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Pferdegeschichte(n) einst & jetzt: Fiakerfreud, Fiakerleid
10.02.2024 / News

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Das Fiakergewerbe in Wien ist Jahrhunderte alt – und wird ebenso lange von Vorurteilen und Klischees begleitet. Dass das Gewerbe nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde und sogar eine Blütezeit erlebte, war einer kleinen Gruppe von Enthusiasten zu verdanken, unter ihnen auch der legendäre Leopold Hewera ...


Der junge Herr und seine, mittlerweile an Pferden hoch interessierte Begleiterin traten ein, legten ab und machten sichs – vom alten Herren in die Bibliothek geleitet – in den tiefen Ledersesseln gemütlich. „Als wir vor zwei Wochen in Ihrem Hause zu Besuch waren…“ begann die junge Dame die Konversation „haben wir über den Hufbeschlag im Zusammenhang mit Änderungswünschen der Stadt Wien bei den Fiaker-Pferden gesprochen. Hatten Sie mit Wiener Fiakern auch beruflich zu tun?“

„Als Pferde-Tierarzt nicht, dazu war mein Berufssitz etwas zu weit entfernt – als Gerichtsgutachter aber doch einige Male. Erst kürzlich war ich mit einem Fall befasst, bei dem ein Gespann aus zunächst unbekannter Ursache durchgegangen ist, Schäden verursacht hat – ein Materialbruch konnte als Ursache festgestellt werden.


In einem anderen Fall wurde ein Landauer bei der Kollision mit einem PKW in der Innenstadt stark beschädigt: Durch den seitlichen Aufprall des Fahrzeuges der beklagten Partei gegen die Kutsche der klagenden Partei wurde das gesamte Hintergestell verzogen, die mechanische Bremsanlage und der linke Auftritt verbogen. Die linke Türfüllung wurde beschädigt. Auf Grund dessen musste nach Abschluss der Reparaturarbeiten das gesamte Hintergestell neu vermessen und neu eingestellt werden.
Für die Reparaturarbeiten musste teilweise die Tapezierung geöffnet werden, ebenso mussten die hydraulischen Bremsanlagen demontiert werden, anschließend wieder montiert und eingestellt werden, dasselbe gilt für die mechanische Klotzbremse.

Da die Gefahr bestand, dass gewisse Schrauben gerissen waren, mussten diese im Zuge der Reparatur ausgetauscht werden, dasselbe galt für Federn und Federbride, anschließend musste die Tapezierung wieder zugemacht, dann die Lackierung in Ordnung gebracht werden.

Die Instandsetzung alter Wägen ist ein aufwändiges Unterfangen, kompetente Wagenbauer, die auch Stellmacher, Kastenmacher, Lackierer, Tapezierer, Tischler – somit Universalkünstler wie Florian Staudner - sind, gehen in den Ruhestand, stehen aber – Gottlob – noch als Kundige und Vortragende einem interessierten Kreis zur Verfügung (www.kutschenbau.at). Polnische Werkstätten haben diesen Markt erobert.

Aber zurück zu den Fiakern – ich habe für die Fahrsportzeitschrift IN MEMORIAM ACHENBACH vor gut 40 Jahren einen Artikel geschrieben, der die damaligen Verhältnisse recht gut darstellt:
 
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Mein Arbeitskamerad ist das Pferd – über Wiener Fiaker

Als im Wien des Jahres 1864 Siegfried Markus klammheimlich und nächtgens den ersten benzinbetriebenen Wagen erprobte, wurde die Sterbestunde des Fiakers als gewerbliches Personentransport- Unternehmen eingeläutet. Bis zur vollen Erfassung der Tragweite, die das stinkende Vehikel den vornehmen Pferden bereiten sollte, mussten aber noch 50 Jahre vergehen. Eine ähnliche Wachablöse ist aber auch schon vor 200 Jahren zu verzeichnen gewesen, als nämlich der größte und einzige Konzessionsinhaber für Tragsessel, Michael de la Place, Kammerdiener des Grafen Kaunitz, in Wien von der Konkurrenz durch pferdebespannte Wagen zum Transport von Personen erfuhr. Diese, für den Tragsesselmagnaten so verhängnisvolle Neuerung schien ihren Ausgang von Paris zu nehmen, wo ein Nicolas Sauvage als erster Lohnkutscher seinen Standplatz vor dem Wirtshaus in der Rue de Saint Fiacre bezog. Die Straße war nach dem, im 7.Jahrhundert in einem nahen Kloster lebenden irischen Mönch – Fiacrius mit Namen – benannt; der fromme Mann ahnte wohl in seiner Einsiedelei nicht, dass er einem, Jahrhunderte überdauerndem Gewerbe seinen Namen geben werde. Aber nicht nur der Name gemahnt an die Rue de Fiacre, auch der Standplatz vor einem Wirtshaus, ließ in der Tradition seine Spuren zurück: so muss auch heute noch der Fiaker – zumal in Wien – dem Klischee des immer lustigen, leicht besäuselten und singenden Kutschers genügen.

