Französische ForscherInnen konnten zeigen, dass Musik eine beruhigende und entspannende Wirkung auf Pferde ausübt, wenn sie mit Stress auslösenden Reizen konfrontiert sind. Dieser Effekt sollte jedoch „sparsam und gezielt" eingesetzt werden.
Symbolfoto: Simone Aumair
Die Lebens- und Haltungsbedingungen, denen Pferde heutzutage ausgesetzt sind, bringen sie zwangsläufig auch mit stressauslösenden Situationen und Reizen in Kontakt. Musik scheint jedoch ein vielversprechendes Mittel zur Bewältigung solcher Situationen zu sein, wie ein französisches Forschungsteam nun herausgefunden hat.
Die Studie von Camille Eyraud und ihren KollegInnen zielte darauf ab, festzustellen, ob Musik die Reaktionen von Pferden auf unerwartete Reize abmildern kann und ob das tägliche Abspielen derselben Musik ihre Wirksamkeit verringert.
Die im ,International Journal of Equine Science' veröffentlichte Untersuchung umfasste drei Gruppen von je 12 Pferden, die jeweils 10 Tage hintereinander einen Test-Parcours mit potenziell stressigen Reizen absolvieren mussten.
Die Test-Parcours dauerten im Durchschnitt 6 min 38 s (± 2 min 10 s) und bestanden jeweils aus fünf visuellen und/oder plötzlichen Reizen sowie fünf auditorischen Reizen (also insgesamt 10). Visuelle Reize waren etwa eine Plane oder ein grüner runder Teppich auf dem Boden, eine große orange Fahne, ein Zelt, ein aufgespannter Regenschirm oder ein gegen die Hallenbande geworfener Ball.
Als auditorische Reize wurden verschiedene Tiergeräusche (Bellen eines Hundes oder Wolfes, Krähen eines Hahns, Muhen einer Kuh oder Wiehern eines Esels) und menschliche Umgebungsgeräusche (Pfeifen, Sirenen eines Krankenwagens, Hupen eines Autos oder LKWs, Starten eines Motorradmotors oder Laufen eines LKW-Motors) ausgewählt. Die auditorischen Reize ertönten maximal fünf Sekunden lang.
Die ForscherInnen wiesen darauf hin, dass wiederholte Belastungen durch dieselbe Stresssituation eine Gewöhnung an diese Art von Stress hervorrufen und so allmählich den belastenden Charakter verringern könnten. Um dieses Risiko zu minimieren, wurden die Position und Reihenfolge des Auftretens der Reize von einer Belastung zur nächsten verändert und jedes Mal andere Audioreize ausgewählt.
Ziel war es, zu verhindern, dass sich die Pferde an die Stresssituation gewöhnen, wodurch eine mögliche Gewöhnung an die Musik nicht erkannt werden könnte. Außerdem wurde für einen bestimmten Stressortyp (z. B. den geworfenen Ball) die Intensität nach jeder Belastung allmählich erhöht (erste Belastung: Ball 5 m vor dem Pferd geworfen, letzte Belastung: Ball 3 m hinter dem Pferd geworfen.
Den gezeigten Stressreaktionen der Pferde während des Testparcours wurde ein Intensitätswert zugewiesen. Diese Werte reichten von 1 (= Ausrichtung der Ohren in Richtung des Stressreizes) bis 10 (= Flucht bzw. Weglaufen vor dem Stressreiz). Zusätzlich wurde auch die Herzfrequenz jedes Pferdes aufgezeichnet, um die Aktivität des autonomen Nervensystems überprüfen zu können.
