des Gesichtsfeldes und vorhersehbare Verhalten eines Pferdes.

 
Die Ausbildung von Pferdesanitätern war bereits in weite Kreise von Pferdeleuten vorgedrungen, auch dem Pferde verbundene Traditionsgruppen unterzogen sich ihr theoretisch und praktisch, immer war auch Erste Hilfe für Menschen ein wichtiger Teil des Curriculums.

 

Von Anfang an mit dabei war unser Übungspferd „Gustav“, den ich als Riesen-Paket- Sendung in einem Stück Anfang der Neunziger Jahre aus England importiert hatte. Etwa 25 Jahre später ist der Geduldige nach vielen Übungseinsätzen und einigen „Operationen“ zu Dr. Sendlhofer nach Kärnten übersiedelt, wo er „Auszubildenden“ wieder duldsam zur Verfügung steht.
 

Übungen unter realistischen Umständen, wie hier die Annahme einer Pfählung – ein Ast hatte sich beim Rückwärtsrichten unter den Sattel und in den Brustkorb geschoben - wurden bald essentieller Bestandteil der Weiterbildung bereits fertiger Pferdesanitäter.
 

 

 
Die Übungsannahme „Mensch unter Pferd“ war sehr oft als Worst-Case-Scenario betrachtet worden. Pferdesanitäter üben zusammen mit der FF Wiesen den Einsatz von aufblasbaren ambulanten Hebekissen, wobei die sichere Fixierung des Pferdes an Kopf und Schweif ebenso Übungsinhalt war. Auf Zuspruch für die verunfallte Person durch eine direkte Betreuung, die jeweils über das Geschehen informierte, wurde großer Wert gelegt: bei allen Übungen hatten die „Verunfallten“ berichtet, dass es am meisten Angst bereitet hatte, nicht zu wissen, was rundherum geschieht.
 

 1995: Erste Trockenübung mit dem neuen Rettungsgeschirr: Ein zusätzlicher Gurt, der vom Kopf zum Kranhaken gespannt wurde, verhinderte das Kippen nach vorne, denn Pferde sind kopflastig, zusätzlich wurde ein lederner Kopfschutz angebracht, an dem V-förmig auf einer Seite eine Longe zum Heranziehen, auf der anderen Seite eine Bullenführstange zum Wegschieben befestigt wurde – nur so kann in der Landephase ein Pferd unter Kontrolle gehalten werden.
 

 Realfälle zeigten sehr schnell, dass Können – in Übungen erworben – unverzichtbar für den Erfolg ist – hier im Einsatz FF Ohlsdorf beim Abseilen eines verirrten Pferdes in steilem Gelände etwa 20 m oberhalb der Traun. Das Pferd war beim Versuch, ins Wasser zu gehen, entkommen und einige Kilometer stromabwärts getrieben worden.

 

Das völlig irritierte Pferde wurde sediert, eine Trasse nach unten geschlagen, dann das Pferd unter größter Vorsicht nach unten abgeseilt.

Großen Wert habe ich bei der Schulung von Pferdesanitätern, Fire&Emergency VETS und Einsatzkräften daraufgelegt, „wie ein Pferd zu sehen, zu hören, zu riechen“, um vorhersehbare unangenehme Zwischenfälle zu vermeiden.

Im geschilderten Fall, in dem nach Sedierung und Sicherung des Pferdes kein Zeitdruck mehr bestand, wurde ein Einsatzboot unterhalb der Rettungs-Trasse positioniert. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ist ein Absturz des Pferdes in den Fluss nicht hundert prozentig auszuschließen gewesen – deshalb die Devise „be prepared“.
 

 
Durch die Arbeit einiger Enthusiasten, die auch Fachleute höchster Qualität waren, erwuchs der Wunsch, die Übungen auf einen weiteren, höheren und größeren Level zu heben.
 


Bis 2013 gab es dann regelmäßige und große gemeinsame Übungen, die stets auf großes Interesse der Pferde-Community stießen: Feuerwehren, Rettungsdienst, Notärzte arbeiteten Hand in Hand mit Pferdesanitätern und Fire&Emergency Vets.

Kürzlich wurde auf einem öffentlichen Nachrichtenportal ein Kurzfilm gezeigt, auf dem – stümperhafter geht es nicht – eine unsachgemäße und gründlich misslungene Pferderettung in den USA zu sehen war. Derartige Szenen sind unbedingt zu vermeiden!
 
 
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Ich werde Ihnen nun eine Übung des Pferdespitals PRO EQUO aus dem April 2006 schildern: Pferd im Fluss.