 
Sicher waren die Fiaker – wie früher die meisten Pferdeleute – ein immer gemütliches und lebensfrohes Völkchen, doch hat jedes Vorurteil auch Schattenseiten. Seit jeher müssen die Fiaker ihre Pferde auch über die lange und harte Winterzeit füttern, ohne immer genügend Aufträge zu haben; so mancher „Zeuglbesitzer“ musste im Winter sein Brot – und den Hafer für die Pferde – mit Kohlenschleppen verdienen.

Doch zurück zur Geschichte: Bereits im Jahre 1663 wurde in Wien von Kaiser Leopold I. die erste Fiaker-Lizenz erteilt, die unter schweren Auflagen und Beschränkungen zu leiden hatte. Bis zum Jahre 1824 durften Fiaker – es gab damals immerhin schon Standplätze für 20 Zweispänner und 70 Einspänner – bei Verlust von Wagen und Pferd, dem „Zeugl“, nicht über 4 Meilen die äußeren Linien Wiens überfahren. Bei Nachtfahrten mussten vor Wäldern und Ortschaften Fackeln gelöscht werden, bei Verstoß dagegen drohten 500 Gulden Strafe.

Von untergeordnetem Range waren die damals die Einspänner: sie durften sich nicht „Fiaker“, sondern nur Kutscher nennen und hatten am „Halbkrach“ – einem Halb-Zylinder - das gelbe Einspänner-Band zu führen. Diese Benachteiligung der Preisdrücker, die ja mit einem Pferd vor dem Wagen billiger fahren konnten, hatte Konsequenzen bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts, als für die Rückgabe einer Fiaker-Lizenz eine Taxi-Lizenz erworben werden konnte, während für das gleiche Ziel zwei Einspänner-Lizenzen eingebracht werden mussten und obendrein eine Prüfung zu bestehen war.

Bis zum heutigen Tag lautet die Konzession für einen Fiaker-Standplatz: ein Wagen mit zwei Pferden.

 
Von jeher unterlagen Fiaker strengen Regeln der Etikette; es bestand Betriebspflicht, Fuhren durften nicht verweigert werden, wollte der „Inhaber“ nicht Arrest, der „Knecht“ aber Stockhiebe riskieren. Angenommene Fuhr-Bestellungen, die nicht erfüllt wurden, unterlagen ähnlicher Strafe.

Tabakrauchen auf dem Kutschbock war absolut verpönt – nach einem Niedergang der „Sitten“ nach dem Kriege steht Etikette heute wieder hoch im Kurs: Pepitahose, Gilet und schwarzes Sakko als Berufskleidung – bei extremer Sommerhitze darf sich ein Fiaker, bestenfalls, des Rockes entledigen, die Weste indes darf nie abgelegt werden. So mancher Fiaker, so erzählt man, wurde von einem potentiellen Fahrgast aufgefordert, die Melone zu lüften, um den Haarschnitt einer Kontrolle unterziehen zu können.

Zurzeit zählt man in Wien 36 Fiaker-Konzessionen, die in der Standesvertretung – der Innung für das Personenbeförderungsgewerbe – zusammengefasst sind, zusammen mit Unternehmen für Taxis und Mietwägen.

Ich sprach schon über Klischee-Vorstellungen: Österreich ist in dieser Hinsicht im Ausland gut bedient; während man den Schotten ihre Sparsamkeit, Engländern distanzierte Kühle, Spaniern auch feurige Herzensglut nachsagt, hält man Österreicher für gutmütige, leicht vertrottelte Bergmenschen. Eine Ausnahme bildet der, Readers Digest gebildete, US-Amerikaner, der mit good old Austria ein vom Heurigen in Grinzing besäuseltes Känguru, den Beutel mit Mozarts Kugeln gefüllt, assoziiert. Aber wie bei vielen „preoccupations“ steckt doch manchmal ein Quäntchen Wahrheit dahinter: der Wiener Fiaker gehört – zusammen mit dem vom Aussterben bedrohten alten Wiener Kaffeehaus-Ober zu den letzten Originalen, die voll Wehmut an die gute alte Zeit erinnern – aber war diese Zeit tatsächlich so gut, wie sie jetzt alt ist?