Jede der drei Gruppen trug bei der Absolvierung des Test-Parcours Kopfhörer, an die man die Pferde zuvor gewöhnt hatte, und wurde einer von drei Test-Bedingungen ausgesetzt: einer „Musik“-Bedingung, bei der stets derselbe Musiktitel gespielt wurde, einer „Lärm“-Bedingung mit sogenanntem ,Rosa Rauschen' sowie einer Kontroll-Bedingung, bei welcher der Parcours ohne Musik zu bewältigen war. (Zur Erklärung: Beim ,Rosa Rauschen' (pink noise) wird gleichsam eine diffuse Geräuschkulisse erzeugt, wodurch andere Umgebungsgeräusche gedämpft werden – die ForscherInnen wollten mit dieser zusätzlichen Testbedingung sicherstellen, „dass die Unterschiede, die in der Bedingung „Musik“ beobachtet werden könnten, tatsächlich auf die akustischen und musikalischen Parameter der Audiospuren zurückzuführen sind".)
Die Musik selbst wurde mithilfe einer „Audiokappe“ direkt in das Außenohr des Pferdes gespielt. Dabei handelt es sich um eine herkömmliche Ohren- bzw. Fliegenhaube, die mit Kopfhörern vor den Ohrmuscheln und einer Tasche für einen kleinen MP3-Player zwischen den beiden Ohren ausgestattet wurde.
Die Kopfhörer sowie ein kleiner MP3-Player waren in die Ohrenhaube der Testpferde integriert. Foto: Camille Eyraud et.al.
Sämtliche Tests wurden mit Video-Kameras aus verschiedenen Blickwinkeln aufgezeichnet, anschließend wurden die Videos begutachtet und ausgewertet. Alle Beobachtungen wurden blind durchgeführt, d. h. nur der für den Umgang mit den Pferden verantwortliche Experimentator kannte die zugewiesenen Bedingungen für jedes Pferd während des Experiments.
Die Ergebnisse waren eindeutig und zeigten, so die AutorInnen, „dass Musik eine beruhigende, entspannende Wirkung sowohl auf das Verhalten als auch auf die Herzfrequenz von Pferden als Reaktion auf visuelle Reize hatte." Interessanterweise lagen die Parameter für den Zustand mit ,Rosa Rauschen' zwischen denen des Zustands mit und ohne Musik.
In Bezug auf den möglichen Verlust der Wirksamkeit von Musik bei wiederholter Einwirkung zeigte die Studie, dass Musik stressbedingte Verhaltensweisen bei bis zu sieben aufeinanderfolgenden Einwirkungen weiterhin wirksam linderte, obwohl dieser Effekt nicht jeden Tag gleich blieb.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass kontinuierliches Abspielen von Musik in der Wohnumgebung mit der Zeit seine beruhigende Wirkung verliert. Dies deutet darauf hin, dass kontinuierliches Abspielen von Musik über den ganzen Tag hinweg – wie es häufig in Ställen zu beobachten ist – kontraproduktiv sein könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Musik „die Mensch-Pferd-Interaktion sicherer machen kann, indem sie den Stress der Pferde in unerwarteten Situationen begrenzt". Die AutorInnen wörtlich: „Insgesamt könnten diese Elemente des Abspielens von Musik tatsächlich dazu verwendet werden, die negativen Auswirkungen akuter Stresssituationen zu mildern, insbesondere wenn sie eine visuelle Komponente besitzen."
Um die Effizienz der Musik zu erhalten, sollte sie jedoch „sparsam und gezielt auf zeitlich begrenzte Ereignisse ausgerichtet" eingesetzt werden. Weitere Untersuchungen sind lt. den AutorInnen erforderlich, um die zugrunde liegenden Wahrnehmungs- und Emotionsmechanismen der Wirkung von Musik auf Pferde zu verstehen und einen sicheren und durchgängig effizienten Einsatz auf dem Feld zu gewährleisten.
Die Studie „Can Repeated Exposure to Music Mitigate Horses' Reactions to Sudden and Unexpected Stimuli?" von Camille Eyraud, Mathilde Valenchon, Milena Cairo, Olivier Adam und Odile Petit ist am 27. April 2024 in der Zeitschrift ,International Journal of Equine Science' erschienen und kann in englischer Kurzfassung hier nachgelesen werden.