Die Übungsannahme bestand darin, dass eine Gruppe von Wanderreitern einen Fluss durchquert, der auf Grund der Schneeschmelze noch Hochwasser führt. Als fast alle Pferde das sichere Ufer erreicht hatten, blieb das letzte Pferd zwischen den Steinen im Flussbett hängen und konnte nicht mehr weiter, einige Reiter gerieten in Panik, fielen beim Erklimmen der Uferböschung von ihren Pferden und verletzten sich.

Notruf: Unbekannte Zahl von Verletzten nach Sturz von Pferden und ein im Flussbett eingeklemmtes Pferd.

Aufgabenstellung 1: Erkennen, überlegen, handeln – die Notfall-Trias
Die Unfallstelle war direkt neben einer vielbefahrenen Bundesstraße – also risikobehaftet. Zwei Personen blieben beim festgeklemmten Pferd, in Sichtweite wurde mit (mitgebrachten) Trassierbändern eine Behelfskoppel errichtet, die den Pferden eine optische Anlehnung und somit Sicherheit gab, das „Unfallpferd“ hatte aber die Gruppe in Sichtweite.
Das festgeklemmte Pferd wurde abgesattelt, mit Longen und Führstrick gesichert und vom Reiter beruhigt. Mittlerweile waren die in der Nähe ansässige Feuerwehr und zwei Pferdesanitäter verständigt worden.
Der leitende Pferdesanitäter erkannte sofort die Gefahr, dass das Pferd im Falle einer spontanen Selbstbefreiung in der schnellen Strömung flussabwärts triften könnte und spannte - durch Helfer unterstützt – unterhalb des Pferdes zur Sicherung ein Seil quer über den Fluss.

Aufgabenstellung 2: Richtige Entscheidungen
Die eingetroffene Feuerwehr sollte - in der Übungsannahme- der Ansicht sein, das Problem ohne zusätzliche Hilfestellung, also insbesondere ohne Beiziehung tierärztlicher Hilfe, lösen und das festsitzende Pferd mittels Rettungsgeschirr befreien zu können. Als das Pferd angehoben wird, schlägt es aus und trifft einen der Feuerwehrleute, der zu Boden stürzt und nun versorgt werden muss und somit Einsatzkräfte bindet.
Nun fällt die Entscheidung, einen Tierarzt „nach“ –zu  alarmieren.

Aufgabenstellung 3: Versorgung des verletzen Feuerwehrmannes, da der Rettungswagen mit verletzten Reitern bereits weggefahren ist.
Während sich Feuerwehrkameraden und Pferdesanitäter um den Verletzten kümmern, wird das noch immer im Wasser stehende Pferd unruhig, muss fixiert (Seil, Bullenführstange) und beruhigt werden. Der eingetroffene Tierarzt sediert das Pferd.

Aufgabenstellung 4: Heben des Pferdes mit dem Rettungsgeschirr
Der Tierarzt gibt den Feuerwehrleuten genau Instruktionen über den weiteren Vorgang. Das am Kopf V-förmig mit Seil und Führstange fixierte Pferd wird unter Spannung langsam und vorsichtig angehoben, während der „Landeplatz“ freigemacht wird. Nachdem das – sedierte – Pferd wieder Boden unter den Füssen hat, wird es tierärztlich weiterversorgt.

Aufgabenstellung 5: Parallele Versorgung
Während der Rettung des Pferdes aus dem Wasser ist der Notarzt eingetroffen, der die ärztlich Versorgung des verletzten Feuerwehrmannes durchführt, der Verletzte wird mit dem RTW abtransportiert.
Im Anschluss werden die Pferde geregelt weggeführt.

Aufgabenstellung 6: Manöverkritik
Während der gesamten Übung wurde ein genaues Zeitprotokoll geführt. Beim anschließenden Debriefing gibt es Stellungnahmen von allen beteiligten Organisationen mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen.
Drehbuch und Dramaturgie:                Mag. Dr. Brigitte Fellinger
Protokollführung:                                    Martina Klama
Einsatzleiter FF Wiesen:                         Thomas Treiblmayer
Notarzt:                                                       MR Dr. Gottfried Koller
Rotes Kreuz                                               Ortstelle Gmunden
Einsatzleiter Pferdesanitäter:                 Dr. Günther Dobretsberger
Gesamtleitung und Tierarzt:                 VR Dr. Reinhard Kaun
 

 
Dokumente, Fotos, Grafiken und Literatur – Archiv & ex libris Dr. Kaun seit 1963

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