Es gehörte gewaltiger Mut dazu, nach dem Chaos des Krieges wieder als Fiaker zu beginnen, in einer Zeit, in der alle alten Wägen verschollen oder verkommen waren, gute Pferde selten, Futter kaum und in geringem Maße vorhanden war.

Doch die Wiener Fiaker konnten einen steten Aufschwung nehmen und verzeichnen heute einen Standard, wie in den – so genannten - guten alten Zeiten. Alte Wägen der Wagenbauer Lohner und Armbruster wurden aufgemöbelt und restauriert, Wägen die einst um die 30.000,00 Schillinge und mehr gekosten haben, und heute einen Wert verkörpern, der sich aus ihrer Tradition ableitet. Viele dieser alten Wägen sind für Interessierte kulturhistorische Sehenswürdigkeiten.

Auch die Qualität der Pferde ist deutlich im Zunehmen, waren in der k.u.k. Monarchie die ungarischen „Jucker“ die typischen Pferde der Fiaker, so begann der Aufbau nach dem Kriege überwiegend mit ausrangierten Trabern, mit denen man nur eine Saison fuhr, um sie nicht über den Winter füttern zu müssen. Später kam es in Mode, Pferde aus Jugoslawien einzuspannen, heutzutage sieht man wieder vornehmlich elegante Ungarn an der Stange. 

Der Besitz der Fiaker-Lizenz, die unverkäuflich ist und nur für Begünstigte zurückgelegt werden kann, berechtigt dazu, ein Gespann auf einem der drei Standplätze in Wien – Stephansdom, Heldenplatz, Albertina-Rampe -aufzustellen. Da überwiegend das „Geschäft“ mit Touristen gemacht wird, die wie Ameisen durch die Innenstadt wurln, werden die Standplätze täglich gewechselt – nach geraden und ungeraden Nummern.

Im Gegensatz zur weitverbreiteten Ansicht werden Wiens Fiaker vom Staate nicht subventioniert – sie sind nicht bei allen Wienern sonderlich beliebt: ist doch diese alte Reichshaupt- und Residenzstadt eine Einzige contradictio in adjecto – ein Widerspruch in sich selbst. Eine diese Widersprüchlichkeiten ist die, der Brust der Wiener innewohnende Ambivalenz; gehen sie tagsüber eilig und geschäftig ihrem Berufe nach und stolpern dabei über Pferdeäpfel, so schimpfen sie über die „G`Hack-Scheisser“, sind sie gezwungen, mit dem Auto hinter einem Fiaker-Gespann nachzufahren, schimpfen sie über die „Pflasterhirschen“ – es kommt zu regelrechten Anschlägen, wenn Tramway-Fahrer den Bremssand ablassen oder Reinigungs-LKWs der Stadt die Wasser-Fontaine loslassen, wenn man eines Fiaker-Gespannes ansichtig wird.

Die Reaktion der Pferde kann man sich ausmalen, die der Fahrgäste ist unvorstellbar.

Sitzen aber ebendiejenigen Pferdefeinde im Kreise ihrer Freunde beim reschen Wein und kommen Musikanten an den Tisch, so erheben sie lauthals ihre Stimme zum „Stellt´s meine Ross` in Stall oder „I hab zwoa harbe Rappen…“ um spätestens beim dritten Lied in tiefes Selbstmitleid zu versinken, weil die gute alte Zeit der Fiaker (angeblich) vorbei ist. Völlig bricht der von Traditions-Schmerz geplagte Heurigenbesucher zusammen, wenn dann der Fahrer des Taxis den Wagenschlag mit der alten Fiaker-Frage zuschlägt: „Fahr` ma, Euer Gnaden?“


Doch Wiens Fiaker geben kräftige Lebenszeichen von sich.  Seit vor drei Jahren der Fiaker Leopold Hewera beim einem Fahrturnier zuschaute, Blut zu lecken begann, das Fahrabzeichen in Bronze absolvierte und -auf Anhieb – bei seinem ersten Fahrturnier im Dressur-Bewerb siegte, mischte er in der Turnierszene sehr erfolgreich mit – die Fiaker-Kollegen wurden aufmerksam und neugierig: immer öfter musste Hewera aus der wartenden Gespann-Kolonne herausfahren – auf Sonderwunsch von Fahrgästen – er hatte großen Bekanntheitsgrad erreicht. Außerdem ist er, wie viele seiner Kollegen auch,   in der Lage, Sonderwünsche zu erfüllen: eine Hochzeit zweispännig – bitte, eine Kleinigkeit; eine Hochzeit vierspännig mit vier Füchsen – auch kein Problem, eine Galoppade mit einer Postkutsche für den Film -  wird erledigt! Wo der einzelne Fiaker mit seinen Ressourcen an die Grenze kommt, wird unter Kollegen zusammengetauscht.

Mittlerweile haben bereits fünf Fiaker das Fahrabzeichen in Bronze abgelegt, neue Anmeldungen sind vorhanden. Die Fiaker fahren – mit einer Ausnahme – allesamt mit Brustblatt- Anspannung und bedienen sich jener Leinen, die in Wien ungarische Leinen heißen, in Ungarn als französische Leinen bekannt sind und im Rest der Welt Wiener Leinen genannt werden – es sind die alten und modifizierten Szechenyi – Leinen. Eine erwähnenswerte Besonderheit bei den Leinen die Wiener Fiaker ist der Leinenring – ein Ring mit etwa 5 cm Durchmesser aus Silber, meist aber aus Elfenbein gefertigt, der stets Privatbesitz des Fahrers am Bock ist. Mit verschmitztem Lächeln wird hinzugefügt, dass der Ring, der an der Kreuzungsstelle der Innenleinen angebracht wird, „immer“ in Längsrichtung angebracht werden muss, weil er quer zu viel Luftwiderstand verursachen würde. Die Standardkleidung – wie bereits erwähnt -dazu die in der Hand geführte Stockpeitsche.

Der überwiegende Wagentyp ist der Landauer mit fester Bracke. Eine Zeitlang war es Mode, im Sommer weiße Handtücher mit Fransen so unter die Kammdeckel zu legen, dass die Fransen – als Zierrat – im Winde flatterten – der wahre Grund war der Schutz vor Druckstellen, Fiaker haben nämlich auffallend eng eingespannt. Instandsetzungen von Geschirren und Wägen bereiten Sorgen, bewährte Kräfte sterben, Nachwuchs ist rar.

Der Inhaber einer Fiaker-Konzession ist berechtigt, einen Wagen mit zwei Pferden zu betreiben – will er nicht immer selbst fahren oder besitzt er mehrere Konzessionen, so stellt er Kutscher an, die für feste Entlohnung fahren. Bei einer Stadtrundfahrt, die je nach gewünschtem Umfang 300,– bis 500,– Österreichische Schillinge kostet, sollte der Fahrgast ein (zumindest kleines) Trinkgeld zuschießen. Viele der Fiaker und Kutscher sprechen mehrere Fremdsprachen und sind nicht nur exzellente Fremdenführer, sondern auch charmante Unterhalter. Der Fahrgast kann den Fiaker aber auch zu einer Fahrt in den Prater oder nach Schönbrunn anheuern, wobei er guttut, eine Rast bei einem „Vierterl“ vorzuschlagen, denn Fiaker riechen gute Weine viele Kilometer – auch gegen den Wind.

Völlig vom Automobil verdrängt wurde der Miet- und Leibfiaker, der für einen Pauschalpreis einem Hotel oder einer Privatperson zur Verfügung stand und so den Unterhalt von Kutschern oder gewerblichen Stallungen sparte. Viele Persönlichkeiten früherer Zeiten, die rasch große Distanzen innerhalb der Stadt zu überwinden hatten – wie Ärzte, Diplomaten, Politiker – bedienten sich ihres Leibfiakers.

Zu den Recherchen für diesen bescheidenen Bericht trieb ich mich mehrmals an den verschiedenen Standplätzen herum, um zu beobachten. Dabei war auffallend, wie genau die Fiaker die Reinigung der Plätze nehmen; sie werden dabei von der Stadt mit einem Wasserwagen unterstützt. Getränkt und gefüttert werden die Pferde am Standplatz, beides ausreichend, haben sie doch an „guten Tagen“ bis zu zehn Stunden zu gehen. Schwitzende Pferde sieht man nie – sie leisten überwiegend Schrittarbeit, gelegentlich sind kurze Trabstrecken möglich. So verblüfften auch bei den Fahrturnieren Heweras „Bojar“ und „Natascha“ regelmäßig durch ausgezeichnete Kondition, bester Schrittarbeit und bestechender Trabverstärkung.

„Bojar“ und „Natascha“

Höchst erstaunlich ist zu beobachten, wie sparsam Fiaker mit der Bremse umgehen; muss der Wagen bei einer Ampel halten und diese befindet sich an einer Steigung, so ziehen die Pferde bis letzten möglichen Zentimeter hinauf, um dann so sicher aufzuhalten, dass der Wagen keine zehn Zentimeter zurückrollt – selbiges gilt für das Aufhalten bei Bergab-Fahrten.

Namhafte Gesundheitsprobleme, die mit dem „Beruf“ der Pferde verbunden sind, gibt es nicht.  Durchgehen ist eine Rarität, Unfälle sind selten. Eher unangenehm aufgefallen ist mir der Hufbeschlag vieler Pferde, der durch viele Aufzüge und Nägel geprägt ist – der Hufmechanismus leidet und dementsprechend scheinen Einige ein Abonnement für den „Collinschen Schnitt“ zur Behebung des Zwanghufes zu haben.

Während nach Auskunft der Fiaker fachkundiges Publikum „im Geschäft“ im Zunehmen begriffen ist und so mancher potentielle Fahrgast erst die Gespanne beäugt, bevor er sich zu einer Fahrt entschließt oder ein bestimmtes „Zeugl“ aus der wartenden Reihe vorziehen lässt, wird manchmal beanstandet, dass am Standplatz – anstatt die Bremse anzuziehen – das linke Vorderrad mit einem Strick am Vorderwagen befestigt wird: dies ist aber nicht auf Schlamperei oder Bremsen ohne Funktion zurückzuführen, sondern auf gelebte Tradition; sollten die Pferde zu gehen beginnen, wird nur ein Rad blockiert und der Wagen dadurch seitlich verdreht, was den Pferden die Lust, durchzugehen, nimmt.

Der kundige Leser weiß, dass Pferde über einen Spannapparat aus Bändern, Sehnen, Muskeln und Knochen verfügen, der ein nahezu ermüdungsfreies Schlafen im Stehen ermöglicht. Kaum irgendwo sonst kann man diese wunderbare Konstruktion der Natur besser beobachten, als auf den Standplätzen der Fiaker-Pferde – ja es will scheinen, dass dieser Mechanismus geradezu für diese Pferde gemacht ist; fährt ein Gespann nach einer Rundfahrt auf den vertrauten Standplatz ein, erfassen die Pferde im Nu die Situation, „zählen“ die vor ihnen wartenden Zeugl , um dann augenblicklich in absolute Relaxation zu fallen, während der Kutscher nach Befestigen des vorher erwähnten Strickes auf eine Melange oder ein Achterl geht.

Sehr ungehalten habe ich einen Fiaker reagieren sehen, als eine Gruppe bundesdeutscher Urlauber um seinen schönen Landauer herumgingen, hier zog und da schob, um dann die Frage zu stellen: „Hält denn die Karre dies auch aus?“ Der so Befragte gab eine Antwort, die ihm das Geschäft vermasselte.

Häufig wird von Außenstehenden die Vermutung geäußert, dass Fiaker-Pferde kein hohes Alter erreichen; dies stimmt nicht, dafür gibt es gute Gründe: „Pferde sind meine Arbeitskollegen, wenn sie sich nicht wohl fühlen, merke ich das und tue etwas dagegen!“ sagten mir Leopold Hewera und Hans Hollendonner, der eine Fiaker, der andere sein Kutscher; und wenn sich ein Pferd nicht wohl fühlt, wird es behandelt und gepflegt, denn die Gesundheit der Pferde ist essentieller Teil des „Geschäftes“. Obendrein bereiten Fiaker junge Pferde sehr langsam und sorgfältig auf ihren „Dienst“ vor. Heweras 23 jähriger Fuchs „Bruno“ ist seit über 10 Jahren im Einsatz, eine starke Pferdepersönlichkeit, gesund, lebhaft und absoluter Leader im Vierspänner.  Zwei Sorgen betrüben die Fiaker immer: sie brauchen annehmbare Wetterverhältnisse und gute Stallungen in Stadtnähe – beides ist nicht immer leicht zu haben.

Heweras Viererzug anlässlich eines Turniers in Halbthurn: prominenter Fahrgast im Fond Marietheres Baronin Waldboth-Bassenheim, die Gastgeberin

Wenn ich jetzt, abschließend, noch behaupte, dass es eine große Gemeinsamkeit zwischen den Wiener Fiakern und den Berliner Philharmonikern gibt, so irrt jener, der da meint, Herr von Karajan (immer wieder an der Spitze der Staatsoper) wäre die Verbindung: nein, die Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide Institutionen nur männliche Mitglieder haben.

„Wenn eine Frau mit einem „Zeugl“ auf den Standplatz käme, würde sie schon vor dem ersten Vierterl wieder ausspannen“ – denn gerade feinfühlend sind die Witze der Fiaker nicht. Ihr Beruf ist beinhart und Konkurrenz schläft nicht. „Sollte  aber ein Kutscher sich es am Bock zu gemütlich machen und im Schatten des Stephansdoms  ein Nickerchen wagen, ja, so kann er schlafen bis zum Jüngsten Tag“ – kein Kollege wird ihn aufwecken, eher noch die „Pummerin“ – die bedeutendste Kirchglocke Wiens am Turme des Stephansdomes – allerdings auch nur an hohen Festestagen!
 
Für das Zustandekommen dieses Berichtes danke ich der Familien Hewera, Hans Hollendonner, Hans Brabenec und der Fiaker-Innung (für die Broschüre „Festschrift anlässlich der Eröffnung des Wiener Fiakermuseums“)
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„Nun“ sagte der alte Herr schmunzelnd „da haben sich die Zeiten gründlich geändert – bei den „Berlinern“ gibt es Damen, in der „Spanischen“ junge Frauen, die in Fernsehwerbungen auftreten und bei den Fiakern sind mittlerweile „Fiakerinnen“ und „Kutscherinnen“ nicht mehr ungewöhnlich.

Die Zeitschrift IN MEMORIAM ACHENBACH – ein Hochglanzformat in deutscher, englischer und französischer Sprache – erschien im ISKA Verlag in der Schweiz und war von hochkarätiger Qualität; benannt war die vierteljährliche Publikation nach Benno Franz Ludwig von Achenbach (* 24. Juli 1861 in Düsseldorf; † 12. Oktober 1936 in Berlin), dem Begründer des nach ihm benannten Fahrsystems;  1906 wurde er Chef des Fuhrparks des Königlichen Marstalls Berlin. Das besondere Konzept des Achenbach`schen Fahrstils bestand in der Möglichkeit, Gespanne präzise im engen innerstädtischen Bereich zu fahren, sofern drei Voraussetzungen erfüllt waren:
– Starre Bracke am Wagen
– Leinen nach Achenbach
– Peitsche als verwahrende, beruhigende und treibende Hilfe in der Hand des Fahrers.

Das „Gebet nach Achenbach“ beim Aufnehmen der Leinen wurde später auch bei uns in die Fahrkurse eingebaut und von strengen Richtern abgehört.

v.l.: Josef Jarausch, Hans A. Krasensky, Ing. Helmut Kolouch, Dipl. Ing. Mag. mult. Dr. mult. Rudolf Rautschka im Gelände während einer Marathonprüfung.

Im „Achenbach“ zu publizieren – ich hatte viele Jahre diese Ehre – war ein Ritterschlag – in den Adern des Redakteursteams floss Pferdeblut, der Chef Charly Iseli entstammte dem bekannten Schweizer Fahrstall Iseli. Mit Vergnügen erinnere ich mich an den Anruf von Heide Keller, der zweiten Chefredakteurin, aus Zürich, nachdem ich den Fiaker-Artikel (damals natürlich noch per Post, es gab noch nicht einmal Telefax) geschickt hatte: „Soll ich „Mozartkugeln“ in der englischen Fassung mit der Originalbezeichnung aufnehmen oder mit „balls of Mozart“ übersetzen?“ dabei gluckste sie vor Spaß. Ich riet ihr, um Produktreklamationen zu vermeiden, zur ersten Variante.“

Dokumente, Fotos, Grafiken und Literatur – Archiv & ex libris Dr. Kaun seit 1963